Es klingt paradox: Weltweit steigt die Nachfrage nach Kunststoffprodukten, doch selten war es um das Image der Branche schlechter bestellt. Berichte über Plastikmüll in den Ozeanen oder Mikro-Plastik in der Luft erhöhen den Druck auf die Hersteller. Auch im mitteldeutschen Chemiedreieck sucht die Kunststoffindustrie deshalb fieberhaft nach innovativen Lösungen für nachhaltigere Produkte.
Von Matthias Salm
Eine Weltinnovation aus Schkopau – nicht weniger als das verspricht der PET-Hersteller Equipolymers GmbH, beheimatet im 150 Hektar großen Industrieareal ValuePark im traditionsreichen Chemiestandort Schkopau. Hier, wo heute die Dow Olefinverbund GmbH zahlreiche Chemie- und Kunststoffunternehmen um sich geschart hat, arbeiten die Entwickler von Equipolymers gegenwärtig mit Hochdruck an Viridis 25. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich ein lebensmittelechtes Polyethylenterephthalat (PET) mit bis zu 25 Prozent chemisch recyceltem PET. Ein so hoher Rezyklat-Anteil aus chemischem Recycling wäre weltweit einmalig, versprechen die Schkopauer einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigeren Produktion von PET-Flaschen.
Hinter der Equipolymers GmbH steht die internationale EQUATE GROUP, ein Joint Venture des US-Chemieriesen Dow und des kuwaitischen Petrochemiekonzerns PIC sowie weiterer kuwaitischer Partner. Zur Entwicklung des Verfahrens, das maßgeblich auch der Getränkeproduzent Coca-Cola befördert, und zum Umbau der Anlagen in Schkopau investierte Equipolymers in großem Umfang. Gerade der Getränkemulti Coca Cola setzt große Hoffnungen auf das Chemische Recycling. Es nährt die Hoffnung, aus jeglichem PET-Abfall wieder lebensmitteltaugliches PET herstellen zu können. Gegenwärtig wetteifern Unternehmen mit verschiedenen Chemischen Reinigungstechnologien darum, sie für den Einsatz im industriellen Maßstab weiterzuentwickeln.
Unternehmen wie die Equipolymers GmbH stehen auch für die internationale Ausrichtung der Chemie- und Kunststoffindustrie in Mitteldeutschland. Allein im Schkopauer ValuePark sind zahlreiche nationale und internationale Kunststoffproduzenten, kunststoffverarbeitende Unternehmen und chemienahe Dienstleister konzentriert. Wie hier hat sich im gesamten Chemiedreieck im Schatten der Giganten von BASF bis Dow eine leistungsstarke Kunststoffindustrie etabliert. In der Region entsteht so eine breite Palette an Produkten von Polyethylen-Folien für die Lebensmittelindustrie bis hin zu Synthesekautschuk für die Automobilbranche.
Wie in Schkopau an neuen Lkw-Reifen geforscht wird
In Schkopau produziert nicht nur der Dow Olefinverbund. Zu den wichtigen Unternehmen zählt auch die Trinseo Deutschland GmbH als Hersteller von synthetischem Kautschuk und Polystyrol, in Leuna fertigt die DOMO Chemicals GmbH u.a. technische Kunststoffe, in Bernburg, Merseburg oder Bitterfeld-Wolfen haben sich Unternehmen der Kunststoffrecycling-Industrie niedergelassen. Auf Kunststoff-Folien sind die Folienwerk Wolfen GmbH oder die Polifilm Extrusion GmbH in Weißandt-Gölzau spezialisiert. Insgesamt beschäftigen sich rund 125 Unternehmen mit mehr als 11.500 Mitarbeitern in Sachsen-Anhalt mit der Fertigung von Gummi- und Kunststoffwaren.
Und die Branche befindet sich im Aufschwung: Die Chemieparks in Leuna, Bitterfeld-Wolfen, Schkopau, Zeitz und Piesteritz sind in den letzten Jahren weiter gewachsen. Aber auch an anderen Standorten in Sachsen-Anhalt suchen Mittelständler, Start-ups und führende Forschungsinstitute gemeinsam nach Wegen, die Kunststoffproduktion mit innovativen Verfahren und Produkten nachhaltiger zu gestalten.
Führende Forschungseinrichtungen in Halle und Schkopau
Hier zahlt sich vor allem die starke Forschungslandschaft aus: Allen voran das in Halle (Saale) ansässige Fraunhofer Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) und das Schkopauer Fraunhofer Pilotanlagenzentrum für Polymersynthese und -verarbeitung (PAZ) lassen immer wieder mit innovativen Forschungsergebnissen aufhorchen.
So wurden beispielsweise jüngst im Verbund mehrerer Fraunhofer-Institute die Eigenschaften von Synthesekautschuk optimiert. Bisher reichte synthetisch hergestellter Kautschuk im Abriebverhalten nicht an den Naturkautschuk heran und eignete sich daher beispielsweise nicht für die Verwendung als LKW-Reifen. Der neuartige Synthesekautschuk made in Sachsen-Anhalt erzeugt nun erstmals mit 30 bis 50 Prozent weniger Abrieb als Naturkautschuk. Und das ist bedeutsam, denn Reifenabrieb zählt als Hauptverursacher von Mikroplastik-Emissionen.
»Unser Synthesekautschuk BISYKA, kurz für Biomimetischer Synthesekautschuk, hat sogar noch bessere Eigenschaften als Naturkautschuk«, sagt Dr. Ulrich Wendler, der das Projekt am Fraunhofer PAZ leitet. »Die Reifen aus Synthesekautschuk verlieren 30 Prozent weniger Masse als das Äquivalent aus Naturkautschuk, der Profilverlust beträgt sogar nur die Hälfte. Zudem lässt sich der Synthesekautschuk mit Bestandsanlagen in großtechnischem Maßstab produzieren. « Nicht zuletzt wegen solcher Forschungsergebnisse gilt das Fraunhofer PAZ als europaweit einmaliges Angebot für die Kunststoffindustrie. Bis 2020 wird das Zentrum für zehn Millionen Euro ausgebaut und mit weiteren hochmodernen Maschinen ausgestattet.
Wie in Schwarzheide neue Leichtbauteile für Autos entstehen
Auch im benachbarten Brandenburg erwirtschaftet die Kunststoffindustrie mittlerweile 15 Prozent der Umsätze der gewerblichen Industrie. Die mehr als 10.000 Beschäftigten in diesem Industriezweig erzielten 2018 einen Umsatz von 3, 26 Milliarden Euro. 87 Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten zählte die Branche im vergangenen Jahr in der Mark. Jede achte Brandenburger Beschäftigte verdient seinen Lebensunterhalt damit in der Chemie- und Kunststoffindustrie – Tendenz steigend.
Angesiedelt haben sich die Unternehmen am traditionellen Standort Schwarzheide mit dem Global Player BASF, im Städtedreieck Velten, Hennigsdorf und Oranienburg mit dem Orafol-Konzern, einem weltweit führenden Hersteller von Spezialfolien, Klebebandsystemen und reflektierenden Materialien. In Guben fertigt mit der Trevira GmbH ein innovatives Unternehmen, das für seinen flammgeschützten UV-stabilen Polyestergarn für Outdoor-Anwendungen jüngst für den Brandenburger Innovationspreis Kunststoffe und Chemie nominiert wurde. Zu den Großbetrieben der Kunststoffindustrie zählen auch die Märkische Faser in Premnitz, der Rotorblätter-Produzent Vestas in Lauchhammer sowie in Fürstenwalde der Reifenhersteller Goodyear Dunlop.
Nicht immer müssen die in Brandenburg tätigen weltweit agierenden Unternehmen dabei auf den ersten Blick ins Auge fallen. So etwa die Proseat Schwarzheide GmbH. Auf dem riesigen Areal des Schwarzheider Chemieparks, einer der größten Produktionsstätten der BASF in ganz Europa, sind die Containerbüros des Kunststoff-Spezialisten auf Anhieb nicht leicht zu finden. Das 97 Mitarbeiter des Unternehmens mit Hauptsitz im hessischen Mörfelden-Walldorf ¬– zu 75 Prozent im Besitz des japanischen Kunststoffkonzerns Sekisui Plastics – fertigen am Standort Schwarzheide seit Ende 2014 für die Automobilindustrie beispielsweise stoßabsorbierende Leichtbauelemente – die mittlerweile mit reichlich Elektronik versehen werden.
Viele namhafte Autohersteller stehen auf der Kundenliste der Brandenburger wie etwa BMW, Daimler oder Audi sowie wichtige Zulieferer. 6,8 Millionen Teile verließen 2018 das Schwarzheider Werk. Der Umsatz liegt nach fünf Jahren bei 16,5 Millionen Euro. Rund 150 verschiedene Artikel hat Proseat im Einsatz. In Brandenburg ließen sich die Hessen aus logistischen Gründen nieder – die unmittelbare Nähe zur Rohmaterialproduktion, in diesem Fall expandiertes Polypropylen (EPP), gab den Ausschlag.
Der Umbau der Automobilindustrie erhöht auch hier den Druck auf die Zulieferer, innovative EEP-Produkte auf den Markt zu bringen. Da steht zum einen das Ziel im Raum, den CO2-Ausstoß durch eine Gewichtsreduzierung der Fahrzeuge zu senken. Das bietet den Brandenburgern große Marktchancen, denn die Nachfrage nach Leichtbauteilen wächst unabhängig von der Diskussion um die zukünftigen Antriebsformen. Bei der Elektromobilität beispielsweise können Dämmmaterialien aus EEP zur Einsparung von elektrischer Energie beitragen.
Die gestiegenen Anforderungen der Automobilindustrie lassen sich allerdings teilweise mit den herkömmlichen EEP-Produkten nicht mehr bewerkstelligen. In Schwarzheide forscht die Proseat Schwarzheide GmbH deshalb auch an neuen, hybriden Produkten, etwa die Kombination mit Gewebematerialien.
Es ist aber nicht allein der Standort Schwarzheide, der das Gesicht der brandenburgischen Kunststoffindustrie prägt. Es sind vielmehr viele kleine mittelständische Betriebe vor allem im südlichen Teil des Landes – Spezialisten wie die Schönefelder Vakuplastic Kunststoff GmbH. Seit mehr als 50 Jahren steht das Unternehmen für die Fertigung von Saugnäpfen. Beliefert werden, so Geschäftsführer Oliver Schwarz, vor allem die Automobilindustrie, die Elektrotechnik, Werbeunternehmen und die Medizintechnik. „Wir leben zu 90 Prozent von unserem eigenen Produkt – Saugnäpfe aller Art“, beschreibt Schwarz die Marktnische der Schönefelder. Mit zehn Mitarbeitern werden 3.000 Kunden weltweit bedient.
Thüringer Mix aus Konzernen und Mittelständlern
Auch in Thüringen ist die Kunststoffindustrie längst eine feste Größe in der Industrielandschaft. In großen Teilen erst nach 1990 entstanden, erzielen die Betriebe nun jährlich einen Umsatz von rund 7,2 Milliarden Euro. Das Spektrum der Branche reicht von Produktionsstätten großer Konzerne bis hin zu innovativen Familienunternehmen.
In Roßleben-Wiehe im äußersten Osten des thüringischen Kyffhäuserkreises etwa fertigt die Sumitomo (SHI) Demag Plastics Machinery GmbH Spritzgießmaschinen zur Kunststoffverarbeitung. Als Teil des japanischen Mutterkonzerns Sumitomo Heavy Industries gehört es zu den weltweit führenden Unternehmen der Branche. Es investiert auch im laufenden Jahr in den Standort Wiehe, an dem ausschließlich die vollelektrische Baureihe IntElect gefertigt wird. In Blankenhain im Süden des Landkreises Weimarer Land hat sich das Familienunternehmen Grafe Advanced Polymers GmbH unter den führenden deutschen Masterbatches-Herstellern einen Namen gemacht. Mit über 200 Mitarbeitern haben sich die Blankenhainer auf das Einfärben von Kunststoffen spezialisiert. Und in Nobitz im Altenburger Land produziert die KTN Nobitz GmbH als Teil des Hutchinson-TOTAL-Konzerns glasfaserverstärkte Kunststoffbauteile u.a. für den Flugzeughersteller AIRBUS.
Wie Procter&Gamble auf ein Start-up aus Freital setzt
Auch wenn die Kunststoff-Industrie in Sachsen nicht den überragenden Stellenwert wie im benachbarten Sachsen-Anhalt einnimmt, wird auch im Freistaat an innovativen Lösungen für eine material- und energiesparende Produktion gearbeitet. Beispielsweise in Freital bei der Wattron GmbH, einer Ausgründung aus dem Institut für Verarbeitungsmaschinen und Mobile Arbeitsmaschinen der TU Dresden und dem Fraunhofer Institut für Verarbeitungsmaschinen und Verpackungstechnik Dresden. In dem Räumen der Freitaler reihen sich an den Wänden Auszeichnung um Auszeichnung – das junge Unternehmen gilt als hochinnovativ und hat deshalb schon diverse Unternehmerpreise eingeheimst. Das Ziel der Freitaler: den Materialeinsatz und Energieverbrauch in der Kunststoffindustrie durch den Einsatz intelligenter keramischer Kontakt-Heizsysteme zu reduzieren.
Im Gegensatz zu den gängigen homogenen Heizfeldern vermag die Wattron-Technologie Kunststoffe mittels einer Vielzahl individuell steuerbarer Heizpixel präzise und punktgenau zu erhitzen. Damit kann der Kunststoff auf kleinster Fläche verschiedenen Temperaturen ausgesetzt werden. 30 Prozent Material- und mindestens eine ebenso große Energieeinsparung versprechen die sächsischen Jungunternehmer. Das könnte vor allem die Herstellung thermogeformter Verpackungen wie Joghurtbecher oder Kaffeekapseln revolutionieren. Schließlich lässt sich das Matrix-Heizsystem cera2heat® dank seines modularen Aufbaus in nahezu jede Maschine einsetzen. Damit haben sich die Wattron-Gründer beispielsweise schon die Unterstützung des führenden Konsumgüterherstellers Procter&Gamble gesichert.