Harald Eisenach: „Ich bin optimistisch, weil ich viele Unternehmer kenne“
Die Deutsche Bank hat deutschlandweit etwa 900.000 Geschäfts- und Firmenkunden, davon ca. 178.000 in Ostdeutschland inkl. Berlin. Harald Eisenach, Leiter Unternehmensbank Ost/Sprecher der Regionalen Geschäftsleitung Ost und Mitglied des Management Committee Deutschland der Deutschen Bank AG sowie Vorstandsvorsitzender des Ostdeutschen Bankenverbandes e.V. (OstBV) ist ein exzellenter Kenner der ostdeutschen Wirtschaft. W+M sprach mit ihm über aktuelle Fragen.
W+M: Als Chef der Unternehmensbank Ost der Deutschen Bank und Sprecher der regionalen Geschäftsleitung Ost sowie in Ihrer Rolle als Vorstandsvorsitzender des OstBV haben Sie einen sehr guten Einblick in die Befindlichkeiten der Wirtschaft in Ostdeutschland. Wie erleben Sie die Situation für Unternehmen aktuell?
Harald Eisenach: Die aktuellen Herausforderungen, denen die Wirtschaft ausgesetzt ist, sind vielfältig und weisen oft keine Unterschiede zwischen Ost und West auf. In jedem Fall wird „die Wirtschaft“, die auf Ebene der einzelnen Unternehmen ja höchst unterschiedlich und divers ist, massiv von der Energiethematik und der Lieferketten-Problematik beeinflusst. Die Auswirkungen werden wir erst nach und nach über die nächsten Wochen sehen. Genaue Prognosen sind da noch nicht möglich. Hinzu kommt, dass wir in Deutschland generell ein Nachfolgeproblem bei Familienunternehmen haben, das im Osten noch verstärkt wirkt. Nach der Wende entstanden viele Unternehmen in der ersten Generation, die jetzt eine Unternehmensnachfolge brauchen. Da denkt mancher Unternehmer angesichts der Krisen auch über eine Geschäftsaufgabe nach. Unser Mehrwert auch hier ist es, Gespräche zu führen, um die Unternehmen bei ihren Zukunftsüberlegungen zu unterstützen. Keiner von uns hat eine „Glaskugel“, aber ein Austausch über Branchentrends und Alternativszenarien sowie die Herstellung von Netzwerkkontakten sind oft hilfreich.
W+M: Wie entwickelt sich das Geschäft der privaten Banken in Ostdeutschland?
Harald Eisenach: Der Wettbewerb zwischen den Banken insgesamt ist natürlich groß. International erreichen die deutschen Banken nicht die Margen internationaler Großbanken. In Ostdeutschland sind wir aber gut aufgestellt, um den Unternehmen ein verlässlicher Partner zu sein. Die privaten Banken haben im Osten im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern traditionell einen hohen Marktanteil.
W+M: Sind Ihnen alle Unternehmen gleich wichtig oder wie segmentieren Sie?
Harald Eisenach: Die ostdeutsche Wirtschaft insgesamt ist uns sehr wichtig. Natürlich müssen alle Banken ihre Kompetenzen, Kapazitäten und auch Kosten steuern. Eine daraus folgende Segmentierung sollte sich aber nicht mehr vorrangig an Umsatz- oder Ertragsgrößen festmachen, sondern viel mehr am vorhandenen Bedarf der Firmen und dem Potenzial der Kundenverbindung – neudeutsch dem Wallet – festmachen. Alle Banken investieren in ausgeklügelte, bedarfsgerechte Betreuungssysteme, die Bedarfe der Kunden besser decken und im Tagesgeschäft effizienter sind.
Infolge der kleinteiligen Wirtschaftsstruktur in Ostdeutschland sind die Anforderungen hoch. Die Betreuer sind es aber gewohnt, seit jeher alle „Steine“ mehrfach umzudrehen und schneller zu laufen, als das vielleicht in historisch strukturstärkeren Regionen der Fall ist und war. Diese nötige Intensität ist ein Charakteristikum für die Region und sicher auch der Grund dafür, dass alle Geschäftsbanken in Ostdeutschland ein starkes und erfolgreiches Geschäft vermelden.
W+M: Haben Sie den Eindruck, dass die ostdeutsche Wirtschaft, die in den vergangenen 32 Jahren Beachtliches geleistet hat, widerstandsfähig genug ist, um eine Rezession zu überstehen?
Harald Eisenach: Die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre war beachtlich. Diese Entwicklung ging von einer strukturell schwachen Basis aus. Deshalb bestehen hier reiche Erfahrungshintergründe wie nirgend anderswo. Auch wenn die Firmen im Schnitt kleiner sind, entstanden erfolgreiche Unternehmen, die vielleicht nicht so in der Öffentlichkeit bekannt sind, weil sie lieber erst einmal Geschäft machen als viel darüber zu reden.
Wir stellen in den Unternehmen Aufbruchstimmung und Zukunftsfähigkeit fest. Wie viele meiner Kollegen und Kolleginnen, habe ich den Eindruck, dass die Transformation in der Wirtschaft weiter fortgeschritten ist als in der Gesamtgesellschaft. Die Bedenken beziehen sich eher auf die gesellschaftliche Wahrnehmung und auf mögliche negative Wirkungen für das Geschäftsumfeld. Da geht es auch im Osten natürlich um Themen wie Mitarbeitergewinnung oder die Wirkung auf ausländische Partner.
Ich bin optimistisch, weil ich viele Unternehmer kenne, die auch in diesen Zeiten erfolgreich über Zukunfts- und Wachstumsstrategien nachdenken und diese umsetzen.
W+M: Es gibt Befürchtungen, die gegenwärtige Krise führe zu einer Deindustrialisierung gerade auch in Ostdeutschland. Wird es Insolvenzen geben?
Harald Eisenach: Angesichts der Belastungen in dieser Ausnahmesituation befürchte ich das persönlich schon, allerdings verlasse ich mich da lieber auf konkrete Zahlen. Bisher sehen wir noch keine Insolvenzwelle.
Kritische Anzeichen sind vorhanden. Es wird beispielsweise schwerer für junge Unternehmen, Kapital einzusammeln. Damit wird es komplizierter neue Geschäftsideen und die nötige Innovation für Transformationen umzusetzen. Unternehmen, Banken, Verbände und Politik müssen noch mehr an einem Strang ziehen, damit langfristig negative Folgen für die ostdeutsche Wirtschaft möglichst vermieden oder zumindest abgeschwächt werden.
W+M: Wird es Verlagerungen ins Ausland geben?
Harald Eisenach: Je nachdem, in welchen Wirtschaftsbereichen Unternehmen tätig sind, war Internationalisierung schon immer eine Notwendigkeit und angesichts hoher Löhne und sonstiger Kosten ist der Blick auf den internationalen Markt sinnvoll. Das hat dazu geführt, dass bestimmte Teiltätigkeiten ohnehin schon nicht mehr in Deutschland ausgeübt werden. Verlagerungen ins Ausland sind längst normal. Die steigenden Kosten und Steuern für deutsche Unternehmen verstärken aktuell auch den Wettbewerb innerhalb Europas.
Ich glaube allerdings, dass neben den bestehenden Strukturen auch neue Chancen und neue Arbeitsplätze entstehen, die vielleicht weniger industriell geprägt sind, aber dennoch über hohes Wachstumspotenzial verfügen. Ich bin da durchaus optimistisch.
Berlin ist dafür ein gutes Beispiel. Auch wenn aktuell weniger Kapital in neue Unternehmen fließt, bestehen hier bereits viele neue Geschäftsmodelle, die man jetzt weiterentwickeln kann, auch in Kooperation mit größeren Unternehmen. Gleichfalls kann man auch zum Beispiel auf die Robotik in Dresden schauen oder die Bereiche Optik in Jena oder Pharma/BioTech in Greifswald.
Es entstehen neue Arbeitsplätze und es werden Fachkräfte gesucht. Wir müssen also Arbeitskräfte weiterentwickeln. Wir brauchen mehr Flexibilität und Mobilität. Das steht leider oft genug im Gegensatz zum gelebten Substanzschutzumfeld. Unternehmen entwickeln schon, auch gemeinsam mit regionalen Hochschulen, Konzepte zur Mobilisierung und Umschulung eigener Mitarbeiter, deren Umfeld und Aufgabengebiet sich stark verändert.
Hier steckt eine große Chance. Das setzt aber eine deutliche Bereitschaft zur Veränderung voraus, die nicht nur von den Unternehmen, sondern auch von den Arbeitnehmern und deren Verbänden sowie der Politik gemeinsam getragen werden müssen.
W+M: In vielen Unternehmen stellt man fest, dass die Transformation oder die Auseinandersetzung mit den aktuellen Herausforderungen viel weiter ist als die öffentliche Debatte. Warum wird das so schlecht kommuniziert?
Harald Eisenach: Wenn die Stimmung in den Unternehmen nicht so schlecht ist, wie darüber berichtet wird, dann liegt es offensichtlich an der Berichterstattung. Ich verstehe einfach nicht, warum die „bad News“ in Deutschland immer noch oft Vorrang vor ausgeglichener Berichterstattung haben.
Es gibt nicht nur schwarz-weiß. Es ist nicht hilfreich, alles schwarz zu malen und immer andere zur Problemlösung aufzufordern, im Gegenteil. Die ostdeutschen Unternehmen jedenfalls haben allen Grund, ihre Erfolge auch selbstbewusst nach außen zu tragen. Vorhandene gute Beispiele können und müssen Schule machen!
W+M: Die negativen Erfahrungen mit den Störungen der internationalen Lieferketten haben zu neuen Überlegungen geführt. Mit Russland können wir keinen Handel treiben, mit China haben wir auch so unsere Probleme. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Harald Eisenach: Es gibt nach wie vor Handel mit Russland, denn es gibt Güter, die nicht von den Sanktionen betroffen sind. Schauen wir nach China, ist dort ein großer Teil der deutschen Wirtschaft vertreten und produziert auch lokal, ist also logischerweise auch direkt abhängig von der chinesischen Regierung. Darüber muss man nachdenken und Alternativszenarien entwickeln, die die Lieferfähigkeiten wenig oder nicht beeinträchtigen. Meines Wissens wird das auch bereits gemacht, nur steht dies nicht unbedingt in der Presse.
Europa kann auf sich allein gestellt seine Zukunftsfähigkeit nicht garantieren und da möchte man sich gar nicht komplett abschotten. Aber Asien ist ja auch nicht nur China. Die Globalisierung ist jedenfalls nicht mehr zurückzudrehen, es wird eben nur viel komplizierter aufgrund der politischen Situation. Das beschäftigt alle unsere Kunden, die global aufgestellt sind oder sich damit tragen, ins Ausland zu gehen.
Es gibt viele Unternehmen, die im globalen Wettbewerb deshalb erfolgreich sind, weil sie ihre Hausaufgaben gemacht haben. Sie sind sich der Probleme bewusst, sie haben aber schon längst alternative Energiequellen gefunden und sehen Märkte für ihre Produkte in Ländern, die schneller wachsen als Deutschland. Sie begreifen die Globalisierung nach wie vor als Chance, auch wenn sich die Herangehensweise ändert.
W+M: Wie steht es um das Thema Nachhaltigkeit? Ist die Bedeutung des Themas aktuell in den Hintergrund gerückt?
Harald Eisenach: Unsere aktuellen Energiethemen lassen sich sehr gut mit den Herausforderungen der Nachhaltigkeit verbinden. Genaugenommen müssten sich die Themen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft sogar gegenseitig befördern. Die Interessen könnten nicht näher beieinander sein. Ich stelle aber fest, dass in unserem föderalen System dieses Zusammenspiel kompliziert ist. Die einen haben Wind und brauchen keinen Strom, die anderen haben keinen Wind, brauchen aber Strom. Die Interessenlage an Trassenbau z. B. ist sehr unterschiedlich, einige wollen keine Windräder mehr bauen, weil sie im Wahlkampf sind. Damit wird eine Chance vergeben, weil aus Partikularinteressen notwendige Transformationen verhindert werden und so das System geschwächt wird. So gibt es Unternehmen, die Solarparks haben, diese aber nicht angeschlossen bekommen, weil kommunale Interessen dagegen laufen. Die bürokratische Umsetzung erschwert den erforderlichen Durchgriff.
Insgesamt heißt es aber auch, der Trend zu mehr Nachhaltigkeit in den Unternehmen ist nicht gebrochen. Governance und soziale Themen neben der so wichtigen Umwelt werden für alle in der Gesellschaft noch wichtiger und das ist auch gut so.
W+M: Sehen Sie Beschleunigungen bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren?
Harald Eisenach: Die Notwendigkeit ist erkannt, auch auf der politischen Ebene. Die Durchsetzbarkeit ist aber nicht so einfach. Es gibt Beispiele, wo die Prozesse deutlich beschleunigt werden konnten. Das hing dann von einzelnen Personen ab, die sich über ältere Verordnungen, die nicht mehr passgerecht sind, hinwegsetzten. Die Möglichkeiten für Sonder- und Einzelgenehmigungen sind ja vorhanden, werden aber noch viel zu selten genutzt.
Es muss um das Machen und nicht um das Verhindern gehen und dazu braucht es die richtigen Persönlichkeiten mit den richtigen Einstellungen. Wünschenswert wäre z. B. eine Umkehr der Genehmigungslogik. Das würde bedeuten, dass nach einer normalen Antragsprüfung und Ablauf einer Frist die Genehmigung automatisch erteilt ist, wenn kein Widerspruch vorliegt.
W+M: Wächst die Aufgabe von Verbänden wie dem Ostdeutschen Bankenverband in diesen Zeiten? Braucht es neue oder andere Verbände?
Harald Eisenach: Diese Frage stellt sich nicht nur in unserem Verband, sie stellt sich auch in jedem Konzern, der regional spezifische Produkt- und/oder Organisationsformen hat. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass es in einem Land mit föderalen Strukturen kein „one size fits all“ geben kann. Der eigentliche Mehrwert von regionalen Organisationen ist das Verständnis für die Region. Sie können damit sicherstellen, dass das Verständnis des Marktes besser geeignet ist, nicht in die Falle zu tappen, dass es schon irgendwie überall gleich passen wird. In unserem Bereich ist die Kommunikation zwischen den regionalen oder Landesverbänden mit dem Bundesverband sehr wichtig.
W+M: Müssten nicht die Verbände auch branchenübergreifend viel enger zusammenarbeiten?
Harald Eisenach: Das sollten Sie, weil Themen sich zumeist nicht auf eine Branche beziehen. Die Gefahr von Verbänden besteht aber darin, dass diese ein Eigenleben zu führen beginnen und sich auf einzelne Interessenlagen konzentrieren.
Interview: Frank Nehring