W+M sprach mit dem Präsidenten des Berliner Deutsch-Französischen Wirtschaftskreises über die Arbeit des Wirtschaftskreises, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern und über die Frankreich-Initiative Ostdeutschland.
W+M: Herr Schneemann, nachträglichen Glückwunsch zur Wahl als Präsident des Deutsch-Französischen Wirtschaftskreises Berlin. Was ist die Aufgabe des Wirtschaftskreises?
Dirk Schneemann: Vielen Dank! Das Aufgabenspektrum des DFWK ist sehr breit und je nach Rahmenbedingungen flexibel gestaltbar. Grundsätzlich haben es sich die rund 20 Wirtschaftskreise in Deutschland (8) und Frankreich (derzeit 12) zur Aufgabe macht, durch ihr Netzwerk bei der Ausprägung eines deutsch-französischen Ökosystems zu helfen – sei es durch Informationsveranstaltungen, Kontaktvermittlung zwischen unterschiedlichen Akteuren bis hin zur Unterstützung der Geschäftsentwicklung. Aber, es handelt sich in der Regel um eingetragene Vereine, die ausschließlich ehrenamtlich arbeiten und sich über Mitgliedsbeiträge finanzieren. Damit gibt es klare Abgrenzungen zu Kammern, Wirtschaftsförderung oder anderen staatlichen oder gewinnorientierten Wirtschaftsstrukturen. In der Regel sind jedoch die meisten in Frankreich oder/und Deutschland tätigen namhaften Unternehmen Mitglieder in den jeweiligen Clubs – je nach regionaler Ansiedlung.
Damit sieht man auch, dass wir in Berlin-Brandenburg deutlich ungünstiger gestellt sind, da es hier kaum französische Firmenzentralen gibt.
W+M: Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland insgesamt ein?
Dirk Schneemann: Meine ganz persönliche Einschätzung ist, dass sich die Zusammenarbeit auf einem besseren Niveau befindet als sie häufig in den Medien oder durch die Politik dargestellt wir. Aber sie liegt weit unter ihren oft deklarierten Absichten und Möglichkeiten. Man muss einfach anerkennen, dass beide Länder – auch wenn sie Nachbarn sind – sehr unterschiedlich sind und es deshalb oft zu Irritationen kommt, wenn man dies vergisst und einfach davon ausgeht, der andere verstünde schon, was man tut, und akzeptiert deshalb alles. Das hat in der Vergangenheit bei unterschiedlichen Bereichen wie der Energiepolitik, der Verteidigungs-, Rüstungs- und Sicherheitspolitik, in Teilen der Außenpolitik (u.a. auch, was das Verhältnis zu den USA betrifft) usw. immer wieder zu Missstimmungen geführt.
Wir haben es vielfach mit unterschiedlichen Sichtweisen zu tun und der Unfähigkeit (auf beiden Seiten), Perspektivwechsel zu betreiben, um die Position des anderen besser zu verstehen – und das führt zu einem permanenten Misstrauen in den o.g. Bereichen … Das jüngste Regierungstreffen in Hamburg sollte hier einen neuen Spirit bringen – es wäre zu wünschen, aber dazu bräuchte es weitaus mehr als ein symbolisches Treffen mit Fischbrötchen …
W+M: Sie haben vor einem Jahr die Frankreich-Initiative Ostdeutschland – FIOst – gegründet. Was ist das Anliegen? Warum braucht es eine solche Initiative?
Dirk Schneemann: Diese Initiative speist sich im Wesentlichen aus zwei Quellen bzw. Motivationen heraus.
Zum einen: Wenn man sich die deutsch-französischen Beziehungen näher ansieht, sind es eigentlich seit 1990 fast ausschließlich „west“-deutsch-französische Beziehungen – die östlichen Bundesländer spielen dabei kaum eine Rolle. Besonders auffällig ist das in der Wirtschaft. Alle bilateralen Wirtschaftsförderungen befinden sich wie „vor der Wende“ in den alten Bundesländern. Von den o.g. Wirtschaftskreisen gibt es auch keinen im Osten – mit Ausnahme des Berliner DFWK, der aus dem ehemaligen Westberliner „Club des Affaires“ hervorging. Es gibt bis auf TotalEnergies und seit 2023 mit Alstom keine Deutschlandzentrale eines französischen Unternehmens im Osten. Und dies, obwohl die DDR größter Handelspartner Frankreichs im Ostblock (nach UdSSR) und Frankreich größter Handelspartner im Westen (nach BRD) waren. Das hat über fast drei Jahrzehnte niemanden gestört und ist auch kaum aufgefallen – bis sich in den letzten Jahren mit einschneidenden Ereignissen die geostrategische Weltlage verändert hat (Brexit, Covid, Ukraine, etc.). Hinzukommt eine positive wirtschaftliche Entwicklung und günstige Standortbedingungen im Osten Deutschlands, die – auch eingedenk obiger Veränderungen – plötzlich das Interesse internationaler Investoren weckte, nur eben nicht seitens Frankreichs. Obwohl man sich im Zuge „60 Jahre Elysee Vertrag“ überall als das europäische Vorzeigepaar präsentierte, ist der Raum zwischen Usedom und Erzgebirge für Frankreich ein weißer unbekannter Fleck geblieben.
Zum anderen: Wenn man die deutsch-französischen Beziehungen allumfassend entwickeln will, ihre Potenziale auch – eingebettet in einen europäischen Demokratisierungsprozess – nutzen will im Sinne einer neuen europäischen Souveränität, dann geht das nur wenn man das gesamte wiedervereinigte Deutschland hier im Blick hat – und zwar auf allen Ebenen des wirtschaftlichen, politischen, kulturellen, wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Lebens.
Und den Finger genau in diese Wunde zu legen, brauchte es offensichtlich eine solche Initiative – wobei uns das Echo darauf wohl recht gibt.
W+M: Wer sind die Partner der FIOst?
Dirk Schneemann: Eine komplizierte Frage, weil es hier sehr unterschiedliche Wahrnehmungen und Rollenverständnisse gibt. Es gibt die sogenannten Gründungsmitglieder, mit denen wir nach Vorstellung der ursprünglichen „Frankreich-Strategie Ostdeutschland“ am 9. November 2022 die FIOst begründet haben. Das sind neben der französischen Botschaft selbst, GTAI, OWF, DFJW und der DFWK. Mit dem Mandat dieser Pioniere wurde dann ein großes FIOst-Kick off am 08. Februar 2023 in der Thüringer Landesvertretung veranstaltet, bei dem der Französische Botschafter Delattre und Staatsminister Schneider die Schirmherrschaft übernahmen. Im Laufe der folgenden Monate gab es viele Zustimmungen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zur FIOst, ihr wurde sogar ein Abendessen im Rahmen der MPK-Ost gewidmet. Aber an einer definierten Partnerstruktur arbeiten wir noch.
W+M: Auf welche Erfolge kann die Initiative bereits verweisen?
Dirk Schneemann: Dank des Engagements der Schirmherren und insbesondere des französischen Botschafters Francois Delattre wurde die FIOst sehr schnell auf alle politischen Ebenen in Deutschland und Frankreich transportiert. Dass das Thema als solches zur Kenntnis genommen wurde und die Einsicht wächst, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, ist schon ein Erfolg. Mit allen ostdeutschen Landesregierungen – insbesondere Thüringen und Sachsen – sind wir über den Ausbau der Beziehungen zu Frankreich im Gespräch. Entweder über die Vertiefung bzw. den Aufbau von Regionalpartnerschaften oder die Planung konkreter Veranstaltungsformate.
Eines der sichtbarsten Ergebnisse ist die Gründung des ersten Wirtschaftskreises im Osten, dem „Deutsch-Französischen Wirtschaftsclub Mitteldeutschland e.V.“ mit Sitz in Leipzig. Und auch auf französischer Seite haben namhafte Politiker und die Wirtschaftskreise das Thema aufgenommen.
W+M: Was sind die nächsten Ziele?
Dirk Schneemann: In 2024 sehe ich hierbei insbesondere folgende Meilensteine:
1. Spätestens Ende des Jahres wollen wir alle ostdeutschen Länder in das Netzwerk der Deutsch-Französischen Wirtschaftskreise integriert haben, d.h. wir besprechen konkrete Lösungsansätze für Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.
2. Beginnend mit einer Konferenz Ende Januar in Montpellier wollen wir in den französischen Regionen Informationsveranstaltungen durchführen, um Potenziale für französische Partner in Ostdeutschland aufzuzeigen.
3. Highlights wie den Staatsbesuch von Präsident Macron Ende Mai und das OWF Anfang Juni werden wir entsprechend nutzen, um deutsch-französische Themenfelder zu besetzen.
4. Da gegenwärtig eine deutsch-französische Energiekooperation höchste Priorität hat und akuter Handlungsbedarf besteht, planen wir eine „D-F H2-Exkursion Ostdeutschland“, Vorgespräche mit Partnern hierfür sind im Gange …
5. Um all das umzusetzen brauchen wir aber nicht nur verbale Zustimmung und „Schulterklopfen“, sondern auch materielle Unterstützung, d.h. Partner, die auch bereit und in der Lage sind, Mittel für die geplanten Aktionen bereitzustellen.
W+M: Wenn Sie drei Wünsche für das neue Jahr hätten, welche wären es?
Dirk Schneemann: Erstens wünsche ich mir, dass sich die internationalen Rahmenbedingungen möglichst verbessern, damit sich die Akteure der deutsch-französischen Kooperation uneingeschränkt dieser Aufgabe widmen können. Die Kriege in der Ukraine und in Gaza und andere globale Konflikte sorgen nicht nur für anhaltende Unsicherheiten, sondern binden zu viele Ressourcen, die besser eingesetzt werden könnten.
Zweitens mit Blick auf das Wahljahr – insbesondere die Europawahl und die Wahlen in den ostdeutschen Ländern und Kommunen – hoffe ich, dass die Demokratie in Europa gefestigt werden kann und wir stabile, demokratische Landesregierung und Kommunalverwaltungen behalten und die begonnen Gespräche zum Ausbau der Beziehungen mit Frankreich fortsetzen und vertiefen können.
Drittens wünsche ich mir, dass in aller Bescheidenheit mindestens 5 der o.g. 5 Ziele erfolgreich umgesetzt werden können – Übererfüllung ist auch nicht verboten ….
Interview: Frank Nehring
Dirk Schneemann
Der gebürtige Thüringer studierte Wirtschaftswissenschaften in Berlin. Berufliche Stationen führten ihn 1987 als Handelsattaché nach Paris, 1990 trat er in den französischen IT-Konzern Bull S.A., wechselte dann zum französischen Mineralölunternehmen Elf Aquitaine nach Berlin und war über viele Jahre hinweg im späteren Total Konzern in verschiedenen Geschäftsleitungspositionen tätig. 2012 gründete er mit Partnern die Euraccess GmbH zur Beförderung europäischer Wirtschaftskontakte, in der er geschäftsführender Gesellschafter ist. Dirk Schneemann ist Präsident des Deutsch-Französischen Wirtschaftskreises und Sprecher der Frankreich-Initiative Ostdeutschland.