VNG – ein ostdeutsches Unternehmen mit Tradition und Zukunft
W+M sprach mit Bodo Rodestock, dem Vorstand Finanzen, Personal und IT der VNG AG, über die Entwicklung des Unternehmens, das durch den Lieferstopp russischen Erdgases 2022 vor große Probleme gestellt wurde, über die Energiewende und Fragen des gesellschaftlichen Engagements.
W+M: Herr Rodestock, Sie sind VNG-Vorstand Finanzen, Personal & IT. Ist das eine gute Kombination?
Bodo Rodestock: Was auf den ersten Blick vielleicht wie eine eigenartige Zusammensetzung erscheint, ist für mich eine interessante und spannende Kombination aus zentralen Fäden für die Steuerung und Weiterentwicklung des Unternehmens. Dabei ist die finanzielle Steuerung nur ein wesentlicher Teil. Der Bereich Personal ist gerade in den letzten Jahren immer bedeutsamer geworden, denn ohne die richtigen Fachkräfte, eine klare Personalstrategie und das Zusammenführen mit der IT ist der Transformationsprozess nicht zu schaffen.
W+M: Mit dem Aus für russisches Erdgas geriet die VNG 2022 in eine existenzielle Krise. Wie haben sie sie bewältigt?
Bodo Rodestock: Das Jahr 2022 war für VNG eine echte Herausforderung! Wir mussten nach Einstellung der russischen Lieferungen extrem hohe Ersatzbeschaffungskosten stemmen, um die weggefallenen russischen Gasmengen zu kompensieren. Als systemrelevantes Unternehmen der Gaswirtschaft stand dahinter unser gesellschaftlicher Auftrag der Versorgungssicherheit. Das hat uns in eine beispiellose finanzielle Situation gebracht. Ende 2022 konnten wir uns aber wirtschaftlich und finanziell wieder solide aufstellen. Wesentliche Schritte dafür waren eine Einigung mit einem Vorlieferanten sowie mit der Bundesregierung im Zusammenhang mit den hohen Ersatzbeschaffungskosten und eine Eigenkapitalerhöhung durch unsere Aktionäre. Dank dieser Stabilisierungsmaßnahmen wurde VNG auch nicht verstaatlicht. Insgesamt sind wir so wirtschaftlich handlungsfähig geblieben und konnten jederzeit unsere Kunden zuverlässig zu den vertraglich vereinbarten Konditionen beliefern.
2022 bekam die Versorgungssicherheit einen ganz neuen Stellenwert. Für uns war in diesem Zusammenhang aber auch schnell klar, dass wir unsere Transformation hin zu grünen Gasen nach diesem Krisenjahr schneller voranbringen müssen. Dass wir letztlich die Krise gemeistert haben, hat auch das Selbstbewusstsein des Unternehmens gestärkt.
W+M: Wie hat sich das Jahr 2023 gezeigt?
Bodo Rodestock: Die Bilanz für 2023 ist noch nicht gebunden, aber es ist Fakt, dass wir ein sehr erfolgreiches Jahr hinter uns haben. Unsere ambitionierten Ziele haben wir übertroffen. Wir konnten uns sowohl im klassischen Kerngeschäft als auch in den Feldern der Transformation erfolgreich weiterentwickeln. Wir haben es geschafft, in diesen unsicheren Zeiten mit hohen Preisschwankungen und anderen volatilen Faktoren, die damit verbundenen Marktmöglichkeiten zu nutzen. Letztendlich haben alle unsere Geschäftsbereiche sehr gut performt.
„Unsere strategischen Schwerpunkte richten sich auf die Diversifikation unserer Gasbezüge, die Weiterentwicklung unseres Biogasgeschäfts sowie den Aufbau unserer Wasserstoffaktivitäten.“
W+M: Inwieweit haben sich die strategischen Schwerpunkte der VNG durch die Ereignisse der Vergangenheit und die fortschreitende Transformation verändert?
Bodo Rodestock: Übergreifend arbeiten wir mit unseren Geschäftsbereichen an den Themen der Versorgungssicherheit, der Gestaltung und Umsetzung der Energiewende und sehen dabei einen strukturgestaltenden Einfluss in Ostdeutschland. Unsere strategischen Schwerpunkte richten sich auf die weitere Diversifikation unserer Gasbezüge, die Weiterentwicklung unseres Biogasgeschäfts und den Aufbau unserer Wasserstoffaktivitäten. Das hat sich nicht geändert. Verändert hat sich jedoch die Geschwindigkeit, mit der wir den Transformationsprozess angehen. Unsere Strategie “VNG 2030+” ist darauf ausgelegt, dass VNG bis zum Jahr 2045 CO2-frei ist. Mit dem Strategie-Update aus dem letzten Jahr haben wir die Transformation der VNG hin zu grünen Gasen noch stärker in den Fokus rücken und beschleunigen können. Im Mittelpunkt stehen dabei Biogas und Wasserstoff. Für Biogas sehen wir im aktuellen und zukünftigen Energiemix eine wichtige Rolle. Wir gehören mit unserer Biogastochter Balance und ihren über 40 Anlagen zu den größten Betreibern von Biogasanlagen in Deutschland. Für den Wasserstoffhochlauf verfügen wir grundsätzlich über die notwendige Infrastruktur und bauen diese weiter aus.
„Wir sind Teil der Lösung, weil wir unseren Beitrag zur Transformation leisten.“
W+M: VNG war lange Zeit Teil des Problems bei der Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität. Wieso sind Sie jetzt Teil der Lösung?
Bodo Rodestock: Das ist richtig, wir sind Teil der Lösung, weil wir unseren Beitrag zur Transformation leisten und dies mit erhöhter Geschwindigkeit. Wir wurden insbesondere 2022 nachdrücklich daran erinnert, dass Versorgungssicherheit nicht von allein kommt und einen Wert hat. Hier sehen wir unsere Rolle auch darin, für heute und die nähere Zukunft Erdgas zu beschaffen und darüber den Übergang zu einer rein auf erneuerbaren Energien basierenden Versorgung zu sichern. 2022 hat aber auch gezeigt, dass Transformation Versorgungssicherheit bedeutet, in dem man für den Bereich der Moleküle in unserer Energieversorgung grüne Gase entwickelt und deren Hochlauf gestaltet.
Grundsätzlich gilt, dass grüner Wasserstoff der Energieträger der Zukunft ist.
W+M: Große Hoffnungen werden auf den grünen Wasserstoff gesetzt. Sie haben die Netze dafür. Wie realistisch sind die Erwartungen an schnelle Lösungen auf der Grundlage grünen Wasserstoffs?
Bodo Rodestock: Grundsätzlich gilt, dass grüner Wasserstoff der Energieträger der Zukunft ist. Bis er ausreichend zur Verfügung steht, brauchen wir aber zunächst so genannten blauen Wasserstoff, also Wasserstoff, der aus Erdgas durch CO2-Abspaltung gewonnen wird. Das abgeschiedene CO2 wird dann unterirdisch gelagert. Wir müssen es als Wirtschaft und Gesellschaft schaffen, dass blauer und grüner Wasserstoff substanziell Anteile gewinnen, um fossile Energieträger abzulösen. Dafür braucht es verlässliche Rahmenbedingungen, die überhaupt erst einmal einen Wasserstoffmarkt ermöglichen. Es braucht eine substanzielle Produktion, Import, ein funktionierendes Netz, Speicher und letztendlich auch Kunden, die bereit und in der Lage sind, grünen Wasserstoff abzunehmen und diesen zu bezahlen. VNG ist für den Wasserstoffhochlauf gut aufgestellt. Wir verfügen über eines der größten Leitungsnetze auf der Fernleitungsstufe, was sich auf Wasserstoff umstellen ließe. Sicher wird es auch zusätzliche Leitungen brauchen. So ist auch das geplante Wasserstoffkernnetz eine Kombination aus neuen und Bestandsleitungen. Was es jetzt für 2024 und darüber hinaus braucht, sind politisch-regulatorische Strategien und Rahmenbedingungen entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette, die Investitionen ermöglichen. Hier erwarten wir uns für 2024 wesentliche Entscheidungen und Fortschritte. Als VNG sind wir bereit, unseren Beitrag zu leisten und substanziell zu investieren, 5 Mrd. Euro bis 2035. Umso wichtiger ist es, dass wir auch wirtschaftlich erfolgreich sind, weil wir so überhaupt erst die finanzielle Basis dafür schaffen.
W+M: Wo bekommen wir den Wasserstoff her?
Bodo Rodestock: Gerade, wenn es grüner Wasserstoff sein soll, werden wir ihn nicht allein in Deutschland selbst herstellen können. Da fehlt es auch an den erforderlichen Mengen grünen Stroms. Wir werden also parallel zu einer inländischen Produktion substanziell auf Importmengen aus verschiedenen Regionen der Welt zurückgreifen müssen. Hier sind wir in Gesprächen mit möglichen Lieferanten aus dem nordafrikanischen Raum und dem Nahen Osten. Aber auch blauen Wasserstoff werden wir zukünftig in großen Mengen importieren müssen, dafür bauen wir gerade Partnerschaften – insbesondere mit norwegischen Unternehmen auf. So wollen wir beispielsweise gemeinsam mit Equinor unter anderem den Import von blauem Wasserstoff aus Norwegen nach Deutschland untersuchen. Ziel ist es aber auch, zukünftig blauen Wasserstoff in Deutschland herzustellen.
W+M: Wie weit ist das Reallabor Energiepark Bad Lauchstädt vorangeschritten, in dem sie in einem Konsortium mit Partnern grünen Wasserstoff für TotalEnergies Raffinerie Leuna produzieren wollen?
Bodo Rodestock: Im Reallabor Energiepark Bad Lauchstädt wird die gesamte Wertschöpfungskette grünen Wasserstoffs abgebildet. Wir wollen grünen Wasserstoff aus Windstrom mittel Elektrolyse produzieren, ihn in einer umgestellten Leitung transportieren, in einer eigens gesolten Salzkaverne speichern und den Kunden direkt beliefern, in dem Fall die TotalEnergies Raffinerie in Leuna. Nachdem die Konsortialpartner im Sommer letzten Jahres die finale Investitionsentscheidung getroffen haben, sind wir nun mitten in der baulichen Umsetzung.
W+M: VNG will bis 2025 in allen Geschäftsbereichen H2-ready werden. Wie weit sind Sie auf diesem Weg?
Bodo Rodestock: Wir sind auf einem guten Weg und haben unsere Geschwindigkeit im letzten Jahr nochmal beschleunigt. Wir haben ein Gastransportnetz, das technisch in wesentlichen Teilen H2-ready ist. Teile unseres Netzes könnten ein wichtiger Bestandteil des Wasserstoffstartnetzes in Ostdeutschland sein. Eine wesentliche Voraussetzung für den Aufbau eines Wasserstoffnetzes ist aber, dass die Investitionen für Kapitalgeber ausreichend attraktiv sind. Die entsprechenden Rahmenbedingungen der Finanzierung werden derzeit im Bundestag diskutiert. Wir haben auch Gasspeicher, in denen zukünftig Wasserstoff gespeichert werden kann. Daneben arbeiten wir gemeinsam mit Partnern in Projekten, die den Wasserstoffhochlauf beschleunigen werden.
„Die Energiewende ist nicht gescheitert, wir sind mittendrin.“
W+M: Die Energiewende wird vielerorts als gescheitert betrachtet. Was braucht es jetzt, um sie erfolgreich zu gestalten?
Bodo Rodestock: Die Energiewende ist nicht gescheitert, wir sind mittendrin. Aber es ist weiterhin anspruchsvoll. Es braucht jetzt verlässliche Rahmenbedingungen, die es für Investoren attraktiv machen, die erforderlichen Investitionen einzubringen. Ich denke hier zum Beispiel an die zukünftige Wasserstoffinfrastruktur. Für Deutschland wurde ein 9.700 Kilometer langes Wasserstoffkernnetz definiert. Damit sind Investitionen in Milliardenhöhe verbunden, die jetzt getätigt werden müssen.
„Wir wollen nicht nur Steuerzahler und Arbeitgeber sein.“
W+M: Die VNG ist bekannt für ein starkes gesellschaftliches Engagement. Wieso ist Ihnen das so wichtig?
Bodo Rodestock: Ich persönlich bin zutiefst davon überzeugt, dass Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen müssen. Dafür steht auch VNG. Wir sind Teil der Gesellschaft, unser Geschäft dient der Gesellschaft. Als Energieunternehmen versorgen wir unsere Kunden sicher mit Gas, gestalten aktiv die Transformation und die Energiewende mit und sind dabei hier in der Region tätig. Wir wollen nicht nur Steuerzahler und Arbeitgeber sein, sondern darüber hinaus auch etwas an die Gesellschaft zurückgeben. Das tun wir vielfältig. Einerseits aus dem Unternehmen heraus, andererseits über unsere Stiftung. Die VNG-Stiftung feiert dieses Jahr ihr 15-jähriges Bestehen und hat in dieser Zeit kontinuierlich zum regionalen Gemeinwohl beigetragen.
W+M: Welches sind die herausragenden Engagements?
Bodo Rodestock: Ein wesentliches Betätigungsfeld ist unsere Ehrenamtsinitiative Verbundnetz der Wärme – unser Flaggschiff. Hier fördern wir das gesellschaftliche Engagement im Ehrenamt vor Ort in den ostdeutschen Kommunen, indem wir Plattformen des Austausches bieten, den Akteuren und ihren Vereinen und Initiativen ein Gesicht geben und so die Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für deren Projekte erhöhen. Eine zweite Säule ist der Bereich Hochschulen und Wissenschaft. Wir unterstützen Studierende mit der Vergabe von Deutschlandstipendien an acht ostdeutschen Hochschulen und engagieren uns bei wissenschaftlichen Studien. Hier gibt es eine klare Verbindung zu unserer Stellung als Arbeitgeber. Wir engagieren uns sowohl finanziell als auch bei konkreten Praxisprojekten, um die Fachkräfteausbildung zu fördern. In den Bereichen Kunst und Kultur sehen wir mit unserer VNGart-Kunstsammlung eine dritte Säule. Hier stehen junge Nachwuchskünstler und deren Unterstützung im Vordergrund.
W+M: Wie finanziert sich die Stiftung? Wie hoch ist das Eigenkapital?
Bodo Rodestock: Wir haben die VNG-Stiftung 2009 mit einem Stiftungskapital von 15 Millionen Euro gegründet. Mit den jährlichen Erträgen bringen wir uns dann in die beschriebenen Handlungsfelder ein.
„Wir sind ostdeutsch, wir bleiben ostdeutsch, wir haben die Wertschöpfung hier in der Region.“
W+M: VNG reklamiert für sich, ein ostdeutsches Unternehmen zu sein, dabei gehört es mehrheitlich zum Energieriesen EnBW. Woran machen Sie das Ostdeutsche fest?
Bodo Rodestock: Mehrheitlich gehören wir zwar zum EnBW-Konzern, allerdings sind wir mit unserer mittlerweile über 65-jährigen Geschichte tief am hiesigen Standort verwurzelt. Unsere Infrastruktur liegt hier. Wir haben auch ostdeutsche Aktionäre und wir haben die Wertschöpfung hier in der Region. Daraus leiten wir ab, ein ostdeutsches Unternehmen zu sein. Unsere Stakeholder geben uns durch ihr Vertrauen auch den Handlungsspielraum, hier zu investieren und uns vor Ort zu engagieren.
Interview: Frank Nehring