Wirtschaft und Markt

Die Top-Unternehmen der ostdeutschen Chemieindustrie – #4 Sachsen

Die chemisch-pharmazeutische Industrie gehört zu den Eckpfeilern der ostdeutschen Wirtschaft. Ihr steht in den nächsten Jahren ein grundlegender Transformationsprozess bevor, zugleich erschüttert die aktuelle Energiekrise die Branche mehr denn andere.

In einer neuen Serie stellt W+M 36 Top-Unternehmen, Chemieparks und Forschungseinrichtungen der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Ostdeutschland vor. Jenseits der Leuchttürme sollte aber nicht übersehen werden: Die Basis der Ostchemie wird zu 95 Prozent aus kleinen und mittleren Unternehmen gebildet. Rund 54.500 Beschäftigte haben ihren Arbeitsplatz in der Ostchemie.

Folge 4: Sachsen

Die chemisch-pharmazeutische Industrie in Sachsen umfasst ein breites Spektrum an Produzenten, deren Angebote von chemischen Stoffen auf Silicium-Basis über Radiopharmaka, Lacke und Farben bis hin zu Reinigungsmitteln reicht. Rund ein Fünftel der in Ostdeutschland in der Branche Beschäftigten arbeitet im Freistaat. Mit dem Standort Böhlen ist Sachsen Teil des so genannten Mitteldeutschen Chemiedreiecks. Die jüngst beschlossene Errichtung eines „Center for the Transformation of Chemistry“, ein Großforschungszentrum für eine umweltfreundlichere Chemieproduktion, sieht vor, dass ein Teil des Forschungsinstituts auch in Delitzsch angesiedelt werden soll.

CUP Laboratorien Dr. Freitag GmbH
Sitz: Radeberg
Beschäftigte: rund 60
Produkte: Analyse von radioaktiven Arzneimitteln und Auftragslabor für die Pharmaindustrie.

Es begann 1991: Doris Freitag, vor der Wende Leiterin des zentralen Analytiklabors von Robotron Elektronik in Radeberg, gründete in Ullersdorf bei Radeberg  das „Chemische Labor für Umwelt- und Produktanalytik“ – zunächst als eine Ein-Frau-Unternehmung. 2006 wurde daraus die CUP Laboratorien Dr. Freitag GmbH. Standen zunächst Boden-, Abfall- oder Wasseranalysen im Fokus des Radeberger Familienunternehmens, gewann später die Pharma-Industrie als Kundensegment immer mehr an Bedeutung. Im Jahr 2008 übernahm Dr. Dirk Freitag-Stechl, der Sohn der Firmengründerin, die Geschäftsleitung, das Unternehmen bezog zudem moderne Labor- und Verwaltungsgebäude in Radeberg.

2017 schloss die CUP Laboratorien Dr. Freitag GmbH ihre Sparte Umweltanalytik und konzentriert sich seither auf ihre Kernkompetenz als Forschungslabor für die Pharmaindustrie. Ein besonderer Schwerpunkt der Radeberger ist die Analyse von Radiopharmaka, eine besonders im Bereich der Sterilitätsprüfung anspruchsvolle Herausforderung. Das RADIOSTER-Labor des Familienunternehmens sieht sich als eines der weltweit führenden Labore für solche radioaktiven Sterilitätstests. Die CUP Laboratorien Dr. Freitag GmbH ist darüber hinaus auch an diversen Forschungsprojekten beteiligt. Weil in der Region um Dresden und Radeberg die Radiopharmaka-Branche stetig wächst, hat das Unternehmen 2022 erneut in die Erweiterung seines Standorts investiert.

Fit GmbH
Sitz: Zittau-Hirschfelde
Beschäftigte: mehr als 250
Produkte: Putz-, Wasch- und Spülmittel

Das Gelände der fit GmbH. Copyight: fit GmbH

Die Geschichte der Fit GmbH beginnt eigentlich 1954 im heutigen Chemnitz. In jenem Jahr meldete der VEB Fettchemie den Markennamen fit-flüssig an, der Grundstein für das spätere Spülmittel fit. Die erste Produktionsanlage in der grenznahen Gemeinde Hirschfelde im Dreiländereck mit Polen und Tschechien entstand 1967. 1993 kaufte der promovierte Chemiker Dr. Wolfgang Groß das Werk. Seither hat sich das Unternehmen fit GmbH fortlaufend erweitert. Aus dem einstmals reinen Handspülmittelanbieter hat sich ein Hersteller mit einer vielfältigen Produktpalette entwickelt.

Maschinengeschirrspülmittel, Haushaltsreiniger, Waschmittel, Weichspüler und auch Kosmetikprodukte  – insgesamt über 350 Artikel – stammen aus dem heute zu Zittau gehörenden Hirschfelde. Das kontinuierliche Wachstum der fit GmbH rührt nicht zuletzt auch aus der Übernahme bekannter Marken. Rei, Sanso, Kuschelweich, Sunil oder die Haarpflegemarke GARD gehören mittlerweile zum Sortiment der fit GmbH.

Durch die über die Jahre getätigten Investitionen in Höhe von über 200 Millionen Euro in den Ausbau der Produktionsanlagen gehört das fit-Werk heute zu den europaweit modernsten der Branche. Im Jahr 2021 erzielte das Hirschfelder Unternehmen einen Jahresbruttoumsatz von 206 Millionen Euro und setzte 93 Millionen Packungen seiner Produkte am Markt ab. Das Jahr zuvor, 2020, war sogar bereits als das erfolgreichste in der Geschichte der fit GmbH eingegangen.

Nun soll die Internationalisierung der fit GmbH vorangetrieben werden und der Auslandsumsatz in den nächsten drei Jahren mindestens um das Dreifache steigen. Trotz der gegenwärtigen Inflation, zahleichen Lieferengpässen und extremen Kostensteigerungen bei den Roh- und Packstoffen konnte die fit GmbH im laufenden Jahr bis Ende August um gut neun Prozent zulegen, auch dank der stabilen Absätze der Marken fit Spülmittel und Kuschelweich.

GlaxoSmithKline Biologicals NL der SmithKline Beecham Pharma GmbH & Co. KG
Sitz: Dresden
Beschäftigte: rund 750
Produkte: saisonale und pandemische Grippe-Impfstoffe, Hepatitis-Impfstoffe

Die Impfstoffproduktion in Dresden kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Bereits 1903 wurde die bakteriologische Abteilung innerhalb der Dresdner Chemische Laboratorium Lingner GmbH gegründet. Daraus formierte sich später das Sächsische Serumwerk ­– in der DDR der wichtigste Produzent von Impfstoffen. Nach der Wende wurde der Betrieb vom britischen

Arzneimittelhersteller SmithKline Beecham weitergeführt, heute vom britischen Konzern GlaxoSmithKline (GSK). Dresden ist einer von zwei deutschen und von insgesamt 80 Produktionsstandorten der Briten weltweit. Der Pharmakonzern selbst ist global in mehr als 150 Märkten aktiv.

Das Geschäft von GSK gliedert sich in die drei Unternehmenssparten Pharma, Impfstoffe und Consumer Healthcare. Die Dresdner Impfstoff-Produktion zählt zum Bereich GSK Vaccines, in dem rund 40 verschiedene Kinder- und Erwachsenenimpfstoffe gegen Erkrankungen wie z.B. Hepatitis, Diphtherie, Masern, Kinderlähmung, Typhus, Gürtelrose oder Grippe produziert werden.

In der sächsischen Landeshauptstadt stellt die GlaxoSmithKline Biologicals saisonale Grippe-Impfstoffe für den Weltmarkt her und exportiert diese in rund 70 Länder. Zudem erfolgt in der Elbestadt die Formulierung und Abfüllung von Hepatitis-Impfstoffen. Der Dresdner Grippeimpfstoff enthält Antigene von vier zirkulierenden Virusstämmen. Die Viren werden in Dresden zunächst im Labor getestet und gezüchtet. Anschließend werden inaktivierte Spaltpartikel-Lösungen jeweils eines Virusstammes, sogenannte Monobulks, hergestellt und diese in einem definierten Verhältnis gemischt. So entsteht der fertige Impfstoff, der in Fertigspritzen abgefüllt und dann an anderen GSK-Standorten für den Vertrieb verpackt wird.

Herlac Coswig GmbH
Sitz: Coswig
Beschäftigte: rund 60
Produkte: Holzlacke, Holzbeizen, Industrielacke

„Die Macht der Farbe“ – so wirbt die Herlac Coswig GmbH für ihre Produkte. Coswig, nordwestlich von Dresden gelegen, ist schon seit nahezu 200 Jahren ein Standort für die Lacke- und Farbenindustrie. Die Vorläufer der heutigen Herlac Coswig GmbH produzierten hier schon ab 1833 Lacke und Farben, ab 1927 in den „Vereinigte Lack- und Farbenfabriken Coswig“  u.a. Blechlacke für den Automobilbau.

Nach der Wende wurde aus dem VEB-Unternehmen in Coswig zunächst im Jahre 1990 die Coswig Lacke GmbH, 1992 die Herberts Industrielacke GmbH – Werk Coswig und im Jahre 1997 schließlich die Herberts Möbellacke Coswig GmbH. 2007 schließlich entstand nach einem Gesellschafterwechsel die Herlac Coswig GmbH. Seit 2010 ist das Unternehmen Teil der international agierenden Mipa-Firmengruppe aus dem bayerischen Essenbach. Der Schwerpunkt der Produktion in Coswig liegt bei modernen Holzlacken und Holzbeizen. Daneben werden Industrielacke und Komponenten für Industrielacke gefertigt sowie umweltkonforme Beschichtungslösungen wie zum Beispiel Wasserlacksysteme oder lichthärtende UV-Lacke.

WACKER Chemie AG
Sitz: Nünchritz
Beschäftigte: rund 1.500
Produkte: Polysilicium, Silicone, Pyrogene Kieselsäure, Silane

Am Standort Nünchritz produziert WACKER Silicone und Polysilicium
Copyright: WACKER Chemie AG

Bereits seit 1899 gilt Nünchritz im Landkreis Meißen als ein bedeutender Chemiestandort in Sachsen. In jenem Jahr eröffnete die Friedrich-von-Heyden AG nahe der dörflichen Gemeinde eine Chemiefabrik. Bis in die 90er Jahre wurde dort Schwefelsäure für die Salicylsäureherstellung produziert.

Zu DDR-Zeiten spezialisierte sich das VEB Chemiewerk Nünchritz auf die Herstellung von Siliconen. So entstanden auch erste geschäftliche Kontakte zu dem Münchener Chemiegroßkonzern WACKER Chemie AG. 1998 erwarb WACKER das Werk in Sachsen. Heute ist die WACKER Chemie AG in Nünchritz mit rund 1.500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der größte Chemiearbeitgeber in Sachsen.

Die Liste der in Nünchritz produzierten Stoffe ist lang: Chemische Stoffe auf Silicium-Basis, vor allem etwa 200 verschiedene Silicone, hochdisperse, pyrogene Kieselsäuren und hochreines polykristallines Silicium für die Solarindustrie sind in erster Linie zu nennen. Darüber hinaus betreibt WACKER in Nünchritz eine Kartuschen-Abfüllanlage für Silicon-Kleb- und Dichtmassen. Das Unternehmen ist zweitgrößter Hersteller von silanterminierten Bindemitteln für Kleb- und Dichtstoffe und hat jüngst seine Produktionskapazitäten für Hybridpolymere deutlich ausgebaut, um seinen Fokus auf Spezialchemieprodukte weiter zu stärken. Die chemischen Stoffe der Sachsen fließen in die unterschiedlichsten Produkte ein: Sonnencremes, Lippenstifte, Haarsprays, Textilien bis hin zu Solarpaneelen und Windrad-Rotoren.

Teil 1: Berlin
Teil 2: Brandenburg
Teil 3: Mecklenburg-Vorpommern

Wird fortgesetzt.

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