Sind die Erneuerbaren Energien ein Magnet für Unternehmensansiedlungen in Ostdeutschland oder belasten die Kosten für deren Ausbau die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen? Darüber diskutierten Vertreter aus Politik und Wirtschaft kontrovers auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum.
Zu Beginn der Diskussion ordnete Markus Graebig, Projektentwickler beim ostdeutschen Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz Transmission GmbH, die Frage aus der Sicht seines Unternehmens ein. Der Zuwachs an Industriearbeitsplätzen in Ostdeutschland gründe auf verschiedenen Faktoren wie Flächenverfügbarkeit, Fördermittel oder guter Infrastruktur. Doch auch zur Verfügbarkeit Erneuerbarer Energien gäbe es einen kausalen Zusammenhang zum Industriewachstum, dies belegen aktuelle Studien. Schließlich habe sich auch in der Wirtschaftshistorie Industrie immer dort niedergelassen, wo die Energieträger vorhanden waren.
Das Unternehmen 50Hertz spüre diesen Zusammenhang an der steigenden Zahl an Direktanschlussanfragen. Solche Direktanschlüsse ans Übertragungsnetz habe es früher ganz selten gegeben, so Graebig, heute bearbeite 50Hertz 100 valide Direktanfragen. Treiber dieser Entwicklung seien Batteriewerke, geplante Elektrolyseure oder Anfragen von Rechenzentren. Für 50Hertz seien diese Anfragen wegen der langen Planungsphase etwa zum Bau von notwendigen Umspannwerken besonders herausfordernd.
Thomas Einsfelder, Geschäftsführer der Invest in Mecklenburg-Vorpommern GmbH, konnte dies aus Sicht des Wirtschaftsförderers bestätigen: „Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern eine steigende Zahl von Projekten“, erklärte Einsfelder. Darunter seien auch energieintensive Unternehmen. Das Thema Energiepreise drücke zwar aktuell bei Investitionsentscheidungen auf die Bremse, auf der anderen Seite werde mittlerweile aber auch von den finanzierenden Banken ein „grüner Fußabdruck“ von den Unternehmen verlangt. „Das führt dazu, dass die Investitionsprojekte inzwischen sehr anspruchsvoll sind.“ Mecklenburg-Vorpommern versucht diesen Anforderungen etwa mit „grünen Gewerbegebieten“ entgegenzukommen, bei denen das Thema Dekarbonisierung schon in der Infrastruktur des Standorts berücksichtigt werde. Neben Erneuerbaren Energien seien Flächenverfügbarkeit und auch das Thema Wasserversorgung inzwischen wichtige Kriterien bei Investitionsentscheidungen.
Uwe Reinecke, General Manager bei FERALPI STAHL in Riesa, vertrat in der Diskussion eines der besonders energieintensiven Unternehmen in Ostdeutschland. Das Elektrostahlwerk ist in der sächsischen Stadt heute der größte Gewerbesteuerzahler und einem harten internationalen Wettbewerb ausgesetzt. „Die Sichtweise von Bundeskanzler Olaf Scholz, dass die gegenwärtigen Energiepreise kein Problem darstellten, kann ich nicht nachvollziehen“, betonte Reinecke.
In der Stahlindustrie, so Reinecke, gäbe es große politische Aufmerksamkeit für die Dekarbonisierung der vier großen Stahlproduzenten. Viele mittelständische Elektrostahlproduzenten, die 30 Prozent der deutschen Stahlerzeugung ausmachen, zahlten die Transformation hingegen weitestgehend selbst. „Wir brauchen pragmatischere Förderinstrumente für den Mittelstand“, forderte Reinecke. Besonders ärgerlich für das Unternehmen sei beispielsweise die Streichung der Zuschüsse für das Netzentgelt gewesen. Die höheren Kosten belasten die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Unternehmen aus Spanien oder Benelux. Wenn die Kosten des Netzausbaus künftig auf den energieintensiven Mittelstand umgelegt werden, sei dies existenzgefährdend für den Mittelstand. FERALPI investiert aktuell 220 Millionen Euro in ein emissionsfreies zweites Walzwerk inklusive Umspannwerk für ein innovatives Produkt für die Bauindustrie. Dafür werde grüne Energie benötigt, in Form von grünen Strom oder Wasserstoff.
Stefan Kapferer, CEO von 50Hertz, erklärte, dass die Industrie bei der Dekarbonisierung bereits weiter als erwartet vorangekommen sei. Die zentrale Herausforderung bei den nächsten Schritten bleibe aber die Kostenfrage. „Es gibt viele Faktoren, bei denen wir an der Kostenschraube drehen können“, so Kapferer. Wie der weitere Zubau der Erneuerbaren Energien kostengünstig realisiert werden könne, darüber werde gegenwärtig aber viel zu wenig diskutiert. „Die Kosten dürfen nicht bei den energieintensiven Unternehmen abgeladen werden“, forderte der 50Hertz-Chef.
Dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien auch wegen der langfristigen Planungsverfahren nicht schnell genug vorankommt, räumte Dr. Katja Böhler, Thüringer Staatssekretärin für Forschung, Innovation und Wirtschaftsförderung, ein. Dies läge auch daran, dass in der Regionalplanung in den Bundesländern nicht immer das Bewusstsein vorhanden sei, welche Wohlstandsverluste drohen, wenn die Dekarbonisierung nicht schnell genug voranschreite. In der Praxis seien die Planungsprozesse so verschränkt, dass eine Beschleunigung der Verfahren schwer umzusetzen sei. Deshalb müsse viel Überzeugungsarbeit auch auf kommunaler Ebene mit ihren unterschiedlichen und komplexen Mehrheitsverhältnissen geleistet werden.