W+M sprach mit Sven Schulze, Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt über die wirtschaftliche Lage im Land, Großansiedlungen und den Mittelstand, natürlich über Intel, aber auch über Fachkräfte und Willkommenskultur sowie über seine Erwartungen an die Unternehmerschaft im Land und die Bundesregierung in Berlin.
W+M: Herr Minister, Sie haben allerhand Ressorts zu verantworten, die zwar alle mit Wirtschaft zu tun haben, in sich aber doch sehr unterschiedlich sind. Welches Ressort beansprucht die meiste Zeit?
Sven Schulze: Tendenziell waren die Auftritte in der Landwirtschaft zuletzt stärker in den Medien. Das heißt aber nicht, dass im Wirtschaftsbereich weniger zu tun war. Nicht von jedem Investorengespräch ist immer gleich in der Zeitung zu lesen. Letztlich ist das Verhältnis zwischen den einzelnen Bereichen ausgeglichen und das ist auch mein Ziel.
W+M: Wie stehen Sie als Landwirtschaftsminister zu den Bauernprotesten?
Sven Schulze: Es ist genaugenommen so gekommen, wie ich es Ende vergangenen Jahres prognostiziert habe. Was die Bundesregierung den Bauern zumutet, wird von den Bauern so nicht akzeptiert. Bei Protesten haben die Bauern natürlich allein aufgrund ihrer Traktoren eine starke Präsenz. Die sachlichen Proteste unterstütze ich weiterhin und denke, dass wir auch beim Agrardiesel noch Lösungsmöglichkeiten gehabt hätten. Leider ist die Bundesregierung hier anderer Meinung.
Ausgewählte Daten Sachsen-Anhalt
Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätiger (2022):
75.839 Euro
Die drei umsatzstärksten Industriebranchen (2023):
Herstellung von chemischen Erzeugnissen, Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, Kokerei und Mineralölverarbeitung
Arbeitslosenquote 2023:
7,5 Prozent
W+M: Wie hat sich die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt entwickelt?
Sven Schulze: Man muss zwei Dinge sehen. Auf der einen Seite haben sich die Konjunkturdaten deutschlandweit verschlechtert. Wir sind substanziell aber eher stärker aufgestellt als andere Regionen in Deutschland. Das verdanken wir einer starken mittelständischen Wirtschaft, die sich sehr resilient zeigt. Hinzu kommt gegenwärtig eine besondere Aufbruchsstimmung. Sachsen-Anhalt ist ein attraktiver Standort für Investitionen in bislang ungeahnter Größenordnung geworden. Intel ist hierbei auch nicht die einzige Großinvestition. Daimler Trucks in Halberstadt beispielsweise sorgt dafür, dass künftig alle weltweit benötigten Ersatzteile für die Trucks des Unternehmens aus Halberstadt kommen. Oder AVNET, ein amerikanisches Unternehmen der Chipindustrie, das unabhängig von Intel zu uns gekommen ist und eine fast vierstellige Zahl von Arbeitskräften beschäftigen will. Die Investition des Unternehmens in Bernburg ist die größte in der über 100-jährigen Unternehmensgeschichte. Und die Aufzählung ließe sich noch fortführen.
Sachsen-Anhalt mit Deutschlandgeschwindigkeit
Beide Unternehmen haben uns übrigens bescheinigt, dass sie in Sachsen-Anhalt tatsächlich die vielbeschworene Deutschlandgeschwindigkeit kennengelernt haben. Und dass, obwohl die bürokratischen Hürden in Deutschland und der EU nach wie vor sehr hoch sind. Das Pfund, mit dem wir wuchern können, ist die effiziente und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen. Wir sind untereinander gut vernetzt. Es ist sicherlich ein Vorteil, dass ich selbst aus der Wirtschaft komme und nach wie vor in der Lage bin, viele Themen aus dieser Perspektive zu beurteilen.
Mein Fazit: Wir sind guten Mutes, mit den Neuansiedlungen und den bereits ansässigen Unternehmen, die oftmals als Hidden Champions Produkte und Dienstleistungen für die ganze Welt anbieten, die aktuellen Herausforderungen zu meistern.
W+M: Das klingt danach, als wäre die Lage besser als Stimmung. Ist das so?
Sven Schulze: Ich würde sagen, die Stimmung ist in vielen Branchen durchaus angespannt. Der Ausblick für die Zukunft ist für einige Unternehmer nebulös. Sie sehen Herausforderungen vor sich, ohne zu wissen, wie man lösen sie kann. Auf der anderen Seite haben wir eine starke Wirtschaft, die in vielen Bereichen auch weiterhin erfolgreich ist.
W+M: Jüngst war zu lesen, dass die Großansiedlungen ihre Schatten vorauswerfen? Was ist darunter zu verstehen?
Sven Schulze: Ich bin in den letzten Wochen und Monaten mit vielen Unternehmen ins Gespräch gekommen, die nach Sachsen-Anhalt kommen wollen. Hier entsteht Stück für Stück ein neues Ökosystem, das unser Land ebenso wie Mittel- bzw. Ostdeutschland verändern wird. Deshalb werden wir uns auch verstärkt mit Sachsen, Thüringen und Brandenburg vernetzen.
Gleichzeitig kommen Unternehmen zu uns, die direkt mit Intel verbunden sind. Gerade im Bereich Forschung und Entwicklung wird künftig viel passieren. Parallel dazu wird unser Land auf der Weltkarte sichtbarer. Die Entscheidung internationaler Unternehmen für Sachsen-Anhalt findet Nachahmer und gilt insofern auch als Gütesiegel.
W+M: Wie geht es mit Intel konkret voran?
Sven Schulze: Ich bin mit dem aktuellen Stand zufrieden. In enger Abstimmung mit den lokalen Behörden vor Ort schreiten die Vorbereitungen für den Bau der Intel-Fabriken voran.
W+M: Welche Auswirkungen haben Großansiedlungen auf den Mittelstand vor Ort?
Sven Schulze: Neben den vielen Vorteilen gibt es auch die Sorge im Mittelstand, dass Unternehmen beispielsweise keine Fachkräfte mehr bekommen und gegebenenfalls auch verlieren werden. Dass Arbeitskräfte in nahezu allen Bereichen gebraucht werden, lässt sich nicht von der Hand weisen. Das ist allein aus demografischen Gründen der Fall. Wir versuchen aber, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Ich persönlich habe stets ein offenes Ohr für die Belange der Unternehmen, unabhängig von der Unternehmensgröße.
Hinsichtlich der Arbeitskräfte müssen wir Lösungen für alle Unternehmen finden. Wir werben verstärkt für handwerkliche Berufe und wollen das Bewusstsein dafür verstärken, dass man auch ohne Abitur eine tolle Karriere machen kann. Dazu finanzieren wir Ferien-Praktika für Schülerinnen und Schüler ab 15 Jahren in Handwerks- und voraussichtlich bald auch in Landwirtschaftsbetrieben. Wir benötigen aber auch Zuwanderung aus dem Ausland. Dafür haben wir jetzt zusätzliche Mittel bereitgestellt.
W+M: Arbeitskräftegewinnung durch Zuzug aus dem Ausland setzt eine Willkommenskultur voraus. Wie steht es damit in Sachsen-Anhalt?
Sven Schulze: Eine aktive Willkommenskultur entsteht durch gemeinsames Engagement und gegenseitige Wertschätzung. Mit Offenheit, Hilfsbereitschaft und politischem Willen von allen Seiten können wir ein integratives und zukunftsorientiertes Miteinander gestalten.
Für eine weitere positive Entwicklung unseres Wirtschaftsstandortes Sachsen-Anhalt brauchen wir eine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, seien es Erntehelfer in der Landwirtschaft, oder die vielen Beschäftigten im Gesundheitswesen oder in der Altenpflege. Unternehmen wie Intel und andere internationale Player werden den Zuzug sicherlich befördern. Das birgt Chancen für eine weitere gute Entwicklung der Willkommenskultur.
W+M: Es gibt Kritik an der Verwendung von Fördergeldern für den Braunkohleausstieg. So sollen Vogelbeobachtungen anstelle von Zukunftsinvestitionen finanziert worden sein. Wie schätzen Sie die Effektivität der Fördergelder für die Wirtschaft Sachsen-Anhalts ein?
Sven Schulze: Die Kritik ist in Einzelfällen berechtigt. Unser Problem besteht darin, dass wir mit den Milliarden, die wir für den Kohleausstieg bekommen, keine Unternehmen unterstützen dürfen. Die Vergabe der Fördergelder, die durch die Kommunen erfolgen sollen, setzen kluge und einvernehmliche Entscheidungen voraus. Viele Mittel fließen in Ansiedlung und Entwicklung von Forschungseinrichtungen. Das ist gut investiertes Geld. Insgesamt bieten die Fördergelder eine große Chance für unser Land und diese nutzen wir auch. Was dem Thema nicht gerecht wird, ist die ständige Umrechnung von Fördergeld je Arbeitsplatz.
W+M: Ein großes Mittelstandsthema ist die Unternehmensnachfolge. Spielt ein solches Thema angesichts der aktuellen Krisen noch eine Rolle?
Sven Schulze: Unbedingt. Wenn ich mit Unternehmern spreche, treffe ich auf zwei unterschiedliche Altersgruppen. Es gibt die Unternehmer, die zur oder unmittelbar nach der Wende ihr Unternehmen gegründet und aufgebaut haben. Sie kennen sich alle und sind bestens vernetzt. Und dann treffe ich auf die Unternehmer in meinem Alter, also Mitte 40, die sich teilweise überhaupt nicht kennen. Deshalb habe ich mir vorgenommen, die notwendige Vernetzung voranzutreiben. Die Gewinnung von Nachfolgern ist ein großes Thema. In Ostdeutschland steht ein Generationswechsel bevor, genaugenommen ist er überfällig. Die Unternehmer arbeiten länger, weil es an Nachfolgern mangelt.
W+M: Hängt der Nachfolgermangel eventuell damit zusammen, dass es aktuell nicht so attraktiv ist, Unternehmer zu sein?
Sven Schulze: Im Gegenteil, man schaut ja schon auf erfolgreiche Unternehmer. Verantwortung zu übernehmen, die Geschicke in die eigene Hand zu nehmen und selbst entscheiden zu können, das ist sicher attraktiv. Allerdings haben Unternehmer viele Verpflichtungen und manchmal sind sie auch einem gewissen Neid ausgesetzt. Letztlich sollten sie aber stärker als Vorbilder in der Gesellschaft wahrgenommen werden.
Voraussetzung für den Erfolg im eigenen Unternehmen oder als Angestellter ist nach wie vor, die erforderliche Qualifikation mit Fleiß, Ehrgeiz und Mut zu verbinden. Ich halte eine Diskussion, in der es darum geht, dass man sich heute im Berufsleben weniger anstrengen müsse, für gefährlich. Ebenso führen Debatten über eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich oder Ähnliches in eine falsche Richtung.
W+M: Welche Erwartungen haben Sie an die Unternehmer im Land?
Sven Schulze: Meine Erwartung an Unternehmer ist, dass sie in ihrem Alltag nicht nur über die Bürokratie und die sonstigen Belastungen klagen, sondern auch die Vorteile herausstellen. Mit Klagen gewinnt man keinen Nachwuchs.
Ansonsten wünsche ich mir, dass sich Unternehmer mehr in den gesellschaftlichen Diskurs einmischen. Bei Unternehmensverantwortlichen, gerade in großen Unternehmen, fehlt mir häufig der Mut, mal eine eigene Meinung zu haben. Man sollte nicht alles den Lobbyisten und den Verbänden überlassen, sondern auch den Mut haben, eine Meinung zu vertreten.
W+M: Welche Erwartungen haben Sie als Landesminister an die Bundesregierung?
Sven Schulze: Von der Bundesregierung erwarte ich, dass sie besser als bisher ihrer Rolle gerecht wird. Innerhalb des europäischen Binnenmarktes sind wir das wichtigste Land, die ganze Welt schaut auf uns. Uns stehen Wahlen in den USA bevor, von denen wir nicht wissen, wie sie ausgehen. Wir wissen um die Schwierigkeiten in Asien, um die Situation Chinas. Wir erleben in Russland eine Situation, die tagtäglich komplexer wird. Und in diesem Zusammenhang bedarf es einer Bundesregierung, die erkennt, dass sie ein wichtiger weltweiter Player sein muss. Es ist es schlecht, wenn man das Gefühl hat, dass die drei Ampelpartner überhaupt nicht zusammenpassen und nicht sehen, dass sie mit ihrer Politik die extremen Ränder stärken.
Ich wünsche mir eine Bundesregierung, die sich zusammenrauft, die sich ihrer Rolle bewusst wird und in eine gemeinsame Richtung agiert.
Interview: Frank Nehring