E.DIS-Chef Montebaur: „Es gibt zu viele Fehlsteuerungen im System.“
Dr. Alexander Montebaur, Vorstandsvorsitzender der E.DIS AG, im Interview mit W+M über unrealistische Ziele bei der Energiewende, zu hohe Netzentgelte und den Personalmangel in den Genehmigungsbehörden.
W+M: Herr Montebaur, die Wirtschaft hierzulande erlebt gegenwärtig eine Zeit multipler Krisen. Wie hat die Energiewirtschaft diese Krisen bisher gemeistert?
Dr. Alexander Montebaur: Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Es gibt Unternehmen in der Energiewirtschaft, die in der Krise deutliche Gewinne erzielen konnten und solche, die vor immensen Herausforderungen stehen. Gewinner im letzten Jahr waren sicherlich die Stromerzeuger. Wer hingegen wie etwa die Stadtwerke mit dem Stromvertrieb beschäftigt war, blickt auf ein schwieriges Jahr zurück.
W+M: Und wie ist es 2022 den Verteilnetzbetreibern wie E.DIS ergangen?
Dr. Alexander Montebaur: In der Krise haben viele verstanden, dass es in Deutschland neben den Übertragungsnetzen auch Verteilnetze braucht. Die öffentliche und politische Aufmerksamkeit für die Herausforderungen der Netzbetreiber war im letzten Jahr sehr groß. Nur leider lässt diese Aufmerksamkeit jetzt, wo sich die Versorgungslage wieder stabilisiert hat, wieder spürbar nach.
W+M: Wie beurteilen Sie denn aktuell die Frage der Versorgungssicherheit? Haben wir den Höhepunkt der Krise überstanden?
Dr. Alexander Montebaur: Hauptsächlich wurde ja eine mögliche Gasmangellage für den Winter thematisiert. Dieses Szenario war auch keineswegs unrealistisch. Jetzt wissen wir, dass diese Mangellage in diesem Winter nicht eintreten wird, nicht zuletzt durch Einsparungen und die milde Witterung. Deutschland diversifiziert bei den Quellen des Gasbezugs – Stichwort LNG –, trotzdem wird das Thema auch im nächsten Winter wieder relevant sein. Anders sieht es bei der Stromversorgung aus. Hier würde eine Mangellage zu keinem langanhaltenden Versorgungsausfall führen. Ein Blackout hierzulande ist eher unrealistisch, denn ein solches Szenario lässt sich beispielsweise durch kurzfristige Stromabschaltungen vermeiden. Viel bedeutsamer ist hingegen die Frage, wie wir künftig die Stromlücke schließen wollen. Da bin ich wenig optimistisch.
W+M: Was bereitet Ihnen Sorgen?
Dr. Alexander Montebaur: Wir haben die Kernenergie so gut wie abgeschaltet und wollen bald aus der Kohle aussteigen. Die daraus entstehende Lücke bei der Stromproduktion sollte die sogenannte „Gasbrücke“ mit neuen Gaskraftwerken schließen, die die steuerbare grundlastfähige Erzeugung abbilden sollte. Dieser Plan hat sich durch den russischen Überfall auf die Ukraine zerschlagen. Im Augenblick setzt daher die Politik ausschließlich auf den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien. Doch wir wissen, dass dieser beschleunigte Ausbau in der Vergangenheit nur bedingt funktioniert hat. Es ist nicht absehbar, dass sich dies kurzfristig ändern wird. Deshalb wird sich meiner Meinung die Lage bei der Stromversorgung eher noch verschärfen.
W+M: Geben wir uns gesellschaftlich einer Illusion hin, was den Ausbau der erneuerbaren Energien betrifft?
Dr. Alexander Montebaur: Ein Energiesystem, dass 2037 ohne Kohle, Kernenergie und Gas auskommt, wurde in den einschlägigen Studien bereits entwickelt und ist auch technisch vorstellbar. Aber die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz für den forcierten Ausbau von Windenergieanlagen, Photovoltaik-Parks und neuen Stromtrassen und den damit verbundenen Kosten bleibt bisher unbeantwortet.
W+M: Was läuft in der öffentlichen Diskussion falsch?
Dr. Alexander Montebaur: Wir müssen unsere Klimaschutzambitionen im globalen Kontext neu bewerten. Hilft es beispielsweise dem globalen Klimaschutz, wenn in Deutschland wegen zu hoher Energiekosten die Industrie abwandert? Solche Fragen werden nicht ehrlich debattiert. Stattdessen wird suggeriert, man könne stabile Preise, Versorgungssicherheit und Klimaschutz problemlos gleichzeitig erreichen. Vielleicht erinnern Sie sich an den ehemaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin, der 2004 prophezeit hatte, das EEG koste den Verbraucher den Gegenwert von einer Kugel Eis im Monat, also 50 Cent im Monat. Heute wissen wir, das EEG hat den Verbraucher 50 Kugeln Eis im Monat gekostet. Wenn dies damals so kommuniziert worden wäre, hätte es keine Akzeptanz für das EEG gegeben. Diese Art der Debatte wiederholt sich nun, indem sich wieder niemand traut, offen über die wahren Kosten zu sprechen.
W+M: Sind denn die Ziele der Energiewende noch realistisch?
Dr. Alexander Montebaur: Grundsätzlich muss ich betonen, dass ich die Energiewende für den richtigen Weg halte. Aber wir haben zu viele Fehlsteuerungen im System. Deshalb kann es kein stures „Weiter so“ geben. Ein Beispiel: Wir sind im Netzgebiet der E.DIS Vorreiter bei dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Es kann aber nicht sein, dass immer mehr Wind- und vor allem große PV-Anlagen gebaut werden, ohne dass die Netze in der Region dafür noch ausreichen. Wenn wir hier heute wissen, dass ein neuer Photovoltaik-Park infolge eines bereits bestehenden Netzengpasses über eine lange Zeit abgeregelt werden muss, entstehen dadurch mittlerweile systemrelevante Kosten in enormen Höhen. Deshalb sollten Anlagen der erneuerbaren Energien grundsätzlich nur dort entstehen, wo entsprechende Netzkapazitäten vorhanden sind. Dieser Prozess muss endlich gesteuert werden.
W+M: Die Politik hat versprochen, die Genehmigungsverfahren künftig zu beschleunigen. Wie bewerten sie diesbezüglich das vergangene Jahr?
Dr. Alexander Montebaur: Da muss ich ehrlich sagen, dass das abgelaufene Jahr eine einzige Enttäuschung war. Zwar wurden viele Ziele politisch kommuniziert, aber keine hinreichend konkreten Maßnahmen eingeleitet, jedenfalls keine, die in unserer Praxis angekommen sind.
W+M: Welche Maßnahmen wünschen Sie sich denn prioritär?
Dr. Alexander Montebaur: Die chronische Unterbesetzung der Behörden in Ländern und Landkreisen muss beendet werden. Die Prozesse können nicht beschleunigt werden, solange nicht genügend Beschäftigte in den Genehmigungsbehörden vorhanden sind. Die Behörden müssen geradezu mit neuem Personal geflutet und die Genehmigungsverfahren vereinfacht werden.
W+M: Für die Verbraucher und Unternehmen sind die Energiekosten in den letzten Monaten zum Teil enorm gestiegen. Darauf haben Sie als Verteilnetzbetreiber keinen Einfluss. Welche Rolle können Sie dennoch übernehmen, um die Kostenexplosion zu stoppen?
Dr. Alexander Montebaur: Unser Beitrag am Strompreis sind die Netzentgelte. Die sind in unserer Region durch den hohen Ausbaustand bei den erneuerbaren Energien besonders hoch. Die Landesregierungen im Norden sind ja sehr engagiert, sich für eine deutschlandweit gerechtere Verteilung dieser Netzentgelte einzusetzen. Eine ergänzende Teillösung – zum Energiewende-bedingten Netzausbau und einer gerechten Verteilung der diesbezüglichen Netzkosten gibt es keine Alternative – wären Digitalisierungsmaßnahmen, mit denen sich der Verbrauch etwa im gewerblichen Bereich ein Stück weit flexibel an die Erzeugung anpassen lässt – Stichwort Smart Meter. Leider haben wir hierfür in Deutschland einen viel zu komplexen Ansatz gewählt, der durch die aktuell vorliegende Gesetzesnovelle eher noch verkompliziert wird.
W+M: Sie haben den Personalmangel in den Behörden angesprochen. Eine abschließende Frage: Ist auch E.DIS vom Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt betroffen?
Dr. Alexander Montebaur: In jedem Fall. Die Zeiten, in denen wir unser Personal aus vielen Bewerbungen auswählen konnten, sind vorbei. Wir bekommen auch kaum noch ausreichend Bewerbungen für unsere Ausbildungsplätze, obwohl wir weiterhin ein attraktiver Arbeitgeber sind. Wir haben sogar einen Bonus von 500 Euro ausgelobt für Auszubildende, die andere Azubis werben.
W+M: Warum mangelt es an Bewerbern?
Dr. Alexander Montebaur: Unser Hauptausbildungsbereich als Netzbetreiber ist stark technisch geprägt. So bereitet der Ausbildungsberuf Elektroniker für Betriebstechnik auf einen späteren Job vor, der mit Wochenendschichten und Arbeit buchstäblich bei Wind und Wetter verbunden ist Das findet heute nicht mehr jeder junge Mensch attraktiv. Optimistisch stimmt mich hingegen, dass viele junge Menschen zwischenzeitlich nach einem übergeordneten Sinn suchen, um auch im alltäglichen Job einen gesellschaftlichen Beitrag leisten zu können – den finden sie bei uns.
Daneben spielen die Arbeitsbedingungen, wie etwa die Möglichkeit, einen erheblichen Teil der Zeit im Home-Office arbeiten zu können, eine deutlich größere Rolle als früher. Hier haben wir erste Regelungen gefunden, die im Unternehmen bereits aktiv gelebt werden. Hinzu kommt, dass wir für unsere familienbewusste Personalpolitik bereits mehrfach ausgezeichnet wurden. Dennoch: Auch wir müssen künftig noch diverser und interkultureller werden, um unseren Personalbedarf decken zu können.
Interview: Frank Nehring
Über E.DIS
Die E.DIS ist einer der größten regionalen Energiedienstleister Deutschlands. Sie betreibt mit etwa 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auf einer Fläche von 35.500 Quadratkilometern ein 79.000 Kilometer langes Stromleitungsnetz. Hinzu kommt im östlichen Landesteil Mecklenburg-Vorpommerns und im Norden Brandenburgs auf einer Fläche von 9.770 Quadratkilometern ein ca. 4.700 Kilometer langes Gasleitungsnetz. Darüber hinaus gestaltet das Unternehmen den Breitbandausbau und investiert in Elektromobilität in seinem Versorgungsgebiet.