Unsere Abhängigkeit von russischem Gas und Erdöl bewegen Politik und Wirtschaft gleichermaßen. Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine ist die Position klar, wenn auch nicht unumstritten. Parallel dazu nimmt die Diskussion über die Abhängigkeiten von China an Fahrt auf. Beim 6. Deutsch-Chinesischen Automobilkongress in Berlin im vergangenen September sprach zur Eröffnung Michael Schumann, der Vorstandsvorsitzende des BWA, zum Thema. Einen Auszug geben wir im Folgenden wieder.
In diesem Jahr jährt sich die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland zum 50. Mal. Man mag es ja heute vielleicht nicht mehr so präsent haben, aber vor 50 Jahren, als diese diplomatischen Beziehungen zu China
aufgenommen wurden, befanden wir uns hier im Westen mittendrin in einem kalten Krieg, in Berlin in einer geteilten Stadt, in der Bundesrepublik Deutschland inmitten einer globalen Systemkonfrontation, zwischen den USA und den Ländern der NATO und der UdSSR und den Ländern des Warschauer Pakts, und dennoch war es möglich, miteinander zu reden, Verträge zu schließen und gemeinsam an Lösungen auf drängende Fragen von globaler Relevanz zu arbeiten. Ein Sozialdemokrat, Willy Brandt, war damals deutscher Bundeskanzler und gewann die Herzen der Menschen in Deutschland für seine „Neue Ost-politik“, eine Politik der Entspannung und des Dialogs. Von dieser Dialogfähigkeit scheint in unserer geschichtsvergessenen Zeit bei Teilen unserer heutigen Bundesregierung leider nicht mehr allzu viel übrig zu sein. Das ist bedauerlich, denn wir bräuchten sie heute mehr denn je, auch und gerade, wenn es darum geht, tragfähige Antworten auf Fragen der zukünftigen Ausgestaltung des deutsch-chinesischen Verhältnisses zu formulieren.
Die inzwischen vielzitierte ‚Zeitenwende‘ stellt Deutschland als Industrienation und die deutsche Automobil- und Automobilzuliefer-industrie als wichtige Säulen unseres bisherigen Wohlstands vor massive Herausforderungen. Im Unternehmertum und insbesondere dem deutschen Mittelstand, der das Herz unserer Volkswirtschaft bildet, macht sich dies härter, schneller und umfassender bemerkbar als in den Führungspositionen von Politik und Verwaltung. Die deutsche Wirtschaft braucht in dieser Zeit verlässliche Partner und lassen Sie mich vorweg eines unmissverständlich betonen: Trotz aller vermeintlichen und tatsächlichen Differenzen, China bleibt ein solcher Partner für die deutsche Wirtschaft, die Beziehungen zwischen zahlreichen Unternehmen aus beiden Ländern sind über viele Jahre vertrauensvoll und dynamisch gewachsen, und wir sollten dankbar sein für den Anteil, den China an unserem Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren hatte, und übrigens auch dankbar für das Engagement chinesischer Unternehmen in Deutschland, das sich trotz Corona-Pandemie, Ukraine-Konflikt und politischem Gegenwind auch in diesem Jahr fortgesetzt hat. Die mittlerweile über 2.000 in Deutschland tätigen chinesischen Unternehmen haben nach Angaben der Chinesisch-Deutschen Handelskammer inzwischen mehr als 97.000 Arbeitsplätze hierzulande geschaffen und der Trend bleibt – ungeachtet des medialen Feuerwerks, mit dem versucht wird, ein „Decoupling“ herbeizuschreiben – weiterhin positiv. Ich selbst habe diesen Sommer den neuen Produktionsstandort von Gotion hier in Deutschland mit eröffnen dürfen. Der chinesische Batteriehersteller hat dafür ein Werk von Bosch in Göttingen übernommen, das anderenfalls geschlossen worden wäre, mit all den Konsequenzen für die dortige Belegschaft. Solche positiven Beispiele gibt es viele doch sie schaffen es hierzulande leider nicht mehr in die öffentliche Diskussion.
In unserem fast 20-jährigen Engagement für die deutschchinesischen Beziehungen hat unser Verband, der Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft, zahlreiche Brücken zwischen deutschen und chinesischen Unternehmen errichtet und viele Dialogformate zwischen Deutschland und China initiiert und begleitet. Die zunehmende Politisierung und Skandalisierung deutsch-chinesischer Wirtschaftskontakte in Medien und Politik spiegelt nicht nur den tatsächlichen Stand der wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen China und Deutschland nicht wider – sie läuft auch den tatsächlichen Interessen des Industriestandortes Deutschland entgegen und gefährdet die Existenz von zahlreichen Arbeitsplätzen in Kernbereichen unserer Wirtschaft.
Immer wenn die vermeintliche Gefahr ‚zu großer Abhängigkeit von China‘ nebulös von unseren Politikern beschworen wird, sollten wir sie daran erinnern, dass es zu einem verantwortungsvollen Politikstil auch gehört, den Menschen in unserem Land ehrlich zu sagen, was es sie kosten wird, wenn wir uns von China abwenden. Die Wirtschaftsdaten sprechen eine deutliche Sprache: China ist bereits sechs Jahre in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner weltweit. Das bilaterale Handelsvolumen betrug selbst im durch die Pandemie beeinträchtigten Jahr 2021 mehr als 235 Milliarden US-Dollar. Der chinesische Markt steht mittlerweile für etwa 16% des Umsatzes der DAX-Unter-nehmen, wozu insbesondere die Automobilindustrie einen essenziellen Anteil beiträgt. Und führende deutsche Marken wie Mercedes Benz, BMW oder Volkswagen tätigen mehr als 30% ihrer weltweiten Verkäufe heute in China, das sich damit als größter Einzelabsatzmarkt für die deutsche Automobilbranche etabliert hat.
Die Entwicklung der deutschen Automobilindustrie galt lange Zeit als internationales Vorzeigemodell für erfolgreiche Außenwirtschaftspolitik. Die gegenwärtigen politischen Weichenstellungen in Deutschland jedoch bedrohen die Existenz dieser Branche substanziell. Stimmen, die heute leichtfertig die Rückverlagerung von Produktions- und Lieferketten nach Europa fordern, ist wahrscheinlich in den meisten Fällen nicht bewusst, dass beispielsweise der Audi „etron“, wie kürzlich im SPIEGEL zu lesen war, aus rund 6.000 Teilen gefertigt wird, die von etwa 300 Zulieferern aus 37 Ländern bereitgestellt wer-den. Rohstoffe wie etwa Lithium und seltene Erden, die zu einem über-wiegenden Teil aus China bezogen werden, zeigen uns, dass die Komplexität moderner und innovativer Technologien die Globalisierung des Wirtschaftens geradezu voraussetzen. Man kann hier diversifizieren, aber das braucht Zeit, Kapital und Fachkräfte. Und nichts davon geht schnell. Alles andere ist eine Illusion.
Während Spartenverbänden in Deutschland langsam zu dämmern beginnt, welches Ausmaß die aktuelle Krise annehmen wird, die sich schon jetzt brutal durch einstige Vorzeigebranchen unseres Mittelstands frisst, und selbst die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, Hildegard Müller, unlängst deutlich formulierte: „Wir können China nicht isolieren. Das wäre naiv – und sowohl politisch als auch wirtschaftlich fatal.“, üben sich Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft weiterhin in vornehmer Zurückhaltung. Ich weiß nicht, wer von Ihnen auf dem China Day vergangenen Freitag in Berlin zugegen war.
Dort wurde man Zeuge des folgenden Austauschs: Auf die Frage des Moderators, ob sich Unternehmer angesichts des immer offener zu Tage tretenden Mangels an Sachverstand und wirtschaftlicher Kompetenz in der China-Diskussion nicht stärker in die politische Debatte ein-bringen sollten, antwortete ein BDI-Vertreter mit bemerkenswerter Offenheit: „Uns als Dachverband ist es wichtiger, dass der Dachverband gehört wird und nicht die Einzelunternehmen.“
Nun, da sind wir beim BWA völlig anderer Ansicht. Wir ermutigen unsere Unternehmen, selbst Stellung zu beziehen und ich kann auch Sie hier heute nur dazu ermutigen: Bringen Sie Ihren Sachverstand zu China, Ihre Erfahrungen in China und mit chinesischen Partnern politisch ein, wo immer es Ihnen möglich ist. Sprechen Sie mit Ihren Bundestagsabgeordneten und machen Sie Druck in Ihren Organisationen und Verbänden. Die Zeit der liebgewonnenen Berliner Rituale, in denen sich Wirtschaftsverbände im Konsens mit und in der Nähe zur Bundesregierung sonnten, neigt sich ihrem Ende zu. Und das ist gut so. Denn es geht um unser aller Zukunft!
Als Außenwirtschaftsverband, der Projekte in über 70 Ländern realisiert hat, wissen wir, dass eine „Deglobalisierung“ nicht die Antwort auf unsere Probleme sein kann, sondern im Gegenteil, dass eine noch stärkere internationale Vernetzung erforderlich ist, um unsere wirtschaftliche Zukunft zu sichern. Aus unserer Sicht lautet daher „Kooperation statt Konfrontation“ auf allen Ebenen das Gebot der Stunde.
Das Verbindende zu suchen und gemeinsame Erfolge zu schaffen, war immer die Stärke der deutsch-chinesischen Industriezusammenarbeit, insbesondere in der Automobilindustrie. Der heute und morgen stattfindende Kongress bietet eine in Deutschland einzigartige Plattform für die Kontaktpflege, den fachlichen Austausch und die Anbahnung neuer Kooperationsvorhaben zwischen China und Deutschland. Wir freuen uns, dass aus der Initiative der CIIPA und der Chinesisch-Deutschen Arbeitsgruppe zur Investitionsförderung in der Automobilindustrie, die wir 2017 in Taicang mitbegründen durften, mittlerweile eine solche Erfolgsgeschichte geworden ist.
Lassen Sie uns, allen anderslautenden Unkenrufen zum Trotz, diese Erfolgsgeschichte hier und heute und auch in Zukunft weiterschreiben.