Die deutsche Wasserstoff-Wirtschaft nimmt Fahrt auf. Grüner Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger auf dem Weg zur Klimaneutralität. Welche Strategien verfolgen die ostdeutschen Länder beim Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft, wer sind die wichtigsten Akteure und was konnte bereits realisiert werden? Diesen Fragen geht Wirtschaft +Markt in einer neuen Serie nach. Von Matthias Salm.
Folge 1: W+M-Serie: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Ostdeutschland: #1 Berlin
Folge 2: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Sachsen-Anhalt
Folge 3: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Brandenburg
Brandenburgs Industrie steht im Wandel. Energieintensive Branchen wie die Stahl- oder Zementindustrie suchen dringend nach Alternativen in der Energieversorgung. Und in der Energieregion Lausitz rückt das Ende des Braunkohletagebaus näher. In dieser Gemengelage setzt das Land auf den raschen Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft.
Der oberste Verfechter einer Wasserstoff-Wende in Brandenburg sitzt zweifelsohne im Potsdamer Wirtschaftsministerium: Wirtschafts- und Energieminister Prof. Dr. Jörg Steinbach, selbst promovierter Chemieingenieur und damit auch fachlich tief in der Materie verankert, untermauerte Ende Februar anlässlich eines Besuch des Energielabors der TU Berlin wieder einmal die Ambitionen Brandenburgs: „Wir werden einer der führenden Regionen für Wasserstoff in Deutschland sein“, prognostizierte der SPD-Politiker, bevor er sich auf den neuesten Stand der Wasserstoff-Forschung und möglicher Industrie-Anwendungen bringen ließ. Wie weit die brandenburgische Wirtschaft beim geplanten Einsatz von Wasserstoff vorangeschritten ist, will er in den kommenden Wochen auf seinen „Wasserstofftouren“ durch die fünf Regionalen Planungsgemeinschaften des Landes in Erfahrung bringen.
Für Steinbach soll der Einstieg ins Wasserstoff-Zeitalter eher heute denn morgen erfolgen: „Um die Chancen für das Land Brandenburg durch den weiteren Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft nutzen zu können, müssen wir bereits jetzt die richtigen Weichen stellen. Was wir dabei besonders brauchen, ist Tempo bei der Umsetzung und klare Rahmenbedingungen.“
Das geforderte Tempo tut Not: Die Stahlindustrie in Eisenhüttenstadt, die Zementindustrie in Rüdersdorf, die chemische Industrie in Schwarzheide, die PCK-Raffinerie in Schwedt, die Papier- und Glashersteller des Landes – sie alle sind Großverbraucher fossiler Energien und benötigen eine Zukunftsperspektive. Dies gilt umso mehr für die gesamte Energieregion Lausitz und den Braunkohlekonzern LEAG, der nach dem absehbaren Ende der Braunkohleförderung seine ganz eigene Transformation durchlaufen muss.
Diverse Unternehmen arbeiten deshalb bereits seit 2020 im Wasserstoffcluster Brandenburg gemeinsam am Hochfahren der Wasserstoff-Wirtschaft: Dazu gehören u.a. die Stahlhersteller ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt und RIVA in Hennigsdorf, die Ardagh Glass GmbH in Neuenhagen, die BASF Schwarzheide GmbH, die CEMEX Zement GmbH in Rüdersdorf, der Papierhersteller LEIPA Georg Leinfelder in Schwedt sowie die Energieunternehmen VNG, ENERTRAG, EWE Gasspeicher GmbH, LEAG, die Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas mbH, die ONTRAS Gastransport GmbH und die PCK-Raffinerie. Das Land Brandenburg selbst hat bereits 2021 eine Wasserstoffstrategie mit einem konkreten Maßnahmenplan entwickelt.
Rückenwind bekamen die Brandenburger Akteure Mitte Februar aus Brüssel: Die EU wird den Aufbau einer Wasserstoffpipeline von Rostock durch Brandenburg bis Leipzig fördern, inklusive eines Abzweigs südlich von Berlin über Rüdersdorf nach Eisenhüttenstadt. Ebenfalls wird der Bau von Elektrolyseuren durch die Brandenburger Firma ENERTRAG unterstützt. Brandenburg stellt für die beiden so genannten IPCEI-Projekte ergänzend zur Bundesförderung Fördermittel in Höhe von rund 140 Millionen Euro zur Verfügung.
Grüner Stahl als Vision
Die Großindustrie in Brandenburg hat bereits mit der Umstellung begonnen. Der Stahlhersteller ArcelorMittal beispielsweise will seine Stahlerzeugung in Eisenhüttenstadt EU-gefördert von der kohle- und koksbasierten Produktion im Hochofen auf eine neu zu errichtende wasserstoffbetriebene Direktreduktionsanlage und drei Elektrolichtbogenöfen auf der Basis grünen Stroms umrüsten. 110.000 Tonnen Wasserstoff sollen einmal jährlich für klimaneutralen Stahl genutzt werden. Der CEO von ArcelorMittal Europe – Flat Products, Reiner Blaschek, mahnt allerdings die Politik: „Die nächste Hürde werden ausreichende Mengen von erneuerbarer Energie und grünem Wasserstoff sein – und das zu wettbewerbsfähigen Preisen.“
Auch der Cottbuser Braunkohlekonzern LEAG stellt sich auf die neuen Zeiten ein. Und die heißen auch hier grüner Strom und Wasserstoff. Bis 2030 will das Unternehmen bis zu sieben Gigawatt erneuerbaren Strom erzeugen, bis 2040 gar bis zu 14 Gigawatt. Neben dem Ausbau von Windenergie- und Solaranlagen auf ehemaligen Tagebauflächen will die LEAG an ihren Kraftwerksstandorten Batteriespeicher, thermische Speicher und wasserstofffähige Kraftwerksanlagen errichten.
Im CEMEX-Zementwerk in Rüdersdorf fällt bei der Produktion von Zementklinker übermäßig viel schädliches CO2 an. Dies geschieht beim Einsatz fossiler Brennstoffe, aber auch durch unvermeidbare chemische Prozesse. Diese Emissionen will das Werk durch die Abscheidung von CO2-Abgasen zusammen mit Wasserstoff zu einem Synthesegas vermischen, aus dem synthetisches Kerosin gewonnen werden kann. Das Projekt mit dem Titel „Concrete Chemicals“ ist Teil des Verbundvorhabens „doing hydrogen“.
Der Energieversorger EWE AG erprobt unterdessen mit dem DLR-Institut für Vernetzte Energiesysteme in Rüdersdorf die Speicherung von 100 Prozent reinen Wasserstoffs in unterirdischen Salzkavernen. Auch für die PCK-Raffinerie in Schwedt liegen Pläne vor, diese zum Wasserstoff-Erzeuger umzurüsten, um synthetische E-Fuels und hochwertige Chemikalien produzieren zu können.
Aber auch mittelständische Zulieferer in Brandenburg stehen in den Startlöchern, um von einem Wasserstoff-Boom zu profitieren. Die PRIGNITZ Mikrosystemtechnik GmbH in Wittenberge etwa hat wasserstoffbeständige Transmitter und Sensoren für die Druckmessung in Wasserstoffbehältern entwickelt.
Auch in Sachen Mobilität werden erste Projekte angestoßen. Auf der Heidekrautbahn, die von der Niederbarnimer Eisenbahn betrieben wird, sollen anstelle der bisherigen Diesel-Fahrzeuge wasserstoffbetriebene Personentriebwagen fahren. Der notwendige Wasserstoff soll aus lokaler Windkraft gewonnen werden.
Zahlreiche Projekte in Planung
Einer der wesentlichen Treiber der Wasserstoff-Wirtschaft in Brandenburg ist das Energieunternehmen ENERTRAG mit weltweit mehr als 1.000 Mitarbeitern, das seinen Ursprung im uckermärkischen Dauerthal hat. Dr. Tobias Bischof-Niemz, Bereichsleiter Neue Energielösungen bei ENERTRAG, erklärt die Bedeutung des Unternehmens für das Hochfahren der Wasserstoff-Wirtschaft: „Mit unseren Elektrolyseurkapazitäten in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern kommen wir auf einen Marktanteil in Deutschland von rund zwölf Prozent und tragen dazu bei, dringend benötigten Wasserstoff an industrielle Abnehmer liefern zu können.“
Schon 2011 startete ENERTRAG in Prenzlau das weltweit erste Wasserstoff-Hybridkraftwerk seiner Art. Es erzeugt seither grünen Wasserstoff durch Elektrolyse aus Windstrom. Das nächste ehrgeizige Projekt: Der Bau einer Elektrolyseanlage mit 130 MW Leistung im Gewerbepark Prignitz-Falkenhagen. Die Inbetriebnahme ist bis Ende 2027 vorgesehen. Geplant sind 150 bis 200 Millionen Euro für die Investition.
Das Projekt ist an das Verbundprojekt „doing hydrogen“ angeschlossen, bei dem ein Teil der Gasnetzinfrastruktur der ONTRAS GmbH zu einem Wasserstoffnetz umgerüstet werden soll. Der im Gewerbepark Prignitz-Falkenhagen produzierte Wasserstoffs soll u.a. dem Industrieprojekt „Concrete Chemicals“ in Rüdersdorf zufließen. Es profitiert aber auch das benachbarte Unternehmen Deliscious Vertical Farming in Falkenhagen von der Wasserstoff-Produktion. Die Abwärme aus der Elektrolyse wird bei ihm als Wärmeversorgung im Winter und als Kühlung im Sommer beim Anbau von Salat genutzt.
Im Industriepark Schwarze Pumpe sollen ab 2025 Bauarbeiten für das Referenzkraftwerk Lausitz zur Herstellung von grünem Wasserstoff beginnen. Das Projekt der Partner Energiequelle, ENERTRAG und dem Zweckverband Industriepark Schwarze Pumpe soll als Beispiel für die Umstellung von konventionellen Kraftwerksstandorten auf erneuerbare Energieerzeugung dienen.
Auch geforscht wird in Brandenburg – etwa am Wasserstoff-Forschungszentrum und an der Versuchsanlage zur Wasserstoffverbrennung an der BTU Cottbus-Senftenberg. Das Zentrum zur Erforschung hybrid-elektrischer und elektrischer Systeme für den Mobilitätssektor untersucht an der BTU mögliche alternative Antriebe in der Luftfahrt. Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP in Potsdam forscht u.a an der Abtrennung von Wasserstoff aus Gasgemischen. Und das Potsdamer Geoforschungszentrum (GFZ) will die Wasserstoff-Speicherung in porösem Gestein erproben. Das GFZ plant dazu ein Demonstrationsprojekt in Ketzin, um die Auswirkungen auf den Untergrund zu erforschen. Laut GFZ sind besonders Porenspeicher im Untergrund zur Speicherung von Wasserstoff sehr geeignet. Sie bieten weit größere Kapazitäten als die Speicherung in Salzkavernen.