Mittwoch, Dezember 25, 2024

Bodo Ramelow: „Wir sind in Thüringen gesegnet mit mittelständischen Weltmarktführern.“

Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow im Interview mit W+M über Weltmarktführer aus Thüringen, die Krisenfestigkeit der ostdeutschen Wirtschaft und die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten.

W+M: Herr Ministerpräsident, wie geht es der thüringischen Wirtschaft nach der Corona-Krise, angesichts des Kriegs in der Ukraine und der steigenden Energiepreise?

Bodo Ramelow: Die großen Sorgen, die sich noch im letzten Jahr aufgebaut haben, haben sich glücklicherweise so nicht bestätigt. Im Gegenteil: Thüringen erlebt gerade einen Exportboom, dazu verzeichnet unser Land die niedrigste Arbeitslosigkeit in ganz Ostdeutschland. Es bleiben aber auch weiter große Herausforderungen bestehen wie beispielsweise der Fachkräftemangel und daraus folgend die Anwerbung von Arbeitskräften. Sie haben die vielen Krisen der letzten Jahre angesprochen, aber es ist auch klar, dass vieles davon auf nicht gemachten Hausaufgaben beruht. Wer denkt, er könne Probleme fortlaufend unter den Teppich kehren, muss aufpassen, nicht irgendwann über den Haufen zu stolpern, der sich dort angesammelt hat. Das zeigt sich am Beispiel der Energiekrise. Wir haben es schlussendlich gemeistert, aber es war eine große Kraftanstrengung, perspektivische Lösungen für die energieintensive Glasindustrie im Land zu finden, damit sie künftig nicht mehr in eine derart einseitige Abhängigkeit bei der Energieversorgung gerät.

W+M: Welche Teile der thüringischen Wirtschaft haben sich denn besonders krisenresistent gezeigt?

Bodo Ramelow: Wir sind in Thüringen zum Glück reich gesegnet mit klein- und mittelständischen Unternehmen, von denen viele in ihrem Bereich Weltmarktführer sind. Diese Firmen haben sich allesamt in der Krise bewährt, weil sie rechtzeitig vorgesorgt haben. Wenn ich zudem auf die großen Unternehmen schaue, dann sehe ich, dass z.B. Carl Zeiss Meditec das beste Ergebnis seiner Geschichte erzielt hat und Jenoptik stark expandiert und beim Umsatz die Milliardengrenze überschreiten wird.

W+M: Gab es auch Verlierer der Krisen?

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow im W+M-Interview. Foto: W+M

Bodo Ramelow: Natürlich gab es auch Insolvenzen und Geschäftsaufgaben. Ich nenne mal als ein Beispiel aus unserem Nachbarland Sachsen-Anhalt – den Salzwedeler Baumkuchen. Mein Vater ist in der Nähe von Salzwedel geboren, aber auch mir ist der traditionelle Baumkuchen von dort selbst in meiner Kindheit in Westdeutschland bestens vertraut gewesen. Wenn so ein Traditionsunternehmen nun wegen der ungeklärten Nachfolgefrage aufgeben muss, bricht mir das das Herz. In einer solchen Situation können Ereignisse wie die Corona-Pandemie oder die Energiekrise dann den letzten Stoß geben. In Thüringen ist das Ende der Eschenbach Porzellan Group in Triptis ein ähnlicher Fall, der mich ebenfalls sehr schmerzt.

W+M: Haben Sie eine Erklärung, warum die ostdeutsche Wirtschaft insgesamt besser durch die schwierige Zeit gekommen ist als erwartet?

Bodo Ramelow: Wir verfügen in Thüringen über viele inhabergeführte Unternehmen. Bei denen stellt der Generationswechsel die größte Herausforderung dar. Gleichzeitig erlebe ich, dass solche Unternehmen in einer Krise anders mit ihrer Belegschaft umgehen. Auf der anderen Seite müssen wir nämlich immer wieder feststellen, dass einige internationale Konzerne ihre Standorte in Thüringen nur als eine verlängerte Werkbank ansehen. Da wurde in der Krise dann kurzerhand entschieden, den Standort komplett aufzugeben. So etwas passiert bei den inhabergeführten Unternehmen selten, weil diese in der Regel gemeinsam mit der Belegschaft nach Lösungen suchen, um Betriebsschließungen und Entlassungen zu vermeiden.

W+M: Kommen da besondere ostdeutsche Erfahrungen zum Tragen?

Bodo Ramelow: Es ist sicher auch eine Lehre aus den traumatischen Erfahrungen, die mit der Abwicklung der ostdeutschen Betriebe durch die Treuhand nach der Wende einhergegangen sind. Damals sind insgesamt vier Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit gezwungen worden. Daraus hat sich eine Art der besonderen ostdeutschen Anpassungsfähigkeit entwickelt. Heute haben wir in Thüringen 60 Weltmarktführer, kleine und mittelständische Betriebe, die sich ihre Nische gesucht haben. Diese Zahl erstaunt mich, ehrlich gesagt, immer wieder. Ich nenne nur als Beispiel die Heberndorfer Leistenfabrik im ländlichen Raum in Wurzbach, ein Hightech-Unternehmen, das den meisten im Alltag begegnet, vielen aber kaum bekannt ist.

W+M: In der öffentlichen Diskussion standen zuletzt aber nicht solche mittelständischen hidden champions, sondern spektakuläre Neuansiedlungen wie Tesla oder Intel im Fokus. Ist das gerecht?

Bodo Ramelow: Ich war kürzlich bei der ASML Holding im holländischen Eindhoven zu Gast. Dieses Unternehmen rüstet 95 Prozent der Chipfabriken weltweit aus. Aber nur wenige hierzulande wissen, dass dieser Konzern wichtige Schlüsseltechnologien von rund 300 Zulieferern aus Thüringen bezieht. Darüber berichten die Medien selten. Es ist ja bezeichnend, dass mich kein heimischer Pressevertreter auf dieser Reise begleitet hat. Ich würde mich freuen, wenn viele dieser Thüringer Unternehmen bald nur noch ‚champions‘ sind.

W+M: Sind Sie denn neidisch auf die Ansiedlungserfolge in Ihren Nachbarländern oder steht eher die Kooperation unter den ostdeutschen Bundesländern im Vordergrund?

Bodo Ramelow: Es gibt zunächst erst einmal natürliche Kooperationen wie etwa mit dem Land Hessen beim Kali-Bergbau. Das Kali-Revier mit 4.500 Beschäftigten liegt ja auf beiden Seiten der Grenze. Es freut mich im Übrigen diesbezüglich sehr, dass auch wieder neue Bergbau-Standorte in Thüringen geprüft werden.

W+M. Auch beim Kohlekompromiss haben die ostdeutschen Bundesländer eng zusammengearbeitet. Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Bodo Ramelow: Ich gönne meinen ostdeutschen Amtskollegen die Strukturmittel, die nun in den Umbau der Kohlereviere fließen. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass auch das Thema REA-Gips berücksichtigt wird. REA-Gips ist ein Abfallprodukt aus der Rauchgaswäsche. Schließen die Braunkohlekraftwerke, wird auch kein REA-Gips mehr anfallen. Auf der anderen Seite ist der Gipsabbau im Südharz ein starker Eingriff in die Natur und belastet auch eine sehr beliebte Fremdenverkehrsregion. Ich hätte mir gewünscht, dass für die Forschung zu Alternativen zum REA-Gips ebenfalls Fördergelder geflossen wären.

W+M: Bei welchen Themen arbeiten Sie denn noch mit ihren Nachbarländern zusammen?

Bodo Ramelow: Ein gutes Beispiel ist der grenzüberschreitende Tourismus im Vogtland. Den Besuchern ist es egal, ob sie ins sächsische oder thüringische Vogtland reisen. Deshalb ist es sinnvoll, das Vogtland gemeinsam mit Sachsen touristisch zu vermarkten. Es gibt aber auch Beispiele, wo die Zusammenarbeit schlecht gelaufen ist – wie etwa beim Mobilitätszentrum. Das hat der damalige CSU-Bundesverkehrsminister nach München vergeben, obwohl es politischer Wille des Bundestages war, solche neuen Einrichtungen des Bundes solange im Osten anzusiedeln, bis dort derselbe Entwicklungsstand wie im Westen erreicht ist. Schließlich sollten wenigstens einige Teilbereiche des Mobilitätszentrums in Gera ihre Heimat finden. Diese Pläne haben sich nun auch zerschlagen. Dieses Vorgehen ist definitiv eine falsche Herangehensweise und passiert unter den ostdeutschen Bundesländern so nicht. Brandenburg hat Tesla bekommen, Sachsen-Anhalt Intel, dafür entsteht in Thüringen mit den Investitionen des chinesischen Konzerns CATL am Erfurter Kreuz das größte und modernste Batteriezellenwerk in Westeuropa.

W+M: Wie wichtig ist Ihnen denn die internationale Kooperation? Es bestehen beispielsweise  enge Beziehungen mit Frankreich.

Bodo Ramelow: Die Beziehungen mit Frankreich beruhen auf einer langen Tradition und hier bereits auf den Städtepartnerschaften zu DDR-Zeiten. Der aus Rheinland-Pfalz stammende ehemalige Ministerpräsident Bernhard Vogel hat dann während seiner Amtszeit weitere Brücken nach Frankreich geschlagen.

Daher haben wir in Thüringen auch eines von elf deutschen „instituts français“, das von einer Mitarbeiterin des französischen Außenministeriums geleitet wird. Und wir stellen dafür Räumlichkeiten in der Thüringer Staatskanzlei zur Verfügung. Diese Institute fördern den wirtschaftlichen, politischen und konsularischen Austausch zwischen Deutschland und Frankreich und leisten einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung der französischen Kultur und der französischen Sprache, die die zweitstärkste Fremdsprache an Thüringer Schulen ist. Das sind alles Zeichen einer vertrauten Partnerschaft.

W+M: Auf der anderen Seite sind aus Kooperationen auch wirtschaftliche Abhängigkeiten entstanden. Können wir uns aus solchen internationalen Abhängigkeiten wie z.B. von China wieder befreien?

Bodo Ramelow: Ich sehe nicht, warum wir uns von der Kooperation mit China befreien sollten. Die Abhängigkeit vom russischen Gas, in die wir geraten sind, kann hierfür nicht als Grund angeführt werden. Vom russischen Gas hätten wir uns spätestens verabschieden müssen, als wir das Pariser Klimaschutzabkommen unterschrieben haben. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir auf erneuerbare, dezentrale und regionale Energieproduktion umstellen müssen.

W+M: Warum ist das nicht geschehen?

Bodo Ramelow: Natürlich hat uns das billige russische Gas lange einen erheblichen Wettbewerbsvorteil verschafft. Das hat uns dazu verleitet, nicht mehr flexibel zu sein. Wir hätten stattdessen in die Dekarbonisierung einsteigen müssen. Bei der Zusammenarbeit mit China liegt die Sache aber anders. Wir haben unsere Produktion aktiv und aus eigenem Antrieb dorthin verlagert. Das müssen wir uns selbst vorhalten, wenn es zu Zeiten der Pandemie beispielsweise keinen Maskenhersteller mehr in Europa gab. China hat aus dieser Entwicklung gelernt und uns auf vielen Gebieten überholt. Die nächsten High-Performance-Elektroautos werden beispielsweise meiner Ansicht nach nicht von Tesla, sondern aus China kommen. Deshalb werden wir weiter mit China kooperieren müssen. Thüringer Unternehmen wie PIKO oder Ruhlamat produzieren in China oder haben dort eine große Dependance. Dafür investiert aber ebenso der chinesische Konzern CATL in Thüringen, auch weil es rund um das Erfurter Kreuz eine attraktive Forschungslandschaft gibt.

W+M: Die Wirtschaft der Bundesrepublik steht vor einem gewaltigen Umbau in Sachen Klimaschutz. Wie ist Thüringen darauf vorbereitet?

Bodo Ramelow: Das ist eine schwierige Frage, denn wir sind zwar technologisch vorbereitet, tun uns aber emotional mit den nötigen Maßnahmen schwer. Das Thema Windenergie in Waldgebieten hat beispielsweise zu einer massiven Auseinandersetzung im Erfurter Landtag geführt. Ein Beispiel, wie es gehen könnte, zeigt der Automobilzulieferer Mubea in Weißensee, der zehn Windkraftanlagen gemeinsam mit den Agrargesellschaften der Region rund um die Fabriken aufstellen will. Mubea wird einen Teil der Energie als Eigenstrom nutzen, gleichzeitig aber auch Anlagen mit planen, die dann als Gemeindekraftwerke den Bürgern zugutekommen. Ein weiteres Beispiel in Thüringen: Auch die Sportanlagen in Oberhof sind mit einem neuen Energiekonzept komplett auf regenerative Energien ausgerichtet worden.

W+M: Wie steht Thüringen denn in Sachen Ausbau der Windkraft im Vergleich zu anderen Bundesländern da?

Bodo Ramelow: Wir sind beim Ausbau der Windkraft leider an drittletzter Stelle der Flächenländer nur noch vor Sachsen und dem Saarland platziert. Es gibt aber auch Proteste gegen den Ausbau, die ich durchaus nachvollziehen kann, beispielsweise, wenn den Bürgern von den Erträgen der Windkraft nichts zugutekommt, sie aber den Eingriff ins Landschaftsbild tragen müssen. Deshalb müssen wir mehr tun, dass die Regionen sich ihre Energieversorgung selbst erschließen müssen – dezentral, regional und regenerativ. Und das Ganze dann in Bürgerhand, sei es als Bürgergenossenschaft, Gemeindegenossenschaft, als gemeindeeigene Anlage oder in der Hand eines Stadt- oder Kreiswerks.

W+M: Ein Hindernis beim Ausbau der erneuerbaren Energien, aber auch bei anderen Vorhaben, sind die zu langen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Werden diese nun beschleunigt – Stichwort Deutschland-Geschwindigkeit?

Bodo Ramelow: Der Bau der LNG-Terminals, von denen der Begriff ja herrührt, ist erst einmal nur ein Einzelfall. Wenn Sie allein sehen, wie viele Ordner Papier ein Windkraftanlagen-Betreiber in eine Behörde tragen muss, dann könnte man spöttisch sagen, die Anlage ist am Ende kleiner als der Papierberg. Daran tragen aber nicht die Behörden und ihre Mitarbeiter die Schuld, die nur die Einhaltung der geltenden Vorschriften überprüfen. Diese Vielzahl an Vorgaben gilt es sinnvoll zu überarbeiten, damit schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren möglich werden.

W+M: Zur Beschleunigung der Prozesse benötigt die Verwaltung auch mehr Fachkräfte. Wie steht es um den Fachkräftemangel im Land?

Bodo Ramelow: Fachkräfte fehlen in Thüringen in einer ungeheuren Dimension. Die Bevölkerungszahlen im Freistaat werden von gegenwärtig 2,1 Millionen in den nächsten dreißig Jahren auf unter 1,9 Millionen sinken. Zudem wird die Bevölkerung deutlich älter werden. Das heißt, dass die arbeitende Bevölkerung in Thüringen weiter zurückgehen wird.

W+M: Welche Lösungen sind denkbar?

Bodo Ramelow: Mehr Inklusion und eine stärkere Vollzeitbeschäftigung von Frauen, die insbesondere in der Zeit nach der Wende in Ostdeutschland aufgrund eines Arbeitskräfteüberangebots vermehrt in die Teilzeit gedrängt wurden, sind zwei Wege, die wir gehen müssen. Die größte Notwendigkeit besteht aber in einer gezielten Zuwanderung von Arbeitskräften. Ich persönlich wünsche mir, dass nicht nur die Frage behandelt wird, wo  Zuwanderer künftig herkommen, sondern auch, wie unsere Gesellschaft mit ihnen umgeht. Der Anteil von Migranten ist in Thüringen ja einer der niedrigsten in ganz Deutschland. Dennoch führt die Zuwanderung bei einem Teil der Bevölkerung zu Ängsten, die auch politisch noch geschürt werden. Dabei hängen viele Schwierigkeiten bei der Integration mit Hemmnissen des Asyl- oder Ausländerrechts zusammen, das eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt nicht gerade fördert. Ein Beispiel: Es besteht keine Möglichkeit, einen einmal gestellten Asylantrag zurückzunehmen. Dafür würde ich mir beispielsweise eine gesetzliche Möglichkeit wünschen, in deren Folge der Betroffene den Antrag zurücknehmen kann und stattdessen – eine Arbeitsstelle vorausgesetzt – einen Aufenthaltstitel bekommt. Das wäre eine große Entlastung für unsere Gerichte und die Verwaltung. Und wir müssen das gesellschaftliche Klima generell auf eine solidarische Zuwanderungsgesellschaft hin umbauen.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow im W+M-Interview mit Frank Nehring Foto: W+M

Interview: Frank Nehring

 

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