Ein oft beklagtes Problem der ostdeutschen Wirtschaft ist die geringe Zahl an Unternehmenszentralen. Von allen DAX, MDAX sowie SDAX notierten Unternehmen sitzen mit der Carl Zeiss Meditec sowie Jenoptik in Jena sowie VERBIO in Leipzig lediglich drei in den ostdeutschen Flächenländern. Unternehmenssitze werden jedoch häufig mit attraktiv vergüteten Management-Jobs sowie hoher Produktivität in Verbindung gebracht werden. Und tatsächlich beträgt der Lohnunterschied zwischen Ost und West gemäß BMWi rund 15 Prozent und die Arbeitsproduktivität laut ifo Institut rund 80 Prozent des deutschen Durchschnitts. Von Dr. Eric Weber
Dass bis 2018 selbst die Bundesregierung von ihren eigenen 219 Bundesinstitutionen nur 25 im Osten angesiedelt hatte, zeigt wie schwer eine Verlagerung von bestehenden Institutionen ist und wie unwahrscheinlich, dass bestehende Großkonzerne ihren Sitz verlegen. Mit der Standortwahl für das Fernstraßenbundesamt sowie die Agentur für Sprunginnovationen zeigt der Bund die Lösung des Problems: Neugründungen gehören vermehrt in den Osten. Und das betrifft auch und vor allem Unternehmensgründungen, die letztlich das Potential haben zukünftig zu mittelständischen und sehr großen Unternehmen zu wachsen. Mut machen Beispiele wie Delivery Hero (DAX, Berlin), HelloFresh (MDAX, Berlin) oder TeamViewer (MDAX, Göppingen) oder eben auch VERBIO (SDAX, Leipzig) die innerhalb relativ kurzer Zeit – also immer noch circa 10-15 Jahre – nach Gründung aufstiegen. Die Chance und berechtigte Hoffnung besteht, dass innerhalb der nächsten Dekaden der Anteil ostdeutscher Konzerne steigt, indem erfolgreiche ostdeutsche Startups den Durchbruch schaffen. Dies könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten die Lücke zwischen Ost und West weiter zu verringern.
Anteil der Startups in den neuen Bundesländern – Status-Quo
Und tatsächlich gibt es im Osten der Republik einige spannende Ansätze – allen voran natürlich in Berlin. So ist die Zahl der Existenzgründer laut KfW in Berlin deutschlandweit am höchsten und mehr als 5x so hoch wie beim Schlusslicht Bremen. Von der Nähe zu Berlin profitiert auch Brandenburg auf Platz 2. Mit größerem Abstand folgen die weiteren ostdeutschen Flächenländer angeführt von Sachsen auf Platz 11 im Bundesländervergleich bis hin zu Mecklenburg-Vorpommern auf Platz 15. Bundesweit ist die Gründerquote, also der Anteil an Existenzgründern an der Erwerbsbevölkerung, auch aufgrund der soliden Arbeitsmarktsituation seit vielen Jahren rückläufig.
In einer Unterkategorie der Chancengründer und Startups sieht der Trend jedoch positiver aus. Überall in Deutschland entstehen spannende Technologie-Startups. Auch bei Startup-Gründern erfreut sich Berlin großer Beliebtheit und gilt mittlerweile als einer der wichtigsten Startup-Standorte europa- und weltweit. Laut dem Deutschen Startup Monitor erreichen die ostdeutschen Flächenländer einen Anteil von 7,8 Prozent aller Startups, also deutlich weniger als der Bevölkerungsanteil von rund 15 Prozent. Der Datenanalysedienstleister startupdetector ermittelte bei einer Auswertung von Handelsregisterneueintragungen im Jahr 2020 einen Anteil von 6 Prozent (173 Startups). In beiden Studien erreichen die ostdeutschen Flächenländer zusammen ungefähr den Anteil des Bundeslandes Hessen, welches aber weniger als halb so viele Einwohner hat. Gerade auch im Hinblick auf die hohe Dichte an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Osten ist noch viel mehr Potential vorhanden.
Startup-Finanzierung in Ostdeutschland
Auch aufgrund der umfangreichen Maßnahmen der ostdeutschen Landesregierungen ist die Situation bei der Einwerbung von Finanzmitteln durch Startups ausgeglichener. Die ostdeutsche Förderlandschaft bestehend aus diversen Zuschuss-, Darlehens und Bürgschaftsprogrammen gilt weithin als besonders leistungsfähig. Ob dieser Vorsprung auch in der neuen EU-Förderperiode erhalten bleibt, wird sich erst zeigen, denn längst sind die südlichen und östlicheren Regionen Europas im stärkeren Fokus der EU. Die Länder initiierten in Vergangenheit dazu sehr gut ausgestattete regionale Venture-Capital-Fonds. So zählten der Technologiegründerfonds Sachsen (TGFS) und bm|t beteiligungsmanagement thueringen zu den zehn aktivsten Venture Capital-Gebern deutschlandweit. Auch dadurch konnte sich Sachsen bei der Anzahl der VC-finanzierten Startups und beim Deal Volumen im Jahr 2020 einen respektablen Platz 5 bzw. 6 im Bundesländervergleich sichern. Dies kann durchaus als Indikator für eine überproportional hohe durchschnittliche Qualität der ostdeutschen Startups interpretiert werden. Beispielsweise ist das Chemnitzer Startup staffbase auf dem Sprung zum Unicorn. Neben einigen Unicorn-Kandidaten entstehen auch sogenannte Zebras, also profitable Unternehmen mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell. Diese Unternehmen sind nicht nur die potentiellen Mittelständler und Konzerne von morgen, sondern auch interessante Kooperationspartner und Investoren für zukünftige Startups. Über die Jahre wird dies auch zu einer gestärkten Business Angel-Szene führen, denn erfolgreiche Gründer von heute sind häufig die Business Angels von morgen.
Der Bund sollte gezielt Startup-Ökosystem in den (ostdeutschen) Regionen unterstützen
Es gilt diese positiven Ansätze weiter zu stärken und noch mehr insbesondere technologisch anspruchsvolle Gründungen in den ostdeutschen Bundesländern zu unterstützen, die langfristig zu großen Unternehmen heranwachsen können. Einzelne Standorte sollten zu weltweit attraktiven Leuchttürmen in engen technologischen Spitzenfeldern weiterentwickelt werden um national und international Gründer, Fachkräfte, Forscher und Entwickler sowie Investoren anzuziehen. Grundsteine dafür gibt es etwa im Bereich der Optik in Jena, im Bereich Mikroelektronik in Dresden sowie in den Bereichen Medizin und Energie/Umwelt in Leipzig. Dafür sollten Bund und Länder mit einer gemeinsamen Strategie Startups-Ökosysteme stärken – übrigens nicht nur in Ostdeutschland, sondern überall dort wo Regionen neue Impulse für eine wirtschaftliche Entwicklung brauchen. Beispielsweise könnten bereits vorhandene Ideen, Initiativen, Mechanismen und (Förder-)Programme gezielt in den Regionen angepasst werden:
- Intensivere Außenkommunikation der Stärken (ostdeutscher) Standorte, etwa über die Digital Hub Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums. Aktuell sind dort neben Berlin die Standorte Potsdam sowie Leipzig/Dresden vertreten.
- Stärkerer Fokus der GTAI zur Ansiedlung in diesen Regionen durch entsprechende Anreizmechanismen
- Schaffung von Programmen nach den Vorbildern von GISEP (Ansiedlung israelischer Startups) oder GINSEP (indische Startups) gezielt für (ostdeutsche) Regionen, z.B. zur Ansiedlung aus Osteuropa und/oder Zentralasien
- Unterstützung der Kommunen zur Senkung der Gewerbesteuerhebesätze gezielt von jungen Unternehmen
- Schaffung von Reallaboren mit regulatorischen Vereinfachungen für Zukunftstechnologien
- Pilotprojekte zur Befreiung von Gründungen von bürokratischen Hürden bis zu einer Größe von 10 Mitarbeitern
- Investitionen der KfW Capital in VC-Fonds in ärmeren Regionen auch bei kleineren Fondsvolumina (<50 Mio. €)
- Höhere Bezuschussung von Business Angels bei der Nutzung des Invest – Zuschuss für Wagniskapital zur Finanzierung von Startups mit Sitz in diesen Regionen
- Höherer Sachmittelzuschuss bei EXIST-Gründerstipendien für Projekte an ausgewählten Hochschulen zum Ausgleich der schlechter ausgeprägten Business Angel-Szene
Sicherlich finden sich noch viele weitere Ideen und Ansätze zur Erweiterung der bereits vorhandenen strukturpolitischen Maßnahmen und zur gezielten Stärkung der Startup-Szenen in den neuen Bundesländern, die in den nächsten Jahren zu einer weiteren Angleichung der Wirtschaftskraft beitragen können.
Der Autor: Dr. Eric Weber, Gründer & Geschäftsführer I SpinLab – The HHL Accelerator