Internationale Märkte: Großbritannien – Hohe Inflation, wenig Wachstum

Germany Trade and Invest (GTAI) erarbeitet regelmäßig Wirtschaftsausblicke für wichtige Märkte, die wir für die Leser von W+M veröffentlichen. Hier der Beitrag zu Großbritannien von Marc Lehnfeld aus London.

Die britische Wirtschaft kämpft mit einer hohen Inflation – der höchsten in allen G7-Ländern. Während die Leitzinsen kräftig steigen, rutscht die Wirtschaft in eine Stagnation.

Wirtschaftsentwicklung: Inflation und steigende Leitzinsen bremsen Wachstum

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erwartet, dass die Inflation in Großbritannien in diesem Jahr mit 6,9 Prozent so hoch ausfallen wird wie in keinem anderen G7-Land. Nach dem 42-Jahres-Hoch der Teuerungsrate von 11,1 Prozent im Oktober 2022 konnte sie bis in den Mai 2023 nur auf 8,7 Prozent abkühlen. Um die Inflation zu bekämpfen, hat die Bank of England Ende Juni 2023 den Leitzins um 0,5 Punkte auf 5 Prozent erhöht, der dreizehnte Zinsschritt seit etwa eineinhalb Jahren.

Für das Wirtschaftswachstum prognostiziert die OECD für das Königreich einen schwachen Realanstieg um 0,3 Prozent. Unter den anderen G7-Ländern ist das Land nur noch von Deutschland mit einem Nullwachstum untertroffen. Das britische Wachstumsproblem verschärft sich damit weiter. Zahlreiche Ökonomen rechnen damit, dass sich die Wirtschaft wohl erst 2025 von den Folgen des starken Coronaeinbruchs von 2020 erholen wird.

Sowohl Premierminister Rishi Sunak als auch Finanzminister Jeremy Hunt stehen hinter der Entscheidung der Nationalbank. Beide sehen die Inflationsbekämpfung als prioritär gegenüber weiteren Staatsausgaben, obwohl das härtere Finanzierungsbedingungen für den britischen Staat bedeutet. Einmal mehr fällt dieser als Impulsgeber für die Wirtschaft aus, weil Spielräume durch die hohe Staatsschuldenquote von über 100 Prozent und in Folge der teuren Corona-Interventionen fehlen. Eine expansive Fiskalpolitik würde den Bestrebungen der Nationalbank entgegenlaufen.

Eine Auktion für Staatsanleihen ergab am 5. Juli 2023 mit einem Anleihezins von 5,668 Prozent für einen zweijährigen Titel den höchsten staatlichen Schuldenzins seit 2007. Laut Berichten der Financial Times plant das Finanzministerium in diesem seit April begonnenen Haushaltsjahr umgerechnet rund 282 Milliarden Euro neue Schulden per Staatsanleihen aufzunehmen. Das sind fast drei Viertel mehr als im vergangenen Jahr.

Wachstumstreiber sind in diesem Jahr schwer zu finden. Während Privathaushalte und der Staat unter den hohen Zinsen leiden, bleibt allenfalls die Hoffnung, dass der Investitionsappetit bei Unternehmen gestiegen ist. Zwar leiden auch britische Firmen unter dem gestiegenen Zinsumfeld, profitieren aber andererseits von großzügigen Sonderabschreibungsmöglichkeiten (full expensing), die noch bis zum Ende des Haushaltsjahrs 2025/2026 gelten.

Wirtschaftliche Eckdaten des Vereinigten Königreichs

Indikator

2021 1)

2022 2)

Vergleichsdaten Deutschland

BIP (nominal, Mrd. Euro)

2.641,0

2.921,4

3.869,9

BIP pro Kopf (Euro)

39.214

43.094

46.182

Bevölkerung (Mio.)

67,4 3

67,8 3

83,4

1 Bundesbank-Wechselkurs 2021: 1 Euro = 0,85960 Pfund-Sterling (£); 2 2022: 1 Euro = 0,85276 £; 3 Schätzung.Quelle: Office for National Statistics (ONS) 2023; Statistisches Bundesamt 2023

Konsum: Sinkende Reallöhne und teure Immobilienkredite

Die hohe Inflation belastet die britische Konsumlaune weiterhin. Zwar nehmen die hohen Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln ab, die Kerninflation ist aber im Mai wieder auf 7,1 Prozent gestiegen. Die Reallöhne fallen schon seit April 2022, zuletzt um 1,2 Prozent zwischen März und Mai 2023. Zur sinkenden Laune tragen außerdem die gestiegenen Finanzierungskosten für Immobilien bei. Der durchschnittliche Zins für eine im Königreich übliche Bindungsdauer von zwei beziehungsweise fünf Jahren betrug Anfang Juli 2023 mit 6,66 Prozent bzw. 6,17 Prozent etwa das Doppelte im Vergleich zum Vorjahr.

Der GfK-Konsumklimaindex verhält sich dagegen atypisch und steigt seit Januar 2023 kontinuierlich an, auch weil die Verbraucher ihre finanzielle Situation in den nächsten 12 Monaten besser einschätzen. Dass davon aber der Einzelhandel (noch) nicht profitiert, zeigt einerseits die hohe Sparrate und der Rückgang des Umsatzes im Einzelhandel um 3,1 Prozent von März bis Mai 2023 gegenüber der Vorjahresperiode.

Investitionen: Staatliche Unterstützung fördert Investitionen

Die britischen Unternehmensinvestitionen haben ihre Schwäche aus der Zeit der Coronapandemie überwunden.  Im 1. Quartal 2023 legten sie gegenüber dem Vorquartal real kräftig um 3,3 Prozent zu. Die Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien, Maschinen und Anlagen stiegen sogar um 20,8 Prozent und belegten den Endspurt der staatlichen Sonderabschreibung „Super Deduction“, die im März 2023 endete. Mit dem „Full Expensing“ läuft bereits eine neue umfangreiche Abschreibungsmöglichkeit. Allerdings stieg auch die Besteuerung von Unternehmensgewinnen ab 250.000 Pfund von 19 auf 25 Prozent. Die Ökonomen der British Chamber of Commerce prognostizieren ein Investitionswachstum der gewerblichen Wirtschaft 2023 um 1,3 Prozent.

Deutlich sichtbar kämpft die britische Bauwirtschaft mit der Inflation und den gestiegenen Zinsen. Die Construction Products Association erwartet für 2023 einen Rückgang der Bauleistung um 6,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Grund dafür sind vor allem der starke Einbruch um 17 Prozent im wichtigen Wohnungsbausegment, aber auch weniger Renovierungsprojekte und Verzögerungen bei wichtigen Infrastrukturprojekten.

Ausgewählte Großprojekte im Vereinigten Königreich

Projektbezeichnung

Investitionssumme (Mrd. Euro)*

Projektstand

Projektträger/Anmerkungen

Schienenprojekt Highspeed Rail 2 in zwei Phasen (HS2: Phase 1: London-Birmingham; Phase 2: von Birmingham in den Norden)

109,0

Phase 1: Bauarbeiten laufen; Phase 2a: Vorarbeiten laufen; geplante Inbetriebnahmen der Phasen 1 und 2a: 2029 bis 2033; Phase 2b: 2035 bis 2041 HS2 Ltd
Atomkraftwerk Hinkley Point C in Somerset (3,2 Gigawatt)

36,4

Bauarbeiten laufen seit 2016; geplante Inbetriebnahme: 2026 EDF Energy
Atomkraftwerk Sizewell C, in Suffolk, Südostengland (3,2 Gigawatt)

23,0

Genehmigung zur Entwicklung im Juli 2022 erhalten; geplanter Baustart: 2024 Joint Venture: EDF Energy und britische Regierung
Doggerbank A, B und C Offshore Windpark, (3,6 Gigawatt)

10,3

Im Bau; geplante Fertigstellung: 2026 Dogger Bank Wind Farm A, B und C (Joint Venture: Equinor, SSE Renewables und Vårgrønn)
Palace of Westminster Restauration and Renewable Programme, (britisches Parlament)

6,9

Im Planungsstadium; weitere Überprüfungen laufen Restauration und Erneuerungsprogramm der unter Denkmalschutz stehenden 150-Jahre alten Gebäude
East Anglia Hub Offshore Windpark, East Anglia One North, East Anglia Two und East Anglia Three (3,1 Gigawatt)

11,4

Im Bau; geplante Fertigstellung: 2026 ScottishPower Renewables (Tochter von Iberdrola Group, Spanien); Zulieferer: Siemens Gamesa
Abwasserkanal Thames Tidewell Tunnel, in London (25 Kilometer)

5,6

Im Bau; geplante Fertigstellung: 2025 Bazalgette Tunnel Ltd
Neugestaltung „Canada Water“ im Londoner Stadtteil Southwark, Südostlondon; Geschäfte und 3.000 Wohnungen

4,7

Im Bau; Dauer bis zur Fertigstellung: 10 bis 13 Jahre Joint Venture: The British Land Company Plc; AustralianSuper Pty Ltd
U-Bahn Erweiterung London (Bakerloo Line), von Elephant & Castle nach Lewisham sowie Bau von zwei Stationen

3,4

Gespräche über Finanzierung laufen Transport for London
Green Lithium Refinery; PD Ports, Teesside

0,684

Geplante Fertigstellung: 2025 Green Lithium Refining Ltd. Bau einer neuen Raffinerie. Die Anlage soll jährlich zirka 50.000 Tonnen kohlenstoffarme Lithiumchemikalien in Batteriequalität herstellen
LionLink Mehrzweck-Interkonnektor (1,8 Gigawatt)

k. A.

In Planung Projektpartner: TenneT und National Grid Ventures. Das Unterseestromkabel soll Großbritannien die Niederlande sowie gleichzeitig Offshore-Windparks verbinden
* Umrechnung anhand des Tageswechselkurses der Deutschen Bundesbank vom 11. April 2023: 1 Euro = 0,87738 Pfund-Sterling (£)Quelle: Pressemeldungen; Recherchen von Germany Trade & Invest 2023

Außenhandel: Deutschland zu Jahresbeginn wichtigstes Lieferland

Im ersten Jahresdrittel hat sich das britische Außenhandelssaldo verbessert. Weil die Exporte nominal um knapp 12 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode stiegen und die Importe um mehr als 7 Prozent sanken, verringerte sich das Defizit um fast ein Drittel. Das liegt vor allem am stark gefallenen Saldo im Handel mit Nicht-EU-Ländern, während der Warenaustausch mit der EU eher konstant geblieben ist.

Deutschland konnte im gleichen Zeitraum China als wichtigstes Herkunftsland britischer Einfuhren ablösen. Dennoch war der Import aus beiden Ländern rückläufig. Die Einfuhren aus der Bundesrepublik sind um 1,6 Prozent nominal weniger gefallen als aus China mit einem deutlichen Rückgang um fast 19 Prozent. Importe aus Deutschland schwächeln bei chemischen Erzeugnissen, vor allem bei Pharma und Pkw. Dafür legten die Industriemaschinenlieferungen aus der Bundesrepublik überdurchschnittlich zu. Bei den Einfuhren aus China schwächelt das dominierende Segment der Elektromaschinen. Andererseits profitiert die Volksrepublik von starken Zahlen bei der Registrierung von Elektroautos im Königreich, die den chinesischen Anteil an den Autoimporten auf 12,5 Prozent fast verdoppeln.

Warenaußenhandel des Vereinigten Königreichs (in Milliarden Euro; nominale Veränderung in Prozent) 1)

2021 2)

2022 3)

Veränderung 2022/2021 4)

Importe

573,3

755,9

30,8

Exporte

376,4

485,6

28,0

1 saisonbereinigt; 2 Deutsche Bundesbank-Wechselkurs 2021: 1 Euro = 0,85960 GBP (£); 3 2022: 1 Euro = 0,85276 GBP; 4 Veränderung auf Basis der LandeswährungQuelle: Office for National Statistics 2023