enviaM-Chef Dr. Stefan Lowis: „Wir müssen den Turbo anwerfen …“

Anlässlich des Jahrespressegespräches am 11. Mai 2022 gab Dr. Stephan Lowis, Vorstandsvorsitzender envia Mitteldeutsche Energie AG (enviaM) dem Magazin W+M ein Interview. Dabei ging es die Beschleunigung der Energiewende angesichts des Ukrainekrieges und  um die Realisierbarkeit der ambitionierten Ziele zur Erreichung der Klimaneutralität.

W+M: Überschatten der Krieg in der Ukraine und die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gasimporten nicht unsere Planungen zur Energiewende?

Stephan Lowis: Der Ukraine-Krieg hat die energiepolitische Agenda ohne Frage grundlegend verändert. Im Mittelpunkt stehen aktuell die Preisentwicklung und Versorgungssicherheit. An den Großhandelsmärkten haben sich die Strom- und Gaspreise seit Anfang 2021 verfünffacht. Gleichzeitig droht eine Gasmangellage, sollte uns Russland den Hahn zudrehen. So etwas hat es noch nie gegeben. Der Ukraine-Krieg führt uns gleichzeitig aber auch vor Augen, wie wichtig die Energiewende ist. Wir müssen unsere Energieversorgung unabhängiger vom Ausland machen. Das funktioniert nur, wenn wir die erneuerbaren Energien und die Netze massiv ausbauen und hier mehr Tempo machen.

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W+M: Die bisherige Energiewende war bislang nur wenig erfolgreich. Ewige Debatten, stagnierender Ausbau der erneuerbaren Energien, ewige Planungs- und Genehmigungsverfahren, Rechtsstreitigkeiten und mehr. Brauchen wir einen neuen Namen, für die Energiewende, die wir jetzt vollziehen wollen?

Stephan Lowis: Ich stimme Ihnen zu, dass wir bei der Energiewende schon sehr viel weiter sein könnten. Wir haben viel zulange gebraucht, bis alle verstanden haben, dass es nicht nur um eine Strom-, sondern auch um eine Verkehrs- und Wärmewende geht und dafür die entsprechenden politischen Weichen zu stellen sind. Die Folge ist, dass der Klimawandel weiter ungebremst voranschreitet. Deutschland hat im Jahr 2021 seine Klimaziele verfehlt und droht, diese auch im Jahr 2022 nicht zu erreichen. Die Verschärfung der Klimakrise hat den Handlungsdruck deutlich erhöht. Im sogenannten Osterpaket hat die Bundesregierung deshalb angekündigt, bei den erneuerbaren Energien in die Offensive zu gehen und die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Dies ist ein wichtiges Signal. Es scheint so, dass wir endlich ins Machen kommen.

W+M: Wie realistisch sind die Vorhaben der neuen Bundesregierung, die Planungs- und Genehmigungsverfahren so zu beschleunigen, dass eine Klimaneutralität bis 2045 erreicht werden kann?

Stephan Lowis: Wir haben dazu keine Alternative. Das Ziel der Bundesregierung, bis 2045 klimaneutral zu sein, ist sehr ambitioniert. Nach aktuellen Berechnungen benötigen wir bei den erneuerbaren Energien eine installierte Leistung von bis zu 790 Gigawatt, um die Vorgaben zu erfüllen. Dies entspricht einer Versiebenfachung gegenüber dem Status Quo. Das heißt, dass wir pro Tag 15 neue Windräder mit einer installierten Leistung von insgesamt 90 Megawatt bauen müssen. Dies geht nur, wenn wir die Genehmigungsverfahren radikal beschleunigen. Das gilt natürlich auch für den Ausbau der Netze und hier insbesondere der Verteilnetze, die bei der Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien die Hauptlast tragen. Wir müssen den Turbo anwerfen und können dabei nicht länger auf jede noch so kleine Befindlichkeit Rücksicht nehmen.

Foto: BWE/WindEurope

W+M: Wann werden wir merken, dass die Ziele umgesetzt werden können?

Stephan Lowis: Die im Osterpaket der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen sollen bis zur Sommerpause von Bundestag und Bundesrat in Kraft treten. Ich bin optimistisch, dass dies gelingen wird und wir danach endlich loslegen können.

W+M: Sind Sie von der Kapazität darauf vorbereitet, wenn sich Planungs- und Genehmigungsverfahren drastisch verkürzen ließen?

Stephan Lowis: Wir stehen in den Startlöchern, um die Energiewende weiter voranzubringen. Personal und Material sind kurzfristig vorhanden. Wenn wir aber mittelfristig auf die kommenden 12 bis 24 Monate schauen, dann mache ich mir schon Sorgen, ob wir das angestrebte Tempo bei der Umsetzung halten können. Denn Fachkräftemangel und Lieferprobleme werden weiter zunehmen.

W+M: Was planen Sie konkret?

Stephan Lowis: Wir wollen beim Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen. Unser Ziel ist es, bis 2040 klimaneutral zu sein. Wir machen damit unsere Hausaufgaben fünf Jahre früher als von der Politik gefordert. Dies soll unter anderem gelingen, indem wir unsere eigene Strom- und Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Energien beschleunigt ausbauen. Wir werden im laufenden Jahr vier neue Solarparks errichten und die Erweiterung unseres größten Windparks abschließen. Wir reden hier in Summe über eine neu installierte Leistung von mehr als 40 Megawatt.

BASF Schwarzheide Gmbh
Pressekonferenz Solarpark mit Jürgen Fuchs und Dr. Stefan Lowis

W+M: Die enviaM-Gruppe hat weitere ehrgeizige Zukunftspläne. Welche sind das?

Stephan Lowis: Wir arbeiten mit Hochdruck daran, gemeinsam mit regionalen Partnern eine Wasserstoff-Infrastruktur zu entwickeln. Wir wollen mit der LEAG und anderen Unternehmen eine länderübergreifende Wasserstoffbrücke in Mitteldeutschland bauen. Vorgesehen sind drei Erzeugungsstandorte für grünen Wasserstoff in Sachsen-Anhalt. Von dort aus werden wir den grünen Wasserstoff über unsere umgerüsteten Gasnetze an energieintensive Industriekunden vorrangig in Sachsen im Ballungsraum Leipzig liefern. Wir haben mit der LEAG außerdem eine Zusammenarbeit zum Aufbau einer Wasserstoff-Wertschöpfungskette im Lausitzer und Mitteldeutschen Revier vereinbart. Geplant ist, ein erstes gemeinsames Pilotprojekt im Landkreis Leipzig umzusetzen. Wir wollen hier künftig ein neues Gewerbegebiet in Zwenkau mit grünem Wasserstoff versorgen. Vorgesehen ist, im Gewerbegebiet auch eine Wasserstoff-Tankstelle anzusiedeln. Hier profitieren wir von der Kooperation mit der ONTRAS-Tochter MoviaTec, die uns beim Bau und Betrieb der Tankstelle unterstützt. 

W+M: Die enviaM-Gruppe benötigt für diese und andere Aufgaben veränderungswillige Mitarbeiter. Haben Sie die erforderlichen Fachkräfte und wie wollen Sie neue Fachkräfte gewinnen?

Stephan Lowis: Wir brauchen für die geplanten Projekte in der Tat viele qualifizierte Fachkräfte. Deshalb legen wir auch weiterhin großen Wert auf eine erstklassige Ausbildung. Gleichzeitig haben wir eine Kampagne für eine effektive Personalbeschaffung gestartet. Neben qualifizierten benötigen wir wie von Ihnen zurecht betont veränderungswillige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Daher haben wir den Kulturwandel als strategisches Ziel definiert. Mit unserem aktuellen Programm Arbeit 4.0 wollen wir flexibles Arbeiten fördern, ein neues Führungsverständnis leben und Kundenzentrierung und Unternehmertum stärken.

Interview: Frank Nehring