Sonntag, Dezember 22, 2024

Dietmar Woidke: „Wir betreiben aktive Industriepolitik“

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke spricht im Interview mit Wirtschaft+Markt über die Bedeutung der Tesla-Fabrik für Brandenburg, die Kooperation der ostdeutschen Bundesländer und Wege zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren.

W+M: Herr Ministerpräsident, wir führen dieses Interview in den Räumlichkeiten der Tesla-Gigafactory in Grünheide. Da liegt die Frage nahe: Welche Bedeutung hat Tesla für die Wirtschaft in Brandenburg?

Dietmar Woidke: Dank der Ansiedlung von Tesla in Grünheide ist das Interesse am Standort Brandenburg und an Ostdeutschland insgesamt weltweit gestiegen. Auf meiner USA-Reise hat mich beispielsweise der Vice-President des Flugzeug-Herstellers Lockheed Martin explizit gefragt, wie wir es geschafft haben, die Tesla-Fabrik in 861 Tagen zu verwirklichen. In Texas oder Kalifornien wäre dies seiner Ansicht nach nicht möglich gewesen. Und das in Deutschland, das international nicht besonders bekannt ist für Genehmigungsgeschwindigkeit und pragmatische Lösungen. Tesla ist die wichtigste Investition in Brandenburg seit Jahrzehnten und die größte private Investition in Deutschland der letzten Jahre. Infolge dieser Ansiedlung bekommen wir nun eine Vielzahl von Investitionsanfragen. Für uns gibt eine Zeit vor Tesla und eine Zeit mit Tesla.

Brandenburgs MP Dietmar Woidke, Regierungssprecher Florian Engels im im Gespräch mit W+M. Foto: Tesla/W+M

W+M: Was kennzeichnet die Zeit mit Tesla?

Dietmar Woidke: Wir haben es geschafft, Wertschöpfungsketten ins Land zu bekommen, etwa bei der Elektromobilität. Brandenburg ist auf einem guten Weg, das Bundesland in Deutschland zu werden, das für klimaneutrale Mobilität steht. Dazu gehört die Tesla-Gigafactory, aber beispielsweise auch das geplante Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn in Cottbus, in dem bis 2026 1.200 neue Arbeitsplätze entstehen werden. Darüber hinaus zählen dazu die Investitionen der BASF zur Produktion von Kathodenmaterialen in Schwarzheide. Und das kanadische Unternehmen Rock Tech Lithium wird in Guben Lithiumhydroxid als Grundmaterial für die Kathodenproduktion herstellen und hat dafür bereits einen Liefervertrag mit Mercedes-Benz unterzeichnet.

W+M: Worauf gründen diese Erfolge der Brandenburger Wirtschaftspolitik?

Dietmar Woidke: Wir haben gute Rahmenbedingungen für solche Industrieansiedlungen geschaffen. Da ist zum einen der hervorragende Ausbaustand bei den erneuerbaren Energien. Ebenso wichtig ist es, über gut erschlossene Investitionsstandorte zu verfügen. Dass in Grünheide das Industriegebiet baurechtlich gut vorbereitet war, hat die große Geschwindigkeit bei der Genehmigung der Gigafactory überhaupt erst möglich gemacht. Daran werden wir uns in Deutschland insgesamt künftig orientieren müssen, wenn wir Technologieunternehmen ins Land holen wollen. Diese Unternehmen besitzen einen Technologievorsprung und diesen wollen sie innerhalb eines knapp bemessenen Zeitfensters an den Markt bringen. Deshalb ist die Geschwindigkeit so bedeutend. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verfügbarkeit von Fachkräften.

Auch da sind wir in Ostdeutschland noch gut aufgestellt.

W+M: Lassen sich diese Erfolge in der Zukunft fortsetzen?

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Foto: Tesla/W+M

Dietmar Woidke: Wir haben gezeigt, dass wir hungrig sind nach Industrieansiedlungen. Deshalb macht Brandenburg aktive Industriepolitik. Das ist der Kern unserer Wirtschaftspolitik. Auch Deutschland ist gut beraten, sich nicht zurückzulehnen, sondern Voraussetzungen in Politik und Verwaltungen zu schaffen, um den Industriestandort Deutschland zu stärken und so unseren Wohlstand zu sichern.

W+M: Wo sehen Sie denn die weiteren Wachstumspotenziale Brandenburgs?

Dietmar Woidke: Da sind die Themen Mobilität, erneuerbare Energien, Batterieproduktion und Speichertechnologien zu nennen. Das ist der Nukleus, an dem sich weitere Potenziale anschließen. Beispielsweise CHESCO – das Zentrum zur Erforschung hybrid-elektrischer und elektrischer Systeme für den Mobilitätssektor. Hier forscht die BTU Cottbus-Senftenberg gemeinsam mit Unternehmen wie Rolls-Royce an der nächsten Generation von Antrieben für die Mobilität von Morgen. In Schwedt verfolgen wir die Idee, die PCK-Raffinerie zur Produktion von klimaneutralem Kerosin umzubauen. Die neueste Generation von Flugzeugen kann bereits solche synthetischen Kraftstoffe verarbeiten. Das Energieunternehmen LEAG plant auf den Sanierungs- und Tagebauflächen des Braunkohlereviers in der Lausitz eine GigawattFactory mit einer Leistung von sieben Gigawatt aus Windenergie und Photovoltaik. Das entspräche der Leistung von zwei Kraftwerken Jänschwalde plus eines zusätzlichen Gigawatt. Die Energiewirtschaft wird die Schlüsselindustrie für Brandenburg bleiben.

W+M: Welche spannenden Projekte sehen Sie jenseits der Energiewirtschaft?

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Foto: Tesla/W+M

Dietmar Woidke: Ein ganz wichtiges Vorhaben ist der Aufbau der Universitätsmedizin Lausitz. Dies ist eines der größten Projekte bei der Strukturentwicklung Lausitz mit Zukunftsthemen wie etwa der Digitalmedizin, bei der übrigens Brandenburg und Sachsen grenzüberschreitend zusammenarbeiten.

W+M: Wie wichtig ist eine solche Kooperation mit anderen ostdeutschen Bundesländern?

Dietmar Woidke: Wir pflegen gleichermaßen eine gute Kooperation und eine gesunde Konkurrenz. Insgesamt verbindet die ostdeutschen Länder sehr viel. Wir stehen als ostdeutsche Bundesländer zusammen etwa beim Strukturstärkungsgesetz oder dem Infrastrukturausbau in Ostdeutschland wie beispielsweise dem Aufbau eines Wasserstoffnetzwerkes.

W+M: Welche Rolle spielt dabei das besondere Verhältnis zwischen Brandenburg und Berlin und wie geht es nach dem vermutlich anstehenden Regierungswechsel in Berlin weiter in der Zusammenarbeit?

Dietmar Woidke: Wenn Sie allein die Frequenz der gemeinsamen Sitzungen beider Regierungskabinette von Brandenburg und Berlin betrachten, dann werden sie feststellen, wie positiv sich die Kooperation entwickelt hat. Wir haben allein in den letzten zwölf Monaten zwei gemeinsame Kabinettssitzungen abgehalten. Früher traf man sich vielleicht im Abstand von zwei Jahren zu solchen Zusammenkünften. Heute haben wir alle verstanden, dass wir in einer sehr dynamischen Zeit leben und uns laufend eng abstimmen müssen, denn keines unserer Länder kann die großen Herausforderungen der Zukunft alleine lösen. Da geht es um Fragen der Zugverbindungen zwischen den Bundesländern, der Gesundheitswirtschaft, des Wasserverbrauchs – Berlin ist schließlich als Stadt innerhalb Brandenburgs der größte Verbraucher von Wasser -, um die Zukunft des Wohnungsmarktes, aber auch um den Erhalt von Landschaft und Natur. Ich gehe davon aus, dass sich diese Entwicklung auch mit der neuen Berliner Landesregierung fortsetzen wird.

W+M: Kommt der dynamische wirtschaftliche Aufschwung, von dem Sie sprechen, denn allen Brandenburger Regionen gleichermaßen zugute?

Dietmar Woidke: Wir haben natürlich punktuelle Unterschiede, aber ich plädiere dafür, regionale Entwicklungen über einen längeren Zeitraum zu betrachten. Beispiel Lausitz: Das Strukturstärkungsgesetz hat einen nachhaltigen Impuls für die Lausitz gesetzt. Ich erinnere daran, dass die Lausitz vor drei Jahren noch als eine Region im Niedergang beschrieben wurde, in der die letzten 7.000 industriellen Arbeitsplätze verloren gehen. Heute haben wir eine Region im Aufbruch und wir suchen händeringend Fachkräfte für die neuen Arbeitsplätze. Sicher gibt es einen gewissen Neid hinsichtlich der Mittel, die nun in die Lausitz fließen. Aber das Geld aus dem Bundeshaushalt steht uns zusätzlich zur Verfügung und wird nirgendwo weggenommen. Auch die Prignitz im Nordwesten macht gute Fortschritte an der Schnittstelle zwischen Hamburg und Berlin. Und in der Uckermark werden bei einem der wichtigsten Arbeitgeber, dem PCK in Schwedt, mittel- und langfristig neue Produkte gefertigt werden. Unsere Aufgabe ist es, alle Regionen gut zu entwickeln

W+M: Die PCK in Schwedt hat allerdings bundesweit Schlagzeilen gemacht als Beispiel für eine einseitige Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. Wie beurteilen Sie diese Abhängigkeit aus heutiger Sicht?

Dietmar Woidke: Wir hatten uns deutschlandweit an billige Energie gewöhnt und darüber vieles vernachlässigt, etwa gute Rahmenbedingungen für den Ausbau erneuerbarer Energien zu schaffen. Die weitgehende Unabhängigkeit im Energiebereich muss unser Ziel sein. Das heißt nicht, dass wir hundert Prozent unseres Energiebedarfs selber produzieren müssen, aber 70-80 Prozent sollten wir anstreben. Deshalb müssen wir schneller beim Ausbau der erneuerbaren Energien vorankommen und regionale Wertschöpfungsketten mit erneuerbaren Energien schaffen.

W+M: Das geschieht bisher nicht überall in Deutschland…

Dietmar Woidke: Wir brauchen Akzeptanz in der Bevölkerung zum Beispiel für den Ausbau der Windkraft. Die werden wir nicht erreichen, wenn wir wegen der Netzentgeltproblematik trotz hohem Ausbaustand bei den Erneuerbaren weiter die höchsten Strompreise zahlen. Wir dürfen nicht mehr ewig diskutieren, sondern müssen Entscheidungen treffen, sonst scheitert die Energiewende. Wenn die Bundesländer im Süden nicht mehr aus dem Norden mit klimaneutralem Strom versorgt werden, sondern selbst für erneuerbare Energien sorgen müssen, wird sich vielleicht auch manches Verhalten in den süddeutschen Ländern ändern.

W+M: Fordern Sie die so genannte Tesla-Geschwindigkeit für alle Entscheidungsprozesse in Deutschland und sehen Sie diesbezüglich Fortschritte?

Dietmar Woidke: Da muss man mit Ernüchterung feststellen, dass wir immer noch auf dem Stand von vor drei Jahren sind. Deshalb brauchen wir eine Revolution der Genehmigungsverfahren in den Zukunftsbereichen wie Erzeugung, Ausbau und Nutzung der erneuerbaren Energien und bei der Transformation der Industrie. Wenn die Verfahren weiter so lange dauern, verlieren wir auch Fachkräfte in der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung.

W+M: Welche Lösungsvorschläge haben Sie?

Dietmar Woidke: Mein Vorschlag: Es gibt nur noch eine Instanz für den Klageweg bei Themen wie Mobilität und Energie. Das spart uns sechs bis zehn Jahre bei den Verfahrenszeiten. Es muss nur der Mut vorhanden sein, das durchzusetzen, wie es etwa bei der Verkehrswegeplanung nach 1990 möglich war. Wir reden deshalb mit der Bundesregierung über die Verfahrensbeschleunigung. Sonst werden wir die Herausforderungen des Klimaschutzes nicht bewältigen können.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke mit W+M-Verleger Frank Nehring und Tesla-Werksleiter Andre Thierig. Foto: Tesla/W+M

Interview: Frank Nehring/Matthias Salm

 

 

 

 

 

 

 

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