Sachsens MP Michael Kretschmer: Die sächsische Wirtschaft ist krisenerprobt und anpassungserprobt

W+M sprach im Interview mit dem Sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer über die aktuelle Lage der Wirtschaft im Freistaat, über seine Kritik an der Energiepolitik der Bundesregierung und die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel.

W+M: Angesichts der Probleme aus der Corona-Krise, verstärkt durch den Krieg in der Ukraine, sind Lieferketten unterbrochen, die Energiepreise galoppieren davon und die Inflation tut ein Übriges. Wie geht es der Sächsischen Wirtschaft? Wie krisenstabil ist sie?

Michael Kretschmer: Die sächsische Wirtschaft ist sehr breit aufgestellt. Und sie ist krisen- und anpassungserprobt. Durch die hier vorhandene Struktur ist sie auch sehr reaktionsfähig. Aber klar ist auch: die extrem steigenden Energiepreise sind eine enorme Herausforderung. Die Bundesregierung hat uns hier in eine Richtung geführt, die für Einzelne existenzgefährdend sein kann.

Wir waren vor diesem furchtbaren Krieg bestrebt, unabhängiger von China und Asien zu werden. Deshalb gab es zusätzliche Investitionen in Europa und auch in Sachsen. Dabei ging es um erneuerbare Energien und Wasserstoff, aber auch um neue Mobilitätsformen. Das war, auch mit Blick auf den Strukturwandel, eine sehr erfreuliche Entwicklung, die jetzt in Gefahr ist.

Es liegt in unserer Hand, wie die Energiepolitik in Deutschland aussieht. Ich kann nur dazu raten, dass man die Realitäten anerkennt.

Dazu gehört für mich auch, alle Ressourcen, die wir zur Verfügung haben, jetzt in die Waagschale zu werfen, um die Preise abzusenken und dauerhaft niedrig zu halten. Sonst stellt sich die Frage, ob Produktion hier noch möglich ist. Es kann aber ja nicht in unserem Interesse sein, dass hier Produktion zum Stillstand kommt und Investoren aus dem Ausland einen Bogen um Deutschland machen.

W+M: Welche Preise meinen Sie konkret?

MP Michael Kretschmer. Foto: W+M

Michael Kretschmer: Wir hatten zuletzt eine Kostenspirale, die sich in verschiedenen Bereichen unkontrolliert bewegt, so beim Thema Gas. Es ist nicht möglich, für die kommenden fünf bis zehn Jahre ohne russisches Gas in Größenordnungen diese Volkswirtschaft wettbewerbsfähig zu halten. Das ist eine bittere Erkenntnis, aber sie folgt aus vielen Entscheidungen, die über politische Parteigrenzen hinweg über Jahrzehnte vorbereitet wurden. Es begann mit dem Ausstieg aus der Atomenergie, gefolgt vom Ausstieg aus der Kohleverstromung. Das alles hat zu einem Mangel an grundlastfähiger Energie geführt, die durch Gas ersetzt worden ist. Das ist ein Fakt und ist nicht von heute auf morgen zu ändern.

Daher müssen wir Ressourcen, über die wir verfügen, jetzt auch mobilisieren. Das beginnt damit, die vorhandene Atomkraft für die nächsten Jahre weiter zu nutzen. Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten immer wieder erklärt, dass dies aus verschiedenen Gründen nicht geht. Dies wurde längst von Experten widerlegt.

Dazu kommen die Ressourcen der Braunkohlekraftwerke, aber natürlich auch die Nutzung des in Deutschland vorkommenden Erdgas. Es ist doch heuchlerisch, auf der einen Seite das Frackinggas aus Amerika zu nutzen und auf die eigenen Ressourcen zu verzichten. Das geht so nicht. Daneben gibt es auch viel Potenzial im Bereich der Wasserkraft oder Biomasse.

Mancher Grünen-Politiker scheint den Anstieg der Energiepreise billigend in Kauf zu nehmen und zu glauben, dass hohe Energiepreise letztlich für eine Beschleunigung des Strukturwandels sorgen und neue Technologien sich so schneller durchsetzen. Aber das ist ein gefährlicher Irrglaube. Deutschland verliert auf diesem Wege seine internationale Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland darf seine Wettbewerbsfähigkeit aber nicht verlieren.

W+M: Sie gehörten schon immer zu den Vertretern, die auf die Notwenigkeit von russischem Gas zur erfolgreichen Energiewende hinwiesen. Allerdings hat man den Eindruck, dass die Zahl der Befürworter dieser Auffassung kleiner wird. Ist das so?

Michael Kretschmer: Ich bin Ingenieur und Ökonom. Ich habe 2011 beim Ausstieg aus der Atomenergie sehr deutlich gesagt, dass das mit einer stärkeren Abhängigkeit von ausländischen Energiequellen einhergeht. Ich habe das Gleiche 2018 beim Kompromiss zum Braunkohleausstieg betont. Heute stellen wir fest, dass die neue Bundesregierung diese Abhängigkeit durch einen frühen Braunkohleausstieg sogar noch verstärken und beschleunigen will. Wenn man dies alles betrachtet, ist es völlig unverständlich, warum jetzt keine politisch überzeugenden Entscheidungen getroffen werden. Es kann ja nur so sein, dass man entweder aus Unkenntnis oder aus Absicht die Verteuerung der Energiepreise hinnimmt. Und das ist etwas, dass unseren Wohlstand und unsere Sicherheit gefährdet.

W+M: Sie haben vor kurzen die Energiewende als praktisch gescheitert erklärt. Stimmt das denn?

Michael Kretschmer: Der Umbau der Energiewirtschaft und der Industrie ist zwingend. Wir müssen weg von der Energieversorgung und Industrieprozessen, die in Größenordnungen CO2 freisetzen. Der Plan, der in Deutschland schon seit über zehn Jahren verfolgt wird, ist der Ausstieg aus der Atomenergie, der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung durch den Aufbau von 40 – 50 Gaskraftwerken, und damit einer Gaswirtschaft, die dafür sorgen würde, dass wir preiswerte Wasserstoffressourcen bekommen.

Dass wir nun den Ausstieg aus Erdgas angehen, verstärkt die Abhängigkeiten. Das kann man so nicht tun, deshalb braucht es hier eine Neuaufstellung des Systems. Es ist eine Mär, dass man eine Energiewirtschaft aufbauen kann, die nicht grundlastfähig ist. Man kann viel mit erneuerbarer Energie tun, aber auch hier gibt es limitierende Faktoren. Das sind weniger die zur Verfügung stehenden Flächen oder der Umweltschutz als die Kapazitäten für Solar- und Windstromanlagen sowie für den Leitungsausbau. Selbst wenn es bis 2030 gelingt, dass wir an guten Tagen die Stromversorgung rechnerisch komplett aus erneuerbaren Energien schaffen, wird Nachts die Sonne nicht scheinen und an vielen Wochen im Jahr der Wind nicht wehen. Deshalb: Es braucht parallel zu den volatilen erneuerbaren Energieträgern eine Backup-Struktur an grundlastfähiger Energie.

Allerdings erweckt die Bundesregierung den Eindruck, dass man ein Energiesystem aufbauen könnte, nur auf der Grundlage erneuerbarer Energien und das noch dazu in kurzer Zeit. Dass wir damit dafür sorgen, dass wir nicht über Monate, sondern über Jahre diese toxisch hohen Energiepreise haben werden, wird ausgeblendet. Aber es wird die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft deutlich beeinträchtigen.

W+M: Wann werden wir merken, dass dieser Weg problematisch ist?

Michael Kretschmer: Das merken wir doch schon jetzt an den Energiepreisen, Teuerungsrate und Inflation. Die Debatten werden sich in den kommenden Wochen noch verstärken. Deshalb ist es wichtig, dass auch viele aus der Wirtschaft die Stimme erheben. Dafür werbe ich sehr.

Und übrigens: Was den vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohle anbelangt, sollte von der Bundesregierung ein Gutachten vorgelegt werden, das angeblich immer noch nicht fertig ist. Das ist insofern bedeutsam, da es sich hier, nicht wie beim Kohlekompromiss, um ein breites Konsortium handelt, dass das Gutachten beauftragt hat, um klug zu entscheiden. Das ist hier leider nicht so. Der Bundeswirtschafts- und Klimaminister sagte, er will diesen Ausstieg und er selbst veranlasst ein Gutachten mit dem Ziel, das Wie und Wann zu klären. Das fand ich extrem verstörend, weil ich gewöhnt bin, dass gesellschaftliche Konflikte gelöst werden, in dem Kompromisse gefunden werden. Ich glaube nicht daran, dass das Gutachten noch nicht fertig geworden ist, sondern dass es bewusst zurückgehalten wird. Dies passt in die Atomdebatte, wo wir auch über Monate hinter die Fichte geführt werden sollten.

W+M: Es besteht Einigkeit über den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energie, aber Sachsen selbst hat beispielsweise beim Ausbau der Windenergie wenig Erfolge vorzuzeigen. Wie kommt das?

MP Michael Kretschmer. Foto: W+M

Michael Kretschmer: Wir werden Tagebauflächen für Solaranlagen und Windkraftanlagen zur Verfügung stellen und zudem auch „Wind über Wald“ ermöglichen, gerade auch in den vom Borkenkäfer stark betroffenen Regionen. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, dass dies nicht gegen die Menschen gemacht wird, sondern mit der Bevölkerung. Deshalb auch die Regelung mit 1.000 Metern Abstand zu Windkraftanlagen. Sie ließ uns viele Konflikte aus der Welt bringen. Es war ein guter Kompromiss und es ist schon auch ein sehr autoritärer Politikstil, dieses Verhandlungsergebnis, das auf einer regionalen Ebene in den Ländern erreicht worden ist, jetzt über ein Bundesgesetz aushebeln zu wollen. Unser Ziel ist, dass die LEAG als der größte ostdeutsche Energieerzeuger, der immerhin zehn Prozent der Elektroenergie für Deutschland bereitstellt, das auch in den kommenden Jahrzehnten sein wird. Wir unterstützen die Strategie dieses Unternehmens. Aus den jetzt acht installierten Gigawatt aus fossiler Energie sollen künftig acht besser noch zehn bis 12 Gigawatt aus erneuerbaren Energien werden. Wir sehen mit diesem Grünstrom auch einen wichtigen Wettbewerbsfaktor für die Ansiedlung neuer Unternehmen.

W+M: Heißt das jetzt, dass der Beitrag der LEAG der Beitrag Sachsen zum Ausbau der erneuerbaren Energie ist?

Michael Kretschmar: Nein, Sachsen schafft mit seinem neuen Energie- und Klimaprogramm, dass der Zubau an erneuerbarer Energie signifikant steigen kann. Ich habe das Beispiel der LEAG deshalb angeführt, weil es mir wichtig ist, dass dieser große Player nicht irgendwann endet, sondern sich weiterentwickelt und die erwirtschafteten Gewinne ganz massiv in diese Region investiert.

W+M: Angesichts Ihrer Meinung zur Notwenigkeit von russischem Gas haben Sie sich für ein „Einfrieren“ des Ukraine-Krieges ausgesprochen und dafür von allen Seiten Kritik erfahren. Wie gehen Sie damit um?

Michael Kretschmer: Wir haben eine Mehrheitsmeinung in der deutschen und europäischen Politik, dass dieser Krieg, der ein großes Unrecht, ein Verbrechen ist, nur auf dem Schlachtfeld mit dem Sieg der Ukraine zu beenden ist. Das ist nicht meine Position. Ich glaube, dass wir so schnell wie möglich alles dafür tun müssen, um über Verhandlungen zu einem Stillstand kommen. Einfrieren heißt Waffenstillstand, heißt explizit nicht, dass man die Besetzung von ukrainischen Landesteilen als rechtens hinnimmt. Aber es bedeutet ein Ende der Kampfhandlungen, ein Ende des Sterbens in der Ukraine, ein Ende eines Prozesses, der zurzeit die ganze Welt in ein Chaos stürzt. Es betrifft nicht nur die Ukraine, überall in der Welt gibt es Verwerfungen.

Ich bleibe dabei: Russland ist eine Realität. Wir werden mit diesem Land umgehen müssen. Ein Russland, das sich komplett unabhängig von Europa entwickelt, ist auch kein sicherer und kalkulierbarer Partner. Wir brauchen eine eigene Stärke, wir brauchen einen Raketenabwehrschirm, wir brauchen Cybersicherheit und wirtschaftliche Stärke. Aber wir sind auf dem Weg, diese wirtschaftliche Stärke zu verlieren und uns damit auch sehr großen Gefahren auszusetzen.

W+M: Wie stehen Sie generell zum Handel mit Staaten, die nicht unserer westlichen Wertewelt zugehörig sind?

Michael Kretschmer: Wenn wir als Maßstab für Gespräche und Zusammenarbeit die deutsche Demokratie, unsere Rechtsstaatlichkeit und unsere Werte anlegen, dann wird die Welt sehr schnell sehr klein. Das würde auch allem widersprechen, was wir in den vergangenen Jahrzehnten auf den Weg gebracht haben. Ich habe Bundesminister Habeck deshalb auch verteidigt, als er nach Katar gefahren ist, weil es wichtig und richtig ist, nach neuen Kooperationen zu suchen.

Katar ist nicht vergleichbar mit der Bundesrepublik Deutschland. Wir treten für unsere Interessen ein, wir benennen auch Fehlentwicklungen und Defizite. Wir sind in einer Debatte, aber wir machen das nach Möglichkeit nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Ich glaube, dass eine Außenpolitik, die darin besteht, durch die Welt zu fahren und jedem, den man trifft in schonungsloser Art und Weise unsere Sichtweise zu Defiziten im Land vorzuwerfen, nicht dazu führt, dass man Veränderungen erreicht und als Gesprächspartner wahrgenommen wird. Diplomatie ist erfunden worden, weil man wusste, dass man miteinander reden muss. Man muss im Austausch bleiben, selbst wenn der andere ein Feind ist und gänzlich andere Interessen hat. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein international wichtiger Akteur, eine starke Demokratie, ein Land, das zu seiner Vergangenheit steht, eingebunden in der NATO und in die Europäischen Union.

W+M: Gibt es bereits eine spürbare Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Freistaat?

Michael Kretschmer: Wir haben durch Corona viel gelernt, Prozesse neu aufgesetzt, haben viel in das Thema Digitalisierung investiert. Was wir brauchen für den Ausbau der erneuerbaren Energie oder auch für die Schienenwege, ist ein Planungsbeschleunigungsrecht. Was jetzt von der Bundesregierung vorgelegt wurde, ist nichts Grundlegendes und es wird uns nicht in die Lage versetzen, die Ausbauziele bis 2030 wirklich zu erreichen. Wir reden hier über die Anlagen, noch nicht über Stromtrassen und wir reden überhaupt nicht über die Verkehrsinfrastruktur. Wenn wir den Verkehr wirklich in andere Bahnen leiten wollen, dann darf das doch nicht diskriminierend sein, sondern es braucht ein tolles Angebot beispielsweise für den Schienenverkehr. Was ist das Problem? Warum ist es so schwierig, hier die planungsrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.

W+M: Mit der Ansiedlung neuer Unternehmen in Sachsen, wie auch anderswo, verbindet sich zunehmend das Thema des Fachkräftemangels. Wie geht denn Sachsen mit diesem Thema um?

Michael Kretschmer: Ich halte das Thema Fachkräfte für eines der wichtigsten für die Zukunft Sachsens. Hier wird entschieden, ob dieses Land weiter wachsen kann und zukunftsfähig bleibt. Wir sind dem Bundeskanzler sehr dankbar, dass er die Idee der ostdeutschen Ministerpräsidenten, eine zielgerichtete eigene Fachkräftezuwanderungsstrategie für die neuen Länder zu entwickeln, unterstützt. Die neuen Länder haben nicht die Erfahrungen wie Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen, wo das über Jahrzehnte und Generationen eingeübt wurde. Manuela Schwesig hat das Thema in die Hand genommen. Anfang Oktober werden wir uns gemeinsam in Schwerin treffen und eine gemeinsame Strategie erarbeiten.

Wir haben hier in Sachsen aber auch ein eigenes Programm, das wir gemeinsam mit der regionalen Wirtschaft und den Kommunen auf den Weg gebracht haben. Wir werden fünf bis sechs Zielregionen mit Personal vor Ort haben, in denen wir die Berufsausbildung, aber auch den kulturellen Austausch unterstützen. Wir werden auch in interessierten Gemeinden Communitybildung betreiben, um jungen Leuten hier Zukunftschancen zu geben und sie zu unterstützen. Das geht nur mit einer Integration in den Arbeitsmarkt und in das soziale Umfeld. Das ist das gemeinsame Ziel der Koalition in Sachsen.

W+M: Sind die Sachsen bereit für Fachkräftezuwanderung und offen für Diversität?

Michael Kretschmer:  Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis in der Sache und eine vernünftige Debattenkultur. Es kann nicht sein, dass gewisse Themen nicht angesprochen werden können. Wir brauchen eine ehrliche Vermittlung von Fakten und nicht die ideologische moralische Überhöhung von Themen. Wir brauchen viele Menschen, die für ihre Interessen streiten. Demokratie kann nur aus der Mitte der Gesellschaft heraus verteidigt und gelebt werden, nicht von den Rändern. Ich erlebe beispielsweise bei der Fachkräftestrategie, dass dies viele Menschen aus dem Handwerk und aus den Kommunen unterstützen wollen. Das ist die Voraussetzung für den Erfolg. Dann wird es immer noch Leute geben, die versuchen werden, alles zu diskreditieren, aber sie werden dann allein stehen. Es braucht eben eine lebendige Bürgerschaft.

W+M: Noch ist aber Sachsen das Land mit der AFD als zweitstärkster Partei und der rechte Rand ist hier auch sehr mobil. Wie stehen Sie zu den Aussagen der Bundesaußenministerin zum Thema möglicher Volksaufstände?

Michael Kretschmer: Ich bin verwundert, dass eine Bundesministerin von Volksaufständen spricht und nicht für sich die Aufgabe annimmt, den Grund, den sie ja offensichtlich sieht, zu beseitigen. Wie kann man denn den Leuten sagen, alles ist schwierig, ihr bekommt nur 65 Prozent des Erdöls, es kann auch zu Lieferengpässen kommen und alles teurer werden. Dass dann die Menschen vor Ort das nicht akzeptieren, das ist doch richtig. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass solche Dinge nicht passieren. Malt nicht den Teufel an die Wand, sondern kümmert euch darum. Es kann doch nicht sein, dass die Bundesrepublik Deutschland, ein Hochtechnologieland, über eine Energiemangellage spricht.

W+M: Ist eigentlich angesichts neuer Ansiedlungen die Anzahl der neugeschaffenen Arbeitsplätze noch das entscheidende Kriterium?

Michael Kretschmer: Wir müssen uns klar machen, dass wir eine demografische Entwicklung haben, die bei den ansässigen Unternehmen zu Problemen bei der Gewinnung von Arbeitskräften führt. Jeder ist mittlerweile froh, einen Auszubildenden abzubekommen. Aber es geht ja auch darum, dass wir uns als ein kulturell so interessanter und logistisch so günstig gelegener Standort nicht mit dem Jetzigen zufriedengeben. Beispielsweise die Ansiedlung der zwei Großforschungszentren mit jeweils 1.000 Beschäftigten, das neue Bataillon der Bundeswehr in der Lausitz, das ist dafür gemacht, dass Menschen von außen zu uns ziehen. Es sollen Fachkräfte aus Deutschland und der Welt in dieses Land kommen, hier Familien gründen und ansässig werden und wieder andere nachziehen. Unsere Strategie ist darauf ausgerichtet, dass Sachsen ein Zuzugsland wird. Davon sind wir aber noch ein Stück entfernt.

Erfolgreich sind wir bereits an unseren Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die alle viel zu groß sind für das Land, aber so gehalten werden, weil wir sehen, dass wir damit viele junge Leute, auch aus dem Ausland gewinnen, die dann auch hierbleiben.

W+M: Wie kommen Sie damit klar, oft konträre Standpunkte zu vertreten?

Michael Kretschmer: Demokratie lebt von Debatten und dem Ringen um Mehrheiten. Ich habe mit großer Freude gesehen und dabei viel gelernt, wie wir in den 90iger Jahren mit Kurt Biedenkopf und den Vertretern anderer Parteien im Meinungsstreit zu guten Lösungen gekommen sind. Heute haben wir eine Verengung von Debatten und das ist nicht gut. Das wiederum heißt, dass wir uns alle einbringen müssen, anständig in der Sache, klar im Ton und vor allem über Fakten debattieren. Dazu gehört auch, andere in die Pflicht zu bringen, sich zu rechtfertigen.

MP Michael Kretschmar und W+M-Chefredakteur Frank Nehring. Foto: W+M

Interview: Frank Nehring