Prof. Armin Willingmann, Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt, spricht im exklusiven W+M-Interview er über die Wirtschaft des Landes in der Krise und seine Zukunftsthemen.
Sachsen-Anhalt in der Krise
W+M: Wie haben sich die Aufgaben und der Tagesablauf des Wirtschaftsministers in Zeiten der Krise verändert?
Armin Willingmann: Auch der Arbeitsalltag des Ministers ist im Hinblick auf die Vielzahl von Online-Konferenzen deutlich digitaler geworden. Das Arbeitsaufkommen ist in Krisenzeiten freilich immer ein erhöhtes. Dies gilt umso mehr, da die Wirtschaftsministerien der Länder entscheidend in die Hilfsprogramme des Bundes eingebunden sind, eigene Maßnahmen ergreifen und darüber hinaus sicherstellen müssen, dass die Kollateralschäden von Eindämmungsmaßahmen nicht unverhältnismäßig werden. Nach mehr als einem Jahr Corona mit zeitweise weitreichenden Kontaktbeschränkungen bin ich inzwischen froh, wenn persönliche Begegnungen – wenn auch unter Schutzvorkehrungen – wieder etwas häufiger möglich sind.
W+M: Gehört Sachsen-Anhalts Wirtschaft zu den Gewinnern oder den Verlierern der Krise? Wie kommt Sachsen-Anhalts Wirtschaft durch die Krise?
Armin Willingmann: Grundsätzlich halte ich es für problematisch, in dieser weltweiten Krise nach Gewinnern oder Verlierern zu unterscheiden. Sachsen-Anhalt ist mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes von -3,9 Prozent allerdings noch vergleichsweise glimpflich durch das Krisenjahr 2020 gekommen. Bundesweit lag der Rückgang bei -4,9 Prozent. Während einige Branchen wie die Tourismuswirtschaft, das Gastgewerbe oder der Dienstleistungssektor stark unter der Krise gelitten haben und zum Teil noch leiden, gab es in anderen Bereichen sogar Zuwächse. Unserem Land kam in der Krise einmal mehr die kleinteilige Wirtschaftsstruktur zugute. Auch krisenbedingte Verwerfungen im Außenhandel schlagen sich bei uns nicht so stark nieder, obwohl sich die Unternehmen in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren internationaler aufgestellt haben. Insofern rechne ich ab Mitte 2021 mit einer deutlichen und zügigen Erholung der Wirtschaft, mit Nachholeffekten durch Konsum wie Investitionen.
W+M: Wo liegen Sachsen-Anhalts Chancen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen?
Armin Willingmann: Sachsen-Anhalt hat auch in der Pandemie angelaufene Investitionsprojekte erfolgreich abschließen oder vorantreiben können. Zudem haben wir die Gelegenheit genutzt, uns in der Pandemie als bedeutender Pharma-Standort weiter zu profilieren. Nicht nur, weil bei uns etwa die Impfstoffe von Johnson&Johnson, Astrazeneca und Biontech produziert werden. IDT Biologica in Dessau entwickelt auch einen eigenen Impfstoff. Hier zahlt sich die Landesförderung von Investitionen und Innovationen in der Pharmaindustrie der vergangenen Jahre aus. Freilich sehe ich für die Wirtschaft Sachsen-Anhalts Wachstumschancen, die allerdings weniger mit der Corona-Krise, sondern eher mit weiteren wirtschaftlichen Umbrüchen in der Automobilindustrie, in der Chemie oder der Energiewirtschaft zu tun haben. Sachsen-Anhalt entwickelt sich zu einem Land der Zukunftstechnologien, das belegen zahlreiche Millionen-Investitionen in den Bereichen Automotive (Batterien/Brennstoffzellen), Chemie (grüner Wasserstoff) und Erneuerbare Energien (Solarzellen und -Module).
W+M: Welche Defizite aus der Krisenvorzeit holen uns jetzt besonders ein?
Armin Willingmann: Die Pandemie hat uns freilich vor Augen geführt, wie bedeutsam leistungsfähige digitale Infrastrukturen sein können. Und sicher haben wir etwa beim Breitbandausbau noch Nachholbedarfe. In den vergangenen vier Jahren hat Sachsen-Anhalt allerdings deutliche Fortschritte gemacht. Heute verfügen mehr als 80 Prozent der Haushalte über Anschlüsse mit 50 Megabit pro Sekunde. 2016 war nicht mal jeder zweite Haushalt angeschlossen. Da hätte sich die Pandemie noch viel gravierender ausgewirkt.
W+M: Was wurde bisher in der Krise für die Wirtschaft getan, was nicht nur Katastrophenhilfe ist, sondern zukunftsweisend?
Armin Willingmann: Wir haben im Oktober 2020 die Investitionsförderung für Unternehmen, die Bund und Länder hälftig finanzieren, auf 235 Millionen Euro verdoppelt. Das hat uns in die Lage versetzt, Zukunftsinvestitionen der Unternehmen zu unterstützen, beispielsweise den Bau einer Produktionsanlage für grünen Wasserstoff von Linde in Leuna. Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, nachhaltige Investitionen zu fördern. Durch sie entstehen nicht nur mehr Wertschöpfung und Arbeitsplätze, die öffentliche Hand profitiert mittel- bis langfristig auch von steigenden Steuereinnahmen.
W+M: Gibt es ein großes Zukunftsthema, das Sie gern in Ihrer Amtszeit platzieren oder realisieren wollen?
Armin Willingmann: Es klang schon etwas an: Ich möchte dazu beitragen, dass sich Sachsen-Anhalt weiter zu einem Land der Zukunftstechnologien entwickelt. Es geht mir darum, die Chancen zu nutzen, die mit den aktuellen wirtschaftlichen Umbrüchen verbunden sind. Denn Umbrucherfahrungen sind hier im Lande reichlich vorhanden. Eine Chance besteht etwa darin, Sachsen-Anhalt als führende Region bei der Entwicklung und Produktion von grünem Wasserstoff zu positionieren; eine weitere, den Umwandlungsprozess der Automobilindustrie offensiv zu begleiten.
W+M: Was hat es mit dem Thema Wasserstoff auf sich? Was beabsichtigt Ihre Wasserstoff-Strategie und was sind die wesentlichen Inhalte?
Armin Willingmann: Sachsen-Anhalt ist schon immer ein starker Chemie-Standort gewesen. Deshalb haben wir jetzt auch die Möglichkeit, mit starken Industriepartnern sowie unseren hervorragenden Forschungseinrichtungen Wasserstoffprojekte voranzutreiben. Der Anteil erneuerbarer Energien ist in Sachsen-Anhalt zudem heute schon höher als in anderen Bundesländern. Deshalb kann die wirtschaftliche Produktion von grünem Wasserstoff bei uns im Land eher gelingen.
Rolle Sachsen-Anhalts in Ostdeutschland
W+M: Welche Rolle spielt Sachsen-Anhalt in Ostdeutschland?
Armin Willingmann: Ich halte es durchaus für möglich, dass sich Sachsen-Anhalt in den kommenden Jahren zu einem Innovationsmotor Ostdeutschlands entwickeln könnte. Das trotz Pandemie anhaltend starke Investitionsgeschehen bietet da Grund für Optimismus. Voraussetzung hierfür wird allerdings sein, dass das Land auch in den kommenden Jahren weiter konsequent in Wirtschaft und Wissenschaft investiert. Wir konnten in den letzten vier Jahren zeigen, wie sich so etwas durch Ansiedlungen und Erweiterungen auszahlt.
W+M: Ist für Sie eine Metropolregion von der Ostsee bis zum Thüringer Wald vorstellbar?
Armin Willingmann: Ich befürworte durchaus Kooperationen über Landesgrenzen hinweg. Hierfür ist aber die Bildung von Metropolregionen nicht notwendig.
W+M: Was halten Sie von einer Sonderwirtschaftszone Ost?
Armin Willingmann: So reizvoll das auf den ersten Blick erscheint, so unwahrscheinlich ist ihre Realisierung, gerade innerhalb der Europäischen Union. Ich halte eine Sonderwirtschaftszone inzwischen aber auch nicht mehr für notwendig. Sachsen-Anhalt befindet sich – klammert man Rückschläge durch die Pandemie aus – insgesamt auf einem erfolgreichen Entwicklungspfad.
Wahljahr 2021
W+M: Wie lautet ihre Prognose für die Wahlen zum Bundestag?
Armin Willingmann: Ich habe den Eindruck, dass das Rennen offen ist. Insofern möchte ich keine Prognose wagen, baue aber darauf, dass sich auch nach Normalisierung der Corona-Verhältnisse Vernunft gegen Populismus durchsetzt.
W+M: Wie lautet Ihre Prognose für die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt? Kandidieren Sie wieder?
Armin Willingmann: In Sachsen-Anhalt wird es umso mehr darauf ankommen, den Entwicklungskurs fortzusetzen und keine falschen Signale zu setzen: Wachstum, Industrieaffinität, Stärkung der KMU, Start-up-Kultur, Zuwanderung, Weltoffenheit sind wesentliche Garanten unseres Erfolgs. Dafür möchte ich mich weiter einsetzen. Deshalb kandidiere ich auch – erstmalig – für den Landtag und wurde von meiner Partei – der SPD – auf Platz 2 der Landesliste gewählt.
Interview: Frank Nehring