Sachsen-Anhalt und Thüringen widmen ihre Landesausstellungen dem Deutschen Bauernkrieg

Niemand weiß, wie Thomas Müntzer aussah, denn das erste Porträt von ihm entstand viele Jahrzehnte nach seiner Hinrichtung. Und doch müht sich jeder, der sich für die Zeit des Bauernkriegs interessiert, um ein Bild des in Laufe der Jahrhunderte Verachteten, Verschwiegenen oder Verehrten. Unter dem Titel „Gerechtigkeyt 1525“ baut derzeit Sachsen-Anhalt an vier Orten eine Landesausstellung. Thüringen folgt mit „freiheyt 1525“. Aber schon jetzt stößt der danach Suchende in den beiden mitteldeutschen Bundesländern auf erlebenswerte Erinnerungsorte. Ein Beitrag von Marlis Heinz.

Rädelsführer oder Revolutionär? Kirchenmann oder Ketzer? Gottesfürchtig oder gewaltverherrlichend? Um Thomas Müntzer wird schon immer gestritten. Aus unterschiedlichen Perspektiven, mit unterschiedlichen Intentionen. Aber selbst die Daten, Orte und Umstände seines Lebens verschwimmen oft im Dunst der Historie und den Interpretationsbemühungen der Historiker.

Stolberg: Zeitreise zwischen Gassen, Kirche und Schloss

Das beginnt schon mit der Geburt. Fest steht: Müntzer stammt aus dem Städtchen Stolberg im Südharz. Wann genau er das Licht der Welt erblickte? An seinem Denkmal auf dem Markt ist die Datums-Unklarheit angedeutet: Beim Geburtsjahr sind die Zahlen 1, 4 und 8 gut zu lesen, dann erscheinen 7, 8 und 9, wie übereinander gekritzelt. Inzwischen spricht man von 1489 oder 1490. Ob er aus einer der beiden Familien von Münzmeistern, die unter „Montzer“ im Steuerregister auftauchen, stammt, ist ebenfalls nicht präzise zu belegen. An einem Haus schräg gegenüber dem Seigerturm wird an der Fassade dennoch verkündet, dass hier einst das „Geburtshaus des rev. Bauernführers…“ gestanden habe.

Trotz alledem lässt es sich in Stolberg, der komplett denkmalgeschützten Stadt, mühelos auf Zeitreise zurück ans Ende des 15. Jahrhunderts gehen. In den Straßen und Gassen hocken Schulter an Schulter jahrhundertealte Fachwerkhäuser. An mindestens einem Dutzend davon könnte auch Thomas noch vorbeispaziert sein. Je nach Rang und Geldbeutel ihrer einstigen Besitzer geben sich die Gebäude prachtvoll oder bescheiden. Die meisten Bürger der von Bergbau und Münzrecht profitierenden Stadt waren damals jedoch vergleichsweise wohlhabend und auch Thomas Müntzer entstammte keinen ärmlichen Verhältnissen.

Zu jenen Gebäuden, die in der Niedergasse – zu DDR-Zeiten Thomas-Müntzer-Gasse – ins Auge fallen, gehört das dreigeschossige Renaissancefachwerkhaus „Alte Münze“, heute Tourist-Information und Museum. Wie an vielen anderen Orten, die im Zusammenhang mit dem Bauernkriegsgedenken eine Rolle spielen werden, sind auch hier schon die Planer, Gestalter und Handwerker zugange und Schließzeiten für die Neugestaltung der Ausstellungen vorgesehen. Und noch immer wird in den Archiven geforscht. „Uns geht es in Stolberg nicht allein um Bauernaufstände, sondern auch um die Komplexität der politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen jener Zeit“, erläutert die Historikerin Dr. Monika Lücke, die an der Neugestaltung des Museums bis Ende 2024 mitarbeitet. „Es waren ja auch Bürger, die unzufrieden mit den Umständen waren, aufbegehrten und sogar kurzzeitig das Schloss einnahmen. Unter unseren neuen Exponaten befindet sich beispielsweise eine Liste hingerichteter Stadtbewohner und eine Stadtordnung aus dem Jahr 1526, die moderne Regelungen für das städtische Zusammenleben festhält.“

Zwischen dem Markt in der Talsohle und dem Schloss hoch oben auf dem Berg, krallt sich die St.-Martini-Kirche am Felsen fest. Nach Müntzer wird Jochen Scheffler, der an diesem Tag Aufsichtsperson und Kirchenführer ist, nicht selten gefragt. Und auch all die Eventualitäten kennt er: „Es steht in keinem der Kirchenbücher geschrieben, aber wahrscheinlich ist der kleine Thomas hier getauft worden, war Lateinschüler und Messdiener.“ Vieles in diesem weiträumigen Gotteshaus stammt aus späteren Jahrhunderten; aber einiges ist tatsächlich schon weit über ein halbes Jahrtausend alt: die meisten der dicken Kalkstein-Mauern des Bauwerkes, das Kreuz und einige der anderen Kunstwerke. Um noch mehr zu zeigen, greift sich Scheffler einen riesigen Schlüssel und steckt ihn an der wuchtigen Holztür zur alten Sakristei ins Schloss. „Alles, was man hier sieht, war zu Müntzers Zeiten ebenfalls schon vorhanden. Zum Beispiel die alte Bibel aus dem Jahr 1481; oder diese schönen hölzernen Nothelfer-Figuren. Hier in der Nische hing der Weihwasserkessel. Und hinter der doppelt gesicherten Luke war vermutlich der Messwein versteckt.“

Am 31. Oktober 2024 wird in der Martini-Kirche übrigens – wie zuvor schon auf der Waldbühne – ein Theaterstück aufgeführt: „Thomas Müntzer – Sohn Stolbergs“. Rund 70 Akteure aus der Region wirken mit.

Frose: Romanische Stiftskirche

Natürlich sind nicht alle Orte, an denen sich Müntzer aufhielt, in die Landesausstellungen eingebunden. Dazu war der Geistliche viel zu viel unterwegs: als Student in Leipzig und Frankfurt/Oder, als Priester, als Beobachter der Aufstände im Süden Deutschlands und nicht zuletzt als Fliehender. Einige Zeit in den Jahren 1515 bis 1517 lebte er in Frose bei Aschersleben, wo er Geistlicher am Cyriakusaltar der Stiftskirche war und im leerstehenden Stiftsgebäude eine Knabenschule für Braunschweiger Bürgersöhne einrichtete. Von alledem blieb die Stiftskirche – eine Station an der Straße der Romanik. Das durch seine beiden Türme und deren breiten Unterbau monumental erscheinende Gemäuer ruht inmitten des Dorfes. Umgeben von einer Wiese und einer Mauer. Still ist es. Möglicherweise hat der junge Müntzer hier auch die letzten ruhigen Jahre seines kurzen Lebens verbracht.

Wittenberg: Blick in die Stadt anno 1517 

Wer nach Wittenberg kommt, begegnet überall Martin Luther. Aber auch Müntzer besuchte die Stadt an der Elbe zwischen 1517 und 1519 mehrmals. So manche Luther-Spur erzählt deshalb auch von Müntzer, von Zeiten, da die beiden Reformatoren noch Weggefährten und noch nicht Konkurrenten und Gegner waren. Doch neben Originalschauplätzen hat Wittenberg noch etwas ganz Besonderes zu bieten: die Panoramaausstellung Luther 1517 von Yadegar Asisi, die noch bis mindestens bis 31. Oktober 2024 zu sehen sein wird.  Wer das große Rund betritt, wird umfangen von Bildern, Lichtern und Geräuschen der Stadt im Jahre 1517. Hunderte Menschen – Bürger, Geistliche, Soldaten – sind unterwegs. Auch Müntzer. Bianca Wohlfromm aus dem Studio asisi erläutert: „In einer Szene im Panoramabild entdeckt man Kurfürst Friedrich, der aus seinem Schloss ausreitet. Dabei übersieht er den sich ihm entgegenstellenden Thomas Müntzer. Luther greift ein und versucht, Müntzer aus dem Weg zu schieben. Diese von Yadegar Asisi erfundene Szene zeigt einerseits den machtbewussten Landesherren, andererseits aber auch die Kämpfe um die Radikalisierung der sich entwickelnden Reformation.“

Allstedt: die aufrührerische Predigt 

Schon bald sollten diese Kämpfe mehr werden als ein kurzes Gerangel auf dem Straßenpflaster. Luther und Müntzer schleuderten einander ihre Schriften entgegen. Im Städtchen Allstedt, wo Müntzer seit März 1523 eine Pfarrstelle hatte, feierte er als erster den gesamten Gottesdienst in deutscher Sprache und stand dabei der Gemeinde zugewandt. Mehr noch: Der Pfarrer hielt 1524 auf dem Schloss die berühmte „Fürstenpredigt“, in der er die Willkür der Herrschenden anprangerte und dem gemeinen Volk das Recht zusprach, sich dagegen aufzulehnen.

Aber auch auf Schloss Allstedt ist der durch Küche, Hofstube oder Kapelle wehende Hauch der Geschichte gerade mit Baustaub gemischt. Auch hier führt der Weg auf den Spuren Müntzers noch über aufgerissene Dielen. Für die Landesausstellung, die in Allstedt die Müntzers Wirken in der Stadt, seine „Fürstenpredigt“, Bauernkrieg und Rezeptionsgeschichte in den Mittelpunkt stellt, wird gemauert, gezimmert und gemalert. Im Sommer 2025 soll sich das Tor zum Innenhof und damit zur Ausstellung öffnen. Wer jetzt schon vorbeischaut, kann zumindest von außen einen Blick auf das Gemäuer werfen, über das jahrhundertealte Pflaster des Vorhofs spazieren, das Schlagen der Glocke hören und hinüber zum Turm der Wigbertikirche gehen, in dem Müntzer – wahrscheinlich – gewohnt hat.

Mansfeld: Ort der Widersacher

Schloss Mansfeld. Foto IMG

Dass Müntzer jemals auf Schloss Mansfeld war, ist fraglich. Sicher ist, dass hier Ernst von Mansfeld und einige seiner Verwandten residierten, fürstliche Widersacher des Aufrührers. Aus deren – und damit auch Müntzers – Zeit ist noch vieles zu finden, Teile der Kapelle oder des Mauerwerks der drei hinter ein und derselben Befestigung zusammenstehenden Schlösser. „Offizieller Standort der Landesausstellung werden wir zwar nicht, immerhin waren wir die Bösen“, scherzt Volker Schmidt, Leiter des auch als christliche Bildungsstätte dienenden Schlosses. „Aber auch wir haben Pläne, nämlich für ein virtuelles Museum mit Videoinstallationen und Audioguides. Und jetzt schon bieten wir einen wunderbaren Rundblick über das Mansfeldische Land.“ Der Ort selbst ist integriert in der interaktiven Mitmachausstellung „1525! Aufstand für Gerechtigkeyt“ in Eisleben und Mansfeld, die den bundesweiten Veranstaltungsreigen des Gedenkens am im Mai eröffnet.

Mühlhausen: Aufbruch in die Schlacht

Mit der „Fürstenpredigt“ hatte sich Müntzer herrschaftliche Feinde gemacht und musste fliehen. Er ging ins thüringische Mühlhausen, wo es auch ohne sein Zutun schon zu Aufruhr gekommen war. Dabei hatten sich die Bürger erstritten, ihre Pfarrer selbst zu bestimmen – und wählten im Februar 1525 Müntzer für die Marienkirche. Das riesige gotische Gotteshaus steht noch heute und dient als Museum St. Marien | Müntzergedenkstätte. Zur Landesausstellung 2025 ist der Ausstellungsbereich der Gesellschaft zu Beginn des 16. Jahrhunderts gewidmet.

Beim Rundgang durch die Straßen und Gassen kann Stadtführerin Doris Schwarzkopf vieles zeigen, was Müntzer noch erlebte: Die ehemalige Klosterkirche „St. Crucis“ am Kornmarkt zum Beispiel, heute Bauernkriegsmuseum. Noch ist dort die Dauerausstellung „Luthers ungeliebte Brüder“ zu sehen; während der Landesausstellung 2025 stehen die Geschehnisse und Umstände der Jahre 1524 und 1525 im Fokus. Auf dem Pflaster vor der Kirche sind noch ganz junge Markierungen zu erkennen; hier soll im kommenden Jahr nach einem Entwurf von Albrecht Dürer ein Denkmal für die auf den Schlachtfeldern Gestorbenen errichtet werden: eine Säule, auf deren Spitze ein Bauer mit Schwert im Rücken zusammengesunken ist.

„Hier beim Rathaus haben sich die Aufständischen versammelt“, erzählt Doris Schwarzkopf, während sie die Gäste unter den Spitzbögen über der Ratsstraße hindurchführt. Und wer will, kann es sich vorstellen, das Gemurmel der Männer, das Weinen der Frauen, das Klappern der wenigen, oft selbst geschmiedeten Waffen… Wo Müntzer von seiner mit dem zweiten Kind schwangeren Frau Ottilie Abschied nahm, weiß niemand genau. Vermutlich im Pfarrhaus gegenüber der Marienkirche. Von dort zog er mit den anderen aufs Schlachtfeld bei Frankenhausen. Und kehrte nie zu ihr zurück. Nahe der Stadt wurde er enthauptet.

Frankenhausen: Das Geschichtenbild

„Blutrinne“. „Schlachtberg“. Straßen- und Flurnamen erinnern an das Gemetzel, das im Mai 1524 nahe dem thüringischen Städtchen Frankenhausen rund 6.000 Aufständischen das Leben gekostet hatte. Den Landsknechten des Fürstenheeres waren sie nicht gewachsen.

In auf einer Bergkuppe in hügeliger Landschaft weithin sichtbar thront ein zylindrisches Gebäude, das Panorama Museum Frankenhausen. In seinem Inneren birgt es ein Rundgemälde, das der Leipziger Maler Werner Tübke in den 1980ern geschaffen hat. Wenn die Besucher treppauf kommend ins sakrale Halbdunkel des riesigen Raumes treten, verstummen sie meist und beginnen zu flüstern. Sie sind überwältigt vom Gemälde mit Tausenden Personen, teilweise heftig agierend, leidend, betend, tötend und sterbend. Hier ist keine Schlacht dokumentiert, sondern die Umbrüche des 16. Jahrhunderts in Szenen gefasst. Auch Müntzer ist unter den Akteuren: Einmal bei einer Gruppe Betender; ein anderes Mal die zu Boden gesunkene Bundschuhfahne in der Hand.

„Viele wird die eine oder andere Szene an andere mittelalterliche Kunstwerke erinnern“, erläutert Silke Krage, die Leiterin des Museumsmanagements. „Und genau da setzen wir mit unserem Beitrag zur Landesausstellung an. In den Räumen unserer Sonderausstellung tragen wir originale Grafiken aus der Zeit der Reformation zusammen, Flugblätter mit Holzschnitten zum Beispiel, die Tübke für sein Gemälde als Vorlagen nutzte und in neue Zusammenhänge gesetzt hat.“

Natürlich wusste auch Tübke nicht, wie Thomas Müntzer aussah. Aber wie viele Künstler vor ihm, gab er dem Rebellen seine eigenen Gesichtszüge. Weil er ihm näher war als jedem anderen Menschen im Bild.

Mehr Informationen:

Zur Landesausstellung Sachsen-Anhalt: www.gerechtigkeyt1525.de

Zur Straße der Romanik: www.romanik-strasse-erleben.de/stiftskirche-frose

Zur Landesausstellung Thüringen:  www.bauernkrieg2025.de