Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands WindEnergie, im Interview mit Wirtschaft + Markt über die Energiekrise und die Folgen für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland.
W+M: Herr Albers, der Ausstieg aus der Atomenergie, der vorgezogene Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030, die Klimaneutralität bis 2045 sind angesichts des Krieges in der Ukraine und der hohen Abhängigkeit von Gas- und Ölimporten aus Russland ins Wanken geraten. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?
Hermann Albers: Der Krieg hat zu einem Preisschock geführt. Aber bereits vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine befanden wir uns inmitten einer Preiskrise der fossilen Energieträger. Deshalb steht nun die Frage, wie sich darauf reagieren lässt und welcher Ausweg gefunden werden kann. Der Rückfall in alte Denkmuster führt sicher nicht zum Ziel. Kohle und Gas sind überwiegend Importrohstoffe aus Russland. Atomkraft konkurriert nicht mit den Erneuerbaren Energien, sondern mit Kohle und Gas. Für eine Laufzeitverlängerung müsste die Leistung der Kernkraft im Sommer heruntergefahren und durch mehr Kohle und Gas aufgefangen werden. Kernkraft ist also wie Kohle keine Alternative. Die Abhängigkeit würde nur weiter verstärkt. Das kann nicht mehr gewollt sein. Die Brückentechnologie Gas erweist sich in großen Teilen als Illusion. Die Lösung liegt in den Potenzialen vor der eigenen Haustür: Wind, Fotovoltaik, Bioenergie und grüner Wasserstoff.
W+M: Die steigenden Energiepreise beunruhigen die Wirtschaft ebenso wie die privaten Haushalte? Was ist zu tun?
Hermann Albers: Mehr als private Haushalte trifft die Preiskrise die kleinen Unternehmen, Handwerk und Gewerbe. Kurzfristig ist der Staat gefordert. Der Steueranteil an den Energiepreisen lässt ausreichend Spielraum, um zu Handeln. Dies sehen wir in anderen europäischen Staaten auch. Die Koalition hat mit dem Entlastungspaket nun genau diese Schritte vorgesehen. Dies ist sinnvoll. Ebenfalls kurzfristig muss allerdings das bürokratische Korsett aufgeschnürt werden, welches den Zubau der Erneuerbaren blockiert. Im bestehenden Anlagenpark lassen sich Potenziale heben, indem z.B. bei der Windenergie Leistungsupgrades zugelassen und Betriebseinschränkungen aufgehoben werden. Repowering muss bei Wind wie Fotovoltaik zügig angetrieben werden. Die Bioenergie braucht Flexibilisierung, um im Stromsektor und beim Gas optimaler eingebunden zu werden.
W+M: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat dem Ausbau der Erneuerbaren Energien höchste Priorität eingeräumt. Was muss passieren, dass die ambitionierten Ziele der Bundesregierung in Erfüllung gehen können?
Hermann Albers: Die gesamte Koalition hat unterstrichen, dass der Ausbau der Erneuerbaren der Schlüssel für Energiesouveränität und Klimaschutz ist. Nun müssen den Worten echte Taten folgen. Der Referentenentwurf des EEG lässt an vielen Stellen sowohl Problembewusstsein als auch Lösungsorientierung erkennen. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ist er aber nicht mehr aktuell. Es braucht eine strukturierte Überarbeitung. Mehr Tempo, weniger Bürokratie und auch weniger ideologische Schattenkämpfe sind nötig. Bund, Länder und Kommunen müssen jetzt wirklich an einem Strang ziehen. Wer den Zubau der Erneuerbaren jetzt noch blockiert, provoziert Energieknappheit. Erneuerbare Energien schaffen Arbeitsplätze vor Ort, sie bringen Wohlstand und Impulse für die Wirtschaft.
W+M: Der Ausbau der Windenergie wurde in der Vergangenheit stiefmütterlich behandelt, was zu einem geringen Ausbau führte. Nun sind Sie im Aufwind. Spüren Sie schon etwas?
Hermann Albers: Die Stimmung in der Branche ist deutlich optimistisch. Aus eigener Kraft haben wir das Zubautief der Jahre 2018 und 2019 verlassen. Genehmigungen und Zubau ziehen sichtbar an. In den Planungen der Bundesregierung ist eine Verdreifachung des Zubaus angelegt. Mit effizienten modernen Anlagen leisten wir unseren Beitrag zur energetischen Unabhängigkeit Deutschlands. Auch die Tatsache, dass die jüngsten spektakulären Unternehmensansiedlungen in Ostdeutschland immer mehr dem Hinweis auf das Vorhandensein CO2-freier Energien begründet wurden, trägt zu einer neuen Sicht bei. Die Branche ist bereit und kann liefern.
W+M: Wie hoch ist aktuell der Anteil der Windenergie an den erneuerbaren Energien und wie bewerten Sie diesen Stand?
Hermann Albers: Im vergangenen Jahr machten erneuerbare Energien insgesamt rund 42 Prozent der deutschen Stromversorgung aus. Mit 21,5 Prozent war die Windenergie dabei der Leistungsträger unter den Erneuerbaren. Wir haben im vergangenen Jahr gesehen, wie ein schlechteres Windjahr den Strommix verschiebt. Dies unterstreicht, dass es einen Erzeugungsmix und einen starken Zubau von Kapazitäten braucht.
W+M: Wie ordnet sich darin der Ausbaustand in den ostdeutschen Bundesländern ein und wie beurteilen Sie die Energiepolitik der einzelnen Bundesländer?
Hermann Albers: Der Osten muss sich nicht verstecken. Bei Wind, Fotovoltaik und Bioenergie gibt es eine stabile Substanz. Bei den Infrastrukturen im Sektor Strom und Gas ist der Osten um Längen voraus. Und mit Blick auf die Wärme bestehen sowohl bei Geothermie als auch Power-to-heat gute Erfahrungen. In den letzten Jahren fehlte allerdings trotz eines brandenburgischen Spitzenplatzes beim Zubau der Windenergie der notwendige Schwung. Diesen gilt es neu anzutreiben. Vor allem Sachsen muss sich dabei insgesamt neu aufstellen.
W+M: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien erfolgt schneller als der die Stromnetze. Die Netzbetreiber wünschen, dass keine größeren Anlagen mehr in bestehende Netzengpässe gebaut werden. Wie bewerten Sie das Spannungsverhältnis zwischen Anlagenbau und Netzausbau?
Hermann Albers: An einem starken Zubau wird niemand vorbei kommen. Allerdings gilt es, neu zu denken. Nicht jede Kilowattstunde muss ins Stromnetz gepresst werden. Power-to-heat ist als Sektorenkopplung schon angesprochen. Hier kann die Windenergie noch mehr zur Wärmeversorgung beitragen. Brandenburgs Wirtschaftsminister Steinbach hatte bereits vor drei Jahren dafür plädiert, nun auch in Elektrolyse zu investieren. Die erzeugungsnahe und netzdienliche Elektrolyse mit einem Link zum Gasnetz schafft eine neue Wertschöpfungsbasis. Dafür braucht es kurze Genehmigungsverfahren für die Elektrolyseure.
W+M: Wie lässt sich die Akzeptanz für Windkraft in der Bevölkerung steigern?
Hermann Albers: Bürger und Kommunen müssen mitmachen dürfen und sollen von der neuen Energiewirtschaft profitieren. Die Braunkohle hatte trotz ihrer dramatischen Eingriffe in die Landschaft eine Grundakzeptanz, weil die Region etwas davon hatte. Dies müssen wir bei der Windenergie neu organisieren. Die Bürgerwindparks in Schleswig-Holstein oder die Energiegenossenschaften in Hessen zeigen, was geht, wenn die Bürger dabei sein dürfen.
W+M: Welches sind die größten Herausforderungen, denen sich Ihr Verband und die Branche ausgesetzt sehen?
Hermann Albers: Nach wie vor sind Flächenbereitstellung, Genehmigungsdauer und Artenschutz die offenen Aufgaben. Die Flächenausweisung lässt sich mit einem Schub für Repowering und einer Flächenvorgabe des Bundes von mindestens zwei Prozent lösen. Diese im Promillebereich liegende Fläche lässt sich finden. Die Genehmigungsverfahren sind extrem langwierig, bürokratisch und kostenintensiv. Verfahrensdauern von sechs und mehr Jahre können wir uns nun nicht mehr leisten. Hier gilt es bürokratisch abzuspecken. Schließlich muss der Artenschutz aus der Blockadefalle herausgezogen werden. Er wird durch Gegner der Energiewende, die sich bis vor kurzem keinen Deut um Rotmilane, Sumpfohreulen oder Mopsfledermäuse scherten, massiv missbraucht. Zwei Prozent der Fläche sind bei Rücksicht auf den Artschutz möglich. Diese Fläche muss bebaubar und vollständig nutzbar sein.
W+M: Die Energiewende, über die wir seit vielen Jahren sprechen, steht plötzlich für eine eher behäbige Auseinandersetzung mit dem Thema in der Vergangenheit. Brauchen wir einen neuen Begriff für Energiewende?
Hermann Albers: Bundeskanzler Olaf Scholz hat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als Zeitenwende bezeichnet. Auch die sprachliche Verwandtschaft zeigt, dass der Begriff „Energiewende“ einen grundsätzlichen Wechsel beschreibt und daher angemessen ist. Was wir in der gegenwärtigen Situation brauchen sind keine neuen Begrifflichkeiten, sondern ein tatsächlicher und umfassender Neustart der deutschen Energiepolitik. Es geht hier auch um die Sicherung unserer Unabhängigkeit. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat darum Recht, wenn er von den Erneuerbaren als „Freiheitsenergien“ spricht.
W+M: Wie schnell werden wir merken, dass unser Weg zu Klimaneutralität erfolgreich sein wird.
Hermann Albers: Brandenburg mit der Ansiedlung von Tesla, Sachsen-Anhalt mit Intel oder auch Sachsen mit Meyer Burger sind sichtbare Fakten des erfolgreichen Weges. Das Referenzkraftwerk Lausitz in Spremberg, das Norddeutsche Reallabor mit seinen fünf geografische Hubs oder die Strombrücke in Thüringen unterstreichen die positive Entwicklung. Im Übrigen stehen die Ziele im Koalitionsvertrag und die Zusagen im Abkommen von Paris als Kennzahlen bereit. Wenn die Bundesrepublik die Klimaverträge einhalten will, muss der Zubau in Deutschland perspektivisch verdreifacht werden. Deutschland hat mit den Erneuerbaren Energien hervorragende Chancen, nicht nur seine Klimaziele zu erreichen, sondern gleichzeitig auch seine energetische Autarkie zu stärken.
Fragen: Frank Nehring