Ostdeutscher Tourismus: Zurück aus dem tiefen Tal – Teil 1/3 – Berlin und Brandenburg
Kaum eine Branche wurde von der Corona-Pandemie schwerer gebeutelt als die Tourismuswirtschaft. Nicht nur die Besucherzahlen brachen ein, auch viele Arbeitskräfte verließen dauerhaft die touristischen Berufe. Nun kehren die Tourismusbetriebe langsam aus dem tiefen Tal zurück. W+M veröffentlicht den Tourismusreport in drei Folgen. Von Matthias Salm.
24.04.2023
Teil 1: Berlin: Die Rückkehr der Kongresse/Brandenburg: Tagestouristen beflügeln das Geschäft
02.05.2023
Teil 2: Sachsen: Masterplan soll Branche weiterentwickeln/Thüringen: Neue Förderanreize für den Tourismus
09.05.2023
Teil 3: Mecklenburg-Vorpommern: Zweitbeliebtestes innerdeutsches Reiseziel/ Sachsen-Anhalt: Weltkulturerbe als Highlight
TEIL 1 – Berlin und Brandenburg
„Der Tourismus ist zurück in Ostdeutschland“, vermeldete das Sparkassen-Tourismusbarometer des Ostdeutschen Sparkassenverbands (OSV) als frohe Botschaft anlässlich der Internationalen Tourismusbörse in Berlin. Vom Boomjahr 2019 ist die Branche zwischen Ostsee und Erzgebirge noch einiges entfernt, aber das Niveau von 2017 ist mittlerweile wieder erreicht. Dementsprechend optimistisch blickt die Branche in die Zukunft. 60 Prozent der im OSV-Tourismusbarometer befragten Touristiker in Ostdeutschland waren mit den bisherigen Buchungen zufrieden oder gar sehr zufrieden, über 80 Prozent erwarten eine Sommersaison 2023 auf dem Niveau von 2019 oder gar darüber.
Auch die Situation am touristischen Arbeitsmarkt entspannte sich leicht. Im ostdeutschem Beherbergungsgewerbe arbeiteten 2022 allerdings immer noch 4,4 Prozent weniger sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigte als 2017. Gut ausgebildete Fachkräfte fehlen nach wie vor und die Zahl der Ausbildungsstellen im Gastgewerbe verringerte sich seit 2017 um 25 Prozent. Dennoch blieb im letzten Jahr jede fünfte Ausbildungsstelle unbesetzt.
In der ostdeutsche Freizeitwirtschaft stiegen die Besucherzahlen 2022 um 56 Prozent. In Sachsen und Brandenburg erholte sich die Branche besonders stark, in Thüringen bleibt Nachholbedarf. Museen/Ausstellungen (+ 91,3 Prozent) und Spaßbäder/Thermen (+ 91,5 Prozent) zählten zu den Gewinnern. Gegenüber 2019 ist der Aufholprozess aber noch nicht abgeschlossen. Die Besucherzahlen der Freizeiteinrichtungen liegen in Ostdeutschland immer noch mehr als 16,0 Prozent unter dem Niveau von 2019 und auch unter dem bundesweiten Durchschnitt.
Berlin: Rückkehr der Kongresse
In einem ist sich Burkhard Kieker, Geschäftsführer der Tourismusgesellschaft Visit Berlin, sicher: „Was wir nicht wollen, sind stag parties, also Junggesellenabschiede oder Junggesellinnenabschiede.“ In Berlin stehen andere Zielgruppen im Fokus der Touristiker: Qualitätsreisen und nachhaltiger Tourismus sollen die Berliner Tourismuswirtschaft in den kommenden Jahren ankurbeln. „Es kommt darauf an, dass die richtigen Leute kommen, dass auch kaufkräftige Leute kommen. Leute, die zu unserer Stadt passen“, formuliert Kieker das Ziel.
Nach den schweren Zeiten der Corona-Pandemie kehrte in den Berliner Tourismus 2022 Normalität zurück. Noch sind die guten Zeiten nicht wieder erreicht, aber die Stadt zählte immerhin laut Landesamt für Statistik Berlin-Brandenburg 26,5 Millionen Übernachtungen und 10,4 Millionen Gäste. Das Vor-Corona-Niveau ist damit zumindest zu 78 respektive 75 Prozent wieder erreicht. Die touristischen Attraktionen der Hauptstadt verzeichneten 2022 rund 80 Prozent der Gästezahlen von 2019. 38 Prozent der Berlin-Gäste reiste aus dem Ausland in die Hauptstadt. Erstmals waren die USA Top-Auslandsmarkt vor Großbritannien, den Niederlanden und Spanien. Eine Schwachstelle bleiben die Besucherzahlen aus dem asiatischen Markt.
Wichtig für die Hauptstadt Berlin ist vor allem die Rückkehr auf die Bühne der Kongressstädte. Die B2B-Veranstaltungen und Kongresse, vor allem aus dem Bereich Medizin – wie der Weltkongress der Internationalen Gesellschaft für Herzforschung oder der World Health Summit –, lockten in großer Zahl wieder Fachbesucher nach Berlin.
Die scheidende Landesregierung legte in Person des Wirtschaftssenators Stephan Schwarz noch ihren Wunschzettel für die Berliner Tourismuswirtschaft vor: „Es ist unbedingt notwendig, die Anbindung Berlins an die internationalen Verkehrswege weiter auszubauen“, fordert Schwarz. „Das gilt sowohl für die Schiene, mit mehr Verbindungen innerhalb von Deutschland und in die europäischen Nachbarländer, insbesondere nach Osteuropa und im Netz der Nachtzüge, als auch für den weiteren Ausbau von Direktverbindungen auf der Lang- und Mittelstrecke vom Flughafen BER.“
Für 2023 wirbt Berlin mit Event-Klassikern wie dem Karneval der Kulturen, dem Berlin-Marathon oder dem Christopher Street Day, vor allem aber mit den Special Olympics World Games, der größten internationalen inklusiven Sportveranstaltung. Für Kunstfreunde stehen zwei Ausstellungen zum Leben und Werk von Edvard Munch in Berlin und dem benachbarten Potsdam auf dem Programm. Bis Mai 2023 wird zudem das westliche Kopfgebäude und der Tower des Flughafens Tempelhof umfassend saniert und zu einem neuen Informations- und Veranstaltungsort mit lohnenswertem Ausblick umgestaltet.
Brandenburg: Tagestouristen beflügeln das Geschäft
In den Brandenburger Beherbergungsbetrieben zählte das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2022 insgesamt 4,8 Millionen Gäste mit rund 13,5 Millionen Übernachtungen. Das waren 33,8 Prozent mehr Übernachtungen als 2021. Im Vergleich zu 2019 fehlen 3,2 Prozent bei den Übernachtungszahlen. 4,4 Millionen Gäste aus dem Inland mit 12,5 Millionen Übernachtungen verbrachten durchschnittlich 2,8 Tage im Land Brandenburg. Die 368.000 Gäste aus dem Ausland mit 972 000 Übernachtungen blieben im Durchschnitt 2,6 Tage.
Brandenburgs Wirtschaftsstaatssekretär Hendrik Fischer sieht den Tourismus fast zu alter Stärke zurückgekehrt. „Die Zahlen deuten auf eine überraschend schnelle Erholung der Branche hin. Die Nachfrage ist da, der Nachholbedarf bei unseren Gästen war enorm.“ Der Wohnmobil-Boom während der Pandemie sorgte vor allem in der Campingbranche mit rund 1,47 Millionen Übernachtungen sogar für ein Rekordjahr. Auch Ferienzentren, Ferienhäuser und Ferienwohnungen meldeten eine hohe Nachfrage. Enttäuschend blieb dagegen der Sektor Geschäftsreisen. Wirtschaftsstaatssekretär Hendrik Fischer erkennt hier einen langfristigen Trend: „Der Bereich steht mit den neuen, noch stärker digitalisierten Arbeitswelten sicher auch dauerhaft vor den größten Herausforderungen.“
Besonders gut hat sich der Tourismus im Spreewald, im Dahme-Seenland, im Lausitzer Seenland, aber auch in der Prignitz erholt. Hier liegen die Zahlen bereits wieder über denen von 2019. Touristischer Magnet in Brandenburg bleibt der Spreewald als Region mit den meisten Übernachtungen. Hingegen hat sich die Landeshauptstadt Potsdam vom Corona-Schock noch nicht wieder gänzlich erholt.
Nur rund ein Viertel seines touristischen Umsatzes erzielt Brandenburg mit Übernachtungen, mehr als die Hälfte entfällt dagegen auf den Tagestourismus. Damit liegt Brandenburg im Trend. Laut OSV-Tourismusbarometer besuchten rund 460 Millionen Tagesreisende 2022 Ausflugsziele in Ostdeutschland und somit rund neun Prozent mehr als im Vorjahr. Gastronomie, Einzelhandels- und Dienstleistungsbereich erwirtschafteten mehr als elf Milliarden Euro Umsatz und damit eine ähnliche Größenordnung wie aus dem Übernachtungstourismus.
Für 2023 hat die TMB Tourismus-Marketing Brandenburg die Gartenlandschaften zum Jahresthema gemacht. Gemeinsam mit den zwölf Reiseregionen des Landes werden zwölf Gartentouren konzipiert. Bei den Veranstaltungen stehen 60 Jahre Choriner Musiksommer, das Feel Festival am Bergheider See im Lausitzer Seenland, die Potsdamer Schlössernacht und die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci 2023 im Mittelpunkt.