Donnerstag, Dezember 26, 2024

W+M Redaktions- und Consulting-Netzwerk Ost

W+M-Interview mit E.DIS-Chef Dr. Alexander Montebaur: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist nun das Gebot der Stunde

Dr. Alexander Montebaur, Vorstandsvorsitzender der E.DIS AG, spricht im Interview mit Wirtschaft + Markt über die Folgen des Ukraine-Krieges für die Versorgungssicherheit, die Dringlichkeit des Stromnetzausbaus und die Klimaschutzpläne der neuen Bundesregierung.

W+M: Herr Dr. Montebaur, der Ukraine-Krieg rückt aktuell die Frage nach der Versorgungssicherheit im Energiemarkt auch für die E.DIS AG in den Fokus. Wie schätzen Sie als Verteilnetzbetreiber in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die gegenwärtige Lage ein?

Dr. Alexander Montebaur, Vorstandsvorsitzender E.DIS AG. Foto: W+M

Dr. Alexander Montebaur: Was derzeit in der Ukraine geschieht, ist schrecklich. Und es hat auch direkte Wirkungen auf die Energieversorgung in Deutschland, wie man nicht zuletzt an den gestiegenen Sprit-, Strom- und Gaspreisen sieht. Dennoch wird es für Deutschland nicht möglich sein, kurzfristig sämtliche Lieferungen aus Russland zu stoppen, das würde schwere Schäden auch in Unternehmen unserer Region verursachen.

W+M: Bei den Stromanbietern hat es erste Insolvenzen gegeben. Das sorgt für Verunsicherung. Zu Recht?

Dr. Alexander Montebaur: Es hat Insolvenzen gegeben, weil einige Stromanbieter den Markt falsch eingeschätzt haben. Andere Anbieter nehmen Optimierungen vor, indem sie Verträge kündigen und ihre Kunden zu den Grundversorgern schicken. Sie sehen, dass sie die Strommengen, die sie kontrahiert haben, am Markt besser verkaufen können, als wenn sie ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Endkunden nachkommen. Das halte ich für ein unseriöses Geschäftsgebaren.

W+M: Nun steigen die Energiepreise gegenwärtig durch die weltpolitische Lage noch dramatischer an. Was kommt da auf die Kunden zu?

Dr. Alexander Montebaur:  Der Strompreis hat sich schon in der zweiten Hälfte des letzten Jahres kontinuierlich nach oben entwickelt und zeigte bereits erste Extremausschläge. Jetzt sind wir durch die Ukraine-Krise in einer Situation, in der wir uns wohl auf ein lang andauernd hohes Preisniveau bei Strom, Gas und Kraftstoffen einstellen müssen.

W+M: Das Thema Versorgungssicherheit hingegen hatte bisher in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle gespielt. Jetzt wachsen die Zweifel: Ist die Versorgungssicherheit aus Ihrer Sicht weiterhin gegeben?

Dr. Alexander Montebaur, Vorstandsvorsitzender E.DIS AG. Foto: W+M

Dr. Alexander Montebaur: Es hat vor allem die Frage, wie die Versorgung in Deutschland mit eigenen Ressourcen sichergestellt werden kann, eine neue Dimension gewonnen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist nun das Gebot der Stunde, im Gleichklang mit dem Netzausbau. Gleichwohl muss allen klar sein, dass auf absehbare Zeit die Erneuerbaren Energien alleine zur Versorgung nicht ausreichen werden. Die Szenarien für den Strommarkt sehen für das Jahr 2030 vor, dass immer noch 20 Prozent des Strombedarfs aus anderen Quellen gedeckt werden müssen. Wir steigen in diesem Jahr aus der Kernenergie und spätestens 2038 aus der Kohleverstromung aus. Dieser Übergang sollte mit der so genannten Gasbrücke und dem Bau neuer Gaskraftwerke abgesichert werden. Das steht jetzt in Frage. Deshalb muss die Frage der Versorgungssicherheit sicher neu bewertet werden.

W+M: Die neue Bundesregierung und insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck setzen deshalb auf einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien durch Vereinfachungen bei der Planung und Regulierung. Für wie realistisch halten Sie dieses Vorhaben?

Dr. Alexander Montebaur: Die Investoren für Wind- oder Photovoltaik-Anlagen stehen bereits in den Startlöchern. Bereits heute hat die E.DIS 12 Gigawatt Erneuerbare Energien an ihr Netz angeschlossen. In unserem Netzentwicklungsplan für das Jahr 2030 ist ein Ausbauszenario von dann 30 Gigawatt vorgesehen. Für unser Unternehmen bedeutet dies, dass wir unser Hochspannungsnetz auf rund 1.200 Kilometern erneuern müssen. Dabei geht es wohlgemerkt nur darum, neue Freileitungen in bestehende Trassen zu bauen. Wenn wir alle Anträge auf neue Anlagen für Erneuerbare Energien, vor allem für großflächige Photovoltaikanlagen, in unserem Netzgebiet berücksichtigen würden, kämen wir sogar auf eine Anschlussleistung von 80 Gigawatt. Daran sehen Sie: Der Anlagenbau wächst schneller als der Netzausbau.

W+M: … weil sich die Anlagen angesichts der hohen Strompreise noch stärker rentieren?

Dr. Alexander Montebaur: In der Tat. Die wenigsten Anlagen in unserem Netzgebiet finanzieren sich heute noch über eine fixe EEG-Vergütung. Mehr als 80 Prozent der Anlagen sind in der Direktvermarktung. Finanzielle Anreize für Investoren in Erneuerbare Energien sind heute sicher nicht mehr nötig.

W+M: Was sollte stattdessen geschehen?

Dr. Alexander Montebaur, Vorstandsvorsitzender E.DIS AG. Foto: W+M

Dr. Alexander Montebaur: Zunächst muss die Akzeptanz für den Anlagenbau in der Bevölkerung erhöht werden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Rund um die Stadt Altentreptow im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte stehen unzählige Windkraftanlagen. In den Gemeindefinanzen spiegelt sich das aber nicht wieder – sprich: die Kommune profitiert überhaupt nicht von dem Bauboom. Daran muss sich sicher etwas ändern. Früher waren Kraftwerke schließlich immer auch Wirtschaftsfaktoren. Sie haben den Kommunen Arbeitsplätze und Gewerbesteuern garantiert und waren deshalb auch in der Bevölkerung akzeptiert.

W+M: Der zweite Punkt in der Diskussion ist die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für den Netzausbau. Was muss sich dabei ändern?

Dr. Alexander Montebaur: Die E.DIS investiert auch in diesem Jahr wieder rund 200 Millionen Euro in den Netzausbau. Es liegt also nicht an den Investitionsmitteln, unser Haupthindernis sind die Genehmigungsverfahren. Für die Erneuerung unserer Hochspannungsleitungen müssen wir einen Realisierungszeitraum von acht Jahren veranschlagen. Eine Erneuerbare-Energien-Anlage kann dagegen innerhalb eines Jahres gebaut werden. Für den Netzanbieter entsteht dann das Problem, dass er den Strom dieser Anlage voll vergüten muss, auch dann, wenn der Anlagenbetreiber abgeregelt wird, also der Strom nicht eingespeist werden kann. Die Vergütung bei Netzengpässen muss deshalb dringend überdacht werden. Es kann nicht sein, dass neue Anlagen in bereits bestehende Netzengpässe gebaut werden.

W+M: Welche Forderungen haben Sie darüber hinaus, um die Verfahren zu beschleunigen?

Dr. Alexander Montebaur: Wir brauchen erstens voll digitale Planungsverfahren. Zweitens müssen für die naturschutzrechtlichen Auflagen einheitliche Standards gelten. Und drittens müssen die Genehmigungsbehörden dringend personell aufgestockt werden. Darüber hinaus muss natürlich auch eine gesellschaftliche Diskussion über die Abwägung von Klimaschutz, Artenschutz und Versorgungssicherheit geführt werden.

W+M: Haben wir dafür noch ausreichend Zeit?

Dr. Alexander Montebaur: Sicher ist: Ein Weiter so wie bisher darf es nicht mehr geben. Eine Erneuerung einer Leitung etwa muss für einen Stromnetzbetreiber im Genehmigungsverfahren innerhalb von zwei Jahren möglich sein. Ich spüre aber, dass jetzt ganz viel Bewegung in die Politik gekommen ist, sowohl beim Bund als auch bei den Ländern. Diesen Schwung müssen wir nutzen, um neue gesetzliche Regelungen zur Vereinfachung der Genehmigungsverfahren noch in diesem Jahr zu verabschieden.

W+M: Welche weiteren Herausforderungen stellen sich der E.DIS?

Dr. Alexander Montebaur: Da möchte ich vor allem die Netzentgelte ansprechen. Die E.DIS hat mittlerweile in ihrer Region die höchsten Netznutzungsentgelte in ganz Deutschland, weil die immer höheren Kosten für die Netze durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien auf eine weitgehend gleich bleibende Zahl von Verbrauchern verteilt werden müssen. Gleichzeitig schrecken diese hohen Netznutzungsentgelte oftmals neue Großverbraucher wie etwa Rechenzentren von einer Ansiedlung ab. Dabei muss es doch das Ziel sein, dass sich neue Großverbraucher dort niederlassen, wo die Netze bereits ausgebaut sind und Erneuerbare im Überfluss einspeisen. Als E.DIS haben wir in unserem Netzgebiet beispielsweise 80 Anschlusspunkte veröffentlicht, wo sich Unternehmen mit hohem Strombedarf heute schon ausreichend versorgen können. Diesen Aspekt muss auch die Politik bei der Gewerbeansiedlung stärker berücksichtigen.

Dr. Montebaur im Gespräch mit W+M-Verleger Frank Nehring

Interview: Frank Nehring

INFO

Die E.DIS ist einer der größten regionalen Energiedienstleister Deutschlands. Sie betreibt mit etwa 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auf einer Fläche von 35.500 Quadratkilometern ein 79.000 Kilometer langes Stromleitungsnetz. Hinzu kommt im östlichen Landesteil Mecklenburg-Vorpommerns und im Norden Brandenburgs auf einer Fläche von 9.770 Quadratkilometern ein ca. 4.700 Kilometer langes Gasleitungsnetz. Darüber hinaus gestaltet das Unternehmen den Breitbandausbau und investiert in Elektromobilität in seinem Versorgungsgebiet.

 

 

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