Die Wirtschaft ist in Zeiten der Pandemie besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Gerade die vornehmlich klein- und mittelständischen Unternehmen in den neuen Bundesländern mussten sich auf die Krisenbedingungen einstellen und brauchten dafür Rat und Tat. Die Industrie- und Handelskammern waren wichtige Ansprechpartner. W+M sprach auch mit der Hauptgeschäftsführerin der IHK Erfurt Dr. Cornelia Haase-Lerch darüber.
Industrie- und Handelskammern in Zeiten von Corona
Dr. Cornelia Haase-Lerch: Im Zusammenhang mit der Corona-Krise hatten wir 2020 einen starken Anstieg bei den Kundenkontakten. Diese erfolgten vorwiegend telefonisch oder virtuell.
Den Hauptberatungsbedarf hatten die kleinen Unternehmen, die wir mithilfe der Corona-Telefonhotline unterstützten. Die Anfragen bezogen sich vorwiegend auf die Umsetzung der Corona-Maßnahmen und die verschiedenen finanziellen Hilfen und erstreckten sich über alle Phasen der Pandemie.
Wir haben zahlreiche Informations-Veranstaltungen und Sprechtage sehr zügig auf digitale oder hybride Formate umgestellt, die auch seitens der Unternehmerschaft rege in Anspruch genommen wurden.
Zudem hat unser Haus bei der Antragsbearbeitung einiger Hilfsprogramme (Soforthilfeprogramm, Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung, Corona-Härtefallfonds, Entschädigungsanträge nach dem IfSG) mittels Amtshilfe für die Bewilligungsbehörden mitgewirkt, wodurch die Bearbeitungszeiten verkürzt werden konnten.
Im Zuge der Interessenvertretung haben wir die Zusammenarbeit mit der Landesregierung, insbesondere dem Wirtschaftsministerium und der Thüringer Aufbaubank intensiviert. Auch mit dem DIHK standen wir der Situation entsprechend in einem noch regelmäßigeren Austausch zu allen relevanten Themen. Damit wurde ein direkter Einfluss auf die Optimierung der Förderprogramme und FAQs ausgeübt.
W+M: Wie bewerten die IHK die Maßnahmen, den wirtschaftlichen Schaden durch die Coronakrise abzufedern? Waren sie ausreichend?
Dr. Cornelia Haase-Lerch: Ziel der Maßnahmen war die Notversorgung der Wirtschaft und das Verhindern einer großen Wirtschaftskrise. Die Hilfen waren darauf ausgerichtet, große Teile der Wirtschaft am Leben zu erhalten. Das heißt auch, dass nicht jeder Schaden ersetzt werden konnte und weite Teile der Belastungen der Krise von den Unternehmen getragen werden mussten.
Die November- und Dezemberhilfen waren eine sehr großzügige Unterstützung für die antragsberechtigten Unternehmen.
Probleme gab es bei der Auszahlungsgeschwindigkeit: Unternehmen warteten teilweise Monate auf die dringend benötigten Mittel. Beispiel: Anträge für die Novemberhilfe konnten ab 25.11.2020 gestellt werden. Die Auszahlung begann mit Abschlägen im Dezember, die regulären Auszahlungen erst im Januar.
Sich ständig ändernde Fördervoraussetzungen erhöhten bei den Unternehmen die Unsicherheit.
Die Probleme häuften sich bei der Bewilligung der Überbrückungshilfe III, wo die Landesförderbanken z.T. Teile der beantragten Mittel (vor allem Kosten für bauliche Investitionen bzw. Ausrüstungen im Zusammenhang mit Hygienemaßnahmen) nicht anerkennen. Die Investitionen wurden aber getätigt und die Unternehmen haben für die Refinanzierung mit den Zuschüssen gerechnet.
Unternehmerinnen und Unternehmer bewerten die Corona-Maßnahmen in Deutschland sehr unterschiedlich.
W+M: Was braucht die Wirtschaft als Perspektive, um die Corona-Krise zu überwinden?
Dr. Cornelia Haase-Lerch: Die Wirtschaft hofft, dass es zu keinem weiteren Lockdown in Deutschland kommt. Die Reserven und Rücklagen vieler Unternehmen sind aufgebraucht, so dass eine weitere Einschränkung ihrer unternehmerischen Tätigkeit zu schwerwiegenden Folgen führen würde. Der Aufbau unterbrochener Lieferketten, die Aufnahme auch der internationalen Geschäftstätigkeit hat gerade begonnen und stabilisiert sich.
Neben Corona steht die Wirtschaft vor gravierenden Herausforderungen, wie Fachkräftemangel oder Infrastrukturvorhaben, deren Umsetzung durch zu lange, bürokratische und komplizierte Genehmigungsverfahren verzögert wird. Klare Perspektiven sind dabei nicht nur in der Coronapolitik gefordert. Die unternehmerische Umsetzung z.B. der Vorgaben des Green Deal bedarf gesamtgesellschaftlicher Anstrengungen. Klare
Regelungen, die am wirtschaftlich Möglichen orientiert sind, sind ebenso Voraussetzung wie eine langfristige Perspektive für die unternehmerische Planung.
Sollte tatsächlich ein weiterer Lockdown erforderlich sein, sollten Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden. Klare Vorgaben, die bundeseinheitlich umgesetzt werden, regelmäßige und verbindliche Abstimmungen mit den Nachbarländern, die Nutzung digitaler Möglichkeiten auch durch die Verwaltung und vor allem eine Perspektive zum Ende der einschränkenden Maßnahmen sind Voraussetzung für die Bewältigung der Krise.
Die unternehmerische Umsetzung z.B. der Vorgaben des Green Deal bedarf gesamtgesellschaftlicher Anstrengungen und Zeit.
W+M: Wie wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen den 14 ostdeutschen Kammern?
Dr. Cornelia Haase-Lerch: Im Rahmen der Interessenvertretung und hoheitlichen Aufgaben arbeiten die Kammern bundesweit sehr eng zusammen. Dabei fließen die Gesamtinteressen der Branchen und Regionen ein. Dies zeichnet die IHK-Organisation aus. Diese Stärke konnten wir in der zurückliegenden Zeit einmal mehr ausspielen.
Die ostdeutschen IHKs arbeiten – wie auch die Kammern anderer Teile Deutschlands- üblicherweise im Zusammenhang mit regionsüberschreitenden Projekten ohnehin mit Nachbar-IHKs zusammen. Bestehende Kooperationen wurden wegen der Pandemie teilweise intensiviert, neue Formen initiiert.
Auch die Zusammenarbeit der IHKs im „Heringsdorfer Kreis“ hat sich unter Pandemiebedingungen bewährt und den ständigen Austausch unseres Hauses mit dem DIHK und der Kammern untereinander beflügelt.
In Thüringen arbeiten wir mit den Kammern in Ost- und Südthüringen sehr eng im Rahmen der Landesarbeitsgemeinschaft zusammen. Diese Kooperation hat sich in der Pandemie einmal mehr als wichtig und effizient gezeigt, um auf die Politik auf Landes- und Bundesebene zeitnah und direkt Einfluss nehmen zu können.
W+M: Wie bewerten Sie die Situation der Wirtschaft in ihrem Kammergebiet?
Dr. Cornelia Haase-Lerch: Die Thüringer Wirtschaft ist kleinteilig, Großkonzerne sind nicht vorhanden. In den vergangenen drei Jahrzehnten, insbesondere in den zurückliegenden Krisenjahren (2009/2010 und seit 2020) hat sich dies aber nicht als Nachteil erwiesen, sondern gezeigt, dass die Kleinteiligkeit zu großen Teilen krisenfest ist. Daneben hat sich im Kammerbezirk in den Jahren seit der Wiedervereinigung eine starke mittelständische Industrie der Automobilzulieferung etabliert.
Für einige Unternehmen stellt sich daher die Zukunftsfrage, wenn die konventionellen Antriebstechniken auslaufen. Eine weitere Herausforderung, die seit Jahrzehnten vorausschauend von der Wirtschaft angemahnt wurde und nun schmerzliche Realität ist, ist der Fachkräftemangel. Ausbildungsplätze können nicht gänzlich besetzt werden, in nahezu allen Bereichen werden Fach- und auch Arbeitskräfte dringend gesucht.
Eine weitere Herausforderung stellt die Akzeptanz in der Bevölkerung und Umsetzung von Großprojekten der Industrie dar. Die neuen Bundesländer sind gerade für größere Industrieansiedlungen aufgrund des bestehenden Platzangebots sehr attraktiv. Dennoch stehen in vielen Fällen eine abnehmende Akzeptanz und langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren diesen Chancen entgegen.
W+M: Welche speziellen Forderungen haben Sie an die neue Bundesregierung?
Dr. Cornelia Haase-Lerch: Gemeinsam mit anderen Thüringer Kammern und Wirtschaftsverbänden hat die IHK Erfurt ein Positionspapier zur Bundestagswahl 2021 formuliert. Viele wirtschaftspolitische Forderungen und Themenbereiche werden darin aufgegriffen.
Bürokratieabbau für Unternehmen muss endlich praktisch umgesetzt werden. Dazu ist es notwendig, dass im Frühjahr vom Deutschen Bundestags sog. Registermodernisierungsgesetz zügig umzusetzen, bei neuen Regelungen und Vorgaben nach der Regel „one-in-two-out“ zu verfahren, die bürokratischen Kosten bei allen Regelungen und in allen Resorts zu überwachen und zu deckeln und die Verwaltung zu modernisieren und zu digitalisieren.
Unternehmensgründungen waren zuletzt auf einem historisch niedrigen Niveau in Thüringen. Die Maßnahmen zur Behebung dieses Problems sind vielschichtig. Neben der Erhöhung von harten und weichen Standortfaktoren, bedarf es auch einer frühzeitigen Sensibilisierung von potenziellen Gründern bereits in der Schule und später auch in der Ausbildung. Auch Unternehmensnachfolgen müssen z.B. durch bedarfsorientierte Förderungen und individuelle Unterstützungsleistungen lukrativer gemacht werden.
Die zunehmende Akademisierung macht dem Wirtschaftsstandort Thüringen ebenfalls zu schaffen. Die berufliche Bildung braucht eine Renaissance, entsprechende politische Unterstützung und Wertschätzung. Zuletzt ist die digitale Infrastruktur weiterhin unzufriedenstellend. Die Versorgung mit hohen Bandbreiten und Mobilfunknetzen in der Fläche des Landes muss besser und schneller vorangetrieben werden.
W+M: Welche Reformen sind aus Sicht der IHK dringend geboten?
Dr. Cornelia Haase-Lerch: Aus den vielen, teilweise auch grundsätzlichen Reformerfordernissen, die vor der neuen Bundesregierung liegen, sei auf zwei gesondert hingewiesen: Nicht nur die Coronakrise hat gezeigt, dass eine moderne und leistungsfähige Verwaltung, die über die Einhaltung rechtstaatlicher Prinzipien wacht, die Basis einer demokratischen Gesellschaft ist. Aber genau hier wurden auch die Schwächen deutlich. Lange Verwaltungs- bzw. Entscheidungs- und Abstimmungswege, unflexibles Verwaltungshandeln und häufig komplizierte Verfahren erschweren es der Wirtschaft, schnell sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Es sei nur auf Genehmigungs- und Planungsverfahren hingewiesen, die regelmäßig wirtschaftliches Verhalten behindern bzw. auch unmöglich machen. Eine Verwaltungsmodernisierung sollte auf weniger Bürokratie, konsequente Digitalisierung und ein kluges Verständnis für regionale Wirtschaftsprozesse setzen.
Das Datenschutzrecht ist für Unternehmen aktuell an vielen Stellen sehr undurchsichtig. Auf Europäischer Ebene setzt die Datenschutzgrundverordnung die Prämissen. Ergänzend kommt das Bundesdatenschutzgesetz hinzu. Umgesetzt wird das Datenschutzrecht aber auf Länderebene, mit der Folge, dass es hier zu durchaus divergierenden Ansichten und Anwendungen kommt. Dies macht bundesweit tätigen Unternehmen ein datenschutzkonformes Agieren oft schwierig. Wir brauchen bei den Datenschutzbehörden unbedingt ein bundeseinheitliches Verständnis aller datenschutzrechtlichen Normen.
Derzeit gilt die Feststellung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) (U.v. 16.07.2020, Rs. C-311/18 – Schrems II), dass das Datenschutzniveau in den USA unzureichend ist. Es fehlen aber Regelungen und Anleitungen, wie dem entgegengewirkt werden können. Selbst die von der Europäischen Kommission mit Durchführungsbeschluss vom 4. Juni 2021 erlassenen neuen Standardvertragsklauseln reichen nicht aus. Die derzeitige Forderung der deutschen Datenschutzbehörden, den Datentransport in die USA einfach zu unterlassen, geht an den zwingenden Anforderungen der Praxis schlicht vorbei.
W+M: Wie kann Klimaschutz und Wirtschaft aus Sicht der IHK miteinander vereinbart werden?
Dr. Cornelia Haase-Lerch: Die Wirtschaft sieht den „Green Deal“ als die wichtigste und tiefgreifendste Aufgabe der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Klimaschutz ist eine Querschnittsaufgabe und es bedarf nicht nur technologischer Innovationen, sondern geeigneter gesetzlicher Rahmenbedingungen. Das neue Verständnis von Nachhaltigkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Ziel, das gleichermaßen Politik und Wirtschaft fordert. Alle Bereiche der Wirtschaft werden davon betroffen sein; es werden sich aber auch neue Geschäftsfelder eröffnen. Dieser Prozess ist bereits angeschoben und gewinnt stetig an Geschwindigkeit.
Die meisten Unternehmen werden den Wandel bewältigen können, benötigen dabei aber die Unterstützung der Regierung. Diese Unterstützung sollte ständig den offenen Diskurs
beinhalten, der die Komplexität der Aufgabe benennt, der auch konträre Auffassungen zulässt und der es schafft, jedes Unternehmen mit einzubeziehen.
Natürlich zählt auch der Ausbau der entsprechenden Infrastrukturen dazu, um es der Wirtschaft zu ermöglichen, Klimaschutz als unverzichtbaren Bestandteil der unternehmerischen Tätigkeit umzusetzen. Zu nennen ist eine Wasserstoffinfrastruktur, die den riesigen Bedarf der Wirtschaft an diesem sauberen Rohstoff decken kann. Der Ausbau der Netze, Akzeptanz in der Bevölkerung für den Strukturwandel insbesondere der Industrieunternehmen, aber auch die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren sind unabdingbare Voraussetzungen für diesen Wandel.
Die Umsetzung des Green Deal in den Unternehmen kann nur funktionieren, wenn die Energieversorgung bezahlbar ist und die Unternehmen somit konkurrenzfähig bleiben, wenn die Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt, wenn neue Technologien intelligent gefördert werden und der gesellschaftliche Diskurs versachlicht wird.
Die Klimawende ist ohne Wirtschaft nicht möglich, sie ist auch nicht denkbar ohne große Industrien. Eine wirtschaftsfreundliche Politik und eine an der Realität orientierte Berichterstattung zu diesem zukunftsgestaltenden Thema können den Transformationsprozess effektiv unterstützen.