Hohe Inflation, gestiegene Zinsen, eine schwache Auslandsnachfrage und Verunsicherung unter privaten Haushalten und Unternehmen belasten gegenwärtig die deutsche Wirtschaft. Nach der Herbstprognose des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2023 um 0,5% zurückgehen, für das kommende Jahr wird ein Zuwachs von 0,9% prognostiziert.
Die Weltwirtschaft verliert im Herbst 2023 weiter an Schwung. Die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe und der internationale Warenhandel stagnieren, seit der pandemiebedingte Nachfrageschub im vergangenen Jahr abgeebbt ist, und die zur Inflationsbekämpfung gestiegenen Leitzinsen verschlechtern das Investitionsklima. Dabei ist der Preisauftrieb noch stark genug, um die Konsumnachfrage vielerorts zu dämpfen. Die Leitzinsen werden bis weit ins Jahr 2024 hoch bleiben müssen, denn in Nordamerika und Europa herrscht weiter Arbeitsknappheit, weshalb der Lohnkostendruck auf die Preise länger anhalten wird. Die insgesamt restriktive Wirtschaftspolitik drückt insbesondere die europäische Konjunktur, welche zudem von der Unsicherheit belastet wird, die der russische Angriffskrieg mit sich bringt. Auch die chinesische Wirtschaft befindet sich im Abschwung. Dagegen profitiert die robuste US-Konjunktur von den dort günstigen Wachstumsbedingungen.
Die deutsche Wirtschaft ist im Abschwung. Die Realeinkommensverluste aufgrund der hohen Inflation und die Verunsicherung durch die Energiekrise hatten die privaten Haushalte im Winterhalbjahr dazu gebracht, ihren Konsum einzuschränken und ihn im zweiten Quartal nicht wieder auszuweiten. Das Verarbeitende Gewerbe leidet unter hohen Energiekosten und schwacher Auslandsnachfrage. Der Fachkräftemangel war bislang wohl ausschlaggebend dafür, dass auch die Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe ihre Beschäftigtenzahl sogar noch etwas ausgebaut haben. Damit ist aufgrund der pessimistischen Erwartungen für den Rest des Jahres nicht mehr zu rechnen. Die Investitionen in Bauten werden auch wegen der deutlich gestiegenen Finanzierungskosten deutlich sinken. Die Ausrüstungsinvestitionen bekommen dagegen von öffentlichen Ausgaben aus dem Sondervermögen Bundeswehr und von Abschreibungsmöglichkeiten aufgrund des Wachstumschancengesetzes einen kleinen Schub. Wichtiger ist, dass die höheren Energiepreise und der Umstieg auf Elektromobilität etliche Investitionen erzwingen werden. Zudem dürfte sich der private Konsum nach und nach etwas beleben, denn die real verfügbaren Einkommen werden mit sinkender Inflation langsam zunehmen. „Alles in allem dürfte die Produktion in Deutschland im dritten Quartal 2023 zurückgehen und in den Folgequartalen wieder moderat expandieren“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des IWH. Die Verbraucherpreisinflation bleibt wohl bis ins Jahr 2025 über dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB).
„Besonders hoch sind die konjunkturellen Risiken für die Bauwirtschaft“, sagt Holtemöller. Die Finanzierungskosten sind stark gestiegen, Vorleistungsgüter sind, trotz der jüngsten Preisrückgänge, deutlich teurer als noch vor wenigen Jahren, und die Produktivität am Bau hat einen fallenden Trend. „Der Wohnungsbau wird sich erst dann wieder erholen, wenn die Kosten so weit gefallen sind, dass sich die Erstellung von Wohnraum für Normalverdiener wieder rechnen kann. Es ist eine offene Frage, ob eine so starke Kostenreduktion unter den gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen überhaupt möglich ist“, so der Ökonom.
Die Langfassung der Prognose enthält drei Kästen:
Kasten 1: Rahmenbedingungen für die Prognose
Kasten 2: Zur jüngsten Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen
Kasten 3: Zur Schätzung des Produktionspotenzials
Langfassung:
Drygalla, Andrej; Exß, Franziska; Heinisch, Katja; Holtemöller, Oliver; Kämpfe, Martina; Kozyrev, Boris; Lindner, Axel; Mukherjee, Sukanya; Sardone, Alessandro; Schult, Christoph; Schultz, Birgit; Zeddies, Götz: Konjunktur aktuell: Deutschland weiter im Abschwung. IWH, Konjunktur aktuell, Jg. 11 (3), 2023. Halle (Saale) 2023.