Die deutsche Wasserstoff-Wirtschaft nimmt Fahrt auf. Grüner Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger auf dem Weg zur Klimaneutralität. Welche Strategien verfolgen die ostdeutschen Länder beim Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft, wer sind die wichtigsten Akteure und was konnte bereits realisiert werden? Diesen Fragen geht Wirtschaft +Markt in einer neuen Serie nach. Von Matthias Salm.
Folge 1: W+M-Serie: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Ostdeutschland: #1 Berlin
Folge 2: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Sachsen-Anhalt
Sachsen-Anhalt will zur Modellregion für Grünen Wasserstoff werden. Ein aktuelles Gutachten macht Hoffnung: Durch den Aufbau von Produktions-, Speicher- und Transportkapazitäten und den dafür nötigen Ausbau erneuerbarer Energien könnten bis 2045 zwischen Elbe und Saale rund 27.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.
Das Gutachten des Kölner Beratungsunternehmens r2b energy consulting sieht darüber hinaus durch die Wasserstoffwirtschaft Chancen auf einen Zuwachs an Wertschöpfung im Land von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Besonders optimistisch gibt sich das Gutachten bezüglich der Produktionskapazitäten. Demzufolge könnte 75 Prozent des Grünen Wasserstoffs im Jahr 2045 aus eigener Produktion entstammen, den restlichen Bedarf müsste das Land importieren. Ein überraschendes Ergebnis: Denn damit läge der Anteil der möglichen Eigenproduktion weit höher als in anderen Bundesländern. „Die Studie belegt, dass sich Sachsen-Anhalt zu einer führenden Region für die Erzeugung und Nutzung von klimaneutral erzeugtem Wasserstoff entwickeln kann, wenn wir weiterhin die richtigen Weichen stellen. Dafür sind entsprechende Infrastruktur-Investitionen unerlässlich“, sieht Prof. Dr. Armin Willingmann, Energieminister Sachsen-Anhalts, den Kurs des Landes bestätigt.
Sachsen-Anhalt greift für den Hoffnungsträger Wasserstoff tief in die Tasche. „Wir werden den Ausbau des bundesweiten Wasserstoff-Kernnetzes in Sachsen-Anhalt konsequent vorantreiben. Das Land wird hier in den kommenden Jahren mehr als 58 Millionen Euro investieren, weitere 130 Millionen Euro kommen vom Bund“, kündigt Willingmann an.
Bereits jetzt wird in Sachsen-Anhalt in Sachen Wasserstoff aufs Tempo gedrückt, sowohl von Seiten der Landesregierung als auch der Wirtschaft. Schon 2021 verabschiedete die Landesregierung ihre Wasserstoffstrategie mit dem Ziel, bis zum Jahr 2030 eine Elektrolysekapazität von 1.000 Megawatt aufzubauen. 17 unterschiedliche Projekte widmen sich unterdessen bereits dem Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft. Vereint sind die regionalen Akteure im Netzwerk HYPOS, das mit seinen über 170 Mitgliedern den industriellen Einsatz des Energieträgers in Mitteldeutschland fördert.
Energieparks produzieren Wasserstoff
Als prominentester Leuchtturm gilt der Energiepark Bad Lauchstädt südlich von Halle. Über 210 Millionen Euro flossen hier in den Aufbau eines Wasserstoff-Reallabors. In der Goethestadt entstehen ein Windpark mit acht Windenergieanlagen sowie ein 30-MW-Elektrolyseur des Dresdner Unternehmens Sunfire. Firmen wie Uniper Hydrogen, die VNG AG und die ONTRAS Gastransport GmbH arbeiten gemeinsam an der Umsetzung des Projekts. Auch ein Abnehmer des Grünen Wasserstoffs ist bereits gefunden – die TotalEnergies Raffinerie in Leuna. Sie will in der zweiten Jahreshälfte 2025 Grünen Wasserstoff aus Bad Lauchstädt beziehen. Ein weiteres Highlight im Energiepark: Eine Kaverne, also ein unterirdischer Hohlraum, soll im Salzgebirge unterhalb Bad Lauchstädts als Lagerstättenspeicher dienen und bis zu 4.500 Tonnen klimaneutralen Wasserstoff aufnehmen.
Rund 50 Kilometer entfernt von Bad Lauchstädt erforscht im Wasserstoffdorf Bitterfeld-Wolfen die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft wie etwa der DBI Gas- und Umwelttechnik und der Mitteldeutschen Netzgesellschaft Gas (MITNETZ Gas) den Transport von Wasserstoff in Kunststoff-Gasleitungen. Dazu wird durch 1,4 Kilometer Gasleitungen in drei verschiedenen Druckstufen reiner Wasserstoff gepumpt.
Der wichtigste Kristallisationspunkt für das Hochfahren der Wasserstoff-Wirtschaft in Sachsen-Anhalt ist aber zweifellos der Chemiestandort Leuna. Und das nicht nur, weil die Chemieindustrie einer der Hauptakteure der Wasserstoffnutzung sein wird. In Leuna will der Gasekonzern Linde mit einem 24-Megawatt-PEM-Elektrolyseur in die Wasserstoffproduktion einsteigen. Aber auch das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) hat den traditionsreichen Chemiepark für die Errichtung einer Forschungs- und Demonstrationsanlage ausgewählt, in der unter Einsatz von Wasserstoff strombasierte Kraftstoffe für den Luft- und Schiffsverkehr entwickelt werden. Die Förderung des Vorhabens mit Bundesmitteln stand allerdings aufgrund der Haushaltslöcher im Bundesetat lange Zeit auf der Kippe, scheint nun aber gesichert zu sein.
Weiter ist da schon das von der Fraunhofer-Gesellschaft initiierte Hydrogen Lab Leuna (HLL), das als eines von deutschlandweit drei Hydrogen Labs der Fraunhofer-Einrichtung zum Einsatz von Grünem Wasserstoff in der chemischen Industrie forscht. Das HLL im Chemiepark Leuna führt u.a. Dauer- und Belastungstests von Elektrolyseursystemen durch. Der dort produzierte grüne Wasserstoff wird in die rund 157 km lange H2 -Pipeline eingespeist und in chemischen Prozessen eingesetzt. Das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme ist Betreiber des Labs.
Auch der Zeitzer Braunkohlekonzern MIBRAG setzt bei seiner Transformation zum Energiedientleister nach Ende des Braunkohleabbaus auf die Wasserstoffproduktion. 2035 soll die Braunkohleförderung im Tagebau Profen auslaufen. Die MIBRAG plant daher parallel den Bau eines 90-MW-Elektrolyseurs bis Ende 2026 sowie zahlreiche Projekte zum Ausbau von Wind- und Photovoltaikanlagen auf ehemaligen Tagebauflächen in Sachsen-Anhalt und Sachsen.
Regionale Wasserstoffinitiativen
Nicht nur in Leuna und Bad Lauchstädt wird an der Wasserstoff-Zukunft Sachsen-Anhalts gefeilt. Auf dem ehemaligen Militärflugplatz Zerbst hat die GETEC Green energy GmbH schon vor über zehn Jahren eine Bioraffinerie, einen Wind- sowie einen Solarpark errichtet. Künftig soll der dort erzeugte erneuerbare Strom zur Produktion von Wasserstoff dienen und in der chemischen Industrie sowie für die Mobilität genutzt werden.
Ähnlich entwickelt sich das Projekt Energieregion Staßfurt, in dem u.a. aus Windstrom Grüner Wasserstoff für Linienbusse oder Abfallsammelfahrzeuge des Salzlandkreises, insbesondere aber auch für den überregionalen Logistikverkehr, produziert werden soll. Schließlich ist Sachsen-Anhalt auch eine Drehscheibe für den internationalen Warenverkehr. Die erste Wasserstofftankstelle des Bundeslandes wurde bereits von den Unternehmen H2 MOBILITY, Air Liquide und TOTAL am TOTAL Autohof in Magdeburg errichtet.
Im Burgenlandkreis im Süden Sachsen-Anhalts hat sich die Wasserstoff-Initiative „H2-Hub-BLK“ gebildet, in der. u.a. die MIBRAG, die Südzucker Group, die Infra-Zeitz Servicegesellschaft, die Stadtwerke Zeitz, die PreZero Energy Zorbau GmbH und die Radici Chimica Deutschland GmbH mitwirken. Die Südzucker Group etwa arbeitet an einer neuen Wertschöpfungskette von der Windkraft über die Wasserstofferzeugung und -speicherung bis zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe auf Basis von biogenem CO2
Auch Unternehmen rund um die Wasserstoffwirtschaft haben sich in Sachsen-Anhalt mittlerweile angesiedelt. So etwa die HORIBA FuelCon in Barleben, ein weltweit führender Anbieter von Testsystemen für Brennstoffzellen und Batterien, der auch innovative Testsysteme zur Evaluierung von Elektrolyseuren bereitstellt.
Schneller Ausbau des Verteilnetzes
Mit Hochdruck wird auch an dem Ausbau der Infrastruktur gearbeitet. Mitte Februar gab es aus Brüssel grünes Licht für die Förderung des „Elektrolysekorridor Ostdeutschland“. Die brandenburgische Firma Enertrag plant die großtechnische Produktion von grünem Wasserstoff an vier Elektrolyseurstandorten in Ostdeutschland, darunter auch in Bobbau, einem Stadtteil von Bitterfeld-Wolfen. Eingespeist werden soll der Wasserstoff in die Pipeline „doing hydrogen“.
Ebenfalls genehmigt hat die EU-Kommission die Förderung weiterer ostdeutscher IPCEI (Important Projects of Common European Interest) in Gestalt der beiden Leitungsprojekte „doing hydrogen“ und „Green Octopus Mitteldeutschland“. Beide sind Bestandteil des gut 900 Kilometer umfassenden Wasserstoff-Startnetzes der ONTRAS GmbH in Ostdeutschland. „Green Octopus Mitteldeutschland“ (GO!) ist eine rund 300 Kilometer lange Wasserstoff-Transportroute zwischen dem mitteldeutschen Chemiedreieck, den Städten Leipzig, Halle und Magdeburg sowie dem Helmstedter Revier und der Stahlregion Salzgitter in Niedersachsen. Darin integriert wird auch der künftigen Wasserstoffspeicher in Bad Lauchstädt sein. Das Projekt „doing hydrogen“ sieht vor, eine Wasserstoffleitung zwischen Rostock und Güstrow zu bauen und eine schon bestehende Erdgaspipeline für den Wasserstofftransport von der Ostsee bis Berlin, Brandenburg und Mitteldeutschland umzuwidmen.