Sonntag, Dezember 22, 2024

Angela Merkel und ihre Memoiren

Muss sich eigentlich jeder für seine Vergangenheit schämen sollen?

Dieser Tage sind die Memoiren von Angela Merkel erschienen. Das 736-seitige Buch hat Aufmerksamkeit verdient, weil Angela Merkel sie verdient.

Angela Merkel war 16 Jahre Bundeskanzlerin, aber nicht nur das. Sie war die erste Frau und die erste Ostdeutsche in diesem Amt. Sie war auch, die nach vier Legislaturen selbst entschied, für keine weitere Amtszeit mehr zu kandidieren. So gewollt ruhig es um sie wurde, so gespannt schauen jetzt alle auf die Memoiren, aber die Erwartungen sind sehr unterschiedlich und vielfach ungerechtfertigt

Für den medialen Mainstream floppt das Buch, weil die ehemalige Bundeskanzlerin sich nicht entschuldigt für ihre Entscheidungen zur Flüchtlingsaufnahme 2015 unter dem Motto „Wir schaffen das …“ oder bezüglich ihrer Russland-Politik, wo sie immer wieder mit Putin sprach, manchmal sogar auf Russisch.

Ihr entschiedenes Bekenntnis zu den Entscheidungen von einst, hat nichts mit der an aktuellen Ignoranz von Fehlern der aktuellen Ampelparteien zu tun. Das eine hat mit der Gegenwart zu tun, Merkels Entscheidungen gehören der Vergangenheit. Wir haben in der heutigen Debatte um die Lebensleistung von Persönlichkeiten scheinbar vergessen, dass es sich dabei um Leistungen aus vergangener Zeit, aus einem anderen zeitlichen Kontext handelt. Warum sind wir so?

Wer erwartet hatte, dass aus den Merkel-Memoiren die Fragen beantwortet werden, die die aktuelle Politik nicht zu geben vermag, ist naiv. Merkel zur Schuldenbrems, Merkel zu Merz, Merkel zu Trump, zu Selenski, zu … Es ist schon klar, dass wir gern Antworten hätten, aber doch nicht aus Memoiren.

Viel spannender, allerdings wohl nur für Ostdeutsche, sind die Seiten zu Merkels Leben in der einstigen DDR. Als Kanzlerin hatte sie sich nie zu sehr als Ostdeutsche outen wollen, ihr Kommentar, sie sei die Kanzlerin aller Deutschen. So weit so gut. Erst zu ihrem Abschied äußerte sie sich zu ihrem ostdeutschen Hintergrund und nun auch in ihrem Buch. Darüber wird weniger in den Talkshows und Zeitungsartikeln gesprochen, spannender ist es wohl nach Fehlern zu suchen und sich darüber aufzuregen, wenn sie nicht als Fehler entschuldigend anerkannt werden.

Angela Merkel als Bundeskanzlerin wurde oft genug als die mächtigste Frau der Welt betitelt. Gäbe es bei der bevorstehenden Bundestagswahl eine Kandidatin mit Chance, diesen Titel würde es nicht mehr geben. Weil Deutschland nicht mehr das Deutschland der Merkel-Ära ist und weil Angela Merkel doch etwas besonderes war. Uneitel und ausdauernd, analytisch und klar, zuverlässig und sogar schlagfertig, wenn es angebracht war. Das sind Tugenden, die Ostdeutsche gern für sich reklamieren, aber es sind auch Tugenden, die wir bei heutigen Politikern vermissen. Warum thematisieren die großen Talkshows diese Themen nicht?

Angela Merkel mit Beate Baumann: Freiheit – Erinnerungen 1954 – 2021. Kiepenheuer &Witch, Umfang ca. 735 Seiten, Gebunden,  42 Euro, ISBN 978-3-462-00513-4

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