Mittwoch, April 24, 2024

W+M-Interview mit Sven Schulze: „Die Chance, die sich uns mit Intel bietet, wollen wir nutzen“

W+M sprach mit dem Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt Sven Schulze über den besonderen Zuschnitt seines Hauses und über die Schwerpunkte seiner Arbeit.

W+M: Herr Minister, Sie kommen aus der Wirtschaft, waren dann einige Jahre Generalsekretär der CDU in Sachsen-Anhalt, sind CDU-Landesvorsitzender und nun als Minister in Regierungsverantwortung. Ist das der ideale Werdegang für einen Wirtschaftsminister?

Sven Schulze, Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt. Foto: W+M

Sven Schulze: Nach meinem Abschluss als Diplom-Wirtschaftsingenieur habe ich acht Jahre in einem Unternehmen gearbeitet. Von 2014 an saß ich sieben Jahre im Europaparlament. Seit September vergangenen Jahres bin ich Minister. Mit meinen 42 Jahren bin ich länger in der Wirtschaft tätig gewesen als in der Politik. Rund zehn Jahre. Ich habe unter anderem in einem Maschinenbauunternehmen mit knapp 200 Angestellten gearbeitet und dort auch viele Höhen und Tiefen erlebt. Ich glaube, dass man als Minister von den vielen Fachlauten im eigenen Haus wie auch von den Unternehmen ernster genommen wird, wenn man schon einmal etwas anderes gemacht hat. Das, was ich heute politisch vertrete, habe ich auch persönlich kennengelernt. Insofern passt der Lebenslauf.  Nicht zu vergessen: Ich gehöre zu der Generation von Jungpolitikern, die die Universität noch mit Abschluss verlassen haben.

W+M: Was macht das Wirtschaftsministerium so interessant?

Sven Schulze: Als Abgeordneter trägt man keine so große Verantwortung wie als Minister, man steht anders in der Öffentlichkeit, das Handeln hat eine ganz andere Wirkung. Für mich war es wichtig, ein Ressort zu finden, dass ich gut kenne. Die Wirtschaft ist in der Kombination mit Landwirtschaft, Tourismus und Forsten ideal. Das sind genau die Bereiche, die Sachsen-Anhalt ausmachen. Für mich ist das die spannendste und forderndste Aufgabe, die ich bisher in meinem Leben hatte. Und in dieser Aufgabe gehe ich auf.

W+M: Der Zuschnitt des Ministeriums hat sich mit Ihrer Ernennung geändert. Ist die neue Kombination aus Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten eine Gute? Wenn ja, wieso?

Sven Schulze: Der Zuschnitt des Ressorts ist bewusst gewählt. Diese Kombination gibt es deutschlandweit übrigens kein zweites Mal. Für mich ist der Zuschnitt ideal, ich habe zu allen Bereichen eine Verbindung. Auf meine Tätigkeiten in der Wirtschaft bin ich ja schon eingegangen. Das Thema Landwirtschaft begleitet mich ebenfalls schon sehr lang. Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Und auch wenn ich später einen anderen Weg eingeschlagen habe, ist die Landwirtschaft fest in meinen Erlebnissen fest verankert. Landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Unternehmen haben eines gemeinsam: sie sind Wirtschaftsunternehmen und müssen als solche am Markt agieren und Geld verdienen. Und auch Forsten und Tourismus hängen eng miteinander zusammen. 40 Prozent der Touristen in Sachsen-Anhalt zieht es in den Harz. Tourismus ist ein bedeutender Wirtschaftszweig.

W+M: Was sind Ihre persönlichen Schwerpunkte für die vor Ihnen liegende Amtszeit?

Sven Schulze, Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt. Foto W+M

Sven Schulze: Sachsen-Anhalt hat sich in vielen Bereichen gut entwickelt. Aber wir müssen uns für die Zukunft fit machen. Uns muss ein Strukturwandel gelingen, der nicht nur den Ausstieg aus der Kohle betrifft, sondern beispielsweise auch den Bereich der Automobilzulieferer mit seinen rund 25.000 Beschäftigten. Viele von ihnen sind aktuell abhängig vom Verbrennungsmotor. Wir werden uns hier neu aufstellen müssen. Ein Schwerpunkt: Ich möchte die Wirtschaft zukunftsfest machen mit dem Ziel, auch in den nächsten Jahrzehnten gute und gutbezahlte Arbeitsplätze haben. Die Menschen, die hier leben und deren Kinder sollen sich bei uns weiterhin wohlfühlen. Ein Rückgrat Sachsen-Anhalts ist die Landwirtschaft. Bis auf die großen Städte Magdeburg und Halle und auch Dessau-Roßlau ist ein großer Teil des Landes ländlich geprägt. In jedem Dorf gibt es eine Landwirtschaft, eine Agrargenossenschaft oder einen bäuerlichen Betrieb. Deshalb muss man den Menschen, die dort arbeiten, wieder eine Stimme geben. Sie müssen das Gefühl haben, auf Augenhöhe mitzusprechen. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Wir brauchen aber diese Vertrauensbasis.

Und letztlich möchte ich jemand sein, der nicht an der Größe des Ministeriums, sondern an den Ergebnissen seiner Arbeit gemessen wird. Ich will persönlich und mit meinem Team einen guten Job machen. Das ist mein Ziel.

W+M: Wie steht es um die Wirtschaft Sachsen-Anhalts im Jahr 2022? Wie sind die Unternehmen mit der Coronakrise klargekommen?

Sven Schulze: Die Wirtschaft Sachsen-Anhalts, inklusive der Landwirtschaft, ist gut durch die Coronakrise gekommen. Dazu haben die Hilfen von Bund und Land mit vielen Millionen Euro für die Unternehmen beigetragen. Es war aber eine Kraftanstrengung für jeden Einzelnen. Es gibt einen Bereich im Land, den es sehr hart getroffen hat – das sind die die Hotels und Gaststätten und der Tourismus insgesamt. Wir hatten einen signifikanten Einbruch der Besucherzahlen. Vor der Krise hatten wir jährliche Steigerungsraten bei den Übernachtungen, 2019 waren es knapp neun Millionen. 2020 nur noch knapp sechs Millionen. Allerdings sind im Sommer letzten Jahres, wo es relativ wenige Beeinträchtigungen durch Corona gab, die Besucherzahlen sofort wieder nach oben geschnellt. Das macht mich optimistisch, dass wir auch in diesem Bereich schnell wieder zu einem positiven Trend zurückkehren können. Corona hat aber vor allem beim Thema Fachkräfte deutliche Spuren hinterlassen. Im Tourismus, bei den Gaststätten und in der Hotellerie haben wir massiv Mitarbeiter verloren. Viele haben sich zwischenzeitlich in anderen Bereichen Jobs gesucht, weil es eben auch viele andere attraktive Arbeitsstellen gibt.

W+M: Wie stark ist die Abhängigkeit der Wirtschaft Ihres Landes von Russland angesichts des Ukraine-Krieges?

Sven Schulze: Die Abhängigkeit von der russischen Wirtschaft hinsichtlich der Exporte ist gering, betroffen sind wir maßgeblich bei den Öl- und Gasimporten. Sachsen-Anhalt hat eine sehr energieintensive Industrie. Das bereitet uns derzeit große Sorge. Die zwei größten ostdeutschen Gasabnehmer, SKW Piesteritz und der Chemiepark InfraLeuna, befinden sich in Sachsen-Anhalt. Vor den Toren Magdeburgs gibt es zwei große Flachglaswerke, die ebenfalls sehr energieintensiv sind. Wir haben die Soda-Produktion Bernburg, die Chemiestandorte im Süden Sachsen-Anhalts. Generell sind große und kleine Unternehmen betroffen. Mich rufen auch Spediteure an, die von einer Kostenentwicklung berichten, die existenzbedrohende Ausmaße annimmt. Nicht zu vergessen, dass Sachsen-Anhalt auch ein Land der Pendler ist und die Tankkosten allen schwer zu schaffen machen.

Aktuell sind wir nicht in der Lage, diese Importe kurzfristig zu ersetzen.

Sven Schulze, Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt. Foto: W+M

Ich habe zudem immer wieder betont, dass wir einen Ausstieg aus der Kohle nicht schon auf 2030 vorziehen können. Für mich hat die Versorgungssicherheit 24 Stunden am Tag höchste Priorität. Wind- und Solarenergie können noch kein Ausgleich sein. Dabei ist Sachsen-Anhalt schon eines der Länder, das etwa beim Windkraftausbau führend ist. Aktuell nutzen wir für Windkraft 1,8 Prozent unserer Fläche. Im Koalitionsvertrag stehen zwei Prozent als Ziel, wir sind also schon nahe dran.

W+M: Die ambitionierten Ziele der Bundesrepublik hinsichtlich der Klimaneutralität werden durch die Ukrainekrise zusätzlich erschwert. Glauben Sie, dass wir in kürzester Zeit alles schaffen können, um beispielsweise Planungs- und Genehmigungsverfahren zeitlich so abzuschmelzen, dass die Ziele real erreichbar sind?

Sven Schulze: Ich glaube, das ist keine Frage des Könnens. Die Frage lautet vielmehr: Wie bekommen wir mehr Tempo? Wir müssen schneller werden. Bei Genehmigungsverfahren etwa geht es ja auch nicht nur um die Genehmigung von Windkraftanlagen. Wir haben auch Infrastrukturprojekte in der Planung, die über mehrere Jahrzehnte hinweg nicht realisiert wurden. Damit verbunden ist, über Klageverfahren zu diskutieren. Ob es möglich und nötig ist, dass jede kleinste Initiative Großprojekte über viele Jahre blockiert. Die Ukraine-Krise macht es noch einmal schwieriger.

Aber ich glaube fest daran, dass jetzt auch Schritte möglich werden, die wir uns bislang nicht vorstellen konnten. Wir müssen es nur wollen und uns bewusstmachen, dass es nicht ohne Einschränkungen und zusätzliche Belastungen gehen wird.

W+M: Mit der Ansiedlung von Intel ist in Sachsen-Anhalt ein großer Wurf gelungen. Ist nun für die Umsetzung alles vorbereitet?

Sven Schulze: Was das Land und was die Stadt Magdeburg im letzten Jahr zur Vorbereitung dieses Megaprojekts geleistet haben, hat gezeigt, dass wir es können. Die Chance, die sich uns bietet, wollen wir mit aller Kraft nutzen. Uns ist bewusst, dass in den kommenden Jahren eine große Aufgabe auf uns zukommt. Aber wir haben alle Schritte genau bedacht und nichts zugesagt, was wir nicht einhalten können. Es handelt sich um eine Rieseninvestition, die Sachsen-Anhalt und Deutschland auf eine neue Ebene bringen wird. Wir sind überzeugt, dass wir diese Herausforderung meistern werden.

Es wird ein Erfolgsprojekt für Intel, Sachsen-Anhalt, Deutschland und Europa.

W+M: Der Fachkräftemangel ist überall ein großes Thema. Hat Sachsen-Anhalt Ideen, die zur langfristigen Lösung beitragen können?

Sven Schulze: Ich beginne mit dem Positiven. Jungen Menschen steht heute die Welt offen. Es ist nicht einmal ein Abitur erforderlich, um später am Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Wir haben einen Arbeitnehmermarkt Für Unternehmen hingegen wird es immer schwieriger, die richtigen Leute zu finden. Die Unternehmen wissen inzwischen, dass es mehr als ein gutes Gehalt braucht, um gute Leute zu gewinnen. Work-Life-Balance wird immer wichtiger. Klar ist: In Sachsen-Anhalt werden wir in gewissen Bereichen mit den Menschen, die uns hier zur Verfügung stehen, nicht auskommen. Eine Generation geht jetzt in Rente. Probleme gibt es dadurch bei der Unternehmensnachfolge. Oder bei der Nachwuchsgewinnung im Handwerk. Wir unterstützen hier gezielt, etwa mit einem Bonus für Meisterprüfungen oder Bezahlung von Praktika. Fakt ist: Mir ist kaum ein Unternehmen bekannt, dass nicht einen erweiterten Bedarf an Fachkräften hat. Wir werden Fachkräfte aus dem Ausland, auch von außerhalb Europas, brauchen. Ein Beispiel: Der Dehoga Sachsen-Anhalt unterstützt Unternehmen aus dem Gastgewerbe bei der Suche nach Azubis in Vietnam. Fachkräften bieten sich in Sachsen-Anhalt in jedem Fall gute Bedingungen. Etwa die gut organisierte Kinderbetreuung, die gegenüber unseren Nachbarländern ihresgleichen sucht. Weiterer Pluspunkt: Im ländlichen Raum gibt es noch verhältnismäßig günstig Bauland. Wir haben gut bezahlte Jobs, Platz und Natur. Sachsen-Anhalt ist also ein attraktiver Ort zum Leben.

W+M: Die Tourismusbranche ist für Sachsen-Anhalt wichtig. Welche Akzente wird die Branche mit dem Ausklang der Pandemie setzen? Womit werben Sie?

Sven Schulze: „#moderndenken“ ist der aktuelle Claim für Sachsen-Anhalt. Nicht so prominent wie das immer noch bekannte „Land der Frühaufsteher“. Aber die Orientierung auf Kultur hat einen Grund. 60 Prozent der Besucher sind Kulturtouristen. Wir verfügen über fünf Weltkulturerbe-Stätten. Die Quedlinburger Altstadt, die Luthergedenkstätten, das Dessau-Wörlitzer Gartenreich, das Bauhaus und der Naumburger Dom. Und wir konzentrieren uns auf den Inlandtourismus mit Angeboten zum Wandern, Radfahren oder Campen für Familien.

W+M: Wird Urlaub in Sachsen-Anhalt zwangsläufig teurer?

Wenn Urlaub in Sachsen-Anhalt teurer wird, geschieht das proportional zu den normalen Preisentwicklungen. Wir haben ein breites Spektrum an Angeboten für jeden Geldbeutel.

W+M: Der Wirtschaftsraum Ost nimmt eine beachtliche Entwicklung hinsichtlich Zukunftstechnologien, welche Rolle spielt Sachsen-Anhalt innerhalb des Wirtschaftsraumes?

Sven Schulze: Innerhalb Ostdeutschlands hatten wir es anfänglich nicht leicht als „Bindestrichland“, mittlerweile sind wir in vielen Bereichen führend. Jeder, der uns besucht und noch nie hier war, ist positiv überrascht. Eine Ansiedlung wie jene von Intel kommt nicht von ungefähr. Sie zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Ich bin stolz darauf, was wir, die Ostdeutschen, geschaffen haben.

W+M: Wenn Mecklenburg-Vorpommern das Gesundheitsland Nummer Eins, Brandenburg das Land der erneuerbaren Energie, Sachsen das Land der Elektromobilität sein will, welche Rolle könnte Sachsen-Anhalt spielen?

Sven Schulze: Es gibt Fachleute und Agenturen, die Geld dafür bekommen, sich diese Claims auszudenken. Denen möchte ich ihnen den Job nicht streitig machen (lacht). Ich glaube, wir sind ein Land, das oft unterschätzt wird, das aus dieser Position heraus viel erreicht hat und weit nach vorn gekommen ist.

Mein Ziel ist es, dass Sachsen-Anhalt zu den Top-Ländern in Deutschland gehört.

Minister Sven Schulze im Gespräch mit W+M-Verleger Frank Nehring (l.) Foto: W+M

Interview: Frank Nehring

Zahlen und Daten zu Sachsen-Anhalt

Anzahl der Unternehmen: 2020 – Rund 69 600 Unternehmern
Top-Branchen und Beschäftigte: Die meisten Beschäftigten arbeiteten 2021 im Gesundheitswesen (rund 66.500) und im Einzelhandel (rund 65.900)
BIP pro Kopf: BIP 2020 in jeweiligen Preisen je Einwohner: 28.652 Euro
Exportrate: 2021 32,8 Prozent (Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz des Verarbeitenden Gewerbes und Bergbau) Betrieb mit 50 und mehr tätigen Personen
Arbeitslosenquote 2021: 7,3 Prozent

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