Montag, November 25, 2024

Sachsen ist das Land der Elektromobilität

Martin Dulig, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Freistaats Sachsen, sprach im exklusiven W+M-Interview über Sachsens Bewältigung der Wirtschaftskreise, über Zukunftschancen und die bevorstehende Bundestagswahl.

Sachsen in der Krise

W+M: Wie haben sich die Aufgaben und der Tagesablauf des Wirtschaftsministers in Zeiten der Krise verändert?

Martin Dulig: Es hat sich alles komplett verändert. Im vergangenen Jahr war die die Anspannung noch höher, weil alles komplett neu für uns war. Wir saßen täglich in Krisenstäben, Pressekonferenzen, hatten viele Auseinandersetzungen mit Unternehmen und Banken in Sachen Förderung. Deshalb war die erste Phase sicher auch die schwierigste und kraftraubendste, aber es war auch eine sehr prägende Zeit, weil man dort deutlich gemerkt hat, dass tatsächlich das Primat der Politik gilt.

In den vergangenen Wochen konzentrierte sich die Arbeit viel stärker auf die Abläufe rund um die Förderprogramme. Insofern hat sich das politische Geschäft eines Wirtschaftsministers schon sehr verändert. Viele Außentermine finden jetzt zwar nicht mehr statt, mehr Freizeit hat man dadurch aber nicht. Allerdings genieße ich es schon, nicht jeden Abend bis 22:00 Uhr auf Terminen zu sein und jedes Wochenende von Konferenz zu Konferenz zu fahren. Dafür habe ich Videokonferenzen abends zu Hause. Insgesamt ist es eine prägende Zeit und neben den Gesundheits- und Bildungsministern, sind gerade die Wirtschaftsminister bundesweit besonders gefragt sind.

W+M: Gehört Sachsens Wirtschaft zu den Gewinnern oder den Verlierern der Krise? Wie kommt Sachsens Wirtschaft durch die Krise?

Martin Dulig: Ich bin zuversichtlich und denke, dass die sächsische Wirtschaft die Kraft hat, gestärkt aus einer Krise hervorzugehen. Allerdings differenziere ich gern, wenn es um „die Wirtschaft“ geht, denn die pauschalen Klagen über die nicht funktionierende Wirtschaft, stimmen so nicht. Sie funktioniert in diesem Jahr besser als im Frühjahr des vergangenen Jahres, als die internationalen Lieferketten zusammen gebrochen sind mit weitreichenden Konsequenzen auch für unsere produzierende Industrie. Jetzt funktionieren die Lieferketten, die Menschen gehen zur Arbeit, es wird produziert. Wir haben ein Wirtschaftswachstum von über zwei Prozent in Sachsen.

Aber es gibt auch Branchen, die massiv leiden: der Einzelhandel, der Tourismus, die Reise- und Eventbranche, die Kultur. Das sind Bereiche, wo es tatsächlich äußerst problematisch ist. Hier müssen wir dafür kämpfen, dass nach Corona wieder alles gut zum Laufen kommt.

Corona ist nicht die einzige Veränderungswelle,

in der wir uns befinden, sondern sie ist eher ein Katalysator für verschieden Transformationsprozesse, die im Positiven wie im Negativen vorher existierten. Der Einzelhandel hatte bereits vorher massive Probleme und stand aufgrund der Digitalisierung und des Onlinehandels unter Druck, die Automobilindustrie stand schon vor Corona in der Herausforderung der großen Transformation hin zur E-Mobilität, der Maschinen- und Anlagenbau ebenso, Stichwort Industrie 4.0. Diese Entwicklungen werden jetzt beschleunigt. Corona hat uns die Defizite deutlich vor Augen geführt, aber, ich bleibe bei der Zuversicht, dass Sachsen besser durch die Krise kommen wird als andere Länder. Ich glaube an die Kraft der sächsischen Wirtschaft.

W+M: Wo liegen Sachsens Chancen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen?

Martin Dulig: Sachsens Wirtschaft ist sehr kleinteilig, das ist Fluch und Segen zugleich. Es kann sein, dass diese Kleinteiligkeit uns erstmals hilft, besser als andere durch die Krise zu kommen, weil hier eine andere Flexibilität vorhanden ist. Auf der anderen Seite sind wir als Industrieland auch krisenerprobt. Wenn man sich die 500-jährige Industriegeschichten Sachsens anschaut, hat Sachsen alle industriellen Umbrüche gestaltet. Dadurch sind Branchen bei uns stark geworden, die jetzt auch wieder prägend sein können. Sachsen ist das Mobilitätsland Nummer Eins. Es war eine gute Entscheidung von Volkswagen, seine gesamte Elektromobilitätspalette in Sachsen zu bauen. Damit stärken sie den Automobilmarkt als Transformationsmarkt, der Zukunft hat.

Wir stehen auch vor großen Veränderungen beim Thema Wasserstoff.

Ich weiß, dass jedes Land gerade eine Wasserstoff-Strategie entwickelt, aber die Voraussetzungen, die wir in Ostdeutschland haben und damit meine ich jetzt nicht nur Sachsen, sondern auch Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind sehr gut. Hier gibt es die Chemische Industrie, mit der VNG haben das Unternehmen für die Infrastruktur und wir haben viele Produzenten, die gern CO2-frei werden wollen. Deshalb sehe ich hier auch riesengroße Potenziale. Sachsen hat auch immer daraufgesetzt, Forschung und Entwicklung voranzutreiben, auch wenn gerade die kleinteilige Wirtschaft über zu wenig Kapazitäten für Forschung und Entwicklung verfügt. Umso wichtiger war es, dass wir in Sachsen eine universitäre wie außeruniversitäre Forschungslandschaft aufgebaut haben, die den Transfer zur Wirtschaft stärkt. Wir haben mittlerweile die höchste Dichte an Fraunhofer Instituten. Das sind die Stärken, die wir auch weiterhin ausbauen wollen.

Ich möchte betonen, dass Elektromobilität nicht nur den Pkw meint, sondern auch alternative Antriebstechnologien, was beispielsweise die Bahntechnik betrifft. Sachsen ist auch Bahnland und Elektromobilität ist hier umfassend gemeint, egal ob batterie- oder wasserstoffgestützt.

W+M: Welche Defizite aus der Krisenvorzeit holen uns jetzt besonders ein?

Martin Dulig: Das Thema Digitalisierung wird in meinen Augen zu häufig auf das Thema Infrastruktur reduziert. Digitalisierung ist deutlich mehr, die Infrastruktur aber ist die Voraussetzung dafür. Hier haben wir nach wie vor einen großen Nachholbedarf, wie es in der Pandemie deutlich wurde. Wie viele Videokonferenzen sind zusammengebrochen, weil die Kapazitäten von Leitungen nicht ausreichend waren, wie viele Plattformen konnten nicht arbeiten, weil sie anfällig waren. Mit unserer Lernplattform in Sachsen haben wir deshalb viel Ärger gehabt. Unsere Infrastruktur erfüllt nicht die Voraussetzungen, um den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.

Wir müssen aber auch fair urteilen, denn natürlich ist der Ausbau des Glasfasernetzes in Westdeutschland besser als bei uns, weil schlichtweg die wirtschaftliche Struktur dort entwickelter ist und es sich dort für Telekommunikationsunternehmen im Eigenausbau mehr als in den wirtschaftlich schwächeren Gebieten rechnet. Dafür kann aber der Staat nichts. Im Gegenteil, der Staat ist gerade dabei, dieses Defizit auszugleichen, wird aber öffentlich kritisiert, weil es nicht schnell genug geht. Wir haben prozentual die höchsten Fördermittel beim Bund abgerufen. Wir haben knapp 16 Prozent des gesamten Bundesprogrammes abgerufen – also rund 1,24 Mrd. Euro -, obwohl Sachsen laut Einwohnergröße nur 4,9 Prozent zustehen würden. Wir wollen aber nicht Weltmeister im Bescheide beschaffen, sondern im Kabelziehen sein.

Aber Digitalisierung soll nicht nur auf Infrastruktur reduziert werden.

Ich gehe davon aus, dass jetzt viele Unternehmen, die das Thema bisher noch nicht für sich verstanden haben, spätestens jetzt erkannt haben, dass der weltweiten Dynamik nur entsprechen werden kann, wer über digitale Kompetenz und Innovationskraft verfügt. Vor der Krise waren in Sachsen etwa ein Drittel noch reserviert gegenüber dem Thema Digitalisierung. Das sollte der Vergangenheit angehören.

Sachsens wirtschaftliche Zukunft

W+M: Gibt es ein großes Zukunftsthema, das Sie gern in Ihrer Amtszeit platzieren oder realisieren wollen?

Martin Dulig: Ich kann das nicht auf ein Schlagwort reduzieren, denn es die Mischung aus dem, was wir gerade besprochen haben. Ich wünsche mir, dass wir in fünf Jahren eine der modernsten Wirtschaften haben mit modernen Formen von Arbeit. Für mich sind Wirtshaft und Arbeit die beiden Seiten einer Medaille. Die Arbeit ändert sich auch radikal. D.h. wir müssen immer den Menschen mitdenken. Wir haben eine Innovationskraft, die mich zuversichtlich macht. Wir haben in Sachsen eine Kreativwirtschaftsszene mit 70.000 Beschäftigten, durchaus vergleichbar mit anderen Branchen im Freistaat, der Automobilindustrie mit 90.000 Beschäftigten oder der Nahrungsgüterindustrie mit 70.000 Menschen. In der Kreativwirtschaft haben wir Systementwickler, die uns das Thema Künstliche Intelligenz erschließen und vieles andere mehr. Ich möchte einen modernen Freistaat, in dem Kreative sich austoben können, der Automobilstandort Nummer Eins bleibt und wir die Mobilitätswende gestalten. Ich bin als Wirtschafts- und Arbeitsminister bekennender Industriepolitiker und überzeugt davon, dass Industriepolitik in Zukunft komplett anders aussehnen wird. Dafür verwende ich alle meine Energie.

W+M: Was hat es mit dem Thema Wasserstoff auf sich? Was beabsichtigt Ihre Wasserstoff-Strategie und was sind die wesentlichen Inhalte?

Martin Dulig: Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder Schlüsselwortdiskussionen erlebt. Da gib es den einen Begriff und alle rennen ihm hinterher. Erst war es Industrie 4.0, dann war es die Künstliche Intelligenz, jetzt ist es der Wasserstoff. Ich plädiere dafür, nicht nur in Überschriften zu reden, sondern konkret zu sein. Für mich ist Wasserstoff in erster Linie eine Lösungsmöglichkeit für das vereinbarte Ziel, unsere Industrie bis zum Jahr 2050 zu dekarbonisieren. Wir werden dieses Ziel nur erreichen, wenn wir mit grünem Wasserstoff die Energieressourcen klären. Das ist nicht nur eine technologische Frage, sondern es braucht vor allem eine funktionierende Regulatorik. Wir müssen uns da nichts vormachen. Es wird noch eine Veränderung auf dem Energiemarkt geben, um überhaupt grünen Wasserstoff wirtschaftlich tragfähig zu machen. Wir brauchen auch im industriellen Maßstab die Technologie, derzeit werden die Elektrolyseure noch manufakturell hergestellt. Doch Brennstoffzellen müssen industriell hergestellt werden, um die Skalierung zu sichern. Von den fünf europäischen Unternehmen, die Elektrolyseure bauen können, sind allein drei in Sachsen! Linde, Sunfire und Siemens. Wir verfügen über die Umsetzungskompetenz. Mit der VNG haben ein Unternehmen, das die erforderliche Infrastruktur beisteuern kann.

Auch wenn unser Ziel 100 Prozent grüner Wasserstoff bedeutet, wir werden diesen nicht sofort haben. Den meisten Wasserstoff werden wir für die Industrie benötigen. Auch wenn es technologisch interessant und möglich ist, glaube ich nicht daran, dass wir beispielsweise den Kfz-Bereich schnell mit Wasserstoff versorgen werden. Am interessantestes ist Wasserstoff für den Schwerlastverkehr und teilweise auch für die Nutzung im ÖPNV, weil mit der Brennstoffzelle 600 – 1.000 km Reichweite möglich sind, während die batteriegestützte Mobilität derzeit bei bis zu 600 km Reichweite liegt.

Allein von den Kapazitäten werden wir die Menge an Wassersoff aber für den Umbau unserer Industrie brauchen. Und Sachsen, wie auch Brandenburg und Thüringen, sind Stahlstandorte. Hier werden wir nur konkurrenzfähig bleiben, wenn wir grünen Stahl produzieren.

Wasserstoff ist für uns keine Überschrift, sondern eine große Chance, weil wir die Unternehmen dazu haben.

W+M: Sind wir immer noch bei einem „Nachbau West“ oder sind wir schon beim „Überholen, ohne einzuholen?“

Martin Dulig: Der Nachbau West kann schon deshalb keine sinnvolle Strategie für den Osten sein, weil der Westen sich ja auch weiterentwickelt. Unser Ziel muss es sein, einen „Vorsprung Ost“ zu erzielen. Es gilt, die Bereiche herauszuarbeiten, wo wir schneller, besonders und besser sein können. Das hat die Regierungskommission 30 Jahre Deutsche Einheit unter Matthias Platzeck deutlich herausgearbeitet. Da sind wir wieder bei den besprochenen Themen und da steckt die Chance für Ostdeutschland. Wir haben jetzt die Möglichkeit in den Kohleregionen darüber nachzudenken, ob wir hier solche Vorsprünge in der Digitalisierung, in der Künstlichen Intelligenz und anderswo erarbeiten können. Sachsen ist die Nummer eins bei der Elektromobilität, wir müssen überlegen, wie wir das auch bleiben. Einen Vorsprung Ost zu erarbeiten, ist nicht nur ökonomisch, sondern auch mental wichtig.

Die Rolle Sachsens in Ostdeutschland

W+M: Welche Rolle spielt Sachsens in Ostdeutschland?

Martin Dulig:  Sachsen hat aufgrund seiner industriepolitischen Historie eine besondere Rolle und ich verstehe jedes Bundesland, das für sich die Vorzüge definiert, aber am Schluss geht es darum, wie daraus eine Strategie für die Menschen hier wird. Wenn man Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt ohne Ländergrenzen denkt, dann ist das eine Industrieregion, Berlin strahlt massiv auf Brandenburg aus. Diese Vorzüge muss man bei aller Eitelkeit, die jeder für sich hat, nicht gegeneinander, sondern füreinander nutzen.

Dank der hervorragenden Forschungslandschaft haben wir in Sachsen die höchste Innovationskraft bundesweit. Deshalb ist Sachsen sicher auch ein entscheidender Treiber für die Wirtschaft in Ostdeutschland. Aber wir haben gerade in der Energiedebatte gelernt, dass das Kooperieren – bei allem Konkurrenzdenken – mehr geholfen hat, als nur in Landesgrenzen zu denken.

W+M: Macht es Sinn, Ostdeutschland als Marke zu etablieren, um die internationale Wahrnehmung zu stärken?

Martin Dulig: In China weiß man weder wo Dresden noch Schwerin liegt, vermutlich kennt man auch den Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland nicht. Wir nehmen uns oft viel zu wichtig mit unseren eigene Ländersichten. Ob jetzt der Fokus auf Ostdeutschland helfen würde, müsste man noch einmal überprüfen. Ich glaube, es geht um drei Dinge. Ersten geht um die Stärkung des hohen Ansehens von „Made in Germany“ in der Welt. Zweitens müssen wir Europa stärken, um bei den Herausforderungen der Weltwirtschaft mithalten zu können. Drittens sollten wir unsere Stärken stärken, es geht weniger um die regionale Bewerbung, sondern um das, was uns stark macht. In Sachsen wird jedes dritte Elektrofahrzeug gebaut. Das stärkt den Standort. Allerdings ärgert es mich nach wie vor, dass beim Autogipfel nur drei Länder eingeladen werden: Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen, weil es eine reine Fokussierung auf die Stammsitzländer in Westdeutschland gibt. Insofern haben wir innerhalb Deutschlands die Ausgabe, sichtbarer zu machen, was hier passiert. Als Ostbeauftragter der SPD erlebe ich, dass es nach wie vor in fast allen Bereichen eine Westzentriertheit gibt, was auch mit der geringen Präsenz Ostdeutscher in Führungspositionen zu tun hat.

Das Wahljahr 2021

W+M: Wie lautet ihre Prognose für die Wahlen zum Bundestag?

Martin Dulig: In den nächsten Wochen wird noch viel passieren. Ich glaube, dass die Menschen erst jetzt registrieren, dass Frau Merkel nach der Bundestagswahl nicht mehr Bundeskanzlerin sein wird und die Frage, wem man denn das Amt des Bundeskanzlers zutraut eine neue Gewichtung erfährt. Das wird die SPD mit Olaf Scholz stärken. Außerdem wird die Frage relevant, wie man denn künftig regieren will. Auch die Grünen, die aktuell vom Mainstream profitieren, müssen erklären, wie sie es denn machen wollen und wer alles finanzieren soll. Schöne Ziele und plakative Beschreibungen reichen da nicht aus. Auf die Umsetzung kommt es an. Und da können wieder die SPD und Olaf Scholz mit seinen Zukunftsmissionen punkten. Und wenn es um eine inhaltliche Diskussion zum sozial-ökologischen Umbau unserer Industrie kommt, hier geht es um Menschen und Veränderung, dann wird es ein interessanter Zweikampf zwischen SPD und Grünen, wem man da mehr zutraut. Und diese Mischung zwischen der Fähigkeit, Zukunft umzusetzen oder sie lediglich zu beschrieben und der Frage, wem man die Führung eines der wichtigsten Industrienationen der Welt zutraut, wird dazu führen, dass es eine Regierung ohne die CDU gibt. Und ich hoffe darauf, dass die SPD mehr Stimmen als die Grünen bekommen wird.

Interview: Frank Nehring

 

 

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