Samstag, Dezember 21, 2024

Wirtschaftsminister Steinbach: „Das Interesse der Investoren an Brandenburg ist ungebrochen.“

Dr. Jörg Steinbach, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Energie in Brandenburg, über die Folgen der Energiekrise für die brandenburgische Wirtschaft, den Mangel an Fachkräften und die Attraktivität des Landes für Großinvestoren.

W+M: Herr Steinbach, das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung soll die Folgen der massiven Steigerung der Energiepreise für Bürgerinnen und Bürger und für die Unternehmen abmildern. Reichen die geplanten Maßnahmen aus Ihrer Sicht für die brandenburgische Wirtschaft aus?

Jörg Steinbach: Das aktuelle dritte Entlastungspaket der Bundesregierung weist mit Maßnahmen wie der Energiepreiskappung und der Abschöpfung von Zufallsgewinnen in jedem Fall in die richtige Richtung. Allerdings weiß im Augenblick noch niemand konkret, wie diese Maßnahmen ausgestaltet und finanziert werden sollen. Diese Fragen müssen nun möglichst schnell geklärt werden, denn den Unternehmen fehlt es gegenwärtig vor allem an Planungssicherheit.

W+M: Die so genannte Zufallsgewinnsteuer ist durchaus umstritten. Befürworten Sie eine solche Steuer?

Jörg Steinbach: In dieser Frage gibt es ja zwei unterschiedliche Philosophien: Eine Möglichkeit zur Finanzierung der Entlastungspakete wäre eine Aufhebung der Schuldenbremse. Dann ließe sich die Finanzierung über eine Kreditaufnahme bewerkstelligen. Dazu müsste analog zum Vorgehen in der Coronakrise eine außergewöhnliche Notlage festgestellt werden.

Hält man hingegen an der Schuldenbremse fest, kommt als alternative Finanzierungsmöglichkeit die Zufallsgewinnabführung ins Spiel. Welche Variante wirtschaftlich nachhaltiger ist, können Volkswirte besser beurteilen. Aus der Sicht eines Bundeslandes tendiere ich eher zur Nettokreditaufnahme, denn eine Abschöpfung von Zufallsgewinnen können wir auf Landesseite nicht vornehmen.

W+M: Gibt es in der brandenburgischen Wirtschaft denn auch Profiteure der Energiekrise?

Jörg Steinbach: Das lässt sich nicht so einfach beurteilen: Es gibt natürlich Unternehmen, die von den hohen Verkaufspreisen im Energiebereich profitieren. Aber die Medaille hat auch hier zwei Seiten. Denn auf der Einkaufsseite müssen diese Unternehmen jetzt eine vielfach höhere Liquidität zur Absicherung der Transaktionen bereithalten. Im Zweifelsfall bewerten sie die daraus möglicherweise resultierenden Liquiditätsprobleme höher als die erzielten Gewinne.

W+M: Der Lieferstopp beim russischen Gas hat die Frage nach den Abhängigkeiten der deutschen Wirtschaft von Importen auf die Tagesordnung gebracht. Funktioniert internationaler Handel überhaupt ohne Abhängigkeiten, auch von Ländern, die unsere Werteordnung nicht teilen?

Jörg Steinbach: Ich habe beruflich viele Jahre in der chemischen Industrie verbracht. Dort habe ich gelernt, sich nicht in die Abhängigkeit eines einzigen Rohstofflieferanten zu begeben. Dieses Prinzip wurde in der Energiepolitik lange Zeit vernachlässigt. Wir müssen nun noch stärker in einem europäischen Kontext agieren. Wir müssen auch deutlicher den Wert der europäischen Gemeinschaft kommunizieren, den Menschen erklären, wie notwendig es ist, in dieser Gemeinschaft zusammenzuarbeiten statt Partikularinteressen zu verfolgen.

W+M: Es gibt Stimmen in der Politik, auch unter den ostdeutschen Ministerpräsidenten, die die Wirksamkeit der Sanktionen gegen Russland anzweifeln. Empfinden Sie die Sanktionen nach wie vor als gerechtfertigt?

Jörg Steinbach: Ich habe mich mit dieser Frage zuletzt intensiv beschäftigt. Es liegen belastbare Zahlen vom Europäischen Rat über die Folgen der Sanktionen vor. Dort lässt sich nachlesen, dass die russischen Im- und Exporte um 30 bis 35 Prozent eingebrochen sind, auch auf den Gebieten, in denen Russland zur Fortführung des Krieges auf Importe angewiesen ist, etwa bei der Hochtechnologie.

Die Politik hat zu wenig veranschaulicht, dass wirtschaftliche Sanktionen einen langen Atem erfordern und erst dann eine nachhaltige negative Wirkung auf die russische Wirtschaft ausüben. Ich schätze diese Wirkung als deutlich gravierender ein als mancher andere in der politischen Diskussion, aber nicht aus einem Gefühl heraus, sondern auf der Basis von Fakten und Daten, die uns zur Verfügung stehen.

W+M: Dennoch haben die Sanktionen ja auch Folgen für die heimische Wirtschaft. Droht Brandenburg eine Insolvenzwelle?

Brandenburgs Wirtschaftsminister Prof. Jörg Steinbach. Foto: W+M

Jörg Steinbach: Das hängt wesentlich davon ab, wie schnell wir die Entlastungsmaßnahmen umsetzen können. Je länger es dauert, desto größer ist die Gefahr einer solchen Insolvenzwelle. Was die mittelständischen Betriebe betrifft, möchte ich es so formulieren: Wir werden in der Lage sein, sie zu unterstützen.

Generell lässt sich die wirtschaftliche Situation in den einzelnen Bundesländern aber nicht über einen Leisten schlagen. Die Maßnahmenpakete orientieren sich ja an Durchschnittsbetrachtungen. Sie werden in einzelnen Branchen und Regionen ganz unterschiedlich wirksam werden. Das ist auch einer der Gründe, warum diese Maßnahmen so unterschiedlich bewertet werden.

W+M: Die Wirtschaft der Bundesrepublik steht ganz unabhängig von den Folgen des Ukraine-Krieges vor einem gewaltigen Umbau in Sachen Klimaschutz. Wie ist Brandenburgs Wirtschaft darauf vorbereitet?

Jörg Steinbach: Wir erleben zurzeit zwei gegenläufige Bewegungen. Auf der einen Seite sind private Haushalte, Kommunen und Unternehmen bestrebt, möglichst schnell mehr Autarkie bei der Energieversorgung zu gewinnen. Auf der anderen Seite sollen die Unternehmen ihre Prozesse und Verfahren dekarbonisieren. Die dafür notwendigen Investitionen werden aber angesichts der hohen Kostenbelastungen momentan hinausgeschoben.

W+M: Wie steht denn Brandenburg in Sachen Ausbau der erneuerbaren Energien im Vergleich zu anderen Bundesländern da?

Jörg Steinbach: Wir stehen im bundesdeutschen Vergleich an zweiter Stelle der Bundesländer. Diese Spitzenstellung hilft uns auch bei Gesprächen mit Investoren, das stellen wir immer wieder fest. Wir dürfen uns darauf aber nicht ausruhen, denn die Elektrifizierung etwa der Mobilität oder die Umstellung der Verfahren in der chemischen Industrie erfordert noch deutlich mehr an erneuerbarer Stromerzeugung. Wir befinden uns auf der Mitte des Weges, aber wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, um bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen.

W+M: Grüner Wasserstoff ist in der Energiefrage mittlerweile zum Hoffnungsträger avanciert. Wann ist mit dessen Einsatz realistisch zu rechnen?

Jörg Steinbach: Die Prognosen gehen davon aus, dass 2027 die vorhandenen technischen Ideen praxistauglich sein werden. Das ist auch ein realistischer Zeitraum für den Ausbau der Infrastruktur, etwa der Wasserstoffpipeline von Rostock in den mitteldeutschen Raum und die daran angebundenen lokalen Verteilnetze. Ich bin mir sicher, dass die Welt der Energieversorgung 2030 eine deutlich andere sein wird als heute. Bei vielen Entwicklungen, sei es die Batterietechnologie oder die Nutzung der Geothermie, haben wir in Deutschland immer nur reagiert, deshalb sind wir gegenüber anderen Wirtschaftsräumen bis zu zehn Jahre im Rückstand. Das muss sich ändern, wir müssen bei solchen technischen Entwicklungen wieder vor die Welle kommen. 

W+M: Ein Hemmschuh dabei sind aus der Sicht der Wirtschaft auch zu lange Planungs- und Genehmigungsverfahren. Gibt es schon greifbare Fortschritte bei der Modernisierung der Verwaltung?

Jörg Steinbach: Im so genannten Osterpaket sind Gesetze zum beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien beschlossen worden. Was bis jetzt noch fehlt, sind konkrete Maßnahmen zu Planungsbeschleunigung. Die Ideen dafür liegen ja auf dem Tisch. Ministerpräsident Dietmar Woidke hat beispielsweise vorgeschlagen, die Möglichkeiten der gerichtlichen Anfechtung von Infrastrukturvorhaben auf eine Verfahrensstufe zu reduzieren. Im Augenblick stößt aber auch die Politik an Kapazitätsgrenzen, weil so viele Gesetze und Verordnungen parallel angegangen werden müssen. Alleine das Osterpaket der Bundesregierung tangiert in der Summe so viele Rechtsbereiche wie es sonst vielleicht in einer gesamten Legislaturperiode geschieht.

W+M: Werden die hohen Energiekosten des Standorts jetzt zu einem Hindernis für die Ansiedlung von Investoren in Brandenburg?

Brandenburgs Wirtschaftsminister Prof. Jörg Steinbach. Foto: W+M

Jörg Steinbach: Wir bewerben uns gegenwärtig um 35 Großinvestitionsprojekte, das sind Projekte ab einem Investitionsvolumen von über 100 Millionen Euro oder bei denen mehr als 100 Arbeitsplätze geschaffen werden. Natürlich stehen wir bei diesen Projekten in einem europäischen Wettbewerb. Ich wäre zufrieden, wenn es zwei bis drei Ansiedlungen geben würde und bin zuversichtlich, dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode Erfolge verkünden können. Das Interesse der Investoren an Brandenburg ist ungebrochen.

W+M: Ist die Anzahl der neugeschaffenen Arbeitsplätze bei solchen Ansiedlungen überhaupt noch ein entscheidendes Kriterium?

Jörg Steinbach: Es ist ein Kriterium bei Projekten, die mit GRW-Mitteln gefördert werden, da zusätzliche Arbeitsplätze dort als eine verbindliche Fördervoraussetzung verankert sind. Was in der Wirtschaft vielfach kritisiert wird, weil wichtige Investitionen etwa zur Dekarbonisierung nicht unbedingt mit einem Beschäftigungszuwachs einhergehen.

W+M: Ein weiteres Hindernis beim Umbau der brandenburgischen Wirtschaft ist der Fachkräftemangel. Wie kann das Land Brandenburg dem entgegenwirken?

Jörg Steinbach: Wir versuchen mit etablierten und neuen Konzepten, die vorhandenen Fachkräfte im Land zu halten und auch weiterzubilden und darüber hinaus, neue hinzuzugewinnen. Dabei werden wir deutlich stärker das Thema Fachkräftezuwanderung aus dem Ausland in den Fokus rücken. Wir sind zum Glück an einem Punkt angelangt, wo auch in den Betrieben die Bereitschaft vorhanden ist, sich diesem Thema zu öffnen und einen Kulturwandel in den Unternehmen einzuleiten.

W+M: Wie sieht es bezüglich dieser Frage in der öffentlichen Verwaltung aus? Kann hier die Digitalisierung die Probleme lösen?

Jörg Steinbach: Die Digitalisierung alleine ist nicht das Allheilmittel. Zwei Beispiele: Das Beharren auf Deutsch als einzige Amtssprache verzögert gerade bei internationalen Investoren die Genehmigungsprozesse. Dieses Problem bekommt man nicht durch die Digitalisierung gelöst. Ein anderes Problem ist die Justiziabilität. Die Genehmigung für die E-Autoproduktion von Tesla in Grünheide umfasste fast 70 Aktenordner. Jede einzelne Seite davon musste kontrolliert und paginiert werden, sonst wäre der Bescheid juristisch anfechtbar gewesen. Diese Prozesse zu digitalisieren und automatisieren und gleichzeitig rechtssicher zu machen, ist keine triviale Herausforderung.

Wirtschaftsminister Prof. Jörg Steinbach und W+M-Chef Frank Nehring. Foto: W+M

W+M: Eine abschließende Frage. Die aktuelle Ausgabe des Magazins Wirtschaft+ Markt steht unter dem Titel „Zeitenwende“. Was verbinden Sie mit dem Begriff?

Jörg Steinbach: Für mich wäre es eine Zeitenwende, wenn es uns gelänge, dass die Gesellschaft wieder zu ihren Werten zurückfindet und näher zusammenrückt statt weiter auseinanderzudriften.

Interview: Frank Nehring

 

 

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