Freitag, November 22, 2024

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer: „Sachsens Wirtschaft ist auf Wachstumskurs“

W+M-Interview mit Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) über Sachsens Wirtschaft, den Brexit, die Russlandsanktionen und die Stimmung im Land

W+M: Sie sind seit Dezember 2017 Ministerpräsident des Freistaates Sachsen. Wie sieht Ihre persönliche Zwischenbilanz als Regierungschef aus?

Michael Kretschmer: Es waren sehr anstrengende, aber vor allem sehr faszinierende Momente. Gemeinsam haben wir in den vergangenen Monaten viel bewegt und auf den Weg gebracht. Der Freistaat handelt. Mit dem Doppelhaushalt hat der Landtag in Dresden Ende 2018 ein Programm für die Zukunft unserer sächsischen Heimat beschlossen. Wir kümmern uns um einen starken und verlässlichen Staat. Unter anderem geht es um mehr Polizisten und Lehrer, starke Kommunen und eine moderne Infrastruktur, gerade auch im ländlichen Raum. Wir stärken Kulturangebote und Ehrenamt. Ich spüre Zuversicht, Mut und einen neuen Aufbruch bei uns im Land. Und ich bin froh darüber, dass sich so viele Menschen einbringen und für ihre Heimat interessieren.

W+M: Wie ist es aktuell um Sachsens Wirtschaft bestellt?

Michael Kretschmer: Sachsens Wirtschaft ist auf Wachstumskurs. Im ersten Halbjahr 2018 betrug das Plus 2,1 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das Bruttoinlandsprodukt ist von 2010 bis 2017 um 13,8 Prozent gewachsen. Ob in der Mikroelektronik, der Automobilindustrie oder im Maschinen- und Anlagenbau – unsere Unternehmen sind gut aufgestellt, die Produkte und Dienstleistungen made in Saxony gefragt. Mit gezielter Forschungsförderung unterstützen wir die Unternehmen dabei. Handwerk, Tourismus und Dienstleister bilden einen breiten Mittelstand, der überregional wettbewerbsfähig ist. Sächsische Erzeugnisse werden weltweit exportiert: 2017 waren es mit 41,3 Milliarden Euro so viele Waren wie nie zuvor. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordtief gesunken, die Erwerbstätigkeit auf einen Höchststand.

W+M: In jüngster Vergangenheit haben sich zahlreiche in- und ausländische Unternehmen für Investitionen in Sachsen entschieden – unter anderem Daimler und Bosch. Wie geht es mit diesen Investitionen voran?

Michael Kretschmer: Die Investition von Daimler in eine zweite Batteriefabrik in Kamenz stärkt den Standort und gibt der gesamten Wirtschaft einen neuen Schub. In der Region entsteht eine der modernsten Batterieproduktionen weltweit. Auch der Aufbau des neuen Bosch-Werks in Dresden kommt gut voran. Für eine Milliarde Euro baut Bosch bis Ende 2019 ein Hightech-Werk und will hunderte neue Stellen schaffen. Geplant ist die Fertigung von Chips unter anderem für die E-Mobilität und das „Internet der Dinge“. Mehr als eine Milliarde Euro will Volkswagen in Sachsen investieren. VW stellt in Zwickau komplett auf Elektrofahrzeuge um. All dies stärkt Sachsen als Standort von Zukunftstechnologien. Entscheidend dafür, dass es rund läuft, sind nicht zuletzt die vielen kleineren und mittelständischen Unternehmen und die Investitionen gerade in diesem Bereich.

Sachsen ist ein attraktiver Wirtschaftsstandort

W+M: Für all diese Investitionen gab es auch andere Bewerber in Deutschland und Europa. Warum hat sich Sachsen in diesem Wettstreit durchgesetzt?

Michael Kretschmer: Sachsen ist ein ausgesprochen industrie- und innovationsfreundliches Land mit langer Tradition und ein attraktiver Wirtschaftsstandort. Es hat sich herumgesprochen, dass wir seit mehr als 25 Jahren eine kluge und verlässliche Ansiedlungspolitik machen: Investoren werden von der Idee bis zur Realisierung intensiv begleitet und unterstützt. Die Investoren selbst wiederum schätzen vor allem die gut ausgebildeten Fachkräfte, eine exzellente Hochschul- und Forschungslandschaft, eine gut ausgebaute Infrastruktur, verfügbare und bezahlbare Gewerbegrundstücke sowie die Nähe zu Osteuropa. Eine wichtige Rolle spielt natürlich auch, dass Sachsen ein guter Ort zum Leben ist.

W+M: Seit der Flüchtlingskrise gab es in Ihrem Land wiederholt ausländerfeindliche Aktivitäten. Gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die immer wieder artikulierten Vorbehalte gegenüber Ausländern sowie das Erstarken von AfD und Pegida Investoren oder auch kluge Köpfe, die gern als Führungs- oder Fachkräfte ins Land kommen würden, abschrecken?

Michael Kretschmer: Es ist wichtig, dass wir uns gemeinsam für Demokratie und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft einsetzen. In Sachsen gibt es unzählige Menschen, die sich jeden Tag in unterschiedlicher Form einbringen. Die zahlreichen Gesprächspartner aus Wirtschaft, Wissenschaft sowie Kunst und Kultur, mit denen ich in den vergangenen Monaten gesprochen habe, sind sehr gut darüber informiert, dass die übergroße Mehrheit der Sachsen nichts für extreme Positionen übrig hat und stattdessen für Austausch und Begegnung ist. Sachsen ist fröhlich und lebenswert. Das belegen auch die 2018 wieder einmal gestiegenen Zahlen der Gäste aus dem In- und Ausland, die sich bei uns im Freistaat sehr wohl fühlen.

Der Staat muss handlungsfähig sein

W+M: Sie selbst pflegen einen engen Dialog mit den Menschen in Ihrem Land. Sie sprechen häufig direkt mit Ihnen über Sorgen und Ängste, die im Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik aufgekommen sind. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Wurzeln für die Sorgen vieler Sachsen und darüber hinaus vieler Ostdeutscher?

Michael Kretschmer: Klar ist, dass wir in Deutschland einen parteiübergreifenden Konsens in der Migrationspolitik brauchen. So ist es frustrierend, wenn wir beispielsweise bei der Frage der sicheren Herkunftsländer seit Jahren nicht vorankommen, weil die Grünen das im Bundesrat blockieren. Das ärgert viele Menschen – nicht nur in Sachsen. Ich bin sehr froh über die verschiedenen Dialogformate. Viele Sachsen haben Ideen, möchten sich einbringen. Es ist gut, dass wir gemeinsam in diesem intensiven Dialog sind. Zur Sprache kommen ganz verschiedene Themen, die Flüchtlingspolitik ist eines von vielen. Ein sehr wichtiger Punkt ist, dass der Staat handlungsfähig ist. Genau da haben wir in Sachsen angesetzt: Das tun wir unter anderem mit mehr Lehrern, Polizisten und Staatsanwälten. Und wir wollen den ländlichen Raum weiterentwickeln. Deshalb klemmen wir uns dahinter, damit wir beim Breitbandausbau und beim Nahverkehr besser werden.

W+M: Glauben Sie, dass die Lebensleistung der Ostdeutschen im geeinten Deutschland bislang zu wenig gewürdigt wurde? Wenn ja, was sollte die Landes- und auch Bundespolitik tun, um das zu ändern?

Michael Kretschmer: Es ist wichtig, dass wir anständig miteinander umgehen, zuhören und anerkennen, was andere leisten oder geleistet haben. Das gehört sich so. Mir geht es auch darum, Mut zu machen und Dinge voranzubringen. Dabei kann ein Blick zurück hilfreich sein. Anfang der 90er-Jahre war die Situation im Osten der Republik extrem schwierig, es gab Massenarbeitslosigkeit. Die Lage schien hoffnungslos. Aber alle hatten die Zuversicht, dass etwas Positives entsteht. In drei Jahrzehnten ist nicht alles, aber bemerkenswert viel gelungen. Und die Herausforderungen sind im Vergleich zu den 90er-Jahren viel kleiner. Die Menschen hier können im Wissen darum mit großer Zuversicht und Selbstvertrauen an die Dinge herangehen.

Jetzt geht es darum, Nägel mit Köpfen zu machen

W+M: Der Lausitz steht durch das absehbare Ende des Braunkohleabbaus ein weiterer einschneidender Strukturwandel bevor. Haben Sie eine Vision für den Wirtschaftsstandort Lausitz im Jahr 2040?

Michael Kretschmer: Wir wollen, dass der Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier und der Lausitz eine Erfolgsgeschichte wird. Die Ergebnisse der Kohlekommission und die vorgesehenen Milliardenzuschüsse vom Bund sind dafür eine gute Grundlage. Jetzt geht es darum, Nägel mit Köpfen zu machen. Unser Ziel ist eine moderne Infrastruktur – und damit entscheidende Standortvorteile und eine große Dynamik. Es geht unter anderem um eine neue Ost-West-Straßenverbindung zwischen Mitteldeutschland und der Lausitz und eine ICE-Verbindung von Berlin über Cottbus nach Weißwasser und weiter nach Görlitz. Wir brauchen ein beschleunigtes Planungsrecht, damit das zügig kommt. Zusätzlich brauchen wir Forschungseinrichtungen. Wir werden hier dranbleiben. Damit neue Investitionen, Beschäftigung und künftiger Wohlstand möglich werden. Ich bin sicher: Aus traditionsreichen Energieregionen werden so starke Zukunftsregionen mit guten Arbeitsplätzen im Herzen Europas.

W+M: Kommen wir zurück in die nahe Zukunft: Befürchten Sie Auswirkungen des Brexit auf die sächsische Wirtschaft?

Michael Kretschmer: Das Vereinigte Königreich ist unser drittgrößter Exportmarkt nach China und den USA. Bei einem harten Brexit kommen gerade auf exportstarke Branchen wie den Kraftfahrzeugbau oder den Maschinenbau neue Belastungen zu – mehr Bürokratie und Zollformalitäten. Wichtig ist, dass wir in jedem Fall eine vertrauensvolle künftige Partnerschaft vereinbaren. Für eine stabile und starke EU ist die Zusammenarbeit mit den Briten auch nach dem Austritt unverzichtbar.

W+M: In der deutschen Wirtschaft wird der Ruf lauter, die Sanktionen gegen Russland zu überdenken und eine neue Etappe der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen einzuläuten. Wie stehen Sie dazu?

Michael Kretschmer: Die Sanktionen sollten so bald wie möglich auslaufen. Voraussetzung dafür ist die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Deutsche Produkte genießen in Russland nach wie vor hohe Wertschätzung, das versichern mir russische Politiker immer wieder. Wenn die Sanktionen noch deutlich länger aufrechterhalten werden, ist die Gefahr groß, den russischen Markt komplett an Wettbewerber – vor allem aus China – zu verlieren. Unabhängig von den Sanktionen und anderen Faktoren, die die russische Wirtschaft belasten, setzen wir uns für einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu Russland ein.

Sachsen entwickelt sich somit zum Kompetenzzentrum für Elektromobilität

W+M: Die deutsche Automobilbranche steht aktuell stark unter Druck. Betroffen ist davon auch Sachsen, da hier besonders viele Zuliefer- und Fertigungsfirmen angesiedelt sind. Was tut Ihre Regierung für besonders hart betroffene Unternehmen?

Michael Kretschmer: In Sachsens Automobilbau gab es 2018 – nach mehreren sehr guten Jahren – einen Rückgang der Produktion. Eine Rolle dabei spielen auch Sondereffekte. Zum einen die Umstellung, die sich aus dem neuen Abgasprüfstandard ergeben hat. Zum anderen ist bereits im vergangenen Jahr der Umbau des Volkswagen-Werks in Zwickau angelaufen. Europas größter Autobauer rüstet dort komplett auf E-Autos um. Volkswagen investiert inklusive Weiterbildung 1,2 Milliarden Euro in den Standort – Sachsen entwickelt sich somit zum Kompetenzzentrum für Elektromobilität in Europa. Wir haben vor diesem Hintergrund auch die Zulieferer im Blick. Geplant sind noch im zweiten Quartal verschiedene Veranstaltungen gemeinsam mit dem Netzwerk Automobilzulieferer Sachsen. Grundlage soll eine Analyse sein, die der Freistaat in Auftrag gegeben hat.

W+M: Gibt es für Sie als Ministerpräsidenten konkrete Projekte, die Sie bis zur Landtagswahl am 1. September noch prioritär umsetzen wollen?

Michael Kretschmer: Viele wichtige Dinge haben wir auf den Weg gebracht. So haben wir als Freistaat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass es beim Breitbandausbau vorangehen kann. 700 Millionen Euro stehen dafür bereit. Jetzt geht es darum, die vielen kleinen und großen Vorhaben umzusetzen. Das gilt auch für den Strukturwandel in der Lausitz, für den wir den Bund als wichtigen Verbündeten brauchen. Das gilt auch für den ländlichen Raum, den wir als Zukunftsregion weiter stärken wollen.

Die Stimmung im Land ist besser geworden

W+M: Woraus schöpfen Sie Hoffnung, dass Sie mit Ihrer CDU am Wahlabend unverändert stärkste politische Kraft in Sachsen sein werden?

Michael Kretschmer: Die Stimmung im Land ist besser geworden. Die Leute merken, dass es einen neuen Schwung gibt. Wir sind im Gespräch mit den Menschen. Sie spüren, dass es uns um die Sache geht. Und dass wir mit großer Zuversicht und auch Freude daran arbeiten, dass unser Land eine gute Zukunft hat.

W+M: Im Vorfeld von Wahlen spricht man eher nicht über mögliche Koalitionen. Daher die konkrete Frage: Was halten Sie von der Überlegung des brandenburgischen CDU-Landeschefs Ingo Senftleben, im Fall der Fälle ein in Deutschland auf Landesebene einmaliges Bündnis einzugehen – mit den Linken?

Michael Kretschmer: Ich kann nur für Sachsen sprechen. Für mich ist das kein Thema.

Foto: Matthias Rietschel

 

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