Grüße aus Brüssel von Gaby Bischoff – EU-Parlamentsabgeordnete aus Ostdeutschland
Am 09. Juli 2024 finden in Deutschland die Wahlen zum zehnten Europäischen Parlament statt. W+M hat Abgeordnete, die Ostdeutschland vertreten, gebeten zu berichten, was Sie in der aktuellen Legislaturperiode für Ihr Bundesland erreicht haben und auf welche Schwerpunkte sich das nächste Parlament konzentrieren sollte.
Heute fragen wir Gaby Bischoff
Mein Name ist Gaby Bischoff, ich bin Spitzenkandidatin der Berliner SPD bei der Europawahl 2024 und vertrete seit 2019 die Interessen der Berliner*innen als Abgeordnete im EU-Parlament. Im Dezember 2021 wurde ich zur stellvertretenden Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament (S&D) gewählt.
Ich bin Mitglied und erste Vize-Vorsitzende im Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) sowie Mitglied im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL).
Welche Ergebnisse haben Sie in der aktuellen Legislatur für Ihr Bundesland erzielt? Worauf sind Sie besonders stolz?
In der aktuellen Legislaturperiode haben wir Europa gerechter und sozialer gestaltet. Mit der EU-Mindestlohnrichtlinie sorgen wir europaweit für armutsfeste Mindestlöhne und stärken die Tarifbindung. Davon werden nach der Umsetzung bis November 2024 mehr als 20 Millionen Europäer*innen profitieren. Mit der Lohntransparenz-Richtlinie haben wir Frauen mit den notwendigen Instrumenten ausgestattet, um endlich gegen Lohndiskriminierung vorzugehen.
Weitere Meilensteine waren die Stärkung der Demokratie am Arbeitsplatz, die jetzt auch durch die Reform der Europäischen Betriebsräte fortgesetzt wird, sowie der verbesserte Schutz der Gesundheit von Arbeitnehmer*innen durch die Asbest-Richtlinie. Das sind ganz wichtige Fortschritte, die wir ohne einen Sozialkommissar wie Nicolas Schmit niemals erreicht hätten.
Mit Mitteln der EU aus dem Europäischen Sozialfonds ESF+ konnten wir die Gestaltung der Transformationen weiter vorantreiben. Ein Beispiel hierfür sind die Zukunftszentren, welche bereits seit 2019 in Ostdeutschland etabliert wurden. Diese agieren als Beratungszentren, um kleinere und mittlere Unternehmen zu befähigen, den demografischen, digitalen und ökologischen Wandel zu gestalten. Die Zukunftszentren in Potsdam und Berlin sind insbesondere auf die Gestaltung des digitalen Wandels in der Arbeitswelt spezialisiert.
Damit unterstützt die EU ganz konkret die Transformationen vor Ort in den Regionen.
All diese europäischen Regelungen sorgen für mehr soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und eine Stärkung der Rechte für Berliner Arbeiter*innen. Wir haben im Bereich des sozialen Europas in dieser Legislatur wirklich viel erreicht. Darauf bin ich sehr stolz.
In den letzten fünf Jahren standen wir auch vor großen Herausforderungen.
Dank gelebter europäischer Solidarität konnten wir die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie abmildern und eine erneute Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit verhindern.
Die EU hat nach ein paar Anfangsschwierigkeiten schnell wieder zusammengefunden und gemeinsam gute und effektive Lösungen gefunden. Das war auch und gerade für Grenzregionen wichtig, in denen der grenzüberschreitende Verkehr und das gemeinsame Leben und Arbeiten über Landesgrenzen hinaus mittlerweile die neue Normalität ist. Innovative Lösungen, wie das digitale COVID-Zertifikat der EU, haben diesen wichtigen Austausch wieder ermöglicht und damit noch einschneidendere Krisenfolgen verhindert.
Auch das gemeinsame Investitionsprogramm für die erfolgreiche Bewältigung der Folgen der COVID-19 Pandemie durch den europäischen Wiederaufbaufonds war ein Erfolg. Gleichzeitig sollten wir aus dieser Erfahrung lernen und sicherstellen, dass wir auch zur Bewältigung zukünftiger Herausforderungen die notwendigen Investitionen sicherstellen.
Auf welche Schwerpunkte sollte sich das Parlament in der nächsten Legislaturperiode besonders konzentrieren?
Die EU sichert uns Frieden, Freiheit und Wohlstand. Um diese Werte auch zukünftig zu sichern, brauchen wir eine handlungsfähige EU, die sich entschlossen und mit klaren Lösungsansätzen den bevorstehenden Herausforderungen stellt. Dies gilt insbesondere im Bereich der digitalen und nachhaltigen Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft.
Mit den ambitionierten Zielen des Green Deals haben wir bereits wichtige Schritte unternommen, um ein nachhaltiges Europa zu schaffen. Wir müssen allerdings sicherstellen, dass die Transformation zu einer klimaneutralen EU sozial gerecht gestaltet wird. Seit 2019 sind in der EU 853.000 Jobs in der Industrie verloren gegangen. Das zeigt, welche immensen Herausforderungen dieser Wandel mit sich bringt. Zugleich fehlt es in der Wirtschaft überall an Fachkräften. In Berlin suchen die Unternehmen bereits heute händeringend nach 90.000 gut ausgebildeten Beschäftigten – bis 2035 könnte die Zahl auf über 400.000 steigen. Auch hier besteht also ein enormer Handlungsbedarf.
Diesen Herausforderungen europäisch zu begegnen wird eine der wichtigsten Aufgaben in der nächsten Legislaturperiode werden. Hierzu brauchen wir eine Gesamtstrategie, die sowohl die notwendigen Investitionen in Zukunftssektoren, als auch eine Aus- und Weiterbildungsoffensive, sowie ein Konzept für legale Arbeitsmigration vorsieht.
Zusätzlich hierzu müssen wir auch dafür sorgen, dass wir innerhalb von Europa die Spielregeln für eine faire Mobilität festlegen und auch durchsetzen. Hierzu brauchen wir endlich eine Modernisierung der europäischen Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme, die die Digitalisierung nutzt, um Verfahren und Kontrollen zu vereinfachen und gleichzeitig die Kosten und Nutzen der innereuropäischen Mobilität fair verteilt. Auf europäischer Ebene werden wir uns deshalb mit voller Kraft für eine Reform der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) einsetzen.