In Zeiten des Wandels wird Bewährtes auf den Prüfstand gestellt, weil das bisher erfolgreiche Konzept oder Geschäftsmodell nicht mehr für die Zukunft taugt. Darüber reden wir seit Jahren, ohne uns ernsthaft zu bemühen. Erst in den letzten zwei Jahren begriffen viele, dass es ernst ist und ein Durchmogeln und eine Rückkehr zu alten Zeiten nicht mehr möglich ist. Gebraucht wird der radikale Wandel. Dazu hat Dr. Jens-Uwe Meyer ein Buch geschrieben. Wir schließen mit diesem Beitrag die sechsteilige Serie „Die größten Fehler beim Management des radikalen Wandels“ ab.
Fehler 6: Der mangelnde Glaube
Uber ist ein Phänomen. Im Juli und August 2021 meldete das Unternehmen erstmals einen operativen Gewinn – mehr als 10 Jahre nach seiner Gründung. Bis dahin verbrannte Uber Milliarden an Dollar. Jede Bäckereikette, jeder Maschinenbauer und jeder Autohersteller wären mehrfach bankrott bei diesen Geschäftszahlen. Nach dem traditionellen Maßstab der rückwärtsgewandten Unternehmensbewertung ist Uber eines der wertlosesten Unternehmen der Welt. Doch bei Technologieunternehmen zählt das nicht. Es zählen Wachstum und eine mögliche goldene Zukunftsperspektive. Eine Zuhörerin fragte mich während einer meiner Keynotes: „Glauben Sie eigentlich an Uber?“ Damit brachte sie es besser auf den Punkt, als es klassische Börsenanalysten tun: Denn Uber ist wie viele andere junge Unternehmen vor allem eine Glaubensfrage. Investieren oder nicht – das hat mehr mit Religion, als mit Wirtschaftswissenschaft zu tun.
Glaubenssatz 1: Uber ist vollkommen unterbewertet
Uber ist nicht einfach nur ein Unternehmen, sondern das Symbol für die Digitalisierung der Mobilität. Selten hat es ein Unternehmen geschafft, innerhalb kürzester Zeit das Verhalten von Menschen so sehr zu verändern, wie es Uber tut. Gigantische Wachstumszahlen in Metropolen wie New York und San Francisco. Und auch in Deutschland, im Herzen der Taxilobby, beginnen althergebrachte Monopole zu wanken. Durch Dienste wie Uber Eats zeigt das Unternehmen, dass es Mobilität ganz neu denkt. Ob der Kunde zum Restaurant fährt oder das Essen vom Restaurant zum Kunden – es sind letztlich nur zwei Seiten ein und desselben Anwendungsfalls. Uber wird zudem einer der Vorreiter des autonomen Fahrens werden. Und durch seine gigantischen Bedarfe sogar die Produktionsketten klassischer Automobilhersteller beeinflussen oder sogar diktieren. Man könnte sagen: Selbst der Ausgabekurs der Uber-Aktie war drastisch unterbewertet. Angesichts des riesigen Potenzials ist Uber eine heiße Kaufempfehlung.
Glaubenssatz 2: Uber ist vollkommen überbewertet
Man muss Uber anrechnen, dass das Unternehmen ein Pionier ist. Dummerweise unterscheidet sich das Geschäft der Mobilität drastisch von dem anderer Technologiegeschäftsmodelle. Websuche à la Google ist ein weltweites Geschäft. Grenzenlos. Die Suche nach Ferienwohnungen über Airbnb ebenfalls. Und auch das Geschäft mit Videostreaming (Netflix, Amazon Prime) ist ein globales. Transport jedoch nicht. Selbst in den angestammten Märkten hat Uber starke Konkurrenz. Und in Deutschland sind die Märkte jetzt bereits deutlich härter umkämpft, als in vielen amerikanischen Metropolen. FREENOW (ehemals mytaxi), Flinkster, nextbike (im November 2021 von Tier Mobilty übernommen) und Lieferando dominieren die Märkte von Uber bereits heute. Klar, das Unternehmen expandiert. Aber bereits in Hamburg und Hannover wartet der VW-Fahrdienst Moia, der angekündigt hat, ab 2025 in Hamburg autonom fahrende Fahrzeuge einzusetzen. Und die ersten geben schon wieder auf, so beispielsweise Clevershuttle in Leipzig. Das Unternehmen stellt den eigenwirtschaftlichen Betrieb Mitte Januar 2022 ein und agiert nunmehr als Partner für Städte, Landkreise und öffentliche Verkehrsunternehmen. Uber versucht geradezu panikartig, Geschäftsfelder in diesen unterschiedlichen Mobilitätsszenarien aufzubauen. Und ist damit keine Wette für die Zukunft.
Ein Investment in Uber ist ein Glaubensbekenntnis
Egal wie sehr Sie diskutieren und analysieren, am Ende werden Sie meistens zum gleichen Ergebnis kommen: Man muss an die Uber Story glauben oder eben nicht. Dass sich Mobilität in den nächsten zehn Jahren schneller und radikaler verändern wird als in den letzten fünfzig, dazu braucht es keine prophetischen Fähigkeiten mehr. Die Anfänge dieser Veränderung sehen wir jetzt bereits täglich um uns herum.
Ob Uber die dominierende Kraft der künftigen Mobilität sein wird, ob es überhaupt eine dominierende Kraft in diesem Geschäft gibt oder ob Mobilität letztlich ein lokales Geschäft bleibt, das ist aktuell eine Glaubensfrage. Schaut man die Veränderung an, die beispielsweise klassische Automobilhersteller gerade durchlaufen, wird deutlich, dass der Kampf um Marktanteile für Uber kein einfacher sein wird. Und selbst wenn die Automobilhersteller zu langsam sein sollten, warten in vielen Metropolen bereits Start-ups, die dort Marktanteile und einen Kundenstamm aufbauen. Uber wird in diesen Regionen oder Städten vor der gleichen Situation stehen wie es andere tun: Sie müssen sich irgendwann Wachstum dazu kaufen.
Innovation und Transformation brauchen starke Glaubenssätze. Bei aller Excel-Ökonomie und allen wirtschaftswissenschaftlichen Analysen ist es das, was innovatives Unternehmertum antreibt: Der Glaube daran, die Zukunft zu gestalten.
Das waren die sechs Teile der Serie.
Fehler 1: Der Fokus auf Bewahren und Verbessern
Fehler 2: Ein falscher Blick auf neue Technologien
Fehler 3: Innovation kann warten – Wir haben gerade andere Themen
Fehler 4: Aus schnellen Prototypen werden Monsterprojekte
Fehler 5: In die „Sunk Costs Trap“ hineingetappt
Fehler 6: Der mangelnde Glaube
Der Autor: Dr. Jens-Uwe Meyer
Dr. Jens-Uwe Meyer gilt als einer der renommiertesten Vordenker für die Wirtschaft im radikalen Wandel. Er promovierte über die Innovationsfähigkeit von Unternehmen. Die von ihm geleitete Innolytics AG entwickelt ein digitales Betriebssystem für zukunftsorientiertes Management und revolutioniert die Art, wie Unternehmen auf neue Herausforderungen reagieren.
Er ist Autor von mittlerweile 13 Büchern zu den Themen Innovation und Digitalisierung.
Das Buch:
Dr. Jens-Uwe Meyer: RESET – Wie sich Unternehmen und Organisationen neu erfinden. BusinessVillage, 262 Seiten, 24,95 Euro, ISBN 978-3-89980-8