Am 09. Juli 2024 finden in Deutschland die Wahlen zum zehnten Europäischen Parlament statt. W+M hat Abgeordnete, die Ostdeutschland vertreten, gebeten zu berichten, was Sie in der aktuellen Legislaturperiode für Ihr Bundesland erreicht haben und auf welche Schwerpunkte sich das nächste Parlament konzentrieren sollte.
Heute fragen wir Martina Michels.
Martina MICHELS
Partei DIE LINKE
Im Europaparlament seit 09/2013
Ansprechpartnerin für Berlin und Sachsen-Anhalt
Mitglied in den Ausschüssen für Regionale Entwicklung sowie Kultur und Bildung
Mitglied in der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu Israel, Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum, Delegation zur parlamentarischen Versammlung Euronest (Länder der Östlichen Partnerschaft: Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldau, Ukraine und Weißrussland), stellvertretendes Mitglied in der Delegation für die Länder des Südkaukasus (Armenien, Aserbaidschan, Georgien)
Keine erneute Kandidatur
Welche Ergebnisse haben Sie in der aktuellen Legislatur für Ihr Bundesland erzielt? Worauf sind Sie besonders stolz?
Wie die meisten Parteien in Deutschland stellt DIE LINKE eine Bundesliste für die Europawahlen auf. Als Berlinerin bin ich natürlich den Bürgerinnen und Bürgern meiner Heimatstadt besonders verbunden, außerdem habe ich ein zweites Wahlkreisbüro in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) und stehe also auch hier eng im Austausch mit den Menschen vor Ort.
Im Regionalausschuss (REGI) habe ich DIE LINKE in Verhandlungen über verschiedene Strukturfonds zu vertreten. Allen voran ist der Fonds für Regionale Entwicklung für langfristige Investitionen gerade in Ostdeutschland nicht wegzudenken. Berlin bspw. kann in der Förderperiode 2021 – 2027 insgesamt 680 Millionen Euro aus dem EFRE für die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftswachstum, Verbesserung der Lebensqualität und nachhaltige Entwicklung in Anspruch nehmen.
In Sachsen-Anhalt stehen neben EFRE-Mitteln zusätzlich EU-Gelder aus dem Fond für einen gerechten Übergang (JTF) für das Mitteldeutsche Revier als Hilfen beim sozial-ökologischen Ausstieg aus der Braunkohle zur Verfügung. Auch diesen Fonds habe ich mit verhandelt. Förderschwerpunkte sind Industrieinfrastruktur, Haltefaktoren für Fachkräfte und Familien, Bildung, Forschung und Entwicklung.
Aufgrund der Covid19-Pandemie standen und stehen Regionen und Kommunen vor gewaltigen Aufgaben. Ich habe mich im REGI dafür eingesetzt, dass aus den Strukturfonds rasche und einfach einsetzbare Hilfsprogramme entwickelt werden, um bspw. KMU mit Finanzierung von Betriebskapital zu unterstützen, Krisenbewältigungskapazitäten zu stärken und zu einer grünen, digitalen und widerstandsfähigen Erholung der Wirtschaft beizutragen, einschließlich Unterstützung für den Erhalt von Arbeitsplätzen, Kurzarbeitsregelungen und Unterstützung für Selbstständige, Jugendbeschäftigung, Gesundheitssystemen sowie Investitionsunterstützung für KMU.
Auch in der Energiepreiskrise und bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine haben wir Möglichkeiten flexibler Förderung geschaffen.
Neben wirtschaftlicher Entwicklung geht es mir als Linker um die Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU insgesamt, hierzu u. a. um die Ausweitung öffentlicher Investitionen in Infrastruktur, um mehr Geld für Bildung und Mitsprache und Mitentscheidung der Menschen und Regionen.
Mit MdEP der Grünen und der SPD habe ich mich erfolgreich eingesetzt, dass nun wieder mehr Nachzüge Europäische Regionen ökologisch miteinander verbinden, darunter auch Berlin-Brüssel.
Im Bereich Kultur konnte ich mit meinen Kolleg*innen in den Landtagen klären, dass Corona-Hilfen für Kulturproduzenten nicht am Europäischen Beihilferecht scheitern, was oft von den Landesregierungen suggeriert wurde, sondern hausgemachte deutsche Politik war, dass Selbständigen dieser Branchen nur widerwillig unter die Arme gegriffen wurde. Dies half vor allem in Berlin unter Klaus Lederer diverse landeseigene Hilfsprogramme aufzulegen, die Klubkultur zu stärken und sie so über diese schwierigen Zeiten zu bringen.
Im Kulturausschuss selbst konnten wir erfolgreich dafür sorgen, dass trotz Pandemie und wachsender Energiekrise am Europäischen Programm Kreatives Europa nicht weiter gekürzt, sondern sogar ein sanfter Aufwuchs von 1,5 Mrd. auf 2,2 Mrd. Euro erreicht wurde. Dies stützt viele Filmproduktionen, Literaturübersetzungen, Festivals und Netzwerke, auch wenn das Programm noch immer unterfinanziert ist und damit einen Wirtschaftszweig, der mehr Beschäftigte als die Autoindustrie hat, auch wenn viele schlechtere Einkommen haben.
Wir hatten auch durchgesetzt, dass Deutschland das Europäische SURE Programm hätte für Solo-Selbständige nutzen können, doch in der Umsetzung hat die Bundesrepublik davon leider keinen Gebrauch gemacht.
Last but not least habe ich dafür gekämpft, dass Bildung, Kultur und Medien bei der Regulierung von KI berücksichtigt werden. Das ist sowohl für die Berliner und andere Hochschulen wichtig, wenn digitale Prüfungssysteme zum Einsatz kommen, dass sie nicht diskriminieren und Daten schützen. Zum anderen ist Berlin ein Medien- und Kulturstandort und wir sollten alles dafür tun, dass Demokratie im digitalen Zeitalter nicht unter die Räder kommt, weil Technologien schneller sind als politische Regulationen.
Auf welche Schwerpunkte sollte sich das Parlament in der nächsten Legislaturperiode besonders konzentrieren?
- Die EU sollte ihren Gründungsgedanken als Friedensunion und Unterstützerin internationalen Rechts erhalten. Das Zusammenstehen in Krisen und das Bauen auf eine internationale Ordnung auf der Grundlage von Menschenrechten und ziviler Konfliktlösung stärkt auch die Sicherheit in Europa.
- Die EU sollte stärker für soziale Gerechtigkeit stehen. Wirtschaftlich und sozial ausgewogene Entwicklung und Angleichung der Lebensverhältnisse überall in der EU ist ein EU-Verfassungsgrundsatz, den wir ernst nehmen müssen, auch um Vertrauen in und Engagement für die europäische Integration zu erhalten.
- Die EU-Politik sollte die dringend nötige ökologische Transformation und Modernisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Industrie weiter voranbringen und dies mit Unterstützungsmaßnahmen (Förderprogrammen, Beratung …) für Bürgerinnen und Bürger ebenso wie für KMU verbinden. „Niemanden und keine Region zurücklassen“ ist ein wichtiges Motto in der Kohäsionspolitik, das eben auch für den grünen Wandel, einen funktionierenden Binnenmarkt oder eine innovativere und wettbewerbsfähigere EU gelten muss.