W+M sprach mit dem Minister für Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus und Arbeit Mecklenburg-Vorpommers Reinhard Meyer über die wirtschaftliche Entwicklung im Land, das Thema Ansiedlungen, über die Beschleunigung von Verfahren in der Verwaltung, über Tourismus und fehlende Arbeitskräfte.
W+M: Herr Minister, wie geht es der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern?
Reinhard Meyer: Fragt man die Unternehmer im Land, wird die Situation allgemein als komplizierter eingeschätzt, als sie sich oft für das Unternehmen konkret darstellt. Wir haben eine große Zahl von Unternehmen, die eine sehr gut Auftragslage haben. Allerdings verspüren sie alle die Unsicherheiten beim Blick nach vorn, letztlich haben wir eine Inflation, hohe Energiepreise und andere Belastungen.
Nehmen sie die energieintensiven Unternehmen, hier sind die Sorgen groß. Wir verspüren aber auch viel Aufbruchstimmung, beispielsweise in der Gesundheitswirtschaft. Das ist ein in sich funktionierender Markt. Im verarbeitenden Gewerbe haben wir viele Unternehmen, denen es gut geht, wenn sie nicht von bestimmten Lieferketten abhängig sind. Die Tourismuswirtschaft hat sich stabilisiert und ist robust. Wir sind bei den Übernachtungszahlen über dem Niveau vom 2018, noch nicht beim Rekordjahr 2019, aber immerhin.
Bei der Beschäftigung sind wir ebenfalls sehr stabil. Mit einer Arbeitslosenquote von 7,6 Prozent(?) sind wir zwar nicht zufrieden, liegen aber weit entfernt von den Zahlen, die dieses Land schon erlebt hat.
Fazit: Die Situation ist optimistisch gemischt. Gerade die Unternehmen, die in zukunftsweisenden Geschäftsfeldern unterwegs sind, zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien, schauen positiv nach vorn.
W+M: 2022 drohte ein Krisenwinter. Wie stabil geht die MV-Wirtschaft in diesen Winter?
Reinhard Meyer: Der Bund geht nach wie vor davon aus, dass wir eine Menge tun müssen, um für den nächsten Winter eine Gasmangellage zu vermeiden. Wird der Winter wie der letzte, müssen wir uns nicht ganz so viel Sorgen machen, wird er allerdings deutlich kälter, könnten wir Probleme bekommen. Dann ist es auch egal, wie voll unsere Speicher im November sind.
Eine Netzentgeltreform ist uns wichtiger als ein Industriestrompreis
W+M: Wichtige Branchen sind sehr energieintensiv. Welche Lösungen kann es geben? Wie stehen Sie zum Thema Industriestrompreis?
Reinhard Meyer: Was den Industriestrompreis bzw. Brückenindustriestrompreis anbelangt, bin ich sehr skeptisch und sehe das ähnlich wie der Bundeskanzler. Man muss mir immer erklären, warum eine befristete Subvention zu welchem Zweck welchen tatsächlichen Nutzen hat. Was kommt denn nach einem befristeten Industriestrompreis? Hat sich die Situation dann stabilisiert oder verändert? Ich glaube das nicht, denn wir haben uns jahrelang auf dem günstigen Erdgaspreis ausgeruht und die Vorteile genossen. Jetzt sind wir auf das Normalpreisniveau im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern geraten und nun ist es ein großes Problem. Warum also dann der Industriestrompreis? Aus Sicht der MV-Wirtschaft wäre das kaum zu erklären, weil unsere Unternehmen davon kaum profitieren und es als Ungerechtigkeit empfinden, wenn andere größere Unternehmen oder Branchen subventioniert würden.
Für uns wäre eine Reform der Netzentgelte wichtiger, weil wir in MV ähnlich wie in Schleswig-Holstein oder Brandenburg die höchsten Strompreise zahlen. Es ist den Menschen wie den Unternehmen nicht zu vermitteln, für erneuerbare Energie zu werben und als Folge die höchsten Kosten dafür zu tragen. Auch die Verbände und die Kammern im Lande sind sich einig, dass die Netzentgeltreform wie auch die Stromsteuer wichtiger sind als der Industriestrompreis.
W+M: Bei der Netzentgeltreform gibt es beim Bund Bewegung. Wie ist der Stand?
Reinhard Meyer: Noch ist der Stand unbefriedigend, weil wir keine Lösung haben. Der Weg ist beschrieben. Es gibt eine Ermächtigung für die Bundesnetzagentur, eine solche Reform durchzuführen, was ich auch richtig finde. Sie ist die Regulierungsbehörde. Wenn dann im November die Reform verabschiedet werden kann, wird sie aber frühestens zum 01.04.2024 wirksam, gleichzeitig mit dem Auslaufen des Industriestrompreises. Wenn dann aber Bayern, Baden-Württemberg und Hessen dies als ungerecht empfinden, muss dem widersprochen werden, weil das bisherige System ungerecht ist. Es geht auch nicht um gleiche Netzentgelte. Es geht um marktwirtschaftlich orientierte Preise. Dort wo die Gestehungskosten gering sind, müssen auch die Netzentgelte am geringsten sein.
W+M: Gibt es weitere Anforderungen an die Bundesregierung für bessere Standortbedingungen?
Reinhard Meyer: Gerade für uns in MV, wo viel erneuerbare Energie produziert wird, finde wir es hochproblematisch, dass die bestehende Regulatorik dazu führt, dass Windräder sich nicht drehen, weil sie abgeriegelt werden. Dieser „Wegwerfstrom“ ist auch volkswirtschaftlich Unsinn. Die Nutzung des Stroms, der so nicht produziert werden kann, könnte für Power-to-head oder andere Speicher genutzt werden. Wir hätten großen Bedarf an Eigennutzung, beispielsweise für grüne Gewerbegebiete, die immer stärker nachgefragt werden.
Wir sind ein attraktiver Standort
W+M: Wie steht es um Großansiedlungen in MV?
Reinhard Meyer: Wir sind für ein attraktiver Standort. Das merken wir durch viele Investorengespräche. Die jüngste Ansiedlung von Birkenstock ist für besonders wichtig, weil das Unternehmen weit über die Region hinausstrahlt. Es aber auch ein gutes Beispiel für die regionale Entwicklung. Wir haben jahrelang versucht haben, die Grenzregion zu Polen und damit eine Metropolregion als Standortfaktor zu entwickeln. Auf unserer Seite hat es mit großen Ansiedlungen nie funktioniert. Nachdem sich aber TOPREGAL dort ansiedelte, kam nun noch Birkenstock in Pasewalk dazu und weitere Interessenten haben sich auch schon gemeldet.
Wir merken, dass der Standort „Kaikante“ aufgrund der Nachfrage nach Verfügbarkeit von Offshore-Windenergie und Wasserstoff nach wie vor am beliebtesten ist.
Ein weiterer Standort ist Lubmin. Da tat sich in der Vergangenheit wenig. Allerdings hat sich das innerhalb der letzten zwei Jahre grundlegend verändert, weil die Erwartungshaltung hinsichtlich der Anlandung grünen Stromes und der Produktion von Wasserstoff sehr hoch ist.
Für unsere maritime Wirtschaft ist es sehr wichtig, dass wir zum Beispiel die Produktion von Konverterplattformen am Standort Rostock hinbekommen.
Wir brauchen frischen Wind
W+M: Was sagen Sie zu diesem Vorwurf, dass Sie Teslas, Intel und Rheinmetall verpasst haben?
Reinhard Meyer: Man muss jeden Fall gesondert betrachten. Bei Tesla waren wir viel zu spät dran. Bei Intel waren wir mit Schwerin ganz weit vorn, aber die Entscheidung fiel für Magdeburg. Rheinmetall war ärgerlich, weil im Land schnell Stimmung gegen Rüstungsunternehmen gemacht wurde. Ungeachtet dessen werden wir uns auch künftig um die Ansiedlung von Wehrtechnik-Unternehmen bemühen. Aber wir haben auch verstanden, dass wir insgesamt zu wenig Industrieflächen haben, und nicht alle Erfahrungen mit den Umweltbehörden nur förderlich sind.
W+M: Hat das Auswirkungen auf die Ausrichtung der Wirtschaftsförderung im Land?
Reinhard Meyer: Wir brauchen frischen Wind. Wir müssen strukturell und strategisch überprüfen, wo wir bereits gut sind und wo wir noch besser werden können. Das beinhaltet insbesondere das Thema erneuerbare Energien und alles, was damit zu tun hat – von der Batteriefabrik bis hin zur Offshore-Windenergie. Wir sind überzeugt davon, dass wir genau den Strom produzieren, den viele Unternehmen haben wollen. Das ist ein Standortvorteil, den wir mehr nutzen werden. Wir planen aktuell Unternehmerreisen nach Norwegen und Schweden mit dem Schwerpunkt Energie. Hier sehen wir gute Chancen, die Zusammenarbeit zu vertiefen und auszubauen.
Transformation
W+M: Gibt es Unternehmen, die beispielhaft in Sachen Transformation unterwegs sind?
Reinhard Meyer: Es gibt da zwei sehr gute Beispiele. Die Firma APEX in Laage, die das Thema Wasserstoff bundesweit und darüber hinaus für sich definiert, da spürt man, das dort Zukunft entwickelt wird. Das zweite Beispiel für Transformation ist der Hafen Rostock.
W+M: Wie steht es um die Transformation der maritimen Wirtschaft?
Reinhard Meyer: Die maritime Wirtschaft gehört zum industriellen Kern unseres Landes. Wir verfügen hier über eine hohe Kompetenz. Nehmen Sie den Hafen Rostock. Von einem reinen Umschlaghafen noch im Jahr 2000 über einen Mischbetrieb, der von Industrieansiedlungen lebte, wird er nun zu einem Energiehafen, wo wir über Energieversorgung und Wasserstoffproduktion sprechen.
Die Insolvenz der MV-Werften haben wir gut bewältigt. Wenn wir bei den Konverterplattformen im Hafen Rostock erfolgreich sind, haben wir einen guten Strukturwandel in dieser Hinsicht hinbekommen. Die KMS (???) am Standort Wismar ist noch auf dem Weg. Dass die Global als Disney Adventure fertiggebaut wird, ist auch psychologisch sehr wichtig. Wir haben gleichzeitig mit der Firma Eppendorf am Standort Wismar einen Produzenten von Medizinprodukten gewonnen und das Marinearsenal in Rostock garantiert 500 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Die größten Sorgen haben wir noch am Standort Stralsund.
Da, wo maritime Wirtschaft Zukunft hat, geht es um flexiblere Produktionen, um Forschung und Innovation. Erwähnenswert ist hier das Ocean Technology Center in Rostock mit Fraunhofer und Leibniz-Instituten.
Bürokratie: Alles auf Europa zu schieben, ist eine Ausrede
W+M: Gibt es schon greifbare Fortschritte bei der Modernisierung der Verwaltung, um beispielsweise Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen?
Reinhard Meyer: Was mich seit Jahren umtreibt, ist die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Wir haben da auch kein Erkenntnisproblem mehr, dazu gab es in den vergangenen Jahren genügend Kommissionen u.ä.
Alles auf Europa zu schieben, wäre eine Ausrede. Wenn ich als Verkehrsminister erlebe, dass ein Swinetunnel von Swinemünde Richtung Kaiserbäder in Rekordzeit für deutsche Verhältnisse gebaut werden kann, dass aber von dänischer Seite alles viel schneller angepackt wird, dann ist Europa keine Ausrede, denn das passiert in Europa. Warum bekommen viele Nachbarländer Infrastrukturprojekte schneller hin als wir?
Wir brauchen dringend Beschleunigungsmöglichkeiten. Wenn wir ein LNG-Beschleunigungsgesetz verabschieden können, dann können wir das auch für Verkehrsprojekte. Die Bundesregierung hat sich auf den Weg gemacht, jetzt ist es aber an der Zeit, nicht mehr nur Papiere zu beschreiben und es Deutschlandpakt oder Deutschlandgeschwindigkeit zu nennen, sondern es umzusetzen und das auf breiter Front. Das erwarten die Menschen und auch die Wirtschaft. Dabei gibt es viele Sachen zu regeln, aber wenn wir schneller werden, werden wir auch Ressourcen sparen, die in der Verwaltung gebraucht werden. Mein Vorschlag an die Bundesregierung: Macht im Deutschen Bundestag in Abstimmung mit den Ländern eine Liste mit Projekten, die unter ein Beschleunigungsgesetz fallen. Mit dieser Legitimation des überragend öffentlichen Interesses nach dänischem Vorbild können wir viel Zeit sparen.
W+M: Und was ist in Ihrer Verwaltung konkret möglich?
Reinhard Meyer: Wir selbst sind zum Beispiel Planungs- und Genehmigungsbehörde für PV-Anlagen. Hier hatten wir einen großen Genehmigungsstau. Um dem zu begegnen, haben wir einen internen Behördenaustausch begonnen, der auf der Grundlage einer Genehmigungsfiktion die Partner aufforderte, innerhalb von vier Wochen sich einzubringen. Ansonsten gelte das Projekt als genehmigt. Diese Verfahrensweise hat viel bewegt. Es kam eine Priorität in die Bearbeitung, unkritische Anträge konnten schnell entschieden werden.
W+M: Wie ist ihre Position im Streit um das LNG-Terminal vor Rügen?
Reinhard Meyer: Es gibt die entsprechenden Anträge für die Pipeline von Mukran nach Lubmin und die von der Deutschen ReGas geplanten LNG-Terminals im Hafen von Mukran. Wir haben jetzt ein rechtsstaatliches Genehmigungsverfahren. Zuvor hatten wir zahlreiche Kommunikationsprobleme, für die der Bund verantwortlich war. Nach Prüfung der Alternativen zu Binz fiel die Entscheidung auf Mukran. Das befürworte ich sehr, weil wir diesem Hafen nach dem Ende des Russlandgeschäfts und der Anbindung an die Seidenstraße neu positionieren müssen.
W+M: Fachkräftegewinnung ist überall ein großes Thema. Hat MV-Ideen, die zur langfristigen Lösung beitragen können?
Reinhard Meyer: Uns fehlen ja nicht nur Fachkräfte, sondern generell Arbeitskräfte. Wir haben eine Studie bei Prognos in Auftrag gegeben, um die tatsächliche Situation in Regionen und Branchen zu ermitteln. Sie ist Grundlage unserer Fachkräftestrategien.
Mittlerweile haben viele Unternehmen begriffen, dass man neue Wege bei der Gewinnung von Arbeitskräften gehen muss. Einige haben es allerdings immer noch nicht verstanden und beklagen lediglich die Situation. Nur eines ist klar: Die Politik kann das Thema nicht für die Wirtschaft klären, das geht nur gemeinsam.
In den Fachkräftestrategien müssen wir alle Register ziehen. Wir konzentrieren uns auf Themen wie Ausbildung und Qualifizierung, wir bemühen uns um Pendler, um Menschen, die uns vor Jahren verlassen haben, aber familiär noch verwurzelt sind. Und wir brauchen Zuwanderung aus dem Ausland. An der erforderlichen Willkommenskultur müssen wir noch arbeiten.
Auch die Digitalisierung und der Einsatz Künstlicher Intelligenz werden uns helfen, aber die Herausforderungen nicht allein lösen.
Ostdeutschland
W+M: Mecklenburg-Vorpommern gehört zum Wirtschaftsraum Ostdeutschland, aber nicht nur?
Reinhard Meyer: Wir haben aufgrund unserer geografischen Lage eine gute Ausgangsposition. Wir liegen in der Mitte zwischen Berlin und Hamburg, Stettin und Kopenhagen/Malmö und hier liegen unsere Chancen. Die Metropolregionen Hamburg und Stettin nehmen an Bedeutung zu. Den Ostseeraum Richtung Skandinavien haben wir zu lange den Nachbarländern überlassen, das ändert sich jetzt.
Interview: Frank Nehring