Montag, November 25, 2024

Machen Chefs Sinn? Der Purpose und die Sinnlosigkeit

„Sinnlos glücklich – Wie man auch ohne Purpose Erfüllung bei der Arbeit findet“, lautet der provokante Titel des bei Vahlen erschienenen Titels von Wirtschaftspsychologie-Professor Ingo Hamm. W+M hakte nach und stellte dem Verfasser einige Fragen.

W+M: Wie kommt man auf die Idee, ein solches Buch zu schreiben – Frust oder Lust auf Klarstellung oder …?

Prof. Ingo Hamm: Alle Menschen suchen, die einen mehr, die anderen weniger intensiv, nach dem Sinn des Lebens. Was macht das alles für einen Sinn? Wozu gehe ich jeden Morgen zur Arbeit? Ich wollte den Leserinnen und Lesern ein Philosophie-Studium ersparen und habe stattdessen sozusagen das „Allgemeinverständliche Handbuch des Sinns vom Leben“ geschrieben. Auch zur Entmystifizierung des Purpose, den sich inzwischen viele Unternehmen leisten; meist hochtrabende Statements, die nicht zu dem passen, was das Unternehmen tatsächlich tut.
W+M: Aber so ein Purpose wirkt doch auch positiv auf die Motivation – oder?

Prof. Ingo Hamm: Wieso sind dann nach wie vor so viele Menschen mit ihrer Arbeit unzufrieden? Warum schnellen die psychischen Belastungsstörungen in die Höhe? Deshalb wollte ich der Sache auf den Grund gehen. Ich wollte den Unsinn mit dem Sinn beenden. Mir geht es dabei nicht um „Berater-Bashing“ oder „Corporate Finger Pointing“. Ich will vielmehr zeigen: Die Antwort auf die Sinnfrage ist längst gefunden! Philosophie und Psychologie haben längst herausgefunden, was Sinn macht.

W+M: Ist das Thema jetzt nach Veröffentlichung des Buches für Sie erledigt?

Prof. Ingo Hamm: Gegenfrage: Ist der Sinn des Lebens jemals für einen Menschen erledigt? Das ist er nie. Nichts macht glücklicher als ein sinnvolles Leben – und das wissen wir auch alle. Deshalb melden sich seit der Buchveröffentlichung auch Unternehmen bei mir, die fragen: Wie können wir Führungskräften und Mitarbeitern ganz konkret helfen, ihren persönlichen Sinn bei der Arbeit zu finden? Was müssen wir tun? Was müssen wir anders machen? Denn eins ist klar: Ein Mensch, der seinen Sinn gefunden hat, ist begeistert bei der Arbeit und macht sie aus Überzeugung. Wünschen wir uns nicht alle solche Führungskräfte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

W+M: Ist der Versuch der Sinngebung durch Führungskräfte nicht indirekte Motivation?

Prof. Ingo Hamm: Wenn ein Vorgesetzter seine Teammitglieder motivieren muss, stimmt etwas nicht. Dann hat er nämlich vorher schon die intrinsische Motivation seiner Leute kaputtgemacht. Ich würde eher sagen: Sinn ist Chefsache. Jeder Vorgesetzte, der seine Teammitglieder schätzt, sollte ihnen helfen, Sinn in ihrer Arbeit zu finden. Ob wir das dann „Motivation“ nennen, ist mir relativ egal.

W+M: Schadet ein Purpose, wenn er nachvollziehbar ist? 

Prof. Ingo Hamm: Das ist eine gute Frage! Wirken quasi-religiöse Aussagen besser, wenn sie so abstrakt und gefällig formuliert sind, dass sich jeder darin wiederfindet? So gesehen macht ein konkreter Purpose keinen Sinn. Doch wie gesagt: Der Purpose an sich macht keinen Sinn.

W+M: Was macht dann Sinn bei der Arbeit?

Prof. Ingo Hamm: Wie Viktor Frankl sagte: „Sinn kann nicht gegeben, sondern muss gefunden werden.“ Und zwar von jedem Menschen selbst. Vorsagen funktioniert nicht. Wenn Menschen, die ihren Sinn gefunden haben, diesen beschreiben, ist das immer sehr konkret und kompetenzbezogen, zum Beispiel: „Ich helfe Menschen!“, „Ich beherrsche das, was ich täglich tue.“, „Ich bewirke sichtbare Ergebnisse mit meiner Arbeit.“

W+M: Wie belastbar sind solche persönlichen Aussagen?

Prof. Ingo Hamm: Sehr belastbar. Die Wissenschaft hat längst gezeigt: Konkrete Kompetenzanwendung verleiht Sinn, nicht wolkige Sprüche. Nichts gegen Pauschalaussagen wie „Wir müssen das Klima retten!“ Doch dieses hehre Ziel wird ein Einzelner mit seiner Arbeit nie erreichen können. Was dagegen Sinn stiftet, ist das, was er durch Anwendung seiner Kompetenz täglich sichtbar bewirken kann.

W+M: Hilft ein guter Purpose bei der Entwicklung eines attraktiven Narratives für eine Berufsbranche?

Prof. Ingo Hamm: Nein. Auch wenn viel Geld dafür ausgegeben wird. Was hilft, ist immer nur eines: Jeden Menschen dabei unterstützen, seinen persönlichen Sinn in der Arbeit zu finden. Niemand geht zum Beispiel in die Pflege, wenn er nicht Menschen helfen will. Was soll ein Narrativ darüber hinausgehend noch sagen? Auch für andere Branchen gilt: Wozu ein Narrativ für alle basteln, wenn jeder Mensch sowieso seinen individuellen Sinn finden muss? „One size fits all“ stimmt nicht für den Sinn. Noch einmal: Nicht der Purpose oder das Narrativ, sondern die konkrete Kompetenzerfahrung eines Menschen verleiht seiner Arbeit Sinn. Im Sinne von: Ich kann das, und ich bewirke damit Sichtbares!

W+M: Wie lautet Ihr Appell an alle Führungskräfte, die engagierte Mitarbeiter suchen?

Prof. Ingo Hamm: Vergeude keine Zeit auf den Purpose, sondern appelliere an die Fähigkeiten der Bewerberinnen und Bewerber! Denn nur darin können sie ihren persönlichen Sinn finden. Sag nicht lang und breit, was das Unternehmen tut, sondern was die Bewerberinnen und Bewerber tun können, um ihr Fähigkeiten einzubringen und damit Sinn bei der Arbeit zu finden.

Interview: Frank Nehring

Unser Interviewpartner

Ingo hamm. Foto: Julian beckmann

Ingo Hamm war McKinsey-Berater und Konzern-Manager und ist heute Professor für Wirtschaftspsychologie. Er hat zahleiche Bücher publiziert und unterstützt als Berater den stetigen Wandel in Organisationen.

Lesetipp

Ingo Hamm: Sinnlos glücklich. Wie man auch ohne Purpose Erfüllung bei der Arbeit findet. Vahlen, 2022, 26,90 €.

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