Samstag, Oktober 12, 2024

Wir brauchen einen neuen Blick auf die Industrie – ein Plädoyer von Dr. Holger Loclair

Ein Plädoyer für eine positive Grundeinstellung gegenüber der deutschen Industrie, als Voraussetzung für eine erfolgreiche Zeitenwende. Von Dr. Holger Loclair, Chairman & CEO der ORAFOL Gruppe.

Industrie: Schlüsselrolle in der Zeitenwende

Wir bei ORAFOL waren immer Optimisten. 2022 wurde meine Zuversicht einmal mehr auf die Probe gestellt und gleichzeitig bestärkt. Trotz der vielzähligen Herausforderungen war das zurückliegende Geschäftsjahr ein historischer Erfolg. Dabei ist ORAFOL nur ein Beispiel. Vom Großkonzern bis zum familiengeführten Mittelstand, die Industrieunternehmen in Deutschland haben sich hervorragend geschlagen. Den schwierigen Rahmenbedingungen in der Energiekrise setzten sie gemeinsam schnell Lösungen entgegen.

Die Anerkennung für die Leistungen der Industrieunternehmen aber bleibt anhaltend aus.

Es scheint weder ein grundsätzliches Einvernehmen darüber zu geben, dass Schlüsselbranchen wie die Chemie die Basis für Wohlstand sind, noch scheint es politischen Einklang darüber zu geben, dass die Technologien, die Innovationen und die finanziellen Ressourcen, die Deutschland in der Zeitenwende benötigt, nur mit der Industrie entwickelt und geschaffen werden können.

Die Industrie in Deutschland ist ein überaus zuverlässiger Taktgeber der Konjunktur. Das hat sie in den vergangenen zwei Jahren erneut bewiesen. Dennoch, einen politischen Konsens dazu gibt es nicht.

Im Gegenteil, zusätzlich zu den stark gestiegenen Energiekosten belasten und hemmen eine Reihe von hausgemachten Problemen das Wachstum deutscher Industrieunternehmen. Deutschland verliert als attraktiver Standort an Boden und nimmt damit in Kauf, dass die Zeitenwende scheitert, weil die hier beheimateten Industrieunternehmen einen signifikanten Teil ihrer Wettbewerbsfähigkeit einbüßen.

Der Stillstand oder die rückläufige Entwicklung bei der Digitalisierung, bei der dringend benötigten Entbürokratisierung oder bei der Energiewende bremsen Industrieunternehmen in ihrer nachhaltigen Entwicklung massiv. Das schwächt den deutschen Wirtschaftsstandort und führt zu langfristigen strukturellen Problemen und Abwanderungen. Allen Überlegungen und Maßnahmen, die darauf abzielen den deutschen Standort in einer neuen Zeit wettbewerbsfähig zu halten, muss also ein neuer Blick auf die Industrie vorangestellt sein.

 

ORAFOL Stammsitz in Oranienburg. Foto: Orafol-Gruppe

„Deutschland kann kaum noch mithalten“

Die Bedingungen, unter denen Industrieunternehmen das traditionelle Qualitäts- und Leistungsversprechen ‚Made in Germany‘ einlösen, haben sich verschlechtert. In internationalen Rangfolgen bei Steuern, Arbeit, Regulierung, Finanzierung, Infrastruktur und Investitionen liegt der deutsche Standort weit abgeschlagen hinter den USA, Kanada, Schweden und der Schweiz. Der ‚Länderindex Familienunternehmen‘ beispielsweise bewertet die Standortvoraussetzungen in Deutschland für große Familienunternehmen und stellt sie denjenigen wichtiger Wettbewerberländer gegenüber. In der auch für ORAFOL bestimmenden Frage, ob sich die Nachteile europäischer Länder im Bereich der Energiepreise möglicherweise durch Standortvorteile auf anderen Gebieten kompensieren lassen, kommt die Studie zu dem Schluss: Nein, „Deutschland kann kaum noch mithalten“.

Klare politische Haltung – Deutschland muss ein Industrieland sein wollen

Die Anforderungen, die sich an das Spitzenfeld der Industrieproduktion richten, werden komplexer. Besonders, wenn es darum geht in neuen Technologien Fuß zu fassen oder neue Geschäftsbereiche zu erschießen.

Es geht dabei immer um Tempo und die Fähigkeit zu nachhaltigem Wachstum.

Wenn Industrieunternehmen Ansprüche an die Standortqualität in Deutschland stellen, dann resultiert das aus konkreten Wechselbeziehungen in der Gegenwart und der damit verbundenen Anforderung sich weiterzuentwickeln. Sie sind kein Selbstzweck. Kontinuierliche Investitionen, Disziplin und eine erfolgsorientierte Führungskultur, nicht nur in den Unternehmen, sondern auch in der Politik und besonders in der öffentlichen Verwaltung sind wesentliche Voraussetzungen für die Industrie und damit für die Zukunftsfähigkeit des deutschen Standortes überhaupt. Der politische Lösungswille muss wieder dominieren, um unsere Wettbewerbsposition im Weltrang zu sichern. An dem aber mangelt es.

Anders ist es nicht zu erklären, dass die hohen Energiekosten in Deutschland nicht längst dazu geführt haben, dass andere Standortfaktoren entschieden verbessert werden. Langwierige Genehmigungsprozesse, die auch ORAFOL immer wieder beschäftigen, oder die hohe Steuerlast für Unternehmen sind in diesem Zusammenhang eben nicht nur ärgerlich. Sie sind Ausdruck einer politischen Haltung, die sich auch darin zeigt, dass inmitten einer Energiekrise nicht alle heimischen Energiequellen aktiviert werden, sondern lauffähige Kernraftwerke vom Netz gehen müssen.

Produktionsanlage zur Herstellung selbstklebender Spezialfolien bei ORAFOL / Copyright: ORAFOL Europe GmbH

Der endgültige Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie ist neben weiteren Gründen besonders deswegen so problematisch, weil er ohne Rücksicht auf die geänderten Rahmenbedingungen vollzogen wurde. Deutschland hatte bereits vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die höchsten Strompreise unter allen Industrieländern. Dass wir gerade jetzt sichere Kernkraftwerke in Deutschland abschalten, mündet zwangsläufig in der Frage:

Will Deutschland überhaupt eine führende Industrienation sein?

Fakt ist, die Industrie in Deutschland ist auf eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Energieversorgung angewiesen. Das politisch besiegelte Ende einer Energietechnologie und der mit ihr verbundenen Forschungstätigkeit, in die andere führende Industrienationen kräftig investieren, sendet ein mehr als ernüchterndes Signal. Trotz der gegenwärtigen Komplexität wird nicht die Verfügbarkeit wettbewerbsfähiger und sauberer Energie als Grundlage des industriellen Geschäftsmodells in den Vordergrund gestellt, sondern politische Präferenzen in der Energiepolitik.

Subventionsprogramme allein motivieren nicht

Die Zeitenwende 1989, in welche die Startphase der ORAFOL fiel, war, wie die aktuelle Zeit auch, von großer Unsicherheit geprägt und natürlich auch von Problemen, die wir lösen mussten. Dennoch stellten wir die erste Grundsteinlegung der ORAFOL nach dem Fall der Mauer unter das Motto „Ein Traum wird wahr“. Das ursprüngliche Betriebsgelände des VEB Spezialfarben Oranienburg war ungeeignet für weiteres Wachstum. Als wir 1995 den ersten Spatenstich am heutigen Stammsitz der ORAFOL Gruppe setzten, herrschte eine enorme Aufbruchstimmung. Die Freude über die gute Entwicklung des Unternehmens war groß – nicht nur bei den Mitarbeitern und mir. Auch alle Verantwortlichen in der Politik und der öffentlichen Verwaltung haben mit uns an einem Strang gezogen. Genau dahin müssen wir zurückfinden – zu Zustimmung und Einsatz für nachhaltiges industrielles Wachstum in Deutschland.

Bei unseren aktuellen Erweiterungsvorhaben an unserem Stammsitz in Oranienburg und weltweit zeigt sich der Unterschied unmittelbar. In einem Investitionsumfang von mehr als 150 Mio. Dollar erweitern wir unsere sechs amerikanischen Produktionsstandorte und errichten dort zudem ein neues Werk für die Herstellung extrudierter thermoplastischer Polyurethanfolien.

Meine große Sympathie für diesen Wirtschaftsstandort resultiert aus der dort gelebten Willkommenskultur. Als Industrieunternehmen erfahren wir diese vorbehaltlos an allen US-Standorten der ORAFOL. Die Bevorteilung einzelner Branchen nehmen wir dort nicht wahr. Besonders bei Planungs- und Genehmigungsverfahren erleben wir eine große Verbindlichkeit, ein hohes Tempo und Unterstützung. Daran muss sich Deutschland besonders orientieren, denn Subventionsprogramme allein motivieren nicht zu mehr Investitionen und unternehmerischem Wachstum.

Das Unternehmen ORAFOL

ORAFOL ist das umsatzstärkste familiengeführte Industrieunternehmen in Ostdeutschland. Im vergangenen Geschäftsjahr erwirtschaftete die Unternehmensgruppe mit der Entwicklung und Herstellung von selbstklebenden Spezialfolien und Polymerfilmen einen Umsatz von 870 Millionen Euro. Das war das beste Umsatzergebnis, seit der Gründung des Unternehmens kurz nach dem Fall der Mauer. Am Stammsitz in Oranienburg investiert Gründer und Geschäftsführer Holger Loclair von 2022 bis 2024 mehr als 160 Millionen Euro. Bei der Unternehmenstochter ORAFOL Americas Inc., USA sind es in demselben Zeitraum 150 Millionen Dollar.

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