Die Wasserstoff-Wirtschaft in Sachsen – W+M-Serie: #6
Die deutsche Wasserstoff-Wirtschaft nimmt Fahrt auf. Grüner Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger auf dem Weg zur Klimaneutralität. Welche Strategien verfolgen die ostdeutschen Länder beim Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft, wer sind die wichtigsten Akteure und was konnte bereits realisiert werden? Diesen Fragen geht Wirtschaft +Markt in einer neuen Serie nach. Von Matthias Salm.
Folge 1: W+M-Serie: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Berlin
Folge 2: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Sachsen-Anhalt
Folge 3: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Brandenburg
Folge 4: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern
Folge 5: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Thüringen
Folge 6: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Sachsen
In Görlitz soll Europas erste Straßenbahn mit Wasserstoffantrieb auf die Schiene gehen, in Chemnitz ein Innovations- und Technologiezentrum für Wasserstoff entstehen und in Leipzig steht das erste Gaskraftwerk Deutschlands, das komplett mit Wasserstoff betrieben werden könnte. Beim Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft setzt Sachsen auf seine Kompetenzen in Industrie und Forschung.
Mit der wachsenden Wasserstoff-Wirtschaft benötigt die Industrie zunehmend Elektrolyseure. Sie sollen bald in großer Zahl aus Sachsen, genauer gesagt aus Dresden, kommen. Das Unternehmen Sunfire GmbH investiert in den Aufbau einer industriellen Serienfertigung in Sachsen und in kleinerem Umfang in Nordrhein-Westfalen rund 400 Millionen Euro. Dank der EU-Initiative IPCEI erhält Sunfire dafür insgesamt 162 Millionen Euro an staatlicher Unterstützung. Das Vorhaben, „Sunfire 1500+“ getauft, umfasst die Fertigung von Elektrolyseuren sowohl für die Alkali-Technologie (AEL) als auch für die Hochtemperatur-Technologie (SOEC). Sunfire ist seit 2011 in Sachsen ansässig. Ihre innovativen SOEC-Elektrolyseure zur Herstellung von grünem Wasserstoff wurden bereits an Industriepartner wie RWE oder die Salzgitter AG verkauft.
Sunfire ist neben Linde Engineering Dresden und dem Fraunhofer Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS auch ein wesentlicher Akteur der Initiative „HyDresden“. Diese Initiative will Dresden als Pionier für grüne Wasserstofftechnologien international positionieren und gemeinsam für den Standort werben. „An kaum einem Standort sind Forschung und Entwicklung, Tech-Pionier und globales Unternehmen im Bereich der Wasserstofferzeugung und -vermarktung räumlich so nah beieinander,“ lobt Nils Aldag, Co-Gründer und CEO von Sunfire, den Standort Dresden. Die Initiative konzentriert sich im ersten Schritt auf die Anwerbung von Fachkräften.
Sachsen besitzt großes Potenzial
Eine 2021 veröffentlichte Studie „Wertschöpfungspotenziale von Wasserstoff für Sachsen“ hat errechnet, dass bis zum Jahr 2030 rund 4.800 Arbeitsplätze und etwa 1,7 Milliarden Euro Umsatz bei sächsischen Unternehmen durch die Wasserstofftechnologie entstehen könnten. Deshalb wird nicht nur in Dresden, sondern auch in Leipzig bereits an der Wasserstoffzukunft gearbeitet. Beispielsweise im Projekt „LHyVE – Leipzig Hydrogen Value chain for Europe“. In diesem Projekt kooperieren u.a. die Leipziger Gruppe (dazu gehören etwa die Leipziger Verkehrsbetriebe GmbH und die Stadtwerke Leipzig GmbH), die ONTRAS Gastransport GmbH, die EDL Anlagenbau GmbH, die VNG AG, das Wasserstoffnetzwerk HYPOS e.V. und viele weitere Partner aus der Wirtschaft, Wissenschaft und Industrie bei ihren Wasserstoff-Aktivitäten.
So haben beispielsweise die Stadtwerke Leipzig ein neues Heizkraftwerk mit Gasturbinen im Leipziger Stadtteil Alt-Lößnig errichtet. 70 Prozent Gas und 30 Prozent klimaneutraler Wasserstoff – dieser Mix soll spätestens 2025 in den beiden Siemens-Turbinen im Heizkraftwerk Leipzig Süd verbrannt werden. Es soll dann ab 2030 zu 100 Prozent mit grünem Wasserstoff betrieben werden. Es ist Deutschlands erstes wasserstofffähiges Heizkraftwerk.
Auch die Industrie in Sachsen nähert sich dem Thema Wasserstoff. Im Leipziger BMW-Werk etwa kommen bivalente Methan-/Wasserstoffbrenner zur Erzeugung von Prozesswärme in der Lackiererei zum Einsatz. Sie können sowohl mit Erdgas als auch mit Wasserstoff betrieben werden. Die EDL Anlagenbau GmbH, ein Anlagenbauer für die chemische Industrie, arbeitet in zwei Projekten daran, so genannte PtX-Produkte bereitzustellen, etwa nachhaltig produziertes Kerosin, Rohbenzin und nachhaltig produzierten Wasserstoff. Im Luftverkehr entsteht am Flughafen Leipzig/Halle ein Zentrum für die Produktion und den Einsatz emissionsfreier Flugkraftstoffe. Dazu haben sich Airbus, Condor, DHL, HH2E, Sasol und der Flughafen Leipzig/Halle zusammengeschlossen.
Auch der Wasserstoff-Handel weckt in der Messestadt Interesse. So fördert der Freistaat das Geschäftsmodell des 2021 in Leipzig gegründeten Wasserstoffhändlers Hintco GmbH, eine 100-prozentige Tochter der Hamburger H2Global-Stiftung. Die Hintco GmbH widmet sich u.a. dem Import von grünem Wasserstoff und dessen Derivaten. Das Unternehmen führt Angebot und Nachfrage von im Ausland produzierten grünen Energieträgern über einen Doppelauktionsmechanismus zusammen.
Bereits ansässig ist in Leipzig die European Energy Exchange (EEX) als weltweit agierende Energiebörse, an der unter anderem Strom, Erdgas und CO2-Emissionsrechte gehandelt werden. Die EEX arbeitet ebenfalls an der Etablierung eines Handelsmarkts für Wasserstoff. Wesentliche Instrumente dafür sind der Preisindex HYDRIX sowie die Entwicklung einer Wasserstoff-Handelsplattform. Dabei arbeitet die EEX mit der Hintco GmbH zusammen.
Zu den wichtigen Playern in Leipzig und im Freistaat zählt der Leipziger Fernleitungsnetzbetreiber ONTRAS Gastransport GmbH. Im Februar erhielt Sachsen den positiven Bescheid aus Brüssel, dass die Projekte „Doing Hydrogen“ und „Green Octopus Mitteldeutschland“ der ONTRAS förderfähig sind. Das IPCEI-Vorhaben Green Octopus Mitteldeutschland verbindet die Mitteldeutschland mit dem Industriestandort Salzgitter und bindet das Reallabor Energiepark Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt ans Wasserstoffnetz an. Doing hydrogen verbindet Wasserstoff-Projekte in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. ONTRAS ist Teil der Leipziger VNG AG.
Chemnitz und Görlitz weitere Hotspots
In Chemnitz wird eines von bundesweit vier Innovations- und Technologiezentren für Wasserstoff (ITZ) entstehen. Die Einrichtung wird sich vor allem Mobilitätsthemen widmen. Dazu gehören der Fahrzeugantriebsstrang, das Brennstoffzellensystem, der Brennstoffzellenstack und weitere Einzelkomponenten von Pkw, Nutzfahrzeugen und Schienenfahrzeugen. Der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig lobt die Planung: „Der ITZ-Standort Chemnitz kann insbesondere die stark vom Strukturwandel betroffenen klein- und mittelständischen Zulieferer unterstützen, Produkte für wasserstoffbasierte Mobilitätslösungen zu entwickeln, Fachkräfte weiterzubilden sowie die Sichtbarkeit des Freistaats bei internationalen Ansiedlungen steigern.“
Noch stockt aber die Förderung des Bundes und zudem ist Chemnitz in den Planungen zum Wasserstoff-Kernnetz bisher nicht berücksichtigt. Ein regionales Wasserstoffbündnis will deshalb nun den Druck erhöhen, dass Chemnitz und Südwestsachsen Anschluss an das bundesweite Kernnetz erhalten.
Ebenfalls in Chemnitz wird gegenwärtig eine Straßenbahn auf Wasserstoffbasis entwickelt. Die Professur Alternative Fahrzeugantriebe der TU Chemnitz (TUC) ist Teil eines sächsischen Konsortiums unter Federführung der Hörmann Vehicle Engineering GmbH. Weitere Projektpartner für den Prototyp sind der Straßenbahnhersteller Heiterblick GmbH in Leipzig und die Flexiva Automation & Robotik GmbH aus Amtsberg im Erzgebirge. Die Erprobung der Straßenbahn wird gemeinsam mit den Görlitzer Verkehrsbetrieben erfolgen.
Beim Strukturwandel in der Lausitz kommt dem Aufbau einer sächsischen Wasserstoff-Wirtschaft ebenso eine besondere Rolle zu. Das geplante Hydrogen Lab Görlitz der Fraunhofer-Gesellschaft kommt allerdings bisher eher schleppend voran und übersteigt mittlerweile den einstmals geplanten Kostenrahmen. Nach Fertigstellung sollen in Görlitz innovative Lösungen für großindustrielle Wasserstofftechnologien entwickelt und bisher noch im Prototypen-Status befindliche Anlagentechnik zur Marktreife gebracht werden.
Starke Forschungslandschaft in Sachsen
Gut aufgestellt ist der Freistaat bereits in der Forschung zu Wasserstofftechnologien. An der TU Dresden ist es vor allem die Professur für Wasserstoff- und Kernenergietechnik, an der TU Chemnitz die Professur für Alternative Fahrzeugantriebe. Hier ist der Lehrstuhlinhaber Prof. Dr.-Ing. Thomas von Unwerth zugleich Vorstandsvorsitzender des HZwo e.V. – dem sächsischen Innovationscluster Wasserstoff und Brennstoffzellen. Die TU Bergakademie Freiberg wiederum ist einer der Partner von H2Giga, einem der drei Wasserstoff-Leitprojekte des Bundesforschungsministeriums. In Freiberg werden u.a. Möglichkeiten für das mechanische Recycling von Elektrolyseuren untersucht. Das Fraunhofer IKTS in Dresden kann auf jahrelange Erfahrung in der Entwicklung der industriellen Elektrolyse, ebenso in ProFraunhofer IKTSjekten zur Speicherung und Transport von Wasserstoff zurückgreifen. Das Fraunhofer IFAM in Dresden schließlich entwickelt Katalysatoren, Elektroden, Beschichtungsverfahren und Zelldesigns für die alkalische Elektrolyse (AEL) und die Anionenaustauscher-Membran-Elektrolyse (AEM).
Das Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU mit den Standorten Chemnitz, Dresden, Leipzig und Zittau/Görlitz ist ebenfalls Partner im Wasserstoff-Leitprojekt H2Giga der Bundesregierung. Am Fraunhofer IWU wird beispielsweise die bisher kostspielige Herstellung der Bipolarplatten – einer Schlüsselkomponente von Elektrolyseuren und Brennstoffzellen – ins Visier genommen. Gemeinsam mit dem Maschinenbauer Profiroll Technologies GmbH in Bad Düben wurde eine neuartige Anlage zum Hohlprägewalzen entwickelt. Sie soll den Weg zu einer massentauglichen Herstellung hocheffizienter und kostengünstiger Bipolarplatten ebnen.