Montag, November 25, 2024

W+M-Serie: Industrie- und Handelskammer als Partner der Wirtschaft – IHK Magdeburg

Die Wirtschaft ist in Zeiten der Pandemie besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Gerade die vornehmlich klein- und mittelständischen Unternehmen in den neuen Bundesländern mussten sich auf die Krisenbedingungen einstellen und brauchten dafür Rat und Tat. Die Industrie- und Handelskammern waren wichtige Ansprechpartner. W+M sprach auch mit dem Hauptgeschäftsführer der IHK Magdeburg Wolfgang März darüber.

W+M: Wie hat sich die Arbeit der Industrie- und Handelskammern in den Zeiten der Coronapandemie verändert und was haben sie aus der Krise gelernt?

Wolfgang März. Foto: Dirk Mahler

Wolfgang März: Mit dem Beginn der Pandemie änderten sich die Beratungsbedarfe der Unternehmen schlagartig. Die IHK Magdeburg richtete bereits am 16. März 2020 eine Corona-Hotline ein, an der an 7 Tagen die Woche beraten wurde. Die meisten Anfragen erreichten und erreichen die Kammer zur Auslegung der Rechtsverordnungen des Landes. Die Schnelligkeit, mit der diese Verordnungen erlassen wurden, verursachte oftmals eine fehlende Detailtiefe für einzelne Branchen. Sich inhaltlich widersprechende Regelungen, unterschiedliche Auslegungen durch die einzelnen Landkreise, ja einzelne Mitarbeiter in den Behörden, erschwerten den Unternehmen zusätzlich das rechtskonforme Einhalten der Vorgaben. Anfänglich agierten die Mitarbeiter oft auch als „Seelsorger“, viele Unternehmen schilderten ihre Verzweiflung am Telefon. Ein weiterer Beratungsschwerpunkt bezog sich auf die Corona-Hilfen.
Die Kommunikation innerhalb der IHK Magdeburg wurde bereits vor der Pandemie auf Microsoft Teams umgestellt. Dadurch konnten auch die regulären Service-Angebote der IHK Magdeburg sofort virtuell angeboten werden. Die Leistungen standen somit den Mitgliedern ohne Unterbrechung zur Verfügung.

W+M: Wie bewerten die IHKs Maßnahmen, den wirtschaftlichen Schaden durch die Corona-Krise abzufedern? Waren sie ausreichend?

Wolfgang März: Die Coronahilfen, beginnend mit der Soforthilfe über die Überbrückungshilfen, die November- und Dezemberhilfe sowie die Neustarthilfen wurden durch die Wirtschaft überwiegend positiv bewertet. Vielen Unternehmen konnte damit spürbar geholfen werden. Diesbezüglich ist auch die Dankbarkeit seitens der Unternehmerschaft mehrfach bekundet worden.
Ärgerlich waren Ankündigungen der Hilfen, die durchschnittlich erst 8 Wochen später durch eine freigeschaltete Antragstellung greifbar wurden. Fortwährende Änderungen in den Bedingungen, Ausschlüsse von Branchen, jungen Unternehmen u.a. führten aber auch zu Unmut und vor allem zu Unsicherheit in der Unternehmerschaft.
Die Ungleichbehandlung der Branchen im Rahmen der November- und Dezemberhilfen ist nach wie vor ein Thema in Unternehmergesprächen.

W+M: Was braucht die Wirtschaft als Perspektive, um die Corona-Krise zu überwinden?

Wolfgang März: Die Wirtschaft braucht vor allem Verlässlichkeit. Die Sorge, ein erneuter Lockdown könnte endgültig das unternehmerische Aus bedeuten, ist groß. Rücklagen und Ersparnisse sind aufgebraucht.
Die Unternehmen wünschen sich eine Corona-Politik, die inhaltlich nachvollziehbar ist und unabhängig von föderalen Strukturen Chancengleichheit bietet. Darüber hinaus muss zerrüttetes Vertrauen zurückerlangt werden. Die Erfahrung, dass staatliche Strukturen das eigene Geschäftsmodell über Wochen und Monate stilllegen können, aber auch die Androhung von Sanktionen bei Nichteinhaltung der Verordnungen, haben die Motivation vieler Unternehmerinnen und Unternehmer, sich mit der eigenen Selbständigkeit für diese Gesellschaft und die eigene Belegschaft überdurchschnittlich zu engagieren, komplett zerstört. Wir verzeichnen insbesondere bei den Kleinstunternehmen und den Soloselbständigen viele Nachfragen auf Rückkehr in eine abhängige Beschäftigung.
Eine Perspektive für die Wirtschaft muss vor allem Lösungen aufzeigen, wie unterbrochene Lieferketten wieder aufgenommen werden können, wie der Rohstoffknappheit begegnet werden soll, wie die dringend benötigte Digitalisierung der Verwaltung beschleunigt werden kann und weshalb es sich in Deutschland auch weiterhin lohnt, unternehmerisch tätig zu sein.

W+M: Wie wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen den 14 ostdeutschen Kammern?

Wolfgang März: Die Zusammenarbeit zwischen den IHKs ist sehr wichtig. Beispiele sind die Landesarbeitsgemeinschaften (Zusammenarbeit der IHKs in den Bundesländern), der Heringsdorfer Kreis (Zusammenarbeit aller 14 ostdeutschen IHKs) und die Kammerunion Elbe/Oder (Zusammenarbeit von IHKs, Handwerkskammern, Institutionen und Unternehmen aus Polen, Tschechien und Deutschland).

W+M: Wie bewerten Sie die Situation der Wirtschaft in ihrem Kammergebiet? 

Wolfgang März: Die konjunkturelle Entwicklung der gewerblichen Wirtschaft in Sachsen-Anhalt 2020 stand natürlich unter dem Eindruck der Pandemie durch das Coronavirus. Insbesondere die „Shutdowns“ im Frühjahr und im Winter sorgten für Verunsicherung und Umsatzrückgänge. Dabei waren und sind verständlicherweise diejenigen Branchen am stärksten betroffen, die ihr Geschäft auf behördliche Anordnung ganz oder teilweise einstellen mussten und/oder immer noch müssen. Aber auch darüber hinaus gab es nur wenige Unternehmen, die ohne Beeinträchtigung weiterarbeiten konnten oder gar von der Sondersituation profitiert haben. Insgesamt erlebte die Wirtschaft einen systemischen Schock, der so in der jüngeren Konjunkturbeobachtung bisher einmalig ist.
Dementsprechend verunsichert waren nicht nur Gewerbetreibende, sondern auch Politiker und Ökonomen. Die Gegenmaßnahmen mussten oft im Versuch-Irrtum-Prinzip stattfinden, über eine einheitliche Strategie gibt es bis heute keinen breiten Konsens. Angesichts dieser Herausforderung versagen die üblichen Maßstäbe zur Beurteilung von Erfolg und Misserfolg. So lässt sich etwa nicht feststellen, wie hoch die Infektionszahlen ohne harte Eindämmungsmaßnahmen gewesen wären; die bereits jetzt sichtbaren wirtschaftlichen Schäden indes sind immens. Wichtig für Unternehmen sind vor allem verlässliche, evidenzbasierte Regeln sowie eine faire und schnelle Kompensation für erlittene Einbußen.
Auch die Unternehmen tragen durch die Umsetzung entsprechender Hygienekonzepte aktiv dazu bei, die Pandemie weiter einzugrenzen. Dennoch wird die endgültige Lösung der Krise maßgeblich vom medizinischen Fortschritt abhängen – mit dem Einsatz von Impfstoffen ist der erste wichtige Schritt getan. Für den Umgang mit den ökonomischen Schäden und den Langzeitfolgen liegen zahlreiche Vorschläge auf dem Tisch. Zu berücksichtigen ist in jedem Fall, dass die temporäre Beeinträchtigung im Prinzip gesunder Unternehmen nicht deren Existenz gefährden darf. Für die Zeit nach der Krise bedarf es darüber hinaus struktureller Reformen, die die Wettbewerbsfähigkeit der sachsen-anhaltischen Wirtschaft verbessern und damit helfen, erlittene Verluste nach und nach wieder aufholen zu können.
Die aktuellen Konjunkturdaten lassen hoffen, dass sich die Wirtschaft im Kammerbezirk der IHK Magdeburg unter Berücksichtigung aller Einschränkungen erholt. Trotz dieser Entwicklung muss festgestellt werden – viele Unternehmen sind an ihre Grenzen gestoßen, nicht wenige sind darüber hinausgegangen.

W+M: Welche speziellen Forderungen haben Sie an die neue Bundesregierung?

Wolfgang März: Die IHK Magdeburg hat genauso wie für die Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2021 auch für die Bundestagswahl 2021 wirtschaftspolitische Forderungen aufgestellt.
Beispielhaft sind folgende Forderungen genannt:
– konsequenter Abbau des Bürokratismus
– Ausbau der digitalen und verkehrstechnischen Infrastruktur
– zügiger Ausbau von digitalen Kompetenzen auf allen Ebenen
– Stärkung der Dualen Berufsausbildung
– Sicherung der Energieversorgung und Rohstoffverfügbarkeit, Bewältigung der Energiewende
– Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

W+M: Wie kann Klimaschutz und Wirtschaft aus Sicht der IHK miteinander vereinbart werden?

Wolfgang März: Die IHK Magdeburg bekennt sich ausdrücklich zu einem hohen aber auch ökonomisch vertretbaren Umweltschutzniveau und sieht darin einen Standortvorteil im internationalen Wettbewerb. Allerdings ist das bisherige System zur Verbesserung des Klimaschutzes, welches die Energiekosten mit diversen Abgaben, Umlagen und Steuern belastet, innovationsfeindlich, teuer und wird dem Ziel einer nachhaltigen Treibhausgas (THG)-Reduktion nicht gerecht. Deshalb befürwortet die IHK Magdeburg das Klimaschutzinstrument des Emissionshandels, bei dem die THG-Vermeidung zu den geringstmöglichen volkswirtschaftlichen Kosten im Mittelpunkt steht. Die IHK Magdeburg hält die Anwendung und den Ausbau des Emissionshandels als marktwirtschaftliches Steuerungsinstrument für dringend geboten.
Gegenwärtig wird die deutsche Klimaschutzpolitik sowohl vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als auch vom Emissionshandel geprägt. Erhebungen der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg für den Vergleichszeitraum 1999 – 2017 und unter Berücksichtigung des Atomausstiegs ergaben, dass die Einsparung einer Tonne CO2 mittels des EEGs ca. 40-mal teurer als die Reduzierung über den EU-Emissionshandel war.
Der „Green Deal“ ist das momentan dominierende klimapolitische Programm der EU. Er soll den Emissionshandel ausweiten, die Energiegesetzgebung harmonisieren und auf den Emissionshandel ausrichten sowie die europäische Wirtschaft durch Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus vor Konkurrenz aus Ländern mit geringen oder keinen Klimaschutzvorgaben schützen. Auch wenn die Anpassung der Energiegesetzgebung und der Grenzausgleich sehr ambitioniert sind, sieht die IHK Magdeburg diese Vorhaben als notwendig an. Zielverschärfungen über das bereits bestehende, anspruchsvolle Reduzierungsniveau hinaus sind für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung zu vermeiden. Grundsätzlich gilt, dass Klimaschutz nur durch eine internationale Klimapolitik effektiv und erfolgreich sein kann. Dazu muss der bereits in 24 Ländern der Erde auf nationaler oder regionaler Ebene eingeführte, geplante oder in Erwägung gezogene Emissionshandel zu einem weltweiten, harmonisierten Handelssystem ausgebaut werden.

 

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