Wirtschaft und Markt

Brandenburgs Wirtschaftsminister Steinbach: „Ich bin optimistisch, dass weitere Großansiedlungen kommen.“

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Brandenburgs Wirtschaftsminister Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach im Interview mit W+M über Ansiedlungserfolge in Brandenburg, Subventionen für die Industrie und die Sorgen des brandenburgischen Handwerks.

W+M: Herr Minister, das Jahr 2023 geht auf die Zielgerade. Wie fällt Ihre Bilanz der brandenburgischen Wirtschaft für das laufende Jahr aus?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Die aktuellen wirtschaftlichen Daten für Deutschland deuten darauf hin, dass sich die Wirtschaft in einer Art Seitwärtsbewegung befindet. Im Vergleich sind wir in Brandenburg im Aufwind, weil sich unser Bruttoinlandsprodukt überdurchschnittlich entwickelt hat. Auch die Auftragslage der Unternehmen hat sich zuletzt bundesweit verbessert, das gibt Hoffnung auf eine positivere Zukunft. Leider gilt aber auch: Je größer das Unternehmen, desto besser die wirtschaftliche Lage. Kleine und mittlere Unternehmen haben dagegen weitaus mehr mit den aktuellen Problemen zu kämpfen.

W+M: Welche Branchen in Brandenburg sind gegenwärtig Ihre Hoffnungsträger, welche sind Sorgenkinder?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Hoffnung geben die Entwicklungen rund um das Thema moderne Mobilität. Die BASF plant bereits jetzt, ihre Produktion von Kathodenmaterialien für die Elektromobilität in Schwarzheide auszubauen, weil die ursprüngliche Kapazität schon durch die Nachfrage zu 100 Prozent ausgelastet ist. Air Liquide hat in Schwarzheide eine Luftzerlegungsanlage in Betrieb genommen, um BASF neben Sauerstoff auch CO2-freie Druckluft bereitzustellen. Im Bereich nachhaltige Mobilität haben wir nach wie vor viele Investorenanfragen. Ich zähle auch die Luft- und Raumfahrt zu den Hoffnungsträgern. Dort haben wir innovative Unternehmen wie etwa die APUS GmbH, die in Strausberg wasserstoffgetriebene Flugzeuge baut.

Sorgen bereitet mir das brandenburgische Handwerk. Nicht unbedingt wegen der Auftragslage, sondern vor allem wegen des Mangels an Fach-und Arbeitskräften. Junge Menschen zieht es heute verstärkt in die Zukunftstechnologien. Für das traditionelle Handwerk ist es zunehmend schwerer, seine Arbeitsplätze qualifiziert zu besetzen.

W+M: Vor einem Jahr drohte der deutschen Wirtschaft ein Krisenwinter durch eine Gasmangellage und hohe Energiepreise. Wie groß ist die Gefahr für die heimische Wirtschaft in diesem Jahr?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Ich glaube, dass wir dieses Jahr entspannter in den Winter gehen können. Die Gasspeicher sind gut gefüllt; die Gaspreise deutlich gefallen. Bei den Stromgestehungskosten liegen wir mittlerweile im Mittelfeld im europäischen Vergleich. Auch wenn wir Abgaben und Steuern hinzurechnen, sind wir nicht mehr der Spitzenreiter in Europa. Das Preisniveau wie vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine werden wir aber so schnell nicht wieder erreichen. Sicher wird der Preis an der ein oder anderen Stelle in diesem Winter auch wieder ansteigen, aber nicht mehr auf das hohe Niveau des  vergangenen Jahres.

Brandenburgs Wirtschaftsminister Prof. Jörg Steinbach. Foto: W+M

W+M: Dennoch sind die Strompreise für die energieintensiven Branchen in Brandenburg wie die Chemie- oder Stahlindustrie ein drängendes Thema. Wie stehen Sie zu einem vergünstigten Industriestrompreis?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Ich halte einen zeitlich begrenzten Brückenstrompreis für notwendig, um die energieintensiven Unternehmen im Land halten zu können. Die in der Diskussion stehenden sechs Cent pro Kilowattstunde sind dabei die angesagte Größenordnung. Der Industriestrompreis muss aber an Bedingungen geknüpft sein. Es kann nicht sein, dass wir die Unternehmen subventionieren und diese dann etwa Investitionen für die Transformation zurückstellen. Der Bezug des subventionierten Strompreises muss daher an Transformationsaktivitäten geknüpft sein. Und er muss zeitlich begrenzt werden, sonst wird er zum Fass ohne Boden. Das sollten wir aus früheren Zeiten gelernt haben.

W+M: Gehen diese Subvention für die Industrie nicht zu Lasten der kleinen und mittleren Betriebe?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Bei den Regelkunden – und dazu gehören ja viele mittelständische Unternehmen – sehen wir heute Stromkosten, die eine Verdoppelung des Ausgangsniveaus vor dem Ukraine-Krieg bedeuten. Bei den energieintensiven Unternehmen sprechen wir aber von dem vier- bis sechsfach erhöhten Preisniveau. Das muss man fairerweise anerkennen. Letztlich wird eine Subventionierung auch den Unternehmen zugutekommen, deren Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt ansonsten gefährdet ist. Das können auch Mittelständler sein. Außerdem würde auch der kleine Mittelstand leiden, wenn große Konzerne wegen zu hoher Energiepreise das Land verließen. Das gilt es in der Diskussion zu berücksichtigen.

W+M: Sie haben mehrfach von einem globalen Subventionskrieg gesprochen, in dem wir uns befinden. Kann Deutschland da mithalten?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Die globale Entwicklung bei den Subventionen ist sicher nicht gesund. Dazu zählt nicht nur der “Inflation Reduction Act” in den USA. Wir erleben solche Subventionen auch in Südostasien, wo Unternehmen bei Ansiedlungen zwanzig Jahre Steuerfreiheit gewährt wird. Um für deutsche Unternehmen unter diesen Rahmenbedingungen Wettbewerbsgleichheit zu gewährleisten, sind wir gezwungen, Dinge zu tun, die eigentlich dem Wettbewerbsgedanken entgegenstehen. Ich freue mich für meine Amtskollegen in Magdeburg oder Dresden über die Investitionen von Intel oder TSMC. Aber wir stoßen als Länder auch an unsere Grenzen, weil wir einen beträchtlichen Teil der Subventionen selbst tragen müssen. Das belastet substanziell die Länderhaushalte. Da müssen wir uns fragen, wie wir das künftig in Deutschland regeln wollen.

W+M: Welche Möglichkeiten sehen Sie?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Der “Inflation Reduction Act” in den USA ist keine klassische Projektförderung, wie wir sie kennen, sondern eine Förderung durch Absenkung von Steuern. Im Ergebnis weiß heute noch niemand, was diese Art der Förderung am Ende die USA kosten wird. Wir orientieren uns in Europa mit unserer Projektförderung weiter an den Investitionsbeträgen, die ein Unternehmen aufbringen muss. Wenn sie als Beispiel das politische Ziel nehmen, die Solarindustrie mit der gesamten Wertschöpfungskette wieder in Deutschland anzusiedeln, dann sind für die Unternehmen nicht die Investitionskosten der entscheidende Faktor, sondern die operativen Kosten. Und die Probleme entstehen etwa durch die Dumpingpreispolitik der chinesischen Wirtschaft. Da muss sich die Politik dann auch über geeignete Antworten Gedanken machen.

W+M: Trotz dieses weltweiten Wettbewerbs siedeln sich wichtige Unternehmen in Brandenburg an, nicht nur Tesla. Wird sich dieser Trend fortsetzen?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Bei Großansiedlungen bin ich optimistisch, dass es innerhalb der nächsten zwölf Monate vielleicht noch eine oder zwei Erfolgsmeldungen geben wird. In 2022 haben wir 1,8 Milliarden Euro Direktinvestitionen in Brandenburg erzielt, in diesem Jahr waren es bis August bereits 1,5 Milliarden.

W+M: Wie wichtig sind Unternehmen wie Tesla für die Region?

Dr. Jörg Steinbach: Tesla ist wertvoller für die regionale Wirtschaft geworden, als wir es uns erhofft hatten. Die Produktion in Grünheide schlägt sich nicht nur spürbar beim Bruttoinlandsprodukt des produzierenden Gewerbes in Brandenburg nieder. Es profitieren auch die Zulieferer bis weit nach Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt hinein.

W+M: Es gibt Faktoren, die weitere Ansiedlungen erschweren, z.B. fehlende Gewerbeflächen…

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Unsere direkt vermarktbaren Flächen belaufen sich auf 770 Hektar. Die Nachfrage nach solchen Flächen ist aber größer. Es besteht daher die Notwendigkeit, weitere Flächen zu erschließen. Gegenwärtig fokussieren wir uns auf rund zwölf Projekte, bei denen wir wissen, dass auch die Bevölkerung vor Ort diese neuen Gewerbestandorte mitträgt. Auf der anderen Seite befinden wir uns nicht mehr in der gleichen Situation wie Anfang der 1990er Jahre, als wir händeringend nach Investoren gesucht haben. Heute kennt unsere Ansiedlungsstrategie den Begriff der Qualität der Ansiedlung. Bei Investitionen, bei denen ein besonderes Engagement der brandenburgischen Wirtschaftsförderung oder meines Hauses erforderlich ist, legen wir Wert darauf, dass die Ansiedlung eine sinnvolle Ergänzung bestehender Wertschöpfungsketten oder die Vervollständigung einer Kreislaufwirtschaft darstellt.

W+M: Wie sieht es bei den Fachkräften aus?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Die Unternehmen in den Zukunftsmärkten finden ausreichend Arbeitskräfte. Hier sprechen wir ohnehin über einen internationalen Arbeitsmarkt. Bei Rolls Royce in Dahlewitz oder bei Tesla arbeiten Menschen aus nahezu 50 Nationen. Schwierig wird es bei tradierten Berufen im Mittelstand und im Handwerk. Auch hier wird die Zuwanderung aus dem Ausland an Bedeutung gewinnen. Wir haben natürlich auch Diskussionen wie in der Lausitz, ob das neue Bahnwerk der Deutschen Bahn in Cottbus Arbeitskräfte aus dem Mittelstand abzieht. Aber nicht durch Abwerbekampagnen, sondern weil die Deutsche Bahn gut bezahlte und tarifgebundene Jobs bietet. Da ist es die Herausforderung für den Mittelstand, Arbeitsstellen zu attraktiven Konditionen zu bieten.

W+M: Gibt es in der Anwerbung von Investoren eher eine Konkurrenz oder eine Kooperation mit den ostdeutschen Nachbarländern?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Wir arbeiten hervorragend zusammen und kommen auch länderübergreifend zu guten Lösungen. Auch die Zusammenarbeit mit Berlin hat sich wieder intensiviert, etwa bei gemeinsamer Energieaktivitäten. Da war zuletzt durch die Wahl in Berlin einiges liegengeblieben.

W+M: Profitieren alle Regionen Brandenburgs von den Ansiedlungserfolgen?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Über den so genannten Speckgürtel rund um Berlin müssen wir uns keine Gedanken machen, der entwickelt sich praktisch von allein. Aber auch der ländliche Raum hat Perspektive. Die Bundeswehr wird den Standort in Holzdorf im Landkreis Elbe-Elster für die Luftwaffe ausbauen. Dort sollen bis zu 1.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. In die Uckermark werden gemeinsam vom Bund und vom Land Brandenburg 375 Millionen Euro für die Strukturpolitik fließen. Die Prignitz rückt umso mehr in den Fokus, je weniger berlinnahe Flächen zur Verfügung stehen. Für sie spricht die günstige Lage auf halber Strecke zwischen Berlin, Hamburg und der Ostsee.

W+M: Investoren erwarten mittlerweile auch ein ausreichendes Angebot an grüner Energie. Wie steht Brandenburg bei Windkraft und Solarenergie da?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt in Brandenburg gut voran, wenn auch nicht so schnell, wie man es sich wünschen würde. Deshalb haben wir gerade eine Solarausbauoffensive gestartet. Ich unterstütze nachdrücklich die von der Koalition geplante Einführung des sogenannten Solareuro. Analog zum Windeuro sollen Kommunen so künftig finanziell mehr an der Energiewende beteiligt werden.

W+M: Ein weiterer Energieträger der Zukunft ist grüner Wasserstoff. Sind die Brandenburger Pläne für den zügigen Aufbau eines Wasserstoffnetzes realistisch?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Sie sind sehr realistisch. Das Wasserstoff-Kernnetz des Bundes sieht bis 2032 zwei Hauptversorgungsachsen in Brandenburg vor. Die Mittel aus der IPCEI-Förderung dafür müssen bis 2028 investiert sein. Deshalb wird die Infrastruktur eher schneller als verzögert ausgebaut werden. Der Osten wird beim Aufbau des Wasserstoffnetzes auch keinesfalls abgehängt. Die spannendere Frage wird sein, wieviel grünen Wasserstoff können wir selbst produzieren, wieviel müssen wir importieren?

Brandenburgs Wirtschaftsminister Prof. Jörg Steinbach. Foto: W+M

W+M: Wie wird das Verhältnis von Eigenproduktion zum Import aussehen?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Die Prognosen gehen von einer Importquote von 90 Prozent für grünen Wasserstoff aus. Die Wasserstoffstrategie des Landes Brandenburg hat einen Bedarf von 22,5 Terawattstunden bis 2040 veranschlagt. 3,5 Terawattstunden werde wir im Land selbst mittels Elektrolyse herstellen können. Es ist aber gut möglich, dass im Süden Brandenburgs zur Dekarbonisierung der industriellen Prozesse noch einiges mehr an Wasserstoff benötigt wird.

W+M: Mit dem Braunkohlekonzern LEAG in Cottbus und der PCK-Raffinerie in Schwedt stehen zwei wichtige industrielle Arbeitgeber mitten in der Transformation. Wie weit ist dieser Prozess vorangeschritten?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: In der Lausitz haben wir hinsichtlich der Arbeitsplätze für ungefähr zwei Drittel eine Perspektive. Zur Verdeutlichung: In Bereich der der Braunkohle müssen wir 7.000 bis 8.000 Arbeitsplätze ersetzen. Mit dem Aufbau der Gigawattfactory wird die LEAG 1.500 bis 2.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Die Kathodenproduktion der BASF in Schwarzheide, die Lithiumfabrik der Rock Tech Guben GmbH, das Batteriezellwerk der SVolt in Lauchhammer bieten weitere neue Arbeitsplätze. 1.200 Jobs sollen beim Bahnwerk in Cottbus entstehen. Dazu werden auch noch vier außeruniversitäre Forschungsinstitute in der Lausitz errichtet. In der Summe haben wir heute bereits für 60 Prozent der künftig entfallenden Arbeitsplätze eine Perspektive. Wir haben also schon einiges geschafft und das, obwohl die LEAG im Zuge des Ukrainekrieges zwei Kraftwerksblöcke wieder hochfahren musste. Das war anders geplant; dafür waren nochmals rund 1.000 Menschen neu zu beschäftigen. Langsam beginnen auch die Menschen in der Region daran zu glauben, dass es gelingen kann.

W+M: Wie kommt die Transformation in Schwedt voran?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Hier stehen wir zwar noch am Anfang, sehen aber auch, dass wir nach eineinhalb Jahren weiter sind als seinerzeit in der Lausitz im gleichen Zeitraum. Die Transformation in Schwedt findet praktisch im Zeitraffer statt.

W+M: Herr Minister, in den aktuellen Umfragen erzielt die AfD Zustimmungswerte jenseits der 30 Prozent. Wir sehr gefährden solche Ergebnisse die Anwerbung von Investoren?

Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Diese Umfragewerte sind natürlich Thema bei Gesprächen mit Investoren. Die AfD vertritt eine völkische und nationalistische Politik. Das ist einer aktiven Ansiedlungspolitik nicht förderlich. Wer bei Wahlen seinen Protest ausdrücken möchte, sollte seine Stimme anderen Parteien geben, aber nicht dieser.

Minister Steinbach im Gespräch mit W+M-Chefredakteur Frank Nehring und Matthias Salm. Foto: W+M

Interview: Frank Nehring/Matthias Salm

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