Die Wirtschaftsbilanz Mecklenburg-Vorpommerns fiel 2022 durchwachsen aus. Einer Erholung im Tourismus und einigen Neuansiedlungen auf der Habenseite standen die Turbulenzen der Werftenkrise gegenüber. Hoffnungsträger der Zukunft soll nun die Wasserstoffwirtschaft werden. W+M startet mit diesem Beitrag eine Länderreport-Serie. Die ersten drei Teile nehmen Mecklenburg-Vorpommern ins Visier. Von Matthias Salm.
Es war einer der Termine mit Zukunftspotenzial: Mitte Januar nahm Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig das zweite deutsche LNG-Terminal in Betrieb. Im Hafen von Lubmin soll das schwimmende Terminal des Energiekonzerns Totalenergies und des Unternehmen Deutsche ReGas besonders Ostdeutschland mit jährlich bis zu 5,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas versorgen. Doch die Zukunft liegt bekanntermaßen nicht im Erdgas. Schwesig denkt schon weiter: Lubmin soll zur Drehscheibe der Energieversorgung werden – jetzt mit Gas, später aber mit erneuerbaren Energien. Die Energiewirtschaft ist einer der großen Hoffnungsträger für das Land an der Ostsee.
Lars Schwarz hingegen ist weitaus besorgter, was die wirtschaftliche Entwicklung des Landes betrifft: „Den Unternehmen geht nach zwei Jahren Pandemie und einem Jahr Energie- und Preiskrise in Folge des Krieges langsam die Luft aus, nicht nur finanziell“, warnt der Präsident der Vereinigung der Unternehmensverbände für Mecklenburg-Vorpommern in seinem Ausblick auf das Jahr 2023. Der Mangel an Fachkräften und die Sicherstellung bezahlbarer Energie – dies sind die größten Unsicherheitsfaktoren für die mittelständisch geprägte Wirtschaft zwischen Ostsee und Müritz. Und diese Probleme redet auch der zuständige Minister für Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus und Arbeit Reinhard Meyer nicht klein: „Teilweise veränderte Lieferketten, fehlende Materialien und das Suchen nach Fachkräften sind aktuell große Herausforderungen für die Unternehmen.“ Dennoch ist Meyer zufrieden mit einigen im Jahr 2022 erzielten Erfolgen. „Die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich insgesamt trotz der wirtschaftlich stark belastenden Krisen robust“, so Meyer gegenüber W+M.
So konnten beispielsweise für 107 Investitionsvorhaben der gewerblichen Wirtschaft insgesamt rund 46 Millionen Euro Zuschüsse in 2022 bewilligt werden. Natürlich: Spektakuläre Ansiedlungen wie Tesla in Brandenburg oder Intel in Sachsen-Anhalt zogen an Mecklenburg-Vorpommern vorbei. Aber der weltbekannte Schuhproduzent Birkenstock siedelt sich in Pasewalk mit einer modernen Produktionsstätte an, die rund 1.000 neue Arbeitsplätze mit sich bringen soll. Das Life-Science-Unternehmen Eppendorf Polymere GmbH zieht es nach Wismar. Die emano Kunstofftechnik GmbH aus Teterow erweitert ihre Produktionsstätte zur Herstellung von Kunststoffteilen, Werkzeugen und Fertigungsanlagen. Insgesamt konnten Investitionen in Höhe von rund 175,9 Millionen Euro realisiert werden.
Tourismusbranche hat sich erholt
Die Bilanz in den wichtigsten Stützpfeilern der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern wie die Tourismusbranche, Werftenindustrie, Gesundheitswirtschaft, Energiewirtschaft, Automotive und Ernährungsbranche fällt hingegen recht unterschiedlich aus: Der Tourismus ist in Mecklenburg-Vorpommern nach der Corona-Flaute 2020 und 2021 wieder im Aufwind. Doch das Vor-Corona-Niveau hat die für das Küstenland so wichtige Reiseindustrie noch nicht wieder erreicht.
Von Januar bis September 2022 wurden nach Angaben des Statistischen Amtes 26,5 Millionen Übernachtungen registriert – 28 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum 2021. Verglichen mit dem Spitzenjahr 2019 liegt MV rund 6,3 Prozent unter den damaligen Übernachtungswerten. Die meisten Besucher zählten mit 7,6 Millionen Übernachtungen die Mecklenburgische Ostseeküste und mit rund 5,5 Millionen Übernachtungen die Insel Rügen.
Doch der Erholungskurs schlingert noch: Nicht wenige Reisewillige streichen aufgrund der Inflation und hoher Energiekosten ihren Urlaubsetat zusammen. „Besonders das kurzfristige Buchungsverhalten macht der Branche zu schaffen. Das erschwert vor allem auch die Personal- und Warenplanung in den touristischen Unternehmen“, sieht Wirtschaftsminister Reinhard Meyer die Risiken.
Meyers Trumpfkarte beim Ausbau der Tourismuswirtschaft soll nun die Gründung einer Tourismusakademie im Land werden. „Wir müssen dem Fachkräftemangel in der wirtschaftlich wichtigen Schlüsselbranche, dem Tourismus, begegnen. Unser Land braucht eine moderne touristische Bildung mit starkem Praxisbezug“, betont Meyer. „Zunächst geht es um Inhalte der Akademie, der mögliche Ort wird später festgelegt.“
Auf eine mögliche Ansiedlung hat bereits ein Run der Bewerber eingesetzt: Bergen auf Rügen, Rostock, Schwerin, Plau am See, Mirow, Gadebusch, Bad Doberan und Neustrelitz haben ihr Interesse hinterlegt. Mecklenburg-Vorpommern setzte darüber hinaus im Juni als erstes Bundesland mit Tobias Woitendorf, Geschäftsführer des Tourismusverbandes MV, einen Tourismusbeauftragten ein.
Lösungen für Werftenstandorte gefunden
Deutlich turbulentere Zeiten erlebte 2022 die Werftenindustrie an der Ostsee. Vor einem Jahr hatten die MV Werften Insolvenz angemeldet. Für die Standorte Rostock, Wismar und Stralsund gibt es mittlerweile alternative Lösungen. Den Rostocker Standort der MV Werften hat die Deutsche Marine übernommen, um dort Schiffe instandzusetzen. Das Bundesverteidigungsministerium erhofft sich davon, die in die Jahre gekommene Ausrüstung der Marine wieder auf modernen Stand bringen zu können. In Wismar sollen die Thyssenkrupp Marine Systems GmbH und die Firma Eppendorf SE die Werftenstätten übernehmen. Eppendorf will in der ehemaligen Kabinen-Fabrik der MV-Werften medizinisches Zubehör produzieren.
Die amerikanische Kreuzfahrtreederei Disney Cruise Line hat das Kreuzfahrtschiff „Global 1“ gekauft, dessen Umbau durch die Meyer Werft Papenburg in Wismar erfolgen soll. In Stralsund schließlich will die Hansestadt einen maritimen Gewerbepark entwickeln. Zudem investiert die norddeutsche NVL Group als Spezialist für komplexe Marineschiffe und Küstenwachboote und als langjähriger Partner der Deutschen Marine rund 15 Millionen Euro in die Modernisierung der Werftinfrastruktur am Standort Wolgast. Der Wunsch der Landesregierung: Künftig sollen die Werften und ihre Zulieferer sich in Richtung Energiewende orientieren und ihre Umsätze mit der Offshore-Windenergie sowie dem Umbau der Handelsflotte hin zur Klimaneutralität generieren.
So entwickelt etwa MEYER NEPTUN Engineering gemeinsam mit dem Rostocker Fraunhofer Institut für Großstrukturen in der Produktionstechnik Nachrüstlösungen für Schiffstanks, um neue Kraftstoffe mit niedrigem Flammpunkt wie beispielsweise Methanol einsetzen zu können. Zudem wird gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Katalyse (LIKAT) in Rostock an Kraftstoffen aus erneuerbarer Energie im sogenannten Power-to-Liquid-Verfahren geforscht.
Rostock und Lubmin gelten zudem als wichtige Standorte der Energiewende. Wirtschaftsminister Meyer nennt die Ziele: „Für den Seehafen Rostock verfolgen wir die Strategie, die Produktion und den Import von Wasserstoff zur industriellen Versorgung zu initiieren. Im Seehafen soll künftig grüner Wasserstoff produziert und damit die zielgerichtete Transformation in neue Energieträger vorangetrieben werden.“ Im Energiehafen Rostock werden dazu Liegeplätze für Rohöl und grüne Energieträger geschaffen. Bund und Land wollen zudem 218 Millionen Euro in das Wasserstoffprojekt „HyTechHafen Rostock“ pumpen, um die Wasserstoffproduktion im Hafen zu ermöglichen.
Im letzten Jahr wurden bereits 27,5 Millionen Euro in die Infrastruktur des Überseehafens, der nebenbei 2022 einen Rekord-Umschlag erzielte, investiert, dieses Jahr will der Hafenbetreiber Rostock Port 40 Millionen Euro aufwenden. Darüber hinaus fließen 400 Millionen Euro in die Ertüchtigung der Pipeline zur PCK-Raffinerie in Schwedt. Die von PCK erhoffte Realisierung einer zweiten Pipeline will der Bund allerdings nicht finanzieren.
Wird fortgesetzt.
Länderreport MV Teil 2 – 20.02.2023
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Länderreport MV Teil 3 – 27.02.2023
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