Dienstag, Juli 23, 2024

Transformation: Wohin mit der Ostdeutschen Automobilindustrie?

Die Automobilbranche in Deutschland ist in einem gewaltigen Transformationsprozess. Ostdeutschland spielt dabei eine wachsende Rolle, weil hier Leuchttürme der Elektromobilität entstehen. W+M sprach mit Dr. Jens Katzek, dem Geschäftsführer des Automotive Cluster Ostdeutschland ACOD darüber.

W+M: Herr Katzek, alle reden von der Transformation der Automobilindustrie? Was ist noch Vision, was real? Kann Ostdeutschland zum Zentrum der Elektromobilität werden?

Jens Katzek: Das Gleichgewicht zwischen Vision und Realität verschiebt sich aus meiner Sicht mehr und mehr hin zur Realität. Viele Automobilhersteller (OEMs) haben klare Ziele über die Anzahl produzierter eAutos bis 2030 und stellen ihre Produktionswerke entsprechend um. VW in Zwickau gehörte zu den ersten, die ihre Produktion vollständig von 300.000 Verbrennerautos auf 320.000 E-Autos umgestellt haben. Die BMW Group produziert in Deutschland an drei Standorten Hochvoltbatterien und Batteriekomponente und in Leipzig liefen mit dem i3 und dem i8 die erste BMW-Elektro-Modelle vom Band. Bei Porsche sollen bis 2025 50 Prozent der verkaufen Autos einen elektrischen oder teilelektrischen Antrieb haben. In Ludwigsfelde wird von Mercedes-Benz ab Mitte 2023 der eSprinter gebaut – mit der Batterieproduktstätte von Microvast nur wenige Kilometer entfernt. Batteriemodule werden von Mercedes seit vielen Jahren in der Accumotive in Kamenz produziert, CATL wird in Erfurt 1,8 Milliarden Euro in seine Batterieproduktionsanlage investieren, Tesla in Brandenburg will 500.000 e-Fahrzeuge produzieren und die Planungen für die Gigafactory für Batterien haben bereits begonnen.

W+M: Wie lange werden die Probleme der globalen Lieferketten aus Ihrer Sicht noch bestehen?

Jens Katzek: Eine deutliche Entspannung ist kurzfristig nicht zu erwarten. VW Sachsen geht davon aus, dass das erste Halbjahr 2022 aufgrund anhaltender Lieferengpässe anspruchsvoll bleiben wird, nachdem es an den Standorten in Dresden, Chemnitz und Zwickau 2021 Kurzarbeit gegeben hat. Auch bei Porsche in Leipzig sieht man das erste Halbjahr 2022 als «sehr volatil» an. Opel hatte seine Fertigung in Eisenach Ende September gestoppt und die danach geführte Debatte über eine Ausgliederung des Werks hat zu einer großen Aufregung geführt.  Mein Kollege vom automotive thüringen, Ricardo Chmelik, hat zur Recht darauf verwiesen, dass nicht nur Halbleiter fehlten, sondern auch andere Rohstoffe wie Stahl, Holz, Blech oder Kunststoffgranulat, was besonders die Zulieferer trifft.

Produktion im VW-Werk Zwickau. Foto: Volkswagen AG

W+M: Wie kommt die Branche durch Krise? Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer der bevorstehenden Transformation?

Jens Katzek: Wenn ich mal ein wenig euphorisch sein darf: Am Ende werden wir als Automobilnation – und zwar gerade auch in Ostdeutschland – insgesamt sicherlich profitieren. Der Innovationsschub, der jetzt läuft, betrifft ja nicht nur den Antriebsstrang, sondern es geht auch um neue Leichtbauweisen, um das Gewicht der schweren Batterien zum Teil zu kompensieren. Es geht um flexiblere Produktionsprozesse, eine innovativere Logistik, vorbeugende Wartung und damit geringe Ausfallzeiten von Maschine und Anlagen. Es geht um neue Ansiedlungen gerade bei der Herstellung und dem Recycling von Batterien. All das wird die Wettbewerbsfähigkeit der (ost-)deutschen Automobilwirtschaft stärken. Aber natürlich gibt es auch Verlierer. Und ich mache mir weniger Sorgen um die Beschäftigten bei den Automobilherstellern. Ja, Elektroautos haben weniger Teile – aber die Beschäftigung bei den OEMs nimmt aufgrund der vielen Neuerungen eher zu. Umso wichtiger ist es, dass wir den Zulieferunternehmen – und den dort Beschäftigten! – unter die Arme greifen bei ihrem Transformationsprozess. Das technische Know-how, der Qualifizierungsgrad und das Engagement, das sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat, ist zum Teil atemberaubend. Jetzt geht es darum, diese Kompetenzen zu unterstützen, um sich auf den neuen Märkten einen Platz zu erobern.

Das heißt aber auch: Wir müssen den Weg der Elektromobilität wirklich zu Ende gehen – und das heißt attraktive Ladeinfrastrukturen schaffen, damit das „Tanken“ einfach funktioniert. Machen sie einfach die Probe aufs Exempel und schauen sich in ihrer Wohngegend um. Wieviel Autos stehen dort? Und wie viele Lademöglichkeiten gibt es? Und wer nicht im Eigenheim mit Garage wohnt, guckt dann schnell dumm aus der Wäsche. Deshalb plädieren wir auch für eine stärker Förderung von Ladesäulen bei Unternehmen. Autos stehen dort acht Stunden am Tag. Genügend Zeit fürs Laden.

Foto: BMW

W+M: Die Automotiv-Branche ist in Ostdeutschland stark vertreten. Das ACOD Automotiv Cluster Ostdeutschland e.V. vertritt diese Branche. Wer sind Ihre Mitglieder und welche Ziele verfolgt Ihr Verband?

Jens Katzek: Der ACOD steht dafür, Automobil-Hersteller, Zulieferer, Dienstleister, Forschungseinrichtungen und andere Akteure wie z.B. Netzwerkorganisationen zusammenzubringen. Unser Ziel ist es, Innovationen aus der Region für die Entwicklung der Region Ostdeutschland zu nutzen. Aber es geht auch um einen Best-practice-Austausch. Nicht alles muss neu erfunden werden. Es hilft auch, von den Erfahrungen anderer zu partizipieren, wobei der Austausch ein Geben und Nehmen sein muss, sonst wird er nicht funktionieren.

W+M: Sie sind schon lange im Cluster-Management tätig? Was haben Sie daraus gelernt?

Jens Katzek: In der Tat sind es mittelweile fast 20 Jahren Netzwerkerfahrung. Für mich wurde immer klarer, dass wir uns vor allen Digen dann im Wege stehen, wenn wir uns als Organisationen wichtiger nehmen als unsere Kunden – das heißt die Unternehmen. Das bedeutet nicht, dass man nicht auch mal unangenehme Wahrheiten aussprechen darf. Im Gegenteil: Kommunikation ist keine Einbahnstraße und es gehört auch zu den Aufgaben eines guten Clustermanagements, darauf hinzuweisen, wenn man glaubt, dass sich einzelne Akteure verrennen. Aber für mich war es ein einschneidendes Aha-Erlebnis, als sich eine Organisation mal bei mir beschwerte, weil wir so viele attraktive Angebote in ihrer Region angeboten haben. Auf meine Antwort, dass man doch eigentlich froh sein sollte, weil so die eigenen Mitglieder weniger reisen müssten und mehr Auswahl bekommen, hieß es nur: „Ja, mag sein. Aber die Veranstaltungen wurden nicht von uns gemacht!“ Wenn man sich die Herausforderungen vor Augen führt, vor denen große und wichtige Industriebereiche stehen, die für den Wohlstand und die Handlungsfähigkeit unseres Gemeinwohls von so zentraler Bedeutung sind, dann zeigt sich: Die Notwendigkeit, kooperativ an die Herausforderungen der Zukunft zu gehen, ist gestiegen – nicht gesunken. Jeder und jede Einzelne von uns braucht vertrauensvolle Partner in diesem Prozess, auf die man sich verlassen kann.

Der Autor:

Dr. Jens Katzek (59) führt seit 8 Jahren die Geschäfte der ACOD GmbH und hat zuvor Erfahrungen im Bereich des Clustermanagements, der Kommunikation und der Verbandsarbeit gesammelt. Er studierte Biochemie an der FU Berlin und promovierte an der TU Darmstadt.  Sein beruflicher Werdegang umfasste Stationen in der EU-Kommission, im Deutschen Bundestag, als Verbandsgeschäftsführer, sowie als Leiter der Unternehmenskommunikation eines mittelständischen Unternehmens und eines Global Players.

 

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