Neue W+M-Serie: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Ostdeutschland: #1 Berlin
Die deutsche Wasserstoff-Wirtschaft nimmt Fahrt auf. Grüner Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger auf dem Weg zur Klimaneutralität. Welche Strategien verfolgen die ostdeutschen Länder beim Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft, wer sind die wichtigsten Akteure und was konnte bereits realisiert werden? Diesen Fragen geht Wirtschaft +Markt in einer neuen Serie nach. Von Matthias Salm.
Folge 1: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Berlin.
Zum Start der Gigawatt-Fabrik für Elektrolyseure Ende letzten Jahres am Siemens-Standort in Berlin-Moabit machte eigens auch Bundeskanzler Olaf Scholz seine Aufwartung. Gemeinsam mit Christian Bruch, Vorstandsvorsitzender von Siemens Energy, und François Jackow, CEO von Air Liquide, gab Scholz den Startschuss für die Serienproduktion der Elektrolyseure in der Hauptstadt – durchaus auch ein Zeichen für die Erwartungen der Politik an den Energieträger Wasserstoff.
Das Joint Venture von Siemens Energy und Air Liquide startet mit einer jährlichen Produktionskapazität von einem Gigawatt, soll aber auf mindestens drei Gigawatt im Jahr 2025 erweitert werden. Mit dieser Kapazität können beim Betrieb mit erneuerbaren Energien durchschnittlich 300.000 Tonnen grüner Wasserstoff pro Jahr hergestellt werden. Für rund 30 Millionen Euro wurden neue Produktionslinien für die Elektrolyseurfertigung in Berlin aufgebaut. Der erste Abnehmer wird das Air Liquide Normand’Hy Elektrolyseur-Projekt in der Nähe der französischen Stadt Port-Jérôme-sur-Seine sein.
Wasserstoff ist ein zentraler Bestandteil der Energiewende. Die ostdeutschen Bundesländer wollen deshalb zu führenden Standorten der Wasserstoff-Wirtschaft in Deutschland aufsteigen. Zu diesem Zweck haben die ostdeutschen Regierungschefs im Juli 2023 eine Initiative für Wasserstoff in Ostdeutschland e.V. (IWO) ins Leben gerufen. Die IWO dient als Plattform für die Zusammenarbeit zwischen den ostdeutschen Bundesländern, aber auch mit Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung. Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey gibt die Marschroute für Berlin vor: „Statt Kohle, Gas und Öl soll in Zukunft Wasserstoff zu einem sauberen Kraftstoff für Wärme, Schwerlastverkehr und Industrieproduktion in Berlin werden.“
Beim Hochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft will die Hauptstadt vorn dabei sein, stößt aber an natürliche Grenzen. So müssen die nötigen erneuerbaren Energien aus dem Nachbarland Brandenburg importiert werden. Eine Studie der Initiative H2Berlin identifiziert in Berlin Wasserstoff-Potenziale vor allem in der Wärmeversorgung und im Verkehrssektor. Folgt man dem Szenario des Forschungszentrums Jülich für den nationalen Wasserstoffbedarf, so benötigt Berlin rund 9.000 Tonnen im Jahr 2025. Zur Erzeugung dieser Menge an grünem Wasserstoff wäre eine Elektrolyseleistung von zirka 170 MW notwendig. Führt man dieses Szenario fort, so ergibt sich für das Jahr 2030 schon ein Bedarf von 24.000 Tonnen.
Umbau des Gasnetzes
Der Aufbau der Berliner Wasserstoffinfrastruktur befindet sich aber noch im Anfangsstadium. Die NBB Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg, ein Unternehmen des Energieversorgers GASAG-Gruppe, hat dazu einen Fahrplan entwickelt, um das Gasnetz für den Transport von Wasserstoff umzurüsten. Mit beteiligt sind die Vattenfall Wärme Berlin AG, der Gasnetzbetreiber ONTRAS sowie das Land Berlin.
Bis 2030 soll ein Startnetz in Berlin entstehen, das große Berliner Netzanschlüsse mit Wasserstoff versorgt. Großverbraucher sind jene mit einer Nachfrage von mehr als 500 MW wie etwa die Heizkraftwerke von Vattenfall. Fast 50 Prozent des gesamten Berliner Gasverbrauchs soll durch Wasserstoff ersetzbar sein. In zwei weiteren Phasen soll dann kleineren Abnehmern der Wasserstoff zur Verfügung gestellt werden.
Die wichtigsten Trassen des Wasserstoff-Startnetzes werden zwei insgesamt 60 Kilometer lange Hochdruckleitungen bilden – eine im Westen und eine im Osten Berlins. Sie sollen den Wasserstoff an Übernahmestationen vom Ferngasnetzbetreiber ONTRAS übernehmen.
An diesen Plänen regt sich aber Kritik. „Wasserstoff wird das Erdgas nicht ersetzen können“, lautet die Kernaussage einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Technischen Universität Berlin. Wasserstoff zur Wärmegewinnung zu verbrennen sei aus energetischer Sicht nicht sinnvoll, da es zu hohen Umwandlungsverlusten kommt, monieren die Autoren der Studie. Stattdessen sollte Berlin auf Strom aus erneuerbaren Energien und Wärmepumpen setzen.
Wasserstoff made in Berlin
Davon unabhängig strecken Unternehmen bereits ihre Fühler aus, um Wasserstoff in der Hauptstadt zu produzieren. Das Hamburger Cleantech-Unternehmen HH2E AG hat beispielsweise einen Letter of Interest unterzeichnet, um im CleanTech Business Park in Marzahn–Hellersdorf einen Elektrolyseur zu errichten, der mit Hilfe von Erneuerbaren aus Brandenburg Grünen Wasserstoff produziert. Der erzeugte Wasserstoff kann im Verkehr, zur Erzeugung von Wärme oder als Ausgangsstoff für industrielle Produktion genutzt werden. Noch wird aber die Finanzierung des aufwändigen Projekts geprüft.
Marktplatz für Wasserstoff-Akteure
Um eine Übersicht über die in der Hauptstadtregion bestehenden oder geplanten Wasserstoffprojekte zu bekommen und Synergien zu ermöglichen, wurde ein digitaler Marktplatz für die Wasserstoff-Wirtschaft gegründet. Er steht allen Akteuren der regionalen Wasserstoffwirtschaft und -forschung offen. Die Sprecherin des Clusters Energietechnik Berlin-Brandenburg, Kathrin Goldammmer, zum Ziel des Marktplatzes: „So ein Instrument fehlte bislang und ist bundesweit einzigartig. Mit mehreren hundert Akteuren in ganz Ostdeutschland hat so ein Marktplatz hohes Potenzial, das Wachstum der Wasserstoffwirtschaft zu beschleunigen.“
Einer dieser Akteure sitzt auf dem EUREF-Campus in Schöneberg. Die H2 MOBILITY Deutschland GmbH & Co. KG entwickelt und betreibt Wasserstoff-Tankstellen. Das Unternehmen ist Europas größter Betreiber von öffentlichen Wasserstoffstationen. Ende letzten Jahres konnten Brennstoffzellenfahrzeuge an über 80 öffentlichen H2 MOBILITY Wasserstofftankstellen in Deutschland mit 700 bar tanken. An 15 Stationen war die Betankung mit 350 bar für Busse und Lkw möglich
Wasserstoff-Forschung in Berlin
In Berlin beschäftigen sich auch mehrere Forschungseinrichtungen mit dem Thema Wasserstoff. Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung untersucht Fragen der Sicherheit bei Erzeugung, Transport, Speicherung und beim Einsatz von Wasserstoff. Am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB) werden Materialien und integrierte Bauelemente für eine dezentrale Wasserstoffproduktion entwickelt. So forscht das HZB eta an neuartigen Stapelzellen auf der Basis von photovoltaischen Materialien.
Für die Erprobung von Wasserstoff im Schiffsverkehr haben sich im Projekt ELEKTRA die BEHALA Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft und die TU Berlin zusammengefunden, um ein von einer Brennstoffzelle angetriebenes Boot zu entwickeln.