Die chemisch-pharmazeutische Industrie gehört zu den Eckpfeilern der ostdeutschen Wirtschaft. Ihr steht in den nächsten Jahren ein grundlegender Transformationsprozess bevor, zugleich erschüttert die aktuelle Energiekrise die Branche mehr denn andere.
In einer neuen Serie stellt W+M 36 Top-Unternehmen, Chemieparks und Forschungseinrichtungen der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Ostdeutschland vor. Jenseits der Leuchttürme sollte aber nicht übersehen werden: Die Basis der Ostchemie wird zu 95 Prozent aus kleinen und mittleren Unternehmen gebildet. Rund 54.500 Beschäftigte haben ihren Arbeitsplatz in der Ostchemie.
Folge 5.1: Sachsen-Anhalt
Sachsen-Anhalt ist das Zentrum des mitteldeutschen Chemiedreiecks mit Global Playern aus aller Welt und einer Vielzahl mittelständischer Unternehmen an traditionsreichen Chemie-Standorten wie Leuna, Schkopau, Zeitz oder Bitterfeld-Wolfen, wo jährlich rund sieben Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet werden. In fünf Chemieparks in Sachsen-Anhalt mit ihren technologischen Synergien und Stoffverbünden als Standortvorteil wird die komplette Wertschöpfungskette der Chemieindustrie abgebildet.
Polymersynthese, Agrochemie oder Fein- und Spezialchemie stehen für das Leistungsangebot der Branche in Sachsen-Anhalt. Die Chemie- und Pharmaindustrie bildet das industrielle Rückgrat des Bundeslandes. Kein Wunder also, dass auch das geplante Großforschungszentrum „Center for the Transformation of Chemistry“ in Sachsen-Anhalt angesiedelt wird. Ziel des Forschungszentrums CTC wird sein, eine Kreislaufwirtschaft auf der Basis nachwachsender Rohstoffe oder recycelter Materialien in der Chemie zu etablieren.
InfraLeuna GmbH
Sitz: Leuna
Beschäftigte: rund 780
Produkte: Dienstleistung (Chemieparkbetreiber)
Die InfraLeuna GmbH und die mit ihr verbundenen Unternehmen sind Eigentümer und Betreiber des Chemieparks Leuna, in dem rund 100 Unternehmen der Chemieindustrie mit mehr als 12.000 Mitarbeitern tätig sind. Als eines der größten Dienstleistungsunternehmen in Sachsen-Anhalt entwickelt die InfraLeuna GmbH die Infrastruktur des Chemieparks, also beispielsweise die Bereitstellung von Energie und Wasser oder die Entsorgung von Abwässern. Sie stellt aber auch Laborleistungen zur Verfügung und unterstützt Unternehmen bei der Ansiedlung. Der Umsatz der InfraLeuna Gruppe betrug 2021 435 Millionen Euro.
Seit dem Bau des Ammoniakwerkes 1916 gilt Leuna als Hochburg der Chemieindustrie in der Region. Hier wurde einst erstmalig im großem Maßstab Methanol im Hochdruckverfahren hergestellt, die Synthese von Caprolactam zur Erzeugung von Perlon vollzogen und die erste Produktionsanlage für synthetische Tenside betrieben.
Der Chemiepark Leuna umfasst heute ein Gelände von 1.300 Hektar und ist Heimat für viele internationale Chemiekonzerne. BASF Leuna, DOMO, Linde, Shell oder TOTAL sind einige der globalen Großunternehmen, die hier ebenso wie zahlreiche mittelständische Firmen ansässig sind. Das Spektrum der Produkte ist breit gefächert und reicht von der Spezialchemie bis zur Massenchemie. Mit der TotalEnergies-Raffinerie, die in diesem Jahr ihr 25jähriges Bestehen feierte und rund 1.300 Tankstellen in Mitteldeutschland versorgt, der Caprolactamsynthese der DOMO Group oder der Erzeugung technischer Gase im weltgrößten Gasezentrum der Linde AG kann der Chemiepark Leuna den Unternehmen am Standort einen hockkomplexen Stoffverbund anbieten.
Auch in Sachen nachhaltige Chemie soll der Chemiepark Leuna künftig Vorreiter werden. Der finnische Konzern UPM will dort beispielsweise aus Holz chemische Produkte herstellen. Auf der Hochhalde Leuna soll ein Solarpark entstehen, der den Chemiepark mit grüner Energie versorgt und damit eine Grundlage für grünen Wasserstoff bildet. Aus dem Investitionsgesetz Kohleregionen werden Investitionsmittel in Höhe von 184 Millionen Euro für die Erweiterung des Chemieparks fließen. Es sollen künftig vor allem Unternehmen aus der Biochemie und Bioökonomie angesiedelt werden.
DOMO Caproleuna GmbH
Sitz: Leuna
Beschäftigte: rund 620
Produkte: Caprolactam und Polyamid
Leuna gehört zu den insgesamt neun Fertigungsstandorten der international tätigen belgischen DOMO-Gruppe. Seit 1994 produziert die DOMO Caproleuna GmbH im Chemiepark Leuna Caprolactam und Polyamid. Caprolactam ist ein Ausgangsstoff für die Herstellung der Kunstfaser Polyamid 6, beides für die Automobilindustrie sowie viele weitere Branchen unverzichtbar. Domo Chemicals gilt als einer der größten Polyamid-Zulieferer der deutschen Automobilindustrie
Seit Beginn der Produktion in Leuna wurden die Kapazitäten schrittweise auf aktuell 176.000 Jahrestonnen gesteigert. Im März 2022 wurde die Marke von fünf Millionen Tonnen Caprolactam geknackt.
Die Herstellung von Caprolactam in Leuna reicht aber viel weiter zurück. Bereits 1942 ging dort die weltweit erste großtechnische Anlage zur Produktion des Stoffes in Betrieb. Seitdem die DOMO Gruppe 1994 den Standort übernommen hat, wurde die Technologie und das Verfahren kontinuierlich weiterentwickelt und insbesondere die mit der Herstellung verbundenen Energieverbräuche abgesenkt.
Die DOMO Caproleuna GmbH gehört neben der Xentrys Leuna GmbH zum Mutterkonzern DOMO Chemicals, der weltweit Polyamid 6-Zwischenprodukte, Polyamid 6-Granulate, technische Kunststoffe, Düngemittel und flexible Verpackungsfolien aus Polyamid 6 herstellt.
Linde GmbH
Sitz: Leuna
Beschäftigte: mehr als 500
Produkte: Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Spezialgase
Die Werksgruppe Technische Gase der Linde AG übernahm im Jahr 1990 die Produktion und Verteilung technischer Gase der Leuna-Werke. In Leuna befindet sich seitdem das größte Gasezentrum der Linde AG und produziert dort Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Spezialgase wie Argon und Krypton.
Linde versorgt von Leuna aus beispielsweise den Chemie- und Industriepark Zeitz sowie die Chemieparks in Bitterfeld-Wolfen, Piesteritz und Schkopau. In Zukunft will Linde in Leuna auch im großen Umfang grünen Wasserstoff für seine Industriekunden herstellen. Dafür fließen rund 60 Millionen Euro in den weltweit größten Elektrolyseur. Dieser 24-Megawatt-Elektrolyseur soll dann die Industrie über das bestehende Pipelinenetz versorgen und 3.200 Tonnen Wasserstoff mit zertifiziertem Ökostrom pro Jahr herstellen. Linde ist bereits jetzt einer der größten Wasserstofferzeuger der Welt.
Zunächst soll zur Herstellung des Wasserstoffs zertifizierter Ökostrom eingesetzt werden, später dann erneuerbare Energie aus der Region zum Tragen kommen.
LEUNA-Harze GmbH
Sitz: Leuna
Beschäftigte: rund 200
Produkte: Expoxidharze
Die LEUNA-Harze GmbH ist mit einer Jahresproduktion von 70.000 Tonnen einer der führenden Hersteller von Epoxidharzen in Europa. Das mittelständische und eigentümergeführte Unternehmen wurde 1995 gegründet und setzt die bereits seit 1956 bestehende Tradition der Epoxidharzforschung und -herstellung in Leuna erfolgreich fort.
Unter dem Markennamen Epilox vertreibt die LEUNA-Harze GmbH ein vielfältiges Sortiment an Epoxidharzen, Reaktivverdünnern und Härtern. Dafür hat das
Unternehmen bis heute mehr als 400 Millionen Euro in moderne Anlagen investiert. So wurde beispielsweise Anfang November 2021 die neugebaute Phenolharz-Anlage III in Betrieb genommen. Damit erhöhte sich die Kapazität des Unternehmens in dieser Produktgruppe auf knapp 10.000 Tonnen im Jahr. Epilox-Produkte werden als Bindemittel in Verbundwerkstoffen, in Elektro- und Elektronikbauteilen, in bauchemischen Produkten, in Farben und Lacken sowie in Klebstoffen eingesetzt. Die Harze sind aber auch wesentlich für die Stabilität von Rotorblättern in Windkraftanlagen verantwortlich.
Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES
Sitz: Leuna
Beschäftigte: 35 in der Wasserstoffforschung bundesweit
Produkte: Wasserstoffforschung
Das Fraunhofer IWES hat 2022 einen großen Teil der Wasserstoff-Aktivitäten des Fraunhofer IMWS in Halle (Saale) übernommen und in Leuna und Görlitz neu angesiedelt. Für die notwendige Transformation der Chemieindustrie von fossilen Ressourcen zum Einsatz von grünem Wasserstoff ist die Forschung unabdingbar, denn es bedarf neuer Technologien, Infrastrukturen und Energie- und Rohstoffverbünde.
Im Mitteldeutschen Chemiedreieck hat die Fraunhofer-Gesellschaft mit dem Hydrogen Lab Leuna (HLL) eine neue Generation der Testinfrastruktur aufgebaut. Sie ist Teil des Stoffverbunds des Chemieparks Leuna. Das HLL betreibt vier Teststände plus Technikum für Elektrolyseure bis 5 MW. Der produzierte grüne Wasserstoff wird vor Ort analysiert, aufbereitet und direkt in die 157 km lange H2-Pipeline eingespeist, von wo aus er zu den Industriestandorten der Region verteilt wird. Dank der Integration in den Chemiestandort Leuna können innovative Prozesse für die Sektorenkopplung im Pilotmaßstab direkt am Standort unter realistischen Bedingungen erprobt werden.
DOW Olefinverbund GmbH
Sitz: Schkopau
Beschäftigte: rund 1.600
Produkte: Kunststoffe und Spezialchemikalien
An vier Standorten im Raum Halle-Leipzig, in Schkopau, Leuna, Teutschenthal und dem sächsischen Böhlen, produziert Dow Kunststoffe und Spezialchemikalien beispielsweise für Verpackungen oder die Bauindustrie. Seit 1998 betreibt Dow in Schkopau und Böhlen auch den Value Park, einen Chemiepark für Kunststoffproduzenten, kunststoffverarbeitende Unternehmen und chemienahe Dienstleister. Vor allem Dow-Kunden und Zulieferunternehmen wurden hier angesiedelt.
Als Betreiber bietet Dow Ver- und Entsorgungsleistungen, Transport- und Logistikdienstleistungen und ein vielfältiges Angebot an lokal verfügbaren Dow-Produkten. Die Werke Schkopau, Böhlen, Leuna und Teutschenthal sind für den Austausch von chemischen Grundstoffen durch ein Pipelinenetz auf einer Gesamtlänge von 1.300 km verbunden. In Schkopau selbst stellt Dow Zwischenprodukte zur Herstellung von Polyvinylchlorid (PVC) her, des Weiteren Natronlauge , Dispersionspulver und Polyethylen.
Trinseo Deutschland GmbH
Sitz: Schkopau
Beschäftigte: 160
Produkte: Polystyrol
Die im Jahre 2010 gegründete Trinseo Deutschland GmbH betreibt in Schkopau mehrere Anlagen zur Herstellung von Polystyrol sowie im sächsischen Böhlen eine Anlage zur Herstellung von Styrol, dessen Zukunft im Zuge eines Unternehmensumbaus gegenwärtig aber in Frage steht. Die Trinseo Deutschland GmbH hat in Schkopau mehrere Anlagen aus dem Verbund der Dow Olefinverbund GmbH übernommen. Die Kautschukproduktion am Standort hat das Unternehmen mittlerweile allerdings veräußert.
Trinseo ist einer der weltweit größten Produzenten von Polystyrol. Die Produkte finden unter anderem als Ausgangsstoff für die Herstellung von Dämmstoffplatten, aber auch bei der Produktion von Kommunikationstechnik, in der Verpackungsindustrie, für die Kühlgeräteinnenausstattung sowie in der Medizintechnik Verwendung.
Synthos Schkopau GmbH
Sitz: Schkopau
Beschäftigte: 460
Produkte: Synthese-Kautschuk
Kautschuk gilt als die Keimzelle des Chemiestandorts Schkopau. In den 1990ern hatte Dow Chemicals dort die Buna-Werke übernommen und die Kautschuk-Sparte später an den US-Konzern Trinseo verkauft. Ende 2021 hat die polnische Synthos-Gruppe nun die Produktion übernommen. Der Erwerb des Werks in Schkopau ist die größte Transaktion in der Geschichte des Unternehmens. Durch die Übernahme erwartet Synthos Synergien von mehr als 20 Millionen Euro durch gestiegene Absatzmengen, effizientere Nutzung der Produktionskapazitäten, die Einführung neuer Kautschuksorten und schließlich durch Kostensynergien. Neben den Produktionsanlagen verfügt das Werk in Schkopau auch über eine hochwertige Forschungs- und Entwicklungsabteilung.
Dadurch ist das polnische Unternehmen nach eigenen Angaben zweitgrößter Produzent für Synthese-Kautschuk weltweit. Durch die Übernahme in Schkopau hat Synthos sein Produktportfolio um technologisch hochwertige Styrol-Butadien-Kautschuken erweitert. Abnehmer ist vor allem die Reifenindustrie und hier inbesondere Reifen für Elektrofahrzeuge. Styrol-Butadien-Kautschuke werden hauptsächlich in High-Tech-Reifen mit geringem Rollwiderstand verwendet.
Infra-Zeitz Servicegesellschaft mbH
Sitz: Zeitz
Beschäftigte: mehr als 50
Produkte: Dienstleistung (Chemiepark-Betreiber)
Die Infra-Zeitz Servicegesellschaft mbH betreibt den Chemie- und Industriepark Zeitz, einer von sechs mitteldeutschen Chemiestandorten. In der Nachbarschaft befinden sich der Chemiepark Leuna, die Total Raffinerie Mitteldeutschland, der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen und die Standorte der Dow Chemical in Schkopau und Böhlen.
Als Standortmanager betreut die Infra-Zeitz Servicegesellschaft mbH die ansässigen Unternehmen mit Facility Management und Infrastruktur- und technischen Dienstleistungen wie der Bereitstellung von Energien und Produktionshilfsstoffen sowie der Entsorgung der Prozesswässer.
Schon in den 30er Jahren entstand in Zeitz ein Hydrierwerk, in dem Braunkohle zu Treib- und Schmierstoffen verarbeitet wurde. In den 70er Jahren war Zeitz ein wichtiger Standort der petrolchemischen Industrie in Ostdeutschland. In den 90er Jahren schließlich erfolgte der Umbau zum heutigen Chemiepark.
Mehr als 50 nationale und internationale Betriebe sind im Zeitzer Chemiepark angesiedelt, davon zehn Industriebetriebe, mit insgesamt 1.000 Mitarbeitenden. In Zeitz werden chemische Grundstoffe, Schmierstoffe und Produkte der Spezialchemie wie Wachsprodukte für die Papier- und Kosmetikindustrie und Klebstoffe für die Möbelherstellung produziert. Der Chemie- und Industriepark Zeitz fokussiert dabei zunehmend auf die Ansiedlung „grüner“ Chemie. Mit der Bioraffinerie am Standort gehört die industrielle Verwertung von Biomasse bereits zu den besonderen Kompetenzen der Zeitzer.
Teil 1: Berlin
Teil 2: Brandenburg
Teil 3: Mecklenburg-Vorpommern
Teil 4: Sachsen
Teil 5.1: Sachsen-Anhalt
Teil 5.2: Sachsen-Anhalt
Teil 6: Thüringen
Wird fortgesetzt.