Eine Immobilie für alle Fälle: Warum die Zeit reif ist für mehr Hybrid-Immobilien

Die Zeiten konstanter Aufwärtsbewegungen am Immobilienmarkt sind vorbei. Unsicherheit bestimmt den Markt, denn seit mehreren Jahren wird die Immobilienbranche von diversen exogenen Schocks durchgeschüttelt: Corona, Home-Office-Trend, Materialmangel, Materialpreissteigerungen, Fachkräftemangel, steigende Zinsen, anziehende Energiepreise, etc. Dazu kommen politische und gesellschaftliche Wünsche an die Immobilienbranche: Mehr Wohnungen in Metropolregionen, Klimaneutralität, nachhaltige Bauweise und nachhaltiger Betrieb, Büros im Social-Design, die Mehr an Wohnzimmer erinnern als an Büros, Möglichkeit zum hybriden Arbeiten und nicht zuletzt preiswerte Mieten. Ein Beitrag von Thomas Graf.

Bisher war es strategisch sinnvoll, eine Immobilie auf eine Nutzungsform auszurichten: effiziente Planung, unkomplizierter Bau und wenig Aufwand, um die Immobilie auszulasten. Ob diese Strategie Zukunft hat, ist fraglich. Prognosen über die Marktentwicklung und künftige Bedarfe an einem bestimmten Standort sind weitaus schwieriger geworden. Zudem sind Wohnen und Arbeiten nach Corona näher zusammengerückt. Die Wohnung ist teilweise zum Büro geworden. Im Gegenzug werden Büros aufgewertet und bieten teils wohnungsähnlichen Komfort, um die Mitarbeiter wieder zurückzuholen – oftmals mit Ergänzungen um besondere „Bonbons“, wie Sport- oder Gastronomieangebote.

Da ist der Schritt nicht weit, gleich beide Nutzungen in einem Gebäude gemeinsam zu ermöglichen. Ergänzt um Einzelhandel, Arztpraxen, Gastronomie und Freizeitangebote wird das Gebäude oder ein Gebäudeensemble zu einer eigenen kleinen Stadt in der Stadt. Das vielfältige Angebot verbunden mit kurzen Wegen ist ein starker Mehrwert. Er steigert die Zufriedenheit der Nutzer und ermöglicht so langfristig höhere Mieten.

In Schönefeld haben wir gerade unseren BB Business Hub von 19.000 m2 auf 35.000 m2 erweitert. Das neue Gebäude beherbergt neben flexibel ausbaubaren Büros auch eine 600 m2 große Gastro-Area, Ladepunkte für E-Autos und E-Bikes, Campus-WLAN, eine Paketstation, Wäscheservice und Duschmöglichkeiten. Über eine Mieter-App können die Angebote individuell gebucht werden und alle Nutzer untereinander in Kontakt treten, beispielsweise um sich für gemeinsame Lauf-Gruppen zu verabreden. Ein derart vielseitiges Angebot ist in Schönefeld einzigartig.

Klar ist, dass diese Hybrid- oder Mixed-Use-Immobilien in der Planung oder im Bau mehr Aufwand bedeuten. Aber sie bieten im Laufe ihrer Nutzungsdauer viele Vorteile: Sie sind flexibler nutzbar und können besser an veränderte Marktbedingungen angepasst werden. Damit ist weniger Leerstand zu erwarten und langfristig ein höherer Ertrag. Die Immobilie wird zudem rund um die Uhr genutzt und steht nicht die Hälfte des Tages leer, wie ein reines Büro- oder Wohngebäude. Das ermöglicht einen effizienteren Betrieb. Die gemischte Nutzung erhöht zudem die Urbanität und Attraktivität des Standortes und wirkt sich auch belebend auf das direkte Umfeld aus.

Die Idee gemischt genutzter Immobilien oder Quartiere ist nicht neu

Die Idee gemischt genutzter Immobilien oder Quartiere ist nicht neu. In der sogenannten Gründerzeit (1872 bis 1914) sind in den großen Städten in der Regel gemischte Quartiere entstanden, in denen Wohnen, Arbeiten und Freizeit (die berühmte Berliner Eckkneipe) oft eng beieinander lagen. Öffentliche Verkehrsmittel waren kaum vorhanden und an einen eigenen PKW noch nicht zu denken. Das Leben spielte sich daher überwiegend im eigenen Kiez ab.

Vor allem gesundheitliche Gründe (Lärm, Abgase) haben das Arbeiten und Wohnen nach dem Ersten Weltkrieg räumlich voneinander getrennt und in eigenen Quartieren organisiert. Manifestiert wurde dieses Leitbild der funktionalen Stadt in der Charta von Athen, die 1933 auf dem 4. Internationalen Kongress für neues Bauen verabschiedet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg beeinflusste die Charta für mehrere Jahrzehnte den Städtebau. Bis heute zielt unser Planungsrecht darauf ab, Wohnen und Gewerbe getrennt voneinander anzusiedeln, obwohl heutzutage beim Arbeiten überwiegend Köpfe rauchen und nicht mehr Schornsteine. Bei der Bildschirmarbeit hämmern wir vorwiegend auf unsere Tastaturen ein und nicht mehr auf Holz- oder Metallwerkstücke. Lärm und Geruchsbelästigungen sind also eher nicht zu erwarten.

Rückbesinnung auf die „15-Minuten-Stadt“

Einer Rückbesinnung auf eine umfassende Versorgung mit den Dingen des täglichen Bedarfs in der eigenen Nachbarschaft hat der französische Wissenschaftler Carlos Moreno 2016 in Paris mit dem Begriff der 15 Minuten-Stadt neuen Schwung verliehen: die Wohnung, der Arbeitsplatz, Einkaufsmöglichkeiten, Freizeitangebote und medizinische Einrichtungen sollten innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sein. Viele europäische Metropolen haben diese Idee für ihre Stadtplanung bereits aufgegriffen und die Corona-Pandemie hat diesen Trend zusätzlich beschleunigt.

Es wäre sinnvoll, dafür auch das Planungsrecht zu flexibilisieren, um hybride Nutzungen von Immobilien noch stärker zu forcieren. Die Zeit ist reif dafür.

Der Autor: Thomas Graf

Thomas Graf: Foto:
Jannette-Kneisel

Thomas Graf ist Geschäftsführer Alpine Immobilien GmbH