Sonntag, Dezember 22, 2024

W+M-Report: Generationswechsel auf dem Chefsessel #2 Die Lage in Ostdeutschland

Im ostdeutschen Mittelstand wächst die Zahl der Unternehmen, die eine Nachfolge suchen. Gerade die Generation der Gründer und Gründerinnen aus der Wendezeit nähert sich ihrem wohlverdienten Ruhestand. Doch die wirtschaftlich unruhigen Zeiten und fehlender unternehmerischer Nachwuchs erschweren den Übergabeprozess. Im zweiten Teil des Report von Matthias Salm geht es um die Lage in Ostdeutschland.

Teil 1 – 30.05.2023:
Generationswechsel im Chefsessel
Teil 2 – 05.06.2023:
Generationswechsel im Chefsessel – Die Lage in Ostdeutschland
Teil 3 – 13.06.2023:
Generationswechsel im Chefsessel – Ausgewählte Informationsangebote der Kammern

Teil 2: Die Lage in Ostdeutschland

Eine konkrete Zahlenlage zum Umfang der Nachfolgeproblematik in Ostdeutschland lässt sich häufig nur ungenau ermitteln. Wirtschafts+Markt hat deshalb bei den ostdeutschen Industrie- und Handelskammern nachgefragt, wie sich in ihrem Kammerbezirk die Nachfolgesituation darstellt und welche Hilfestellungen die Kammern den Unternehmern und Unternehmerinnen geben können.

Nachfolgezentrale MV hilft

IHK zu Rostock. Foto IHK Rostock

Die IHK Rostock nennt 9.089 Personen in Führungsverantwortung, die aktuell 60 Jahre und älter sind, davon sind 3.181 Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer von Handelsregisterfirmen und 5.908 Inhaberinnen und Inhaber von Unternehmen. „Die größte Schwierigkeit bei der Unternehmensnachfolge ist das Zusammenbringen von abgebenden Unternehmen mit den Interessenten“, weiß die Rostocker IHK-Expertin Denise Schulze. Der Nachfolgeprozess sollte deshalb grundsätzlich langfristig – bis zu fünf Jahre oder mehr  –geplant werden. In den allermeisten Fällen rät Denise Schulze zur Begleitung der Nachfolge durch professionelle Experten.

Für eine solche Begleitung für die abgebenden Unternehmer wurde 2015 die NACHFOLGEZENTRALE MV eingerichtet. Die Nachfolgezentrale ist ein Kooperationsprojekt der Bürgschaftsbank Mecklenburg-Vorpommern, dem Land Mecklenburg-Vorpommern sowie den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern, um aus dem Erwerbsleben ausscheidende Unternehmer und potenzielle Nachfolger zusammenzubringen.

Völlig unabhängig von der langfristig geplanten Übergabe gibt es übrigens auch jene Fälle, in denen etwa im Krankheitsfall die Nachfolgeregelung vorgezogen werden muss. Hierfür bieten die IHK das Notfall-Handbuch für Unternehmen an, mit dessen Hilfe klar geregelt werden kann, wer in einem solchen Fall für welche Aufgaben Verantwortung im Unternehmen übernimmt.

Große Nachfrage in Chemnitz

IHK-Gebäude Chemnitz. Foto: W. Schmidt

Auch bei der IHK Chemnitz nimmt das Thema Unternehmensnachfolge einen großen Raum bei den Sprechtagen und Einzelgesprächen der Fachberater der Kammer ein. Besonderes Augenmerk gilt dem Nachfolgetag der IHK Chemnitz, der jährlich am 21. Juni mit verschiedenen Aktionen rund um das Thema Unternehmensnachfolge stattfindet.

Die AG Unternehmensnachfolge der IHK Chemnitz erarbeitet derzeit einen Fahrplan für die weitere Akquise zum Thema „Sensibilisierung der Unternehmensübergeber“ und der Intensivierung des Matchings zwischen Übergebern und Übernehmern. Das Thema Nachfolge im Mittelstand wird auch auf dem „Sächsischen Unternehmertag“ mit Wirtschaftsminister Martin Dulig in Chemnitz zur Sprache kommen.

Darüber hinaus bietet die IHK Online-Webinare zum Thema „Unternehmensbewertung und Unternehmensverkauf“ an. Ende August schließlich soll das Gutachten „Unternehmensnachfolgen im Freistaat Sachsen 2017 – 2030“ durch die Kienbaum GmbH Berlin vorgelegt werden. Diese Studie nimmt das Nachfolgegeschehen in Sachsen noch einmal genauer unter die Lupe, um aus den Ergebnissen neue innovative Ansätze für Unterstützungs- und Beratungsangebote ableiten zu können. Unterstützung erfahren in der Region Nachfolgesuchende und Gründungswillige auch beim NachfolgeWerk, einem Projekt des Bundeswirtschaftsministeriums, das bei der TU Chemnitz angesiedelt ist.

Hohe Zahlen in Gera

Bei der IHK Ostthüringen zu Gera sind rund 33.000 Mitgliedsunternehmen gelistet. 25.000 davon sind unternehmer- bzw. inhabergeführt. Davon wiederum sind rund 7.000 Personen jenseits der 55 Jahre und 3.800 Unternehmer und Unternehmerinnen gar älter als 65 Jahre. Auch hier wird sich die Nachfolgeproblematik in den kommenden Jahren absehbar verschärfen.

Aus Sicht der IHK Ostthüringen zu Gera könnte die Politik zu einer Entlastung der Situation beitragen, indem sie verlässliche wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen schafft. Dazu gehören der schon oft versprochene Bürokratieabbau beispielsweise bei den Dokumentationspflichten sowie eine stärkere finanzielle Unterstützung von Firmenübergaben gerade bei KMU. Hilfreich wäre es auch, bei einer Übergaberegelung dem Nachfolger Bestandsschutz einzuräumen – etwa beim Baurecht oder dem Brandschutz.

Die Thüringer Wirtschaftskammern haben sich 2022 zum „Kammernetzwerk Unternehmensnachfolge“ zusammengeschlossen. Mit der Veranstaltungsreihe „Roadshow Unternehmensnachfolge“ offeriert es Unternehmenschefs die Möglichkeit, sich zu ausgewählten Aspekten wie Nachfolgeplanung, Nachfolgersuche, Notfallplanung, Finanzierung und Steuern zu informieren.

Gemeinsame Hilfe in Sachsen-Anhalt

IHK Halle-Dessau. Foto: Michael Deutsch

Auch in Sachsen-Anhalt stehen nicht wenige der insgesamt 117.000 Firmen aus Handwerk, Industrie, Handel und Dienstleistung vor der Weitergabe der Unternehmensverantwortung. „Wir schätzen, dass im Land Sachsen-Anhalt in den nächsten zehn Jahren fast 10.000 Unternehmensübergaben anstehen“, sagt Antje Bauer, Sprecherin des N:UN Netzwerk Unternehmensnachfolge Sachsen- Anhalt und Geschäftsführerin „Starthilfe und Unternehmensförderung“ bei der IHK Halle-Dessau.

Laut offizieller Gewerbestatistik erfolgten im Land Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr 8.904 Neugründungen. Davon nennt die Statistik  701 Geschäftsübernahmen durch Erbfolge, Kauf oder Pacht bzw. Erwerb von Geschäftsanteilen. Nachfolgeexpertin Antje Bauer hat beobachtet, dass „aktuell größere Zugeständnisse an den Verkaufspreis gemacht werden müssen und deshalb, wo immer es geht, mit dem Unternehmensverkauf abgewartet wird.“ Dennoch gilt auch das: Rund 65 bis 75 Prozent der angestrebten Unternehmensübergaben gelingen.

Das Finden und Gewinnen von Unternehmensnachfolgern liegt in Sachsen-Anhalt hauptsächlich in den Händen der vier gewerblichen Kammern bzw. des Netzwerks Unternehmensnachfolge Sachsen-Anhalt. Dieses hat gemeinsam mit weiteren Partnern wie der Bürgschaftsbank/Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft Sachsen-Anhalt, der Investitionsbank Sachsen-Anhalt und der Beratervereinigung Unternehmensnachfolge Sachsen-Anhalt die Kampagne „Freundliche Übernahme“ gestartet. Das erklärte Ziel der Kampagne ist es, die Zahl möglicher Interessenten für eine Unternehmensübernahme zu erhöhen. Darüber hinaus hält das Netzwerk und auch jede Kammer selbst Veranstaltungen und Expertensprechtage in den einzelnen Regionen des Landes ab.

Netzwerk in der Region Dresden

Foto: IHK Dresden

Die IHK Dresden zählt rund 90.000 Mitgliedsunternehmen aus den Branchen Industrie, Handel, Dienstleistungen, Verkehr, Bau, Hotellerie und Gastronomie. Nach einer aktuellen Schätzung stehen im Kammerbezirk in den nächsten Jahren 6.668 Unternehmen zur Übergabe an.

Das Thema Unternehmensnachfolge steht bei der IHK Dresden schon seit vielen Jahren ganz oben auf der Agenda. 2011 wurde mit Partnern das Nachfolgenetzwerk „FOLGERICHTIG“ gestartet. Es berät und begleitet Nachfolgen, hilft bei der Suche nach Nachfolgern und vermittelt Kontakte zu Partnern und Fachexperten.

Dieses Jahr wird von der Bürgschaftsbank Sachsen unter Schirmherrschaft des Sächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr auch wieder der „Sächsische Meilenstein“ , ein Preis für erfolgreiche Unternehmensnachfolge, vergeben. Die IHK Dresden und die anderen sächsischen Kammern rufen erfolgreiche Nachfolger auf, sich zu bewerben und damit als leuchtendes Beispiel für eine Übergabe zu motivieren.

Nachfolgeclub der IHK Erfurt

Im Kammerbezirk der IHK Erfurt sind über 11.000 inhabergeführte Unternehmen und Gesellschaften mit Führungspersonal im übergabefähigen Alter registriert. Eine Vielzahl der Unternehmen werden allerdings im Nebenerwerb geführt oder haben einen geringeren Geschäftsumfang, so dass diese kaum fortgeführt werden dürften. Die IHK Erfurt schätzt, dass jährlich 400 größere Unternehmenseinheiten im Kammerbezirk eine Nachfolge vollziehen. Thüringenweit dürfte die Zahl nach Sicht der Erfurter IHK bei über 1.000 liegen.

Das Angebot der IHK Erfurt: Im ihrem Nachfolgeclub können sich Übernahmeinteressierte registrieren. Die Berater der Kammern prüfen gezielt, ob die Mitglieder des Nachfolgeclubs, zu Unternehmen im Übergabeprozess passen.

Nachfolgecheck in Ostbrandenburg

Die IHK Ostbrandenburg hat 42.000 Mitgliedsunternehmen. Hier ist ein Drittel der Inhaber, und Geschäftsführer älter als 55 Jahre alt. „Die Nachfolge in den Unternehmen zu verwirklichen, ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung“, sagt Dr. Thomas Kühne, Geschäftsbereichsleiter Service bei der IHK Ostbrandenburg. „Unsere Mitgliedsunternehmen sorgen für Wohlstand und Stabilität in der Region. Diesem Fundament wird nicht ausreichend Wert beigemessen.“ Rückgrat der Ostbrandenburger Wirtschaft sind die Kleinst- und Kleinbetriebe, welche nach der Wende aufgebaut wurden und nun in den Generationswechsel eintreten.

Ins nunmehr dritte Jahr geht das Projekt „Sensibilisierung zur Unternehmensnachfolge“ im Land Brandenburg. In allen sechs Wirtschaftskammern beschäftigen sich auf den Nachfolgeprozess spezialisierte Mitarbeiter mit dem Thema. So wurden in Ostbrandenburg mehr als 1.200 Mitgliedsunternehmen mit älteren Inhabern angerufen. Knapp ein Drittel davon ließ sich mit einem Nachfolgecheck beraten. Ein Viertel hat den Nachfolgeprozess bereits selbst eingeläutet. 16 Prozent fühlten sich allerdings verfrüht angesprochen. Der Rest wünschte keine Beratung oder wird bereits von anderen Institutionen in der Nachfolge betreut.

Darüber hinaus werden in Zusammenarbeit mit den Gründungszentren der Universität Viadrina und der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde  Hochschulabsolventen gezielt für die Möglichkeiten einer Unternehmensnachfolge sensibilisiert.

IHK Cottbus sucht Kontakt

Im Kammerbezirk der IHK Cottbus beschäftigen sich 52 Prozent der Unternehmen mit dem Thema Nachfolge, beachtliche knapp 30 Prozent haben das Thema für die nächsten fünf Jahre auf dem Zettel. Im Handel wird die Nachfolgefrage bei rund 40 Prozent der Unternehmen in dem genannten Zeitraum relevant, beim Gastgewerbe sind es 29 Prozent.

Nur wenige Unternehmen wenden sich von selbst an die IHK, so die Erfahrung der IHK Cottbus. In der Regel erfolgt die Hilfesuche oft recht spät im Übergabeprozess. Betriebe nutzen auch nicht alle Möglichkeiten bei der Nachfolgesuche. Deswegen geht die IHK Cottbus im Rahmen des Brandenburgischen Nachfolgeprojekts von sich aus auf die betroffenen Unternehmen zu.

 

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