Sonntag, November 24, 2024

BWE-Präsident Hermann Albers: Der Zubau bei der Windenergie wirkt zeitverzögert

W+M sprach mit dem Präsidenten des Bundesverbandes WindEnergie e.V. (BWE) über den aktuellen Ausbau der Windenergie, über die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren, das Deutschland-Tempo und die Forderungen an die Bundesregierung.

W+M: Wie stehen wir denn beim aktuellen Zubau bei Windenergie in Deutschland/Ostdeutschland?

Hermann Albers: Der heutige Zubau speist sich aus den Genehmigungen der Vergangenheit. Gerade setzen wir die Zuschläge aus den Ausschreibungen der Jahre 2020 und 2021 um. Sichtbar wird dabei die Bürde der letzten großen Koalition im Bund, die nicht mehr die Kraft fand, sich dem Abbruch beim Zubau des Leistungsträgers Wind entgegen zu stemmen. In der Folge gingen in der Branche in den Jahren von 2017 bis 2020 deutschlandweit 50.000 Jobs verloren.

Ostdeutschland war hier ähnlich betroffen, wobei Brandenburg sich im Zubau deutlich absetzen konnte und schon 2021 und 2022 wieder die alten Zubauwerte erreichte. Insgesamt bleibt der Osten Deutschlands aber hinter seinen Möglichkeiten zurück.

W+M: Die Bundesregierung hat die Ziele für den Zubau deutlich angepasst und auch für die Flächen konkrete Vorgaben gemacht.

Hermann Albers: Richtig. Für die Windbranche kam der Regierungswechsel zum richtigen Zeitpunkt. Die neue Bundesregierung hat vieles sofort angepackt, was über Jahre liegen geblieben ist: Zum Beispiel die lösbaren Konflikte zwischen Windenergieausbau und ziviler wie militärischer Flugsicherung oder dem Deutschen Wetterdienst.

Dann folgte im Juli der Beschluss des Osterpakets mit neuen Ausbauzielen, die bis 2040 ausformuliert sind. Mit der gesetzliche Definition des Vorrangs der Erneuerbaren, mit ersten Standardsetzungen beim Artenschutz und der Vorgabe an die Länder, 2 Prozent der Landesfläche für die Windenergie zu reservieren.

W+M: Wann wirken diese Maßnahmen?

Hermann Albers: Der Bund hat gute Instrumente bereitgestellt, deren Anwendung in den Behörden die Bundesländer nun sicherstellen müssen. Beim Vorrang der Erneuerbaren haben erste Bundesländer alle Behörden entsprechend angewiesen. Das Oberverwaltungsgericht Greifswald hat am 7. Februar gerade zum überragenden öffentlichen Interesse entschieden. Die Länder müssen nun auch bei den Flächenausweisungen mehr Tempo machen. Es ist gut aus immer mehr Ländern zu hören, dass man diese in einem Schritt vornehmen will.

Aber: Die in 2022 beschlossenen Gesetze wirken zeitverzögert. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir in diesem Jahr einen starken Anstieg bei den Genehmigungen sehen können. Der Zubau kann dann ab 2024 anspringen.

Windrad Offshore Copyright BWE _ Christian Hinsch

W+M: Was sind die aktuellen Probleme beim schnellen Ausbau der Windenergie?

Hermann Albers: Wir müssen immer wieder daran erinnern, dass das EEG 2017 Ausschreibungen einführte, um die gesetzlich vorgesehenen Ausbaukorridore nicht zu überschreiten. Während 2014 bis 2017 jährlich durchschnittlich 4.500 Megawatt neu ans Netz gingen, sollten es ab 2018 nur noch 2.800 Megawatt sein. Das politisch gesetzte Signal war: Bitte werdet langsamer. Dieses Signal hat bis in die letzte Amtsstube gewirkt. Verfahren dauerten immer länger, die Flächenausweisungen kamen nicht mehr voran, es gab Ausbaumoratorien. Unsere heutigen Probleme rühren aus dieser Zeit. Es ist schwer, die damals aufgebaute Verhinderungslogik wieder zu durchbrechen. Aber nicht nur der Klimaschutz sondern auch die Energiesicherheit sind auf einen schnelleren Ausbau der Windenergie angewiesen.

W+M: Sie wählen das Stichwort der Energiesicherheit. Hat der russische Angriff auf die Ukraine den Blick verändert?

Hermann Albers: Der Krieg zeigt uns, dass sich Energie als Waffe nutzen lässt. Die Übergangstechnologie Gas ist nun grundsätzlich infrage gestellt. Der Ausbau der Leistungsträger Wind und Solarenergie muss schneller laufen. Die Bioenergie gilt es flexibler ins System zu integrieren. Und statt über den Wasserstoffhochlauf auf Tagungen und Pressekonferenzen zu sprechen gilt auch hier: Kurze präzise Genehmigungsverfahren für netzdienlich betriebene Elektrolyseure, die möglichst ans Gasnetz angeschlossen sind. Sie können erstens Strom dann aufnehmen, wenn Wind und Sonne gemeinsam mehr liefern als das Stromnetz aufnehmen kann. Und zweitens steht mit Wasserstoff nicht nur ein hervorragender Energieträger für die Industrie bereit, sondern auch die Basis für ein Backup in der Stromversorgung.

W+M: Die erforderlichen Backup-Kapazitäten will die Bundesregierung durch eine Kraftwerksstrategie anschieben.

Hermann Albers. Foto: BWE

Hermann Albers: Wichtig erscheint mir sich klar zu machen, dass die künftig dezentrale Erzeugungsstruktur auch eine dezentrale Backup-Struktur erfordert. Wenige Großkraftwerke sind die falsche Antwort. Sie führen möglicherweise sogar zu mehr Probleme, als sie lösen. Es braucht eine kleinteilige Struktur an wichtigen Stellen im Netz, um reagieren zu können. Für diese kleinen Standorte, die gegebenenfalls im Jahr auch nur 100 Stunden gebraucht werden, muss eine Form der Finanzierung gefunden werden, die als gerecht empfunden wird. Auch hierauf sollte die Kraftwerksstrategie eine Antwort liefern.

W+M: Nochmal zurück zur Energiesicherheit. Diese könnte auch die Braunkohle liefern….

Hermann Albers: Aber zu welchem Preis? Der Preis wäre der weitere Verlust von gewachsenen Kulturlandschaften, von jahrhundertealten Dörfern, Kirchen und Infrastruktur und von Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten. Dazu noch die Schäden für das Klima, die die Verbrennung der Braunkohle bewirkt. Das ist keine Alternative.

Statt sich an der Vergangenheit festzuklammern, gilt es die neue moderne Energiewirtschaft mitzugestalten. Der ostdeutsche Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz hat 2020 aufgezeigt, dass die neuen Bundesländer und Berlin schon 2032 ihren Strombedarf aus 100 Prozent erneuerbaren Energie decken können. Und selbst der Energieversorger Leag will jetzt in den Ausbau von Wind und Fotovoltaik investieren und hält einen Kohleausstieg im Jahr 2033 für denkbar.

W+M: Das Jahr hat noch keine Beschleunigung bei Planungs- und Genehmigungsverfahren für Infrastrukturprojekte gebracht. Wann passiert endlich etwas?

Hermann Albers: Wir warten in der Tat noch auf ein umfassendes Gesetzespaket. Bis dahin kann die EU Notall-Verordnung ein gut nutzbares Instrument sein. Sie greift seit 30.12.2022 weitgehend direkt und gilt zunächst für 18 Monate. Sie strafft die Verfahren im Repowering, also dem Ersatz alter durch neue Windenergieanlagen. Der Bundestag berät aktuell die Umsetzung im Bereich der Neuprojekte. Hier sieht die EU vor, dass auf Umweltprüfungen immer dann verzichtet werden kann, wenn es eine solche bereits bei der Flächenausweisung gegeben hat. Beides kann eine Blaupause für die Zukunft sein. Richtig ist: Unsere Planungsverfahren gehören insgesamt auf den Prüfstand.

W+M: Was halten Sie vom verkündeten „Deutschland-Tempo“?

Hermann Albers: Wenn die politische Begriffsdefinition hilft, das Tempo beim Aufbau einer LNG- Infrastruktur auf andere Bereiche zu übertragen, ist die gut. Er darf aber kein Schlagwort bleiben.

W+M: Worauf konzentriert sich aktuell die Arbeit des BWE?

Hermann Albers: Wir bereiten die Branche auf die Herausforderungen vor und machen zugleich weitere Vorschläge zur Nachbesserung am Rechtsrahmen für die Energiewende. Zwei Beispiele: Der Verband hat schon im Herbst 2021 eine Arbeitsplatzkampagne gestartet. Wir sehen, wie in allen Bereichen des Wertschöpfungsnetzwerkes wieder neue Jobs geschaffen werden. Der politisch erzwungene Beschäftigungsabbau hat aber Vertrauen gekostet. Mit unserer Kampagne zeigen wir die vielen Berufschancen in der Branche und wollen gerade diejenigen erreichen, deren Job nicht sicher ist. Deshalb hat unser Dachverband auch gemeinsam mit dem Energieversorger Leag und dem Bildungsträger IBBF ein Projekt in der Lausitz auf den Weg gebracht, den Qualifizierungsverbund in der Lausitz für Erneuerbare Energien (QLEE).

Beim Rechtsrahmen engagieren wir uns in der Plattform klimaneutrales Stromsystem, die die Bundesregierung am 20. Februar eingesetzt hat. Hier soll der künftige Marktrahmen diskutiert werden. Heute haben wir eine auf 20 Jahre definierte Förderung der Erneuerbaren Energien. Diese wirkt quasi als Versicherung und verringert so die Kosten. Wir setzen uns für eine mengenbasierte Förderung ein, die marktwirtschaftliches Verhalten unterstützt. Insgesamt kann damit die Basis für einen betriebswirtschaftlichen Anreiz für Investitionen in unterschiedliche Sektoren- und Speichertechnologien gelegt werden.

W+M: Welche Forderungen stellen Sie an die Politik?

Hermann Albers: Kurs halten. In der Branche ist in den zurückliegenden Legislaturperioden durch das Stop and Go der Gesetzgebung viel Vertrauen verloren gegangen. Vertrauen kostet zugleich immer Zeit. Es braucht jetzt die Sicherheit, dass die durch diese Koalition definierten Ziele bis 2045 auch über die Legislatur hinaus gelten.

Fragen: Frank Nehring

 

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