Sonntag, Dezember 22, 2024

Corona und die Folgen: Ein Blick auf Ostdeutschland

In der aktuellen Ausgabe von „ifo Dresden berichtet“ äußert sich Professor Joachim Ragnitz in einem Kommentar zum Thema, den wir für das W+M Onlinemagazin übernehmen. Prof. Joachim Ragnitz ist Managing Director der Niederlassung Dresden des ifo Instituts – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.

Die Corona-Pandemie stellt die wohl größte Herausforderung für die ostdeutsche Wirtschaft seit der Wiedervereinigung dar.

Foto-ifo-Dresden

Aktuell (Stand 1. April 2020) ist nicht absehbar, wie stark der wirtschaftliche Einbruch sein wird, aber viel spricht dafür, dass dieser tiefer sein wird als in der Rezession von 2008/2009. Die negativen wirtschaftlichen Effekte werden dabei umso gravierender sein, je länger der Shutdown des öffentlichen Lebens anhält. Und selbst wenn Geschäfte und Restaurants wieder geöffnet werden und die Menschen ihre Arbeit wieder aufnehmen können, ist nicht gesagt, dass die Folgen damit auch schnell behoben werden können.

Aus wirtschaftlicher Sicht stellt die Corona-Krise das Zusammentreffen eines angebotsseitigen mit einem nachfrageseitigen Schock dar. Angebotsseitig brechen Lieferketten zusammen, weil Zulieferer ihre Produktion drosseln oder gar ganz einstellen müssen, weil die (grenzüberschreitende) Logistik behindert wird, und weil Arbeitnehmer krankheits-bedingt oder wegen geltender Quarantänevorschriften als Arbeitskraft ausfallen. Gleichzeitig fällt Nachfrage weg, z. B. weil Arbeitnehmer auf Kurzarbeit gesetzt werden und damit Einkommenseinbußen erleiden oder weil Konsumenten angesichts unsicherer Zukunftsperspektiven auf Käufe verzichten. Die gängigen Maßnahmen der Wirtschaftsförderung bzw. der Konjunkturstabilisierung sind für eine solche Situation nicht gemacht und ungeeignet. Der Staat kann lediglich die unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie auf das Wirtschaftsleben abzufedern versuchen, indem er Liquiditätshilfen an betroffene Unternehmen gewährt. Genau das wurde ja auch getan. Es ist gut, dass in dieser Ausnahmesituation nicht die Sorge um die steigende Staatsverschuldung dominierte.

Niemand kann heute vorhersagen, wie lange die einschneidenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie noch aufrechterhalten werden müssen;

sicher ist aber, dass das Wirtschaftsleben irgendwann wieder in Fahrt kommen muss.  Zu erwarten ist, dass rein angebotsseitig bedingte Einbrüche, vor allem in der Industrie, recht schnell wieder aufgeholt werden können.  Denn wer heute Bedarf für eine Maschine hat, diese aber gegenwärtig nicht kaufen kann, holt dies wahrscheinlich später nach. Anders ist es hingegen bei Nachfrageschocks in zahlreichen konsumnahen Dienstleistungsbranchen: Wer heute keinen Urlaub machen darf, wird deswegen im späteren Verlauf des Jahres nicht zweimal verreisen, und wer heute einen Restaurantbesuch ausfallen lassen muss, wird deswegen in Zukunft auch nicht zweimal essen gehen. Hier kommt es also zu dauerhaften Produktions- und Umsatzeinbußen, die sich wiederum auch auf die Beschäftigung negativ auswirken dürften. Es ist damit zu rechnen, dass viele Unternehmen dies nicht überleben werden. Die Liquiditätshilfen, die bislang von Bund und Ländern beschlossen wurden, werden nicht ausreichen, wenn die Krise noch lang andauert.

Eine rasche, vollständige Rückkehr zum Niveau der Zeit vor der Krise ist daher eher unwahrscheinlich.

Nachfrageseitig kommt hinzu, dass bei krisenbedingt geringer Kapazitätsauslastung auch Investitionen für längere Zeit zurückgestellt werden könnten, so dass auch die konjunkturelle Dynamik des nachfolgenden Aufschwungs gedämpft werden könnte. Ein U-förmiger Verlauf der weiteren Wirtschaftsentwicklung erscheint daher wahrscheinlicher als ein V-förmiger Verlauf, wie er vielen aktuellen Konjunkturprognosen als Annahme zugrunde gelegt ist. Für Ostdeutschland kommen weitere Risiken hinzu.

So ist die Widerstandskraft der zumeist kleinen Unternehmen geringer als anderswo, weil die Eigenkapitaldecke in vielen Fällen dünn ist und weil auch Sicherheiten für Kredite oftmals nicht erbracht werden können. Hinzu kommt, dass viele Unternehmenseigner in einem Alter sind, in dem ihre Risikobereitschaft gering ausgeprägt ist. Liquiditätshilfen in Form von Darlehen könnten daher schon deswegen ins Leere laufen, weil Unter-nehmen fürchten, für lange Zeit mit den notwendigen Zins- und Tilgungsleistungen belastet zu sein.  Manch einer wird sich deswegen gar überlegen, ob er nicht früher als geplant in die Rente wechselt.  Die Corona-Krise könnte deswegen zu einer Ausdünnung der ostdeutschen Unternehmenslandschaft führen, die den weiteren Aufholprozess zum Westen hin erschwert.

Schließlich:  Zu bedenken ist auch, dass der Staat versucht sein könnte, die jetzt aufgenommenen Schulden durch Ausgabenkürzungen in den Folgejahren wieder zurückzuführen.

Hiervon könnten insbesondere die Investitionen als die am ehesten disponible Ausgabenkategorie betroffen sein. Das aber würde im Zweifel zu Lasten der Standortqualität und damit der zukünftigen Wachstumschancen gehen. Wichtiger scheint es deshalb, primär solche Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen, die zwar der Politik ein gutes Gefühl verleihen, aber für die langfristige Entwicklung der Wirtschaft weniger bedeutsam sind. Aus alledem folgt, dass man – ungeachtet der jetzt medizinisch notwendigen Schritte zur Eindämmung der Pandemie – die ökonomischen Folgen nicht außer Acht lassen darf. Insbesondere sollte man die Zeit jetzt dazu nutzen, sich über eine langfristige Strategie zur Sicherung der Wettbewerbs-fähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft klar zu werden. Denn nur so wird es gelingen, den bisherigen Wachstumspfad auch in Zukunft fortzusetzen.

 

 

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