W+M-Länderreport Sachsen-Anhalt – #3 Die Chemieparks als Rückgrat der Wirtschaft
Mit dem Länderreport Sachsen-Anhalt setzt Wirtschaft+Markt die im ersten Halbjahr 2023 mit Brandenburg, Thüringen begonnene Recherche-Serie fort. Auch diesen Report werden wir in mehreren Teilen veröffentlichen, denn es gibt mehr zu berichten, als man so gemeinhin denkt.
Teil 1 – 15.09.2023: Zahlen und Fakten zur Wirtschaft/ Bekannte Marken
Teil 2 – 21.09.2023: Mit Intel auf der Überholspur
Teil 3 – 13.10.2023: Die Chemieparks als Rückgrat der Wirtschaft
Teil 4 – 16.10.2023: Pharmaindustrie setzt auf Sachsen-Anhalt
Teil 5 – 27.10.2023: Energiebranche treibt die Entwicklung
Teil 6 – 03.11.2023: Logistik rollt im Land – Automotive und Maschinenbau im Wandel
Hier nun Teil 3: Die Chemieparks als Rückgrat der Wirtschaft
Chemiepark Leuna wächst weiter
So sehr sich gegenwärtig das öffentliche Interesse auf Intel konzentriert: Die wichtigste Industrie des Landes bleibt die Chemieindustrie. Auch hier ist vieles in Bewegung, wenn die Branche auch unter Energiekrise und der gebotenen Transformation zur Klimaneutralität ächzt. Der Chemiepark Leuna gilt gegenwärtig dennoch als eine der größten Baustellen in Deutschland. Hier arbeiten die Großen der Branche: Dow Olefinverbund, Linde, Shell oder TotalEnergies. Mehr Industriearbeitsplätze an einem Ort, so heißt es, finden sich nirgendwo anders in Ostdeutschland. Auf der anderen Seite ist der Chemiepark Leuna aber auch der größte Stromverbraucher im Land. „Wir haben den Anspruch, dass wir in Leuna der nachhaltige Industriestandort in Deutschland sind“, sagt Christof Günther, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft Infraleuna GmbH, über den laufenden Umbau des Chemieparks.
Über 100 Unternehmen aus elf Nationen mit mehr als 12.000 Beschäftigten investieren hier zwei Milliarden Euro bis Ende 2024 in Forschung und die Transformation zur grünen Chemie in einem der größten Chemieparks Europas. Beispielsweise das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt – kurz DLR. Es plant in Leuna den Aufbau und Betrieb einer Technologieplattform für Power-to-Liquid-Kraftstoffe. Ziel des Projektes: eine strombasierte Entwicklung von Kraftstoffen für den Flugverkehr.
Strombasierte Kraftstoffe sind neben alternativen Antrieben und weiteren Steigerungen bei der Effizienz wichtige Schritte für den umweltverträglichen Flug- und Schiffsverkehr. „Damit wird das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt neben dem Kompetenzzentrum für Unbemannte Luftfahrtsysteme in Cochstedt mit einer zweiten Einrichtung in Sachsen-Anhalt vertreten sein“, begrüßt Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, die Standortwahl des DLR. „Mit der Entscheidung für den Chemiestandort Leuna wird der Strukturwandel im Mitteldeutschen Braunkohlerevier weiter forciert“, so Haseloff.
Für die Transformation der Chemieindustrie steht beispielhaft das finnische Biochemie-Unternehmen UPM. Es baut in Leuna eine Bioraffinerie, mit der erneuerbare und neuartige Biochemikalien ab Ende 2024 produziert werden können. 750 Millionen Euro fließen in die Fabrik, die aus nachhaltig erwirtschaftetem Laubholz Biochemikalien zur Fertigung von recyclingfähigen Materialien gewinnt. Diese ermöglichen eine Vielzahl von Anwendungen – etwa Bio-Monoethylenglykol, unverzichtbar für die Herstellung von PET-Flaschen und Polyestertextilien.
Auch das Industriegase-Unternehmen Linde erweiterte in Leuna seine Produktionskapazitäten für Krypton und Xenon an seinem größten Gase-Produktionsstandort. Die neuen Anlagen zur Herstellung und Abfüllung der Edelgase sind die modernsten und gehören zugleich zu den weltweit größten.
Chemieparks als Rückgrat der Wirtschaft
Auch der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen zählt zu den 13 Zukunftsorten des Landes. Hier produzieren traditionell Betriebe der Chlor-, Phosphor-, Farbstoff-, Pharma- und Fein-Chemie, mittlerweile aber auch Unternehmen der Batteriechemie und der Solarzellenfertigung. Ein Zukunftsprojekt im Chemiepark: Das Unternehmen AMG Lithium wird Ende 2023 eine Anlage für die Veredlung von Lithiumhydroxid in Batteriequalität in Betrieb nehmen. Zunächst wird AMG Lithium 20.000 Tonnen Lithiumhydroxid in Batteriequalität jährlich produzieren – ausreichend für 500.000 E-Autos. Bis 2030 erhöht sich die Menge auf 100.000 Tonnen pro Jahr.
Im Dow-ValuePark der Dow Olefinverbund GmbH in Schkopau arbeitet mit dem Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum für Polymersynthese und -verarbeitung PAZ eine renommierte und in Europa einmalige Forschungseinrichtung, die neue Polymer-Produkte und innovative Technologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette entwickelt. Zukünftig sollen Leichtbau- und bio-basierte Materialien erdölbasierte Polymere ersetzen. 2021 entstanden neue Anlagen für den thermoplastbasierten Leichtbau und für nachhaltige Reifenentwicklungen.
Nahe der Lutherstadt Wittenberg befindet sich Deutschlands einziger Agro-Chemie-Park. Hier produziert mit der SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH einer der größten Ammoniak- und Harnstoffproduzenten Deutschlands und einer der größten Hersteller von AdBlue, einem Entstickungsmittel für Diesel-Fahrzeuge. Im Zuge der Gaskrise 2022 geriet das Werk bundesweit in die Schlagzeilen, als es seine AdBlue-Produktion herunterfahren musste. Das Unternehmen gehörte bisher zu den Firmen mit dem höchsten Erdgasverbrauch in Deutschland. Bis 2027 will die SKW Piesteritz nun auf Oköstrom umstellen. Dann sollen 100 Prozent des Bedarfs mit selbsterzeugtem oder zugekauftem Strom aus erneuerbaren Energien gedeckt werden.