Wir haben noch keine neue Regierung, aber einen Koalitionsvertrag. Frank Nehring vom Redaktionsnetzwerk W+M kommentiert.
Die deutsche Bürokratie ist fast ein Kulturgut, dafür sind wir in der Welt bekannt. Laissez-faire ist nett, aber nicht unser Stil.
Der Wunsch nach Bürokratieabbau ist fast so alt wie die Bürokratie selbst. Im eigentlichen Sinne ist Bürokratie keine schlechte Sache, es geht um die Wahrnehmung von Verwaltungstätigkeiten im Rahmen festgelegter Kompetenzen innerhalb einer festen Hierarchie. Also ohne Bürokratie wäre es auch nicht so toll, sonst wären Gesetze von vornherein nichts weiter als Absichtserklärungen. Allerdings hat die Bürokratie die dumme Angewohnheit, überproportional schnell zu den Gesetzen und Verordnungen zu wachsen. Das geht so lange, bis es spürbar dazu führt, kontraproduktiv zu werden. Wenn Gründer nicht mehr gründen wollen, Unternehmer sich nicht mehr an Ausschreibungen beteiligen, Fördermittel nicht mehr ausgeschöpft werden, Investitionen zurückgestellt werden, weil die bürokratischen Hürden so hoch sind, dann ist Schluss. Den Kipppunkt haben wir schon lange überschritten und deshalb ist die Diskussion um den Bürokratieabbau auch ein alter Hut. Alle haben das verstanden, Politik, Verwaltung, Wirtschaft, alle.
Nun steht der Bürokratieabbau erwartungsgemäß wieder im Koalitionsvertrag, jetzt meint man es aber wirklich wirklich ernst. Bei EU-Gesetzgebungen will Deutschland überbordende Bürokratie verhindern, die Berichtspflichten für Unternehmen sollen reduziert werden und das Monstrum des nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) wird abgeschafft. 25 Prozent Bürokratieabbau, Einsparungen von rund 16 Milliarden Euro sollen so erzielt werden. Da kann man nur hoffen, dass die Ermittlung der tatsächlichen Einsparung nicht zu viel Aufwand bereitet.
Der Hammerpunkt steht unter der Überschrift Vertrauen statt Regulierung und Kontrolle (Zeile 1973). Hier wird versprochen, die Dokumentationspflichten insbesondere für Handwerk, Einzelhandel, Landwirtschaft, Gastronomie und Hotellerie abzubauen. Vermehrt soll auf Sanktionierung von Verstößen statt auf regelmäßige Nachweispflichten gesetzt werden.
Das alles klingt toll und nicht einmal unrealistisch, aber es ist nur der Anfang vom Weg zum effektiven Start. Die Initiative für einen handlungsfähigen Staat hat zwar erst einen Zwischenbericht vorgelegt, aber der Kern, wenn auch hier nur am Rande erwähnt, ist der Kulturwechsel in der Verwaltung. Hier steht auf Seite 29 „Ein Staat, der den Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen sein will, braucht eine Kultur, die Neues möglich macht. Noch immer sind Behörden geprägt von einer starken Absicherungsmentalität, von Silo- und Ressortdenken, hohem Perfektionsanspruch und insgesamt zu wenig Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme“.
Diesen Kulturwechsel zu vollziehen, ist kein einfacher Verwaltungsakt, aber die eigentliche Herausforderung und dazu steht nichts im Koalitionsvertrag. Vertrauen hat nichts mit Blindheit zu tun, aber Vertrauen ist ein hoher Wert, denn Vertrauen schafft Vertrauen.