Samstag, November 23, 2024

W+M-Interview mit Dr. Steffen Kammradt und Dr. Stefan Franzke: Wirtschaftsförderung in der Hauptstadtregion

Seit 15 Jahren werben die Wirtschaftsförderungen von Berlin und Brandenburg gemeinsam für die Hauptstadtregion. Im W+M-Interview erläutern die Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB), Dr. Steffen Kammradt, und von Berlin Partner (BPWT), Dr. Stefan Franzke, die Erfolge der Zusammenarbeit, die internationale Sicht auf Berlin und Brandenburg und die Chancen der Transformation.

W+M: Herr Dr. Franzke, Herr Dr. Kammradt, im Juni 2006 fiel der Startschuss für den gemeinsamen Auftritt der Wirtschaftsförderer von Berlin und Brandenburg unter der Marke „The German Capital Region“. Wie kam es dazu?

Steffen Kammradt: „Erste Überlegungen gab es schon in den frühen 2000er Jahren, insbesondere aus den Wirtschaftsressorts beider Länder, die schon seinerzeit Berlin und Brandenburg als starken gemeinsamen Wirtschaftsraum sahen. Das griffen wir in der Wirtschaftsförderung gerne auf und fingen an, auf internationalen Messen gemeinsam aufzutreten. Der erste Auftritt dieser Art fand auf der ILA 2002 statt und hatte eine tolle Resonanz bei den Ausstellern und Besuchern. Wir haben die verbundenen Partnerstände dann auf der Hannover-Messe und schließlich bei allen Messeauftritten fortgesetzt. Heute ist das ganz selbstverständlich. Den nächsten großen Schritt in der gemeinsamen Standortvermarktung haben die Landesregierungen von Brandenburg und Berlin dann 2005 in einer gemeinsamen Kabinettssitzung festgelegt. Das war die Geburtsstunde für unsere gemeinsame Dachmarke, mit der wir seit nunmehr 15 Jahren gemeinsam die deutsche Hauptstadtregion vermarkten.“

W+M: Was ist das Besondere an dieser Zusammenarbeit?

Dr. Stefan Franzke. Foto: W+M

Stefan Franzke: „Unsere Kooperation ist einzigartig in Deutschland. In keiner anderen Region ist die länderübergreifende Zusammenarbeit so eng wie in der Hauptstadtregion. Wir orientieren uns damit auch am Ausland, wo solche Wirtschaftsregionen rund um die Metropolen – nehmen Sie etwa Greater Zürich, Greater Shanghai oder Greater London als Beispiel – völlig selbstverständlich sind.“

W+M: Wie fällt Ihre Bilanz nach 15 Jahren aus?

Steffen Kammradt: „Das ist eine Erfolgsgeschichte. Wir haben 250 gemeinsame Messeauftritte und rund 150 Unternehmerreisen mit mehr als 1.500 Unternehmen unter der Dachmarke der Hauptstadtregion organisiert. Auch die Cluster in der gemeinsamen Innovationsstrategie von Brandenburg und Berlin treten als „The German Capital Region – excellence in innovation“ auf. Dieses Miteinander kommt bei unseren Gesprächspartnern in aller Welt sehr gut an.“

Stefan Franzke: „Ein weiteres Erfolgsbeispiel ist das weltweite Netzwerk, das Berlin in der Start-up-Szene unterhält. Wir sind dort mit neun anderen Städten in den USA, Europa und Asien verbunden. Auch dort sind Brandenburger Start-ups selbstverständlich mit vertreten. Wenn wir über Themen wie etwa „Augmented Reality“ sprechen, dann beziehen wir natürlich Start-ups aus dem Umfeld des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts oder des Medienstandorts Babelsberg mit ein.“

W+M: Herr Kammradt, die Wirtschaftsförderung in Brandenburg kooperiert auch mit ihren Pendants in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Helfen da die Erfahrungen aus dem Zusammenwirken mit Berlin?

Dr. Steffen Kammradt. Foto: W+M

Steffen Kammradt: „Wir können viel von dem, was wir in der langjährigen Kooperation gelernt haben einbringen. Die Investorenwerbung für die Lausitz gestalten wir gemeinschaftlich mit der Wirtschaftsförderung Sachsen. Die Vereinbarung mit Sachsen-Anhalt zielt auf die länderübergreifende Unterstützung des ländlichen Raums. Hier geht es zum Beispiel um den Aufbau von Coworking-Spaces als neue Chance für die Wirtschaftsentwicklung, eine Art digitales Comeback des Landlebens. Die Idee ist übrigens ursprünglich in den Innenstadtbezirken von Berlin entstanden und spielt auch im Verhältnis von Berlin und Brandenburg eine wichtige Rolle. Gegenwärtig pendeln mehr als eine Viertelmillion Menschen täglich zwischen Berlin und Brandenburg mit den daraus entstehenden Verkehrsbelastungen. Hier stellt sich die Frage, ob wir Lösungen finden, dass Menschen, die beispielsweise in Adlershof ihren Arbeitsplatz haben, künftig ihren Job digital aus ihrem Wohnort im Spreewald ausüben können, ohne täglich pendeln zu müssen.“

W+M: Herr Franzke, hat denn auch Berlin Anknüpfungspunkte an die anderen ostdeutschen Bundesländer?

Stefan Franzke: „Es gibt einen regelmäßigen Austausch dank der Initiative des Ost-Beauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz. Im Zuge der Transformation der Wirtschaft sind auch Herausforderungen entstanden, die Berlin mit den ostdeutschen Ländern teilt, wie zum Beispiel der Umbau des Automobilsektors zur Elektromobilität oder der Aufbau einer Wasserstoffproduktion. Was ich mir generell wünsche: Dass die Menschen in Ostdeutschland einen stärkeren Stolz für das, was hier in den letzten Jahren geleistet wurde, empfinden und sich nicht abgehängt fühlen. Zumal letzteres vielfach unter ökonomischen Gesichtspunkten auch gar nicht mehr zutrifft. Ein solches Selbstbewusstsein entwickelt mehr Kraft als alle Werbekampagnen.“

W+M: Zur Vermarktung der Flughafen-Region rund um den BER haben Berlin Partner und die Wirtschaftsförderung Brandenburg das Airport-Region-Team aus der Taufe gehoben. Welche Erfolge konnten Sie damit erzielen?

Steffen Kammradt: „Wir haben 2008 das Airport-Region-Team gegründet. Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass dies genau die richtige Entscheidung war. Damals gab es die Prognose, dass im Flughafenumfeld 40.000 Arbeitsplätze entstehen können. Diese Prognose hat sich bereits bestätigt. Allein in den Jahren seit 2013 sind im Flughafen-Umfeld mit Unterstützung durch das Airport-Region-Team 45.000 Arbeitsplätze geschaffen worden. Das Flughafenumfeld des BER ist also schon vor der Eröffnung im Jahr 2020 eine Erfolgsgeschichte – und die eigentliche Story beginnt jetzt erst.“

Dr. Stefan Franzke. Foto: W+M

Stefan Franzke: „In Berlin sprechen wir ja schon länger von der Boomregion Südost. Dort findet zurzeit ein großer Teil der Ansiedlungen und Erweiterungen im gewerblichen Bereich statt, wobei natürlich nicht alle direkt mit dem Flughafen verbunden sind. Wir sind auch überzeugt, dass das wirtschaftliche Potenzial des BER noch längst nicht ausgeschöpft ist. Um dies zu erreichen, benötigt der BER aber mehr Direktflüge. Deswegen gehören auch beide Wirtschaftsförderungen zur Allianz für mehr Direktflüge. Wir wissen aus Erhebungen, dass 75 Prozent der interkontinentalen Businessflüge, die am Flughafen Frankfurt/Main landen, eigentlich Berlin zum Ziel haben. In Frankfurt wird also nur gelandet, um nach Berlin umzusteigen. Ich hoffe, dass sich das künftig ändern wird. Mehr Direktflüge nach Berlin wären auch im Sinne der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes, denn die Schadstoffbelastung im Flugverkehr entsteht ja im Wesentlichen beim Starten und Landen der Flieger.“

W+M: Reichen denn für weiteres Wachstum die Gewerbeflächen in Berlin und Brandenburg aus?

Steffen Kammradt: „Gewerbeflächen sind der Goldstaub aller Wirtschaftsförderungen. Das gilt für ganz Europa, denn geeignete Gewerbeflächen sind in vielen Ballungsräumen mittlerweile rar. Wer sie zur Verfügung stellen kann, hat im internationalen Standort-Wettbewerb einen entscheidenden Vorteil zu bieten. Deshalb ist das Thema Gewerbeflächen nun auch Teil unserer Kooperationsvereinbarung.“

Stefan Franzke: „Das gilt nicht nur für Ansiedlungen rund um den BER. Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel. Gegenwärtig herrscht ein regelrechter Boom beim Aufbau von Rechenzentren. Im Großraum Frankfurt/Main können Betreiber allerdings wegen der hohen Dichte an Rechenzentren dort kaum noch geeignete Ausfallversicherungen abschließen. Also wird nach neuen Standorten gesucht. Rechenzentren haben aber den Nachteil, dass sie viel Fläche und viel Energie benötigen, aber nicht unbedingt eine Vielzahl an Arbeitsplätzen mitbringen. Deshalb kooperieren Berlin und Brandenburg in der Frage, wie wir solche Ansiedlungen sinnvoll in der Region verteilen. Dies gilt auch für die aktuellen Transformationsthemen wie die E-Mobilität oder die Wasserstoffwirtschaft. Es gibt Ansiedlungen, die mit ihrem Flächen- oder Energieverbrauch nicht nach Berlin passen, andere Investitionen sind hingegen besser in der Hauptstadt aufgehoben. Es gibt natürlich auch Unternehmensansiedlungen, die für Berlin und Brandenburg gleichermaßen interessant sind. Wichtig ist es dann, auch in solchen Fällen eine gemeinsame Argumentation zu finden.“

W+M: Eine abschließende Frage: Was macht die Hauptstadtregion so spannend für Investoren?

Dr. Steffen Kammradt. Foto: W+M

Steffen Kammradt: „Brandenburg und Berlin bringen gemeinsam ein starkes Gewicht auf die Waage. Es leben sechs Millionen Einwohner in der Hauptstadtregion. Das sind mehr Menschen als beispielsweise in Dänemark oder Norwegen. Die Region umfasst eine Fläche in der Größe von Belgien und erwirtschaftet ein Bruttoinlandsprodukt, das größer ist als das von Tschechien oder Portugal. Das sind Größenordnungen, mit denen man auch im internationalen Geschäft punkten kann. Am Beispiel der großen Tesla-Ansiedlung sehen Sie, wie sich unsere Region im Standortwettbewerb erfolgreich durchsetzen kann.“

Stefan Franzke: „Im Jahr 2020, inmitten der Corona-Krise, haben nur drei Bundesländer einen Nettoaufbau bei der Zahl der Beschäftigten erzielen können. Das waren neben Schleswig-Holstein eben Berlin und Brandenburg. Wir sind nach der Wende durch ein Tal der Tränen gegangen und haben dabei Durchhaltevermögen bewiesen. Insbesondere bei Themen wie der Mobilität der Zukunft, der Energiewende und der Gesundheitswirtschaft zählt die deutsche Hauptstadtregion nun zu den Vorreitern. Wir haben einen Strukturwandel vollzogen, der beispielsweise in Baden-Württemberg als klassisches Automobilland erst jetzt beginnt. Und zu diesem Erfolg hat auch die einheitliche Vermarktung der Hauptstadtregion durch die Wirtschaftsförderungen von Berlin und Brandenburg beigetragen.“

Dr. Steffen Kammradt und Dr. Stefan Franzke. Foto: W+M

Das Interview führten Frank Nehring und Matthias Salm.

 

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