Der jüngste Anstieg der Energie- und Kraftstoffkosten geht zwar nicht auf die Energiewende, sondern auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zurück, aber er macht deutlich, welcher soziale Sprengstoff mit einer deutlichen Verteuerung fossiler Energieträger zumindest kurzfristig verbunden ist. Angesichts früherer Proteste in anderen Ländern, etwa der Gelbwestenbewegung in Frankreich, kommen die sozialen Probleme nicht unerwartet. Wie können höhere Energie- und Kraftstoffkosten gerecht verteilt werden? Ein Beitrag von Prof. Oliver Holtemöller.
Im Durchschnitt gaben Haushalte in Deutschland im Jahr 2018 knapp 5,5 Prozent% ihres Einkommens für Energie im Wohnbereich und etwa 3,5 Prozent für Kraftsoff aus, für beide Gütergruppen insgesamt also 9 Prozent. Unter anderem durch die zunehmende Bepreisung von Kohlendioxidemissionen werden die Preise für Gas und Öl im Zuge der Energiewende steigen. Nehmen wir zur Illustration des Mechanismus einmal an, dass sich die Preise für Energie und Kraftstoff insgesamt verdoppeln. Dann müssten bei gleichbleibender Nachfrage nicht mehr 9 Prozent, sondern 18 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens für Energie und Kraftstoffe ausgegeben werden. Nehmen wir zusätzlich an, dass Einsparungen bei Nahrungsmitteln, Miete und Gesundheit, auf die insgesamt 45 Prozent der Ausgaben entfallen, nicht möglich sind; dann bleiben 100 Prozent – 9 Prozent – 45 Prozent =46 Prozent des Einkommens, die auf sonstige Ausgaben entfallen, übrig, um die Mehraufwendungen zu schultern. 9 in Relation zu 46 sind etwa 20 Prozent, d. h., für Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Gaststätten, Bekleidung usw. blieben 20 Prozent weniger als bisher. Das hört sich ernüchternd an. Außerdem muss auch die Einkommensverteilung berücksichtigt werden. Haushalte mit geringem Einkommen haben keine Möglichkeit, einen deutlichen Anstieg der Preise für Energie, die bei dieser Haushaltsgruppe einen deutlich höheren Anteil an den Gesamtausgaben ausmacht, durch Einsparungen an anderer Stelle auszugleichen. Sollen die Folgen der Verteuerung von Energie für Haushalte mit unterdurchschnittlichem Nettohaushaltseinkommen abgefedert werden, so muss die Gruppe mit überdurchschnittlichem Einkommen zusätzlich Verzicht für den Einkommenstransfer an die unteren Einkommensgruppen leisten. Was das für diese Haushalte prozentual bedeutet, lässt sich nicht ohne weitere Berechnungen sagen, weil dem Transfer in absoluten Euro-Beträgen gegenübersteht, dass der Anteil des Haushaltseinkommens, der auf Freizeit, Unterhaltung, Kultur usw. entfällt, deutlich höher ist als bei Haushalten mit niedrigem Einkommen.
Diese Rechnung erhebt nicht den Anspruch, die Prozentanteile exakt zu ermitteln. Vielmehr geht es darum zu zeigen, dass die Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen wohl nicht nur für die Kompensation der eigenen höheren Energie- und Kraftstoffrechnung Konsumverzicht an anderer Stelle leisten müssen, sondern zusätzlich für den sozialen Ausgleich.
Es ist eine Nebelkerze, wenn die Politik den Eindruck zu erwecken versucht, dass auch Haushalte mit einem Einkommen über dem durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen von gut 3.600 Euro für höhere Energiepreise kompensiert werden könnten. Ganz im Gegenteil: Diese Haushaltsgruppe wird doppelt zur Kasse gebeten werden müssen.
Jetzt mag man argumentieren, dass die höheren Preise für Energie das Einkommen an anderer Stelle erhöhen und daher dort abgeschöpft und verteilt werden kann, um alle Haushalte ein Stück weit von steigenden Energiepreisen abzukoppeln. Das ist aber gesamtwirtschaftlich eine Illusion. Steigende Energiepreise werden zumindest in einer Übergangsphase nicht zusätzliche Gewinne für die Energieproduzenten widerspiegeln, sondern den Aufwand für den Umbau der Energieversorgung von fossilen Energieträgern hin zu regenerativen. Damit sind reale Investitionen verbunden, die den gesamtwirtschaftlichen Spielraum für Konsumausgaben schmälern.
Was hingegen hilft, ist die Reduktion des Energieverbrauchs. Die höheren Preise werden zu einer höheren Energieeffizienz führen, und die Nachfrage nach Energie und Kraftstoffen dürfte durch Verhaltensanpassungen sinken. Dadurch ergibt sich dann auch wieder mehr Spielraum für die übrigen Konsumausgaben. Die Verhaltensanpassung hängt dabei vom Preisanstieg ab. Die Politik sollte daher zulassen, dass sich Gas und Benzin relativ zu anderen Gütern verteuern. Nur so lassen sich über die niedrigere Energienachfrage die Gesamtkosten der Energiewende verringern. Ohne Konsumverzicht der Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen werden sich die Treibhausgas-Emissionsreduktionsziele der Bundesregierung jedenfalls nicht erreichen lassen.
Der Autor: Prof. Dr. Oliver Holtemöller
Oliver Holtemöller ist Leiter der Abteilung Makroökonomik am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und stellvertretender Präsident des Instituts. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.